Der Spielverderber

(Max Planck Institut für Ambiguionik)

Kann eine künstliche Intelligenz aus einem vorgegebenen Begriff einen dramatischen Text konstruieren?

Experiment unter Einsatz einer künstlichen Intelligenz mit einer algoritmischen Deeplearning Architektur „Task“: (Komparation nach Taitelboim, Pannach (2016)

Logikverschaltung: Fizzo zwei comp.Beta.

Motivation im semantischen Feld: „Spielverderber“ im Textgenerator.

Equalizer: Ereignisfeldvarianz 1,5; syntaktische Komplexität 1,7 ; Motivationstiefe 2,1

Eingabefeld: „Spielverderber“.

Start/Enter:

Spielverderber heißt jemand, der das Spielen verdirbt.

Der Spielverderber kommt ins Zimmer und möchte das Spielen verderben.

Was habt ihr da? Ich sehe Spielsachen.

Erstens ein Feuerwehrauto.

Zweitens eine Puppe.

Drittens ein Brummkreisel.

Gebt das her. Ich will es verderben. Ich bin der Spielverderber.

Die Kinder möchten das Spielzeug nicht hergeben.

Die Kinder halten das Spielzeug fest mit ihren Fingern.

Der Spielverderber hat mehr Kraft als die Kinder.

Er hat den kraftvollen Arm.

Mit Kraft dreht der Spielverderber den Kindern das Spielzeug aus den Fingern.

Er nimmt den Kindern das Spielzeug weg.

Der Spielverderber ist stärker als die Kinder. Das ist sein Vorteil.

Als der Stärkere kann er den Kindern das Spielzeug wegnehmen.

Er beginnt das Spielverderben mit dem Spielzeugwegnehmen

Mit dem Vorteil seiner größeren Kraft nimmt er den Kindern das Feuerwehrauto weg.

Die Kinder gucken den Spielverderber an

(Labornotiz..angucken..wow..ziemlich untypisch für die Schaltkreiskonfiguration Fizzo eins komp.Beta im semantischen Feld.)

Jetzt hat der Spielverderber das Feuerwehrauto.

Die Kinder haben es nicht mehr.

(… Labornotiz: gähn…wer hätte das gedacht, klären, unnötig syntaktische Redundanz)

Der Spielverderber hat den Kindern das Spielzeug weg genommen.

(wie oft denn nun noch….)

Der Spielzeugwegnehmer und Spielverderber zerdrückt das Feuerwehrauto.

Er drückt es zwischen seinen Händen bis es knackt.

Der Spielzeugwegnehmer, dessen Vorteil die größere Stärke ist, ist auch der Spielzeugkaputtmacher.

Er tritt mit dem Fuß auf das Feuerwehrauto.

Die blauen Signalleuchten platzen ab und kullern über den Fußboden.

Die Batterie und einige Drähte gucken an der Seite heraus.

Die Kinder gucken auf seinen Fuß.

Der Spielverderber stampft mit dem Fuß auf das Feuerwehrauto.

Das Dach und die Leiter biegt sich nach unten. Die Räder legen sich flach zur Seite. Dann brechen auch sie ab und kullern über den Fußboden.

Der Spielverderber hat den Kindern das Feuerwehrauto weggenommen.

Der Spielverderber hat das Feuerwehrauto kaputt gemacht.

Der Spielverderber ist der Stärkere.

Der Spielverderber ist der Wegnehmer und Kaputtmacher.

(Labornotiz: Fizzo Komp Beta Wiederholung im Ereignisfeld unmotiviert, nach Taitelboom und Pannach, trotzdem interessant)

Der Spielverderber sagt: Gib mir die Puppe, oder ich nehme sie dir weg.

Das Kind mit der Puppe weint. Es hält die Puppe fest.

Der Spielverderber ist stärker.

Der Spielverderber hat den Vorteil der Stärke.

(Labornotiz: ja ja..schon wieder Redundanz, wahrscheinlich nach Pannach)

Mit dem Vorteil seiner größeren Kraft windet er dem Kind die Puppe aus der Hand.

Der Spielverderber reisst die Puppe an den Nähten, schüttelt die weißen Watteflusen aus der Füllung und verstreut sie über den Fußboden.

Die leere Stoffhülle zerschneidet er mit einer Schere.

Den Puppenkopf wirft er in den Mülleimer.

Alle Kinder gucken den Spielverderber an.

Mit dem Vorteil seiner größeren Kraft entwindet er dem schwächsten Kind den Brummkreisel.

(Labornotiz: Unästhetischer, hässlicher Satzbau)

Der Brummkreisel ist einfach zu verderben.

(ui…woher kommt diese Feststellung?)

Der Spielverderber schlägt ihn ein paar Mal auf den Fußboden, bis er ganz verbeult ist und in zwei Hälften zerfällt.

Dann verbiegt er noch die Drehachse und wirft einen Teil des Griffes in den Mülleimer.

Jetzt hat der Spielverderber den Kindern das Spielzeug weggenommen und kaputt gemacht.

Das Spielen ist verdorben.

Das Spielzeug ist kaputt.

Der Spielverderber ist zufrieden, weil er alles so gemacht hat, wie ein Spielverderber macht.

(Labornotiz Uff..was für eine „weil“- Begründung)

Die Kinder gucken. (Anmerkung siehe oben.)

Sie haben kein Spielzeug mehr.

Der Brummkreisel brummkreiselt nicht mehr.

Das Feuerwehrauto feuert nicht mehr.

Die Puppe puppt nicht mehr.

Der Spielverderber hat den Vorteil der größeren Stärke.

Der Spielverderber hat das Spielen verdorben.

Die Kinder gucken den Spielverderber an.

Auswertung: Die Deeplearning Software Architektur „Task“ bewältigt den schrittweisen Aufbau einer Geschichte in Ansätzen. Sie kann Motivationen und Reaktionen von Figuren fragmentarisch begründen. Es zeichnet sich ein Verständnis für Dramaturgie ab. Mit der Kausalität hapert es noch. (Motivationstiefe nachjustieren) Das Rekursionschema nach Taitelbom, Pannach verursacht Redundanzen aber auch interessante neue Artefakte. Nicht sicher ist, ob auf der inneren Ebene ein Verständnis für „Spiel“ vorliegt. (Künstliche Intelligenz)

Über die Natur

Anaxarez aber hörte gar viele Einwohner der Stadt sprechen und dafürhalten, wie die Natur zu schonen wäre, der Verbrauch an Sträuchern, Fischen, Wolken und Landschaft einzuschränken sei, und wie man laut redend sich gegenseitig in Vorschlägen übertrumpfte um Ideen und Einfälle, die Bienen wieder in voller Zahl an ihre Blüten zu bringen.

Dabei sah er die Einwohner der Stadt oft stehend oder sitzend auswickeln, entpacken und wie Mumien aus mehreren Schaumstoffschichten entkleiden die neuesten Geschenke der Natur: im Herbst birkenrindenfarbene Kopfhörer, oder kleine Geräte mit Oberflächen, so ruhig und glatt wie ein sauberer See, in dem Wasserblüten und Rosen mit dem Finger angetippt erzitterten oder in kleinen flüchtigen Wegen unter die Oberfläche glitten.

Die geschonte Natur beschenkte die sorgsam Besorgten so reichlich mit Gaben, dass die Geräte und Kopfhörer, aber auch Schuhe, Tragetaschen und vom elektrischen Gewittergott betriebene Fußroller in jeder Jahreszeit in wechselnden Variationen und in jeweils verschieden sich abblätternden Umhüllungen immer wieder neu geformt all diese Menschen und Gedanken in fröhlicher Daseinspracht bestätigten, so dass jedermann immer nur zugreifen musste und die Bienen immer zahlreicher und fleißiger in den Kabeln und Steckern ihr Summen vernehmen ließen, während die Seerosen und Wasserblüten auf den sauberen Seen vom Tippen ganz gerührt immer wieder ihre Farben wechselten.

Der Salpeterbildner

Nitrosophie

Alles wurde von allen schon gesagt, nur noch nicht von jedem.

Die Hohepriester der Klimakirche haben sich dafür entschieden, das C02 zu unserem großen neuen Gott zu erklären. Das Spurengas CO2 hat alle Eigenschaften, die ein Gott braucht. Er ist unsichtbar. Er ist unser Atem. Er ist überall. Er droht mit Bestrafung. Man kann „sündigen“. Man kann Ablasshandel über C02 Zertifikate betreiben. Und man kann sich „sündenfrei“ verhalten. Und er ermöglicht den Kirchenfunktionären ein Auskommen und jede Menge Hubschrauberflüge von Besorgtheitskonferenz zu Besorgtheitskonferenz. Vor allem aber können „im Namen des Klimas“ als „höhere Macht“ Demokratien in ökofaschistische Diktaturen verwandelt werden. Das Klima gibt, das Klima nimmt. Amen.

Die Luft besteht aber zu ca 70 Prozent aus Stickstoff. Haben wir nicht etwas übersehen? Stickstoff als Gegenpapst? Stickstoff als Gegenkirche?

In manchen Schulbüchern der Chemie findet sich das Wort „Salpeterbildner“ für das Nitrogenium, den Stickstoff. Es soll die Eigenschaft des Elements hervorheben, Nitrate zu bilden.

Zugleich strahlt das Wort etwas künstlerisch Poetisches aus. So, als sei der Salpeterbildner ein bildender Künstler, ein Schöpfer großer Kunstwerke.

Ob die Naturphilosophie auch zugleich eine politische Philosophie sein kann, ist von Hannah Arendt bezweifelt worden. Ebenso hat Heidegger behauptet, dass es von den Wissenschaften zum Denken keine Brücke geben kann. Doch ausgerechnet der Stickstoff als Salpeterbildner scheint eine Brücke wenigstens anzudeuten.

Das Bildungsprogramm des Salpeterbildners

Nitrosophie

Nitropoiese…

Nitrozän

Philonitrat

Der Salpeterbildner als bildender Künstler:

Düngemittel

Medikamente

Sprengstoffe

Hölderlin: „Wo aber Gefahr droht, wächst das Rettende auch.“

Kaliumnitrat – ein Düngemittel und Zündmittel

Nitroglyzerin – ein Herzmedikament und ein Sprengstoff

Nitropenta – ein Medikament gegen Angina Pectoris und Initialsprengstoff

Kunst des Salpeterbildners

Hegel: „Das Bekannte überhaupt ist darum, weil es bekannt ist, noch nicht erkannt.“

Das Bekannte überhaupt:

Ein vergessener Beruf.

Bis ins frühe 19. Jahrhundert hinein haben so genannte Salpetersieder in Schweineställen aus der Scheiße der Tiere, die ins Erdreich gesickert war, Kaliumnitrat ausgewaschen, um Schießpulver herzustellen.

Phantasielose Phantastik.

Noch verstörender wirkt der Hinweis, dass die Salpetersieder nicht nur Schweineställe aufgewühlt haben, sondern sogar Massengräber alter Schlachtfelder, weil hier die Erde offensichtlich ebenso geeignet schien, das Salpeter zu gewinnen. Der beinahe vollständig geschlossene Kreislauf des Krieges.

Heideggers „Gelassenheit“ im Umgang mit der Technik.

Die Technik ist ein Ver*mögen, das von sich aus uns *mag. Ein Ver*mögen zwingt zu nichts. Ein Ver*mögen macht frei. Technik ist ein Tun und ein Lassen. Ein Ver*mögen.

Der Salpetersieder „lässt“ die Schweine scheißen. Dann „tut“ er daraus Kaliumnitrat extrahieren.

Heideggers „Gelassenheit“ im Umgang mit der Technik meint, wir müssen uns der Technik nicht unterwerfen, denn sie ist ein Ver*mögen, also kein Zwang. Gelassenheit meint, sich eines Vermögens bewusst sein.

„Schweinerei“

Stanislav Lem 100

Der Ritterroman

Die Familiensaga

Der Entwicklungsroman

Der Heimatroman

Der große psychologische Roman

Der Abenteuerroman

Der phantastische Roman

Der Science Fiktion Roman

Der durch und durch spannende Roman

Der Roman, der einen klaren guten Plot hat, der sich einfach erzählen lässt, aber überhaupt nicht einfältig ist.

Der Roman mit einem überschaubaren Figurenensemble.

Der Roman, der so ganz konventionell in einer gut lesbaren Sprache erzählt ist.

Der Roman, der ein Genre bedient, aber zugleich sein eigenes Genre sprengt.

Der Roman, der Begriffe wie Utopie und Dystopie nahelegt und gleichermaßen ad absurdum führt.

Und der Roman, der zugleich mythologisch, abgründig, tief, subtil zeitkritisch, gesellschaftskritisch und hypermodern ist.

Das Buch, das man nicht weglegt, dafür in einem Zug durchlesen muss

Weil das Buch fesselt

Weil das Buch stimmig ist

Weil das Buch ein Fragen wach ruft

Weil das Buch einfach gut geschrieben ist

intelligent, durchdacht, kunstvoll

Das Buch, das Millionen Leser verstört oder begeistert, verunsichert, aber nicht kalt gelassen hat. Millionen Leser.

Das Buch, das riesig ist, aber nicht besonders dick.

Kurz gesagt: Stanislav Lems Roman Solaris.

Mein aufrichtiger Neid

Meine Bewunderung

Meine Zuneigung zu schöner, wunderbar gelungener, zeitgenössisch moderner Literatur.

Der abgründige Autor, der aber ganz ohne Tiefgründelei daherkommt.

Der komplexe Autor, aber ohne Kompliziertheitskarzinom

Der durchaus sprachschöpfende Autor, aber ohne grammatische Furunkel

Spannend und voller Geheimnis, aber ohne Anspielungshäppchen und Verrätselungswürste für den hermeneutischen Schoßhund

Nicht direkt gruselig, aber sehr verstörend

Unheimlich, und dabei anrührend

Psychologisch charaktersensibel, aber ohne Figurengulasch oder angehängtes Figurenverzeichnis

Science Fiktion…. aber ohne die üblichen Mundgeräusche des Science Fiktion Genres

Literarisch modern, fast experimentell….aber ohne die üblichen Spastiken experimenteller Literatur

Avantgardistisch, aber ohne das übliche Gelalle sogenannter avantgardistischer Romane

Psychologisch, aber mit Bindung zum Seelischen.

Geistreich und gebildet, aber ganz ohne Pappmasché von Geistreichelei.

Kurz gesagt: Stanislav Lem und sein Roman Solaris.

oder anders gesagt:

all das, was Plastik-Autoren wie Dietmar Dath nicht können, nicht hinbekommen, nicht sind und auch nie sein werden.

Ich muss das jetzt dem Stanislav Lem petzen gehen.

Lieber Stanislav Lem,

Der Dietmar, der Feuilletonist Dietmar Dath hatte zu Ihrem 100. Geburtstag, verehrter Großmeister Lem, die Gelegenheit gehabt, in einem Podcast der FAZ seine Sensibilität unter Beweis zu stellen, seinen denkerischen Stil oder seine literaturhistorisch einordnende Eloquenz glänzen zu lassen, oder vielleicht sogar auch, ja, man wagt es kaum zu sagen: seine Leidenschaftlichkeit für gute Literatur und seinen literarischen Geschmack….,

…doch folgendes ist passiert:

Da hat ein Riese, ein literarisch philosophischer Gigant des zwanzigsten Jahrhunderts seinen 100. Geburtstag, und ich hatte erwartet, jetzt eine Hymne auf einen der wenigen Dichter und Künstler des literarisch denkenden Buches zu hören, aber was kam dann?

Nebengleisiges Gerede, Firlefanz, Tinnef, Zeugs.

Wie finden Sie das, Herr Stanislav Lem?

Aber ach, aus meinem petzerischen Impuls war ziemlich schnell wieder die Luft raus. Das Feuilleton der FAZ ist heute eine geistige Sahelzone, man weiß es, und vielleicht mag der Dietmar den Stanislav einfach nicht, so etwas kann ja vorkommen, dachte ich mir dann in meiner nachlassenden Lust auf Petzerei.

Und die große Frage ist ja auch: Könnte ich, oder kann ich einen brillianten, funkelnden Groß-Essay zu Stanislav Lems Geburtstag verfassen? Die Antwort lautet: Ich kann es nicht.

Weil: Man kann nur schwer „über“ einen Autor schreiben, den man atmet und geatmet hat, im Blut und in den Genen trägt.

Also bleiben nur hässliche ungeformte Essay-Schnitzel…

Längere Zeit hatte ich es versucht und nachgedacht über den richtigen Beginn, den passenden Anfang zu einem Essay über Lem. Aber letztendlich hab ich es aufgegeben.

Beim Nachdenken darüber war mir auch klar geworden, dass ich in Literatur- und Kunstdingen ein kindischer Rankingtyp bin.

Ich führe eine innere Liste mit einem Ranking. Ganz oben auf der Liste stehen die Kings, die Kaiser und Fürsten ihres Genres, danach kommt dann eben der Abstieg. Platz zwei und drei haben noch Schönes und Gutes zu bieten, aber danach wird es eigentlich uninteressant.

Was die schriftliche Science Fiction, den Science Fiction-Roman in lesbarer Buchform betrifft, steht Lem bei mir im Ranking auf Platz 1.

Lem ist das Bravoposter an meiner Kinderzimmerwand. Neben Kleist natürlich.

Das hat sicherlich auch damit zu tun, welche Text- und Leseerfahrung man in welchem Alter, in welcher Situation macht.

Nicht alles von Lem war zu DDR-Zeiten gleichermaßen sofort zugänglich, aber in den späten 80igerJahren vieles.

Als junger Mensch nimmt man also die Lemschen Bücher aus irgend einem Regal, verschlingt sie und ist sich noch gar nicht im Klaren darüber, welchem Riesen man da begegnet.

Klar beginnt es mit den scheinbar ziemlich fluffigen und leichten Sterntagebüchern. Dann ist man traurig, dass man sie ausgelesen hat und sucht nach weiteren Hervorbringungen dieses Autors, und ganz allmählich bekommt man den Hallraum und Schallraum eines wirklichen Dichters, Denkers und Philosophen mit auf den Weg…

Sicherlich ist Lem auch ein Autor, der auf den ersten Blick dazu verführen könnte, zwischen einem frühen, einen mittleren und einem späten Lem zu unterscheiden. Aber letztendlich gibt es bei Lem keine innere Veränderung als Autor. Der ganze Lem ist immer schon von Anfang an da. Lems Werk ist absolut selbstkonsistent.

Und ein Hauptmerkmal dieses sehr erstaunlichen Autors ist, dass seine Texte nicht schalltot sind.

Das Verrückte ist ja, und man weiß es mit der Zeit immer mehr, dass man als Ossi, als geprägter Ossi, Literatur zu DDR-Zeiten als geistiges Atemgerät benutzt hat. Und das ist auch heute noch so. Wenn man halb erstickt auf der geistigen Krankenstation des FAZ-Feuilletons liegt, dann ist man froh, wenn ein Atemgerät wie Stanislav Lem greifbar ist.

Die deutschsprachige literarische und feuilletonistische Nachkriegsluft zu DDR-Zeiten war ebenfalls von großer Stickigkeit erfüllt.

Entweder roch es überall nach Brechtkotze, nach Biermannbier und Dissidentenbiedermeier, Christawolfgewölle oder nach der karlmickelhaften Sinn-und-Form-Kultur.

Die Bücher von Lem waren darin eine Atembefreiung, eine Mentholsalbe, ein Zephirwind. Und sie waren Ufos.

Aus dieser Zeit hat man einen guten Instinkt mitbekommen und ein Gespür für Texte als geistige Atemgeräte.

Deshalb ganz plump und ungeschliffen artikuliert: Lem ist ein Riese der Gegenwartsliteratur, ein Dichter, ein verdienter Literaturnobelpreis-Nichtbekommenhaber, ein denkerischer Verwandter Heideggers, ein Prophet, ein Gigant der philosophischen Poetik und der kosmologischen Technologieempfindlichkeit. Außerdem war Lem ein echter Kosmonaut. Seine Texte haben mit Schelling und Heidegger sehr viel tun, und vielleicht sogar noch mehr mit Paul Celan.

Während die nachkriegsdeutsche Villamassimo-Kultur der Kopronautik zuzurechnen ist. Will man sich also von der Kopronautik erholen, muss man den Kosmonauten Lem lesen, vor allem auch sein essayistisches Werk.

Lem kommt eigentlich gar nicht aus der „Science Fiktion“. Und eigentlich war er da auch nie „drin“.

Er kommt aus dem Denken und Dichten.

Ein sehr früher Essay von ihm nimmt Bezug auf ein Gedicht von Rilke. Das zeigt wieder diese sehr interessante Import-Export-Mechanik zwischen den Kulturen.

Ob es Zufall ist oder bewusst gesetzt, kann man dahingestellt lassen, es gibt ja keine Zufälle, aber in seinem Hauptwerk „Golem“ lässt er den am weitesten entwickelten Supercomputer Honest Ani in ein Schweigen hinein verstummen, das Schweigen, das eine poetische Kategorie bei Meister Eckardt ist.

Überall, phasenweise, mal stärker, mal schwächer, findet sich in Lems Werk zwischen vielen komischen und spielerischen Elementen ein tief skeptischer bis pessimistischer Unterton. Kein Happy-End für unsere globale, zivilisatorisch technologisch vermittelte Welt? Irgend etwas scheint bei Lem gegen ein Happy End zu sprechen.

Und trotzdem: Auch die skeptischen bis pessimistischen Töne Lems speisen sich aus einem spirituellen Hallraum.

Obwohl Stanislav Lem selbst traditionell überkommene Gottesbegriffe abgelehnt hat und allen klassisch religiösen Lebenserleichterungslügen eine Absage erteilte, sind seine Texte nicht schalltot, nicht ohne spirituellen Hallraum.

Lems Skeptizismus und Pessimismus bleibt seinsabgründig. Vielleicht könnte man auf Lem den Begriff „negativer Atheismus“ prägen.

Ein einfacher Gewöhnlichkeitsatheist könnte die Helden seiner Erzählungen nicht in solche komischen Abgründe kosmologischer Fragezeichen versenken.

Lems Texte haben Relegio und sind von daher ein mythologischer Futurismus. Sie erinnern an die Zukunft.

Das ergibt den merkwürdigen Effekt, dass der Leser aus Lems Pessimismus optimistischer wieder herauskommt als er hineingegangen ist.

Vor allem jedoch war Stanislav Lem ein Autor mit Schicksal, mit Biografie, mit Entronnenheit. Seine Texte sind Reaktionen und Sensibilitäten auf den geistigen, moralischen und philosophischen Bankrott des zwanzigsten Jahrhunderts, den er am eigenen Leib erlebt hat. Seine Geschichten haben Tiefenwurzeln in einem Geistverlust durch Nazitum und Stalinismus und in einem Heimatverlust, und sie vibrieren im Hallraum einer originären persönlich erfahrenen Katastrophe des zweiten Weltkriegs inmitten der rotbraunen Brühe dieser Epoche.

Möglicherweise war seine „Flucht“ in das Genre Science Fiktion, er hatte ja ursprünglich als nichtphantastischer Autor begonnen, einfach ein gekonnter Eskapismus, hinaus aus der trüben geistigen Brühe der 50iger Jahre.

Was für ein Glücksfall für die Literatur

Stanislav Lems Kosmonautik war niemals schalltote „Literatur“ oder naiver technologischer Futurismus, auch schon in den frühen Werken nicht.

Die Vibration, die originäre Tiefen- und Lebenserfahrung, der spirituelle Hallraum, seine nichtsynthetische, nicht gestopfte, organisch gewachsene Bildung, das geistesgegenwärtige Befragen der modernen Technologien und der Wissenschaften, all diese Zutaten gaben Stanislav Lem nicht nur die Augenhöhe mit dem zeitgenössischen Stand von Wissenschaft und Unwissenschaft, sie gaben ihm auch die nötige Lässigkeit und Souveränität, letztlich auch Bücher zu schreiben, die klare und einfache Plots haben, ohne platt oder simpel zu sein. Diese Bücher fanden dann auch ihre weltweite millionenfache Leserschaft.

Das unterscheidet einen Großmeister und Dichter seines Genres von einem bloß leerspintisierenden Genre-Karzinom und Second-Hand-Phantasten wie Dietmar Dath, dessen synthetisch gestopften, und richtungslosen Stoff-und Gelehrsamkeitsmetastasen nicht nur als ein gefühltes Manko von einer achso ungebildeten Leserschaft wahrgenommen werden, sondern tatsächlich ein Manko sind. Es steckt nichts dahinter, außer schalltote Schriftproduktion im schalltoten Raum der postmodernen Langeweile von Spät-BRD.

Aber Diethmar Dath kann nichts dafür, dass er Stanislav Lem nicht versteht und selbst nur solche synthetischen, blutleeren und schalltoten Plastiktexte schreibt.

Schicksalslose Schriftstellerei, leere Artistik, gestopfte Kenntnisreichtümelei, Nachahmung… …das ist auch das Problem einer ganzen Literaturgeneration, der ich ja auch angehöre.

Meine Generation, die heute um die 50 ist, und überhaupt alle, die in Deutschland irgendwo in den 60iger Jahren geboren wurden, wir alle wurden fremdgelebt und second-hand-biografisch rotgeschruppt von Kriegen, die nicht unsere Kriege waren, von Erzählungen, die nicht unsere Erzählungen waren, diskursiv beeinflusst von Konflikten, die nicht unsere Konflikte waren. Wir alle wurden beschäftigt mit Ideologien, die nicht von uns kamen, die wir nicht erfunden hatten; der gesamte intellektuelle Apparat unseres gesellschaftlichen Fühlens, Fürwahrhaltens, des Bejahens und des Verneinens wurde erfunden im 19. Jahrhundert.

Von uns als Generation kommt nichts.

Sogar der Umweltschutz, der Naturschutz oder die Gleichberechtigung haben ihre geistigen Mütter und Väter im 19. Jahrhundert.

Von uns kommt nichts.

Wir, die heute um die 50igjährigen, sind eine komplett gehirngewaschene und geistig verwahrloste Second-Hand-Generation. Aber auch die deutschen 68iger waren es eigentlich schon.

Geistig intellektuell ist im 20igsten Jahrhundert nichts mehr passiert, nichts mehr hinzugewachsen außer eine Art von intellektueller Ruinen-Inventur nach zwei Weltkriegen, Stalinismus und Atombombe.

Die einzig originär modernen Poeten und Philosophen des zwanzigsten Jahrhunderts waren Albert Einstein, Heidegger, Stanislav Lem und vielleicht noch zwei oder drei andere.

Und das ist das Verrückte und auch das Beunruhigende an den Texten von Lem. Er, der viel älter ist als wir, hat die Texte geschrieben, die Gedanken gedacht, die eigentlich von uns Jüngeren hätten kommen müssen.

Aber von uns kommt nichts.

Wir Jüngeren hatten nichts besseres zu tun, als nochmal Karl Marx zu diskutieren, ergebnislos über den zweiten Weltkrieg zu räsonieren oder in die Popliteratur auszuweichen, ein bisschen Ficki Ficki und amerikanische Autoren imitieren.

Wer heute in einem Podcast der FAZ den Großmeister Stanislav Lem mit der armseligen Argumention am Zeug flicken möchte: Lem sei ja als technologischer Optimist in das Genre gestartet, aber später als alter Mann immer mäklerischer, pessimistischer und technologieskeptischer geworden – ohne auch nur ansatzweise die poetologischen Quellen, Wurzeln und Hintergründe von Lems eigener Phantastikskepsis und Literaturskepsis zu kennen oder zu benennen – dessen gestopfte und schalltote Texte können auch in Zukunft nichts beitragen.

Stanislav Lem ist und bleibt ein Sonderfall als Dichter, weil er der einzige Autor des „Science Fiktion-„Genres gewesen war, der sich massiv und auf eine gültige Art überhaupt mit dem Thema „Literatur und Narration“ auseinandergesetzt hat. Was lässt sich noch erzählen, wie erzählen, wem erzählen, warum erzählen im technologischen Zeitalter?

Vielleicht war es ein schöner kleiner Trick in Stanislav Lems essayistischem Werk „Das absolute Vakuum“ sich einen fiktiven Autor zu imaginieren, der einen fiktiven Text geschrieben hatte mit der besonders steilen These, betreffend die gesamte Produktion von Philosophie und Literatur im zwanzigsten Jahrhundert: Lem imaginiert sich einen Autor, der in einem Essay ernsthaft behauptet, dass das zwanzigste Jahrhundert ein literarischer und philosophischer Totalausfall war. Verkauft hat er das als Ironie, aber manchmal denkt man: Hat Lem das nicht vielleicht doch bitter ernst gemeint?

Kunst und Wissenschaft. Literatur und Kosmologie..Poesie und Physik…Lem also hat sich wie kein anderer diesem Thema poetisch gewidmet, und es ist vielleicht ein Schicksal, wenn man in der DDR diese Textufos als Heranwachsender kennenlernt. Danach ist man nicht mehr verwendbar für diesen naiven und dumpfen Literaturbegriff.

Bestimmte Autoren sind Benchmarks.

So, wie Milan Kundera eine Benchmark für Ost-West-Literatur und kalter Krieg gewesen war, und man nach Milan Kundera diese ganze Bob-der-Baumeister-DDR-Wende-Literatur mitsamt dem ganzen ingoschulzisierten Feuilleton nicht mehr lesen möchte, so sind die Bücher von Stanislav Lem eine Benchmark zum Thema Poesie, Wissenschaft und Kosmologie, nach denen man die Juwel72-Texte von Sloterdijk, Monika Rinck, Precht oder Grünbein nur noch peinlich findet.

Man könnte noch vieles schreiben über Lem, darüber, wie genau und prophetisch er technologische und gesellschaftliche Entwicklungen vorhergesagt hat. Kurz gesagt also: Wie nichtphantastisch seine Phantastik war.

Eine schöne Pointe seines Romans Solaris ist die Solaristik. Die Solaristik als fiktiv akademische und zugleich bibliothekarisch vergeblich anhäufende Wissenschaft, welche die Geheimnisse der planetarischen Regungen zu deuten, zu kategorisieren, zu katalogisieren versucht… im Roman geschildert als eine jahrhundertelang völlig leer laufende Wissenschaft, die Bilder auf Bilder häuft, Deutung auf Deutung, Muster auf Muster…und doch nicht einen Schritt vorrankommt.

Eigentlich und komischer Weise erscheint die „Solaristik“ ein weiteres Mal in der Rezeptionsgeschichte dieses Romans und in der andauernden Unzufriedenheit Lems mit den Verfilmungen.

So hat sich mittlerweile eine Solaristik der Solaristik als Solaristik zweiter Ordnung aus der Realität über die Fiktion gelegt.

Wie phantasielos verrückt und zugleich kunstvoll, fiktional ist die Poesie dieses riesigen und dabei in nahzu lässiger Kürze gehaltenen Romans…ein Wahnsinn…

Ach, liebes FAZ-Feuilleton, möchte man da sagen, mit deinen schalltoten Gestopftheitstexten musst du schon ein bisschen früher aufstehen, wenn du an dem Hahn drehen willst, um die Schale zu füllen mit dem Wasser, das du Stanislav Lem leider nicht reichen kannst.

Ante Dante

Auch bei deutschen Literaten hängen Bravo-Poster an der Kinderzimmerwand. Oft zeigen sie ein Dante-Bild. Dante Alighieri ist das Centerfold, das Verehrung signalisiert und eine Art von Clubmitgliedschaft in einem imaginären Club der literarisch kulinarischen Kenntnisreichtümelei.

Im Prinzip ist so etwas ja gar nicht schlecht. Man beschäftigt sich mit vorfahrenden literarischen Technikern, Aquarellisten, Ölmalern und natürlich beschäftigt sich der deutsche Literat am allerliebsten mit seinen „italienischen Genies“. Daraus ergibt sich schnell eine Art poetue signaling, man könnte es auch das ancient literature signaling nennen, das immer tüchtig zitiert, Namen nennt, alte Formen aufruft, aber am Ende des Tages immer im geistigen Weltkleinbürgertum des typisch deutschen Kleinweltbürgertums versumpft. Denn alles Dante-Signaling gerät im Deutschen immer zum Italienkitsch oder zum Römermüll oder zum Griechenglutamat.

Die Deutschen sind das einzige Volk auf der Welt, das um so kleinbürgerlicher erscheint, je mehr es einer Sehnsucht nach Weltbürgertum hinterher hastet. Wenn der Deutsche „Weltliteratur“‚ schreiben möchte, kommt immer Juwel 72 dabei heraus. Glitzert grünlichgolden, schmeckt aber scheußlich.

Gerade mit Dante hat der deutsche Dichter seit über 100 Jahren immer ein Problem. Er erinnert an Dante oder er verneigt sich vor Dante; aber in dem Moment, wo er das tut, gerät sein eigenes Schreiben zur Juwel 72.

Dante ist immer das geistige und literarische Todesurteil für seine deutschsprachigen Verehrer.

poetue signaling

Man signalisiert einen klassischen oder literarischen Bildungshorizont, aber man schreitet ihn selbst garnicht ab. Und letztlich hat man ihn auch garnicht.

Sag Joyce, sag Pound, sag Proust und Dante, und trotzdem bleibst du nur ne müde Tante. .

Wer sich als Schreibender im deutschen Sprachraum explizit auf Dante bezieht, gehört zur literarischen Unterschicht des poetischen Schreibens. Er raucht die Juwel 72 der Sprache.

Vielleicht beginnt es mit Rudolf Borchardt oder mit Eszra Pound, nachgeführt wurde es von Botho Strauß, der in seinem Aufsatz : „Aufstand gegen die sekundäre Welt“ Rudolf Borchardts Sprachmüll „Dante deutsch“ als Wegweiser feierte.

Dabei hatte Theodor Däubler den Dantesack zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts doch längst zugemacht. Und Uwe Greßmann hat das Schleifchen drumgebunden.

Aber ist Dante deshalb schlecht? Ganz und garnicht. Dante bleibt ein Riese des Poetischen in seiner Sprache und in seiner Zeit. Und dort soll man ihn auch lassen. Aber als Deutscher kann man von ihm nichts mehr lernen. Zumal der gute alte Schakespeare schon wusste: Die Hölle ist leer. Alle Teufel sind hier.

Dante zitieren ist deshalb im deutschen Sprachraum genau so hohl und bedeutungslos wie Auschwitz zitieren.

Ich habe Dante bloß mal kurz geblättert.

….

Das Englische hatte in letzter Zeit ein rätselhaftes Wort beschert: virtue signaling. Es bleibt schwierig, das Wort treffend ins Deutsche zu übersetzen, weil es very sophisticated daherkommt. Tugendsignalgeber wäre noch zu plump. Tugendstrahler? Der Tugendliche?

Der Tugendsassa wedelt in Gesellschaft anderer Tugendsassas mit einem weißen Tugendtuch und signalisiert verbal, dass seine Einstellung gegenüber einem Thema dem gerade verabredeten Code des Tugendhaften entspricht. Das Tuch ist weiß und bedeutet: Ich ergebe mich dem offiziellen Code des Tugendhaften.

Die signalverarbeitenden Rezeptoren der anderen Tugendsassas erkennen das gewedelte Signal an den Synapsen und identifizieren den Tugendwedler als konform mit dem soziochemischen Transmitterhaushalt.

Die Gesellschaft der Tugendsassas schüttet dann eine Art Oxytozin aus, als Eingemeindungshormon und körpereigene Wohlgefälligkeitsdroge, das den wedelnden Signalgeber wohlgefällig eingemeindet in den soziochemischen Haushalt der tugendhaft gestimmten Sozialhirnrinde. Das Sozialhirn belohnt sich selbst mit der körpereigenen Droge des Tugendozin im Abgeben und im Annehmen der Signaltransmitter an den Synapsen.

Der Tugendsassa ist in 99,9 Prozent aller Fälle nicht derjenige, der sein Tugendwedeln praktisch konkret ausarbeitet. Oder die wirklich Tugendhaften tun es einfach, aber sie wedeln nicht mit Tugendfähnchen. Oder anders gesagt: In entwickelten Gesellschaften tönen zumeist immer die Schuster am lautesten, die selbst barfuß gehen.

Der am heftigsten wedelnde C02-Verzichtsprediger hat zumeist auch die meisten Flugmeilen auf dem Konto.

Signaling without Feat.

Karl Marx war kein Stahlarbeiter.

Nietzsche war kein Nietzscheaner.

Heinrich Himmler war kein Naturgermane.

Die Kommunisten haben keine Paradise erschaffen.

Und Shakespeare wusste schon: Die Hölle ist leer. Alle Teufel sind hier.

Oder, seit Luther, weiß man auch: Die Prediger des Verzichts verzichten selbst auf wenig bis garnichts. Oder sie haben so viele Schäfchen im Trockenen, dass ein Schäfchen weniger kaum ins Gewicht fällt.

Oder, wie eine andere alte Redewendung sagt: Die Prediger des Wassers trinken Wein.

Ein alter Hut.

Es gibt aber auch die sehr komische Umkehrung dieses Prinzips. Hier predigt man Wein, trinkt aber Wasser.

Diese komische Umkehrung ergibt sich für die so genannte Dante-Rezeption.

Dem virtue signaling kann das poetue signaling an die Seite gestellt werden.

Poetue signaling wedelt mit den Fähnchen der Poesie.

Man sagt den Namen „Eszra Pound“ und schon nicken alle poetue signaling Köpfe tief beeindruckt und einverstanden im Feld der Eingemeindungsdroge „Klassische Bildung, Genie und Verse“

Das ancient greek signalling hat Eszra Pound womöglich bei Dante entdeckt.

Die Tante Dante ist immer der Geilomat, bei dem der durchschnittlich Literaturbeflissene ganz feucht im Schritt wird. Seine göttliche Komödie bietet wirklich ein Feuerwerk des poetue signaling. Seit vielen hundert Jahren steckt der Literaturbeflissene irgendeinen Blechgroschen in den Geilomat Dante, und er fängt an zu fiepen und zu klingeln und spuckt dabei auch immer einen Haufen Blechgroschen an Tiefsinnigkeiten aus.

Daraus hatte sich im Laufe der Zeit ein dantue signaling ergeben. Sag Dante oder zitier mal irgendwie Dante, und es passt schon. Man möchte beinahe vermuten, dass Dante der Ersatzgoethe sein soll.

Aber natürlich gibt es im poetue signaling auch das scheakespeare signaling oder das proust-signaling oder das kleist signaling oder, besonders nach Goethe, das faust signaling, mit all den traurigen Unterspezifikationen des science-signaling oder des einstein-signaling.

Später kam noch das joyce-signaling hinzu….

Der durchschnittliche poetue signaler der deutschen Suhrkamprepublik signalisiert sich seit Jahrzehnten auf diese Weise in die oberkomische Situation eines Priesters, der Wein predigt, aber Wasser trinkt.

Denn Poet sein, heisst, tatsächlich den Wein trinken. Aber in der zynistisch abgekühlten und immer pseudoironisch verschanzten Pose gelingt kein einziges Gedicht, kommt kein Epos zu Stande, und auch kein Denken.

Was unterscheidet aber einen Dante von den müden Stammlern und Raunern der deutschen Suhrkamprepublik? Und was macht seine Verse so schön? Dass er ein detailreicher Ausmaler und Freskenmaler war? Dass er so tolle Wimmelbilder erschaffen hat? Dass er ein so sinnlichistisch verschwitztes Figurenpanorama aufleben ließ? Gut, man darf nicht vergessen, dass Dante in einer Zeit ohne Radio, Fernsehen und Internet lebte. Das detailreich ausgeführte Fresco sollte man heute einem Dichter des 14. jahrhunderts als verpflichtend logisch anerkennen.

Aber was macht Dante aus? Dass sein Italienisch so schön klingt?

Nö,…würde ich hier wieder sagen. Ich glaub, die Antwort ist einfacher. Wiedermal, möchte man sagen, ist es der Ernst, der einen guten Dichter ausmacht. Bei Dante ist nichts aus Zellophan, nichts ist versteckt, angespielt oder ironisch gebremst. Nichts ist bei ihm witzig-sein-wollend, obwohl manches komisch ist. Und Dante lebte in einer Zeit, in der Zweifeln eine ebenso ernste Sache war, wie Glauben. Deshalb können wir mit unseren unernsten Zellophangehirnen Dante heute garnicht mehr lesen, oder nur noch kulinarisch.

Dante also ist das Feinkostkaufhaus. Hier sitzen die deutschen Literaturdämchen mit ihren weißen Pudeln am Samstag vormittag und bestellen sich einen Vino Rosso, aber den Roten, wenn ick bitten darf.

Ach ja…so ist das mit den Widerholungen.

Nun hat man neuerdings sagen hören, der neue deutsche Dichter müsse eben genau so wieder schreiben, lebensprall, überbordend, leidenschaftlich, massiv detailreich, glitzernd, vokalsprudelnd, sinnlich, konsonantenspuckend, sprachschöpferisch, gegenwartsirre, metaphernvirtuos, und dabei doch irgendwie streng in die Strenge von taktilem Maß und musikalischem Rhythmus hineingeführt….und vor allem geführt von klassischer Bildung und jeder Menge Kenntnisreichtümelei. Aber was kommt dabei heraus? Natürlich nur die Juwel 72 des Literaturweltbürgertums.

Und wie kommt es zur Schönheit der Dantischen Verse? Die Antwort dürfte einfach sein. Ein Vers geht auf Füßen. Das verweist auf den aufrechten Gang. Aufrecht gehen ist immer riskant, aber es lohnt sich. Es macht die Versfüße schön. Aber so lange der deutsche Literat eher die kriechend unterwürfige oder schneckenhaft befeuchtete Gangart pflegt, solange bleibt Dante eben immer nur das Bravoposter im Kinderzimmer.

Ästhetik der Reparatur

Brauchtum und Wartung…

Eine Handlung nennen wir Reparatur, wenn wir dem Verschleiß eines Gegenstandes mit einem Eingriff begegnen, der den Gegenstand in einen Zustand versetzt, wie er vor dem Verschleiß gegeben war.

Ein deutsches Wort hierfür heißt „Wartung“.

Der Ausführende einer Reparatur verhält sich hierbei gleichermaßen futuristisch als auch nostalgisch. Als Wartender und Wartungsmensch ist der Reparierende Futurist und Nostalgiker in einer Person und damit also Gegen-Wart.

Als Futurist (Vorrausdenkender) schenkt er dem reparierten Gegenstand eine neue Perspektive für die Zukunft.

Als Ausführender der Reparatur agiert er jedoch nostalgisch. Er braucht ein klares Bild des Gegenstands, wie er gegeben war, bevor der Verschleiß eintrat. Der Ausführende einer Reparatur orientiert sich an der guten alten Zeit, bevor der Gegenstand „kaputt“ war. Hier ist er der „der Nachherdenker“.

Der Gegenwärter pariert den Verschleiß.

RE-Pariert.

Gegen-wartet.

„Früher war alles besser“ – ist das Motto des Reparierenden. Früher war der Mähdrescher besser, das heißt: Er war nicht kaputt.

Das sagt Epimetheus.

Aber später, nach der Reparatur, wird er wieder (wie früher) ganz sein, das heißt: nicht kaputt.

Das sagt sein Bruder Prometheus.

Daran erkennt man, dass Wartung ein Handeln ist, in der Nostalgie und Futurismus mit einer Handlungsschleife verknüpft sind. Die Brüder Epimetheus und Prometheus sind Reparierende. Nachdenkende und Vorausdenkende.

Es handelt sich bei einer Reparatur um eine Konvektionsbewegung. Futurismus wird nach Nostalgie umgewälzt. Oder: Vergangenheit wird konvektiv in die Zukunft umgewälzt.

Trotzdem gibt ein reparierter Gegenstand keine überzeugende Kopie des Nagelneuen.

Vielmehr ist im „Gedächtnis des Gegenstands“ die irreversiblilität eingezeichnet.

Der reparierte Gegenstand ist nicht mehr neu, sondern gebraucht. Ein Brauchtum.

Die reparierte Halterung am Rahmen hat jetzt eine Schweißnaht, die vorher nicht da war.

Der reparierte Mähdrescher ist dem Mähdrescher vor der Wartung „ähnlich“

Der reparierte Gegenstand ist zwar noch der selbe, aber nicht mehr der gleiche. Die Irreversibilität bleibt voll wirksam.

„Dem reparierten Gegenstand ist es nicht möglich, haargenau in den nagelneuen Zustand zurückzukehren.“

Ja, das ist schon richtig…einerseits..

Andererseits: Was genau hat die Reparatur getan?

Schweißnaht…okay…

Oder:

Den zerbrochenen Krug mit Klebstoff zusammengefügt, seine einzelnen Teilchen, die vorher kaputt (getrennt) waren..zusammengefügt.

Die „Reparatur“ hat also sehr archaische und kosmologische Prozesse einfließen lassen: Schweißen. Oder: Getrennte Scherben und Teilchen wieder zusammen kleben. Dieses Schweißen und dieses Teilchen zusammenkleben ist aber uralt. Es stammt aus der „jungen Phase“ des Universums. Trennen und Verbinden.

Die Kunst bestünde nun darin, die Idee der „Erneuerung“ oder der „Innovation“ in das Gedächtnis der Reparatur zu überführen. Und so das Gedächtnis überhaupt – wartend – wach zu halten.

Nur so ist es überhaupt möglich, zu altern.

Eine Gesellschaft, die immer nur jung bleiben möchte, kann nicht altern.


Wer nicht altern kann, der wird auch nicht alt.

Ein hohes Alter setzt die Fähigkeit vorraus, altern zu können.

Wer nicht altern kann, der kann auch nicht alt werden.


Ein merkwürdiges Paradox:

Nur wer altern kann, der bleibt auch jung.

Eine musikalische Fuge re-pariert sich ständig selbst. Die Fuge altert in ihr Jungsein hinein.

Der adolfinische Säugling

Die diskursive Situation rund um den Nationalsozialismus hat in der BRD einen bestimmten Typus des Intellektuellen herangezüchtet: Den adolfinischen Säugling.

Adolf Hitler wurde hierbei zur Mutter umfunktioniert, zur Alma Mater. Der adolfinische Säugling nährt seine Selbstplausibilisierung von der Milch aus den Brüsten Adolfine Hitlers.

Mechanisch oder maschinell wie am Fließband wird regelmäßig wiederholt: Hitler doof. Nazi böse. Auschwitz schlimm.

Das Denken und der Dialog wird ersetzt mit Betroffenheitsdesign oder einer Art von industrieller Erschüttertheitsproduktion.

Der Betroffenheitsdesigner hält dann regelmäßig Reden zu Gedenktagen oder auf Podien und übernimmt in der deutschen Gesellschaft die Funktion des bezahlten Klageweibs. Die nährende Säuglingsmilch fließt dann in Form von Tantiemen oder Redehonorare in die Betroffenheitsdesignerkasse.

Adolfine Hitler sollte eigentlich nicht die Mutti der Intellektuellen Gestimmtheit sein. Die Mutti sollte, wie Hölderlin wusste, das Getreide oder die nährende Erde bleiben.

Weil aber der deutsche Intellektuelle sich Hitler zu seiner Mutter gewählt hat, bekommt er eine Art Maschinenmilch. Und das ist nicht gut. Es wirkt sich sogar negativ und kontraproduktiv auf das aus, was eigentlich gewollt ist, nämlich Vergangenheitsverständnis und Aufarbeitung.

Der adolfinische Säugling: Er kann über alles sprechen und findet Kriege echt doof. Bei Bedarf redet er auch über die Antike oder er schreibt ein Gedicht. Er findet Hitler und den Nationalsozialismus echt total doof. Er kann auch über Wissenschaft sprechen und über das Universum. Und bei Bedarf spricht er auch in mehreren Sprachen über Stadtplanung oder irgendein anderes Thema.

Der adolfinische Säugling saugt aus den Brüsten Hitlers die argumentativen Proteine und Hormone, die ihn ernähren aber zugleich auch sein Denken und das Gehirn sedieren, um es für die neuerlichen Gleichschaltungsprogramme von Transhumanismus, Designerbabys, Digitalwährungen und technokratisch digitaler Hygienegesellschaft vorbereitend einzuschläfern.

Das Unappetitliche daran: Eine reale zivilgesellschaftliche Katastrophe wie zum Beispiel Auschwitz und der zweite Weltkrieg wird nicht etwa wirklich aufgearbeitet und verstanden oder als Menetekel im Gedächtnis behalten, sondern lediglich instrumentalisiert für den täglichen Grüßaugust, Bekenntnisautomaten, Gesslerhüte, semikirchliche Bischofsämter und einen schleichenden Phänozid am weltvernehmenden Fragen und Denken.

Wenn heute jeder kognitive Zierkürbis und jede postmoderne Feuilletonaubergine das Hitlerding oder das Naziargument als Blindenstock benutzt, um sich seinen Weg durch alle nichtstromlinienförmigen Haltungen und Meinungen freizuschlagen oder um sich auf der Besetzungscouch für kulturpolitische Alimentierungen nach oben zu hitlern, dann wird ein Menetekel wie der Nationalsozialismus dadurch auf schleichende Art stärker in die Verblassung und in das Vergessen getrieben als dieses jemals einem eingefleischten Neonazi oder Auschwitzleugner gelingen könnte. Auch der neue Teufel kommt hinkend in die Epoche. Sein diskursiver Krückstock heißt „Nazi!“ “Nazi!“

Das Menetekel Zweiter Weltkrieg und der Nationalsozialismus sinkt heute herab zum Status einer rhetorischen Benutzeroberfläche für alles und jeden, für Dummköpfe und die völlig entleerte Warnrede. Der geistlose Mißbrauch des Signalworts Nazi! als Warnruf durch kulturpolitische Kretins lässt eine zivilgesellschaftliche Katastrophe wie Auschwitz mit der selben Banalität des Bösen in die Gleichgültigkeit hinein verblassen, mit der sie vor 80 Jahren ihrer schmerzhaften Epoche den heftigsten Kontrast aufprägte.

Muss man heute womöglich wirklich AFD wählen, um das Gedächtnis des Nationalsozialismus als genuinen Teil der deutschen Geschichte vor dem Ausbleichen zu bewahren und vor der allmählichen Vergleichgültigung in der linksgrünversifften Vergleichgültigung der neuen Gleichschaltung?? Ein komplexer und schwieriger Fall von Dialektik. Naturschutz des Geistes. Andererseits weiß man als Philosoph natürlich aus Erfahrung, dass Geist und Politik zumeist getrennte Wege gehen. Aber garnicht wählen geht auch nicht. Schwierige offene Frage. Gesunde Gesellschaften oder nichtgeistesgestörte Diskurse sprechen immer von der „Mutter Erde“. Hier liegt normalerweise der gesunde und nichtideologische Kern von „Boden“ oder „Heimat“ mit der man verwurzelt ist. Und hier läge normalerweise auch der nachvollziehbare Impuls für Naturschutz. Da der geistesgestörte Deutsche als adolphinischer Säugling sich jedoch Adolfine Hitler als milchgebende Mutter gewählt hat, ergibt sich daraus die mentale Horrorfratze, die der Volksmund das „Linksgrünversiffte“ nennt. Dialektik im Double-Bind.

Dostojewski trifft Kleist

Schuld und Sühne.

(Wozu Dichter? )

Die Sprache der Dichtung, der Poesie, ist verdächtig. Die poetische Sprache hat sich im Laufe der Geschichte auch schwere Verbrechen zu Schulden kommen lassen. Denn sie ist ja nicht nur niedliches Poesiealbum, sie ist auch Rhetorik, Ruf, Stimme, Tragödie, innerer Widerspruch, Dialektik und ….sie war immer schon rhythmischer Begleitton für Kriege, Schlachten und Verbrechen.

„Volk steh auf und Sturm brich los!“ (Goebbels)

ist eine poetische Formulierung….

ebenso: „Flink wie ein Windhund. Zäh wie Leder. Hart wie Kruppstahl“

ist eine poetische Formulierung…

„Volksverhetzung“ dagegen ist ein dialektisches Problem. Aber trotzdem auch poetisch. Es operiert mit dem poetisch sprechenden Bild einer Meute, die gehetzt wird.

„Herdenimmunität“

Nur ist das Wort „Volksverhetzung“ extrem widersprüchlich. Das Wort setzt vorraus, dass es noch so etwas wie ein „Volk“ gibt, dass verhetzt werden kann.

Viruswelle, Digitalisierungswelle „Hitzewelle“ Nationalismuswelle… Angriffswelle…sind sprachlich poetische Konstrukte, die sich als „Welle“ poetologisch gegen das „Teilchen“ richten.

Das poetische Sprechen also ist nicht harmlos.

Deshalb stellt sich die Frage, ob man die Poesie selbst nicht unter Anklage stellen müsste.

Hat sich das poetische Sprechen selbst schuldig gemacht?

Um diese Frage zu klären, bedarf es eines forensischen Psychiaters. Er muß klären, ob die Poesie überhaupt schuldfähig ist. Oder ob man sie als Wahnsinnige eher in eine therapeutische Anstalt einweisen muss.

Die Völuspá der Poesie sitzt beim Forensiker auf dem Stuhl und lächelt. Sie zeigt ihm ein Poesiealbum. Guck mal, wie niedlich ich bin. Nichts als Worte: Sonne und Wonne. Himmel und Bimmel.

Ein erfahrener forensischer Psychiater kennt dieses Verhalten. Und er hat mit solchen Klienten immer auch ein echtes Problem. Er muss sehr aufmerksam sein. Denn die Poesie kann aus ihrer Niedlichkeit heraus blitzschnell einen rhetorischen Angriff starten.

Eben noch hat sie ihr Poesiealbum gezeigt, und dann sagt sie plötzlich:

Na, Herr Psychchiater, warum haben sie denn das Wort Seele mit dem Wort Psyche ersetzt?

Der forensische Psychiater muss da jetzt gut aufpassen. Die Poesie ist schlau, sie ist von Natur aus selbst eine Psychologin. Nur mit dem großen Vorteil, dass ihre Psychologie nicht gelernt, sondern über Jahrtausende organisch gewachsen ist. Die Poesie ist eine Uralte. Obwohl sie zu jeder Zeit als attraktive Frau erscheint. Sie ist Menschheitserfahrung.

Während die klinische Psychologie eine lächerliche Erfindung der letzten zweihundert Jahre ist.

Wenn er sich jetzt auf das Gespräch ernsthaft inhaltlich einlässt, kann er womöglich verlieren und seine Praxis dicht machen.

Der forensische Psychiater muss vorher genau überlegen, was das Ziel des Gesprächs ist. Die Poesie sitzt nicht umsonst bei ihm als forensische Klientin auf dem Stuhl. Sie ist verdächtig. Sehr verdächtig. Er muss untersuchen, ob man sie anklagen kann oder ob sie als unzurechnungsfähig gilt und deshalb eher therapeutisch behandelt werden muss.

Er entscheidet sich zunächst einmal, die Völuspá der Poesie nicht zu unterschätzen, was eine gute Entscheidung ist. Deshalb reagiert er lediglich auf den emotionalen Impuls der Frage, und spielt ihr beiläufige Unkonzentriertheit vor, in dem er beim Antworten in seinem Leitzordner herumfummelt und ein paar Blätter mit den Clips klacken lässt und einsortiert. Er hat eine Antwort auf der Zunge:

Sie sind ja schon richtig neugierig. Wir haben doch noch garnicht begonnen. Möchten sie auch einen Kaffee? Ich nehme mir einen…

Aber bevor er das sagt, fällt ihm ein: Das ist ihm doch zu platt. Erstens war die Frage der Poesie in einer Mittellage zwischen Gegenverhör und Neugier gestellt, zweitens sitzen sie schon seit 7 Minuten zusammen und drittens durchschaut die Poesie sein pseudobeiläufiges Gefummel am Leitzordner. Und seine semiverbindliche Kumpelhaftigkeit mit dem Kaffee aus der Trickkiste für Anfänger kann er sich auch sparen.

Stattdessen tut er das einzig Richtige: Er hört der Poesie zu und nimmt die Frage ernst. Er denkt über die Frage nach, und verbirgt auch nicht, dass er es tut. Nach einer Weile antwortet er:

Ich müsste mich sonst Seelsorger nennen. Aber dann hätten wir beide ein Problem. Denn der Seelsorger kommt erst nach dem Todesurteil, kurz bevor das Todesurteil vollstreckt wird. Meine Aufgabe als forensischer Psychiater ist es aber, zu ermitteln, ob Sie als Poesie überhaupt schuldfähig sind.

(Sehr gut geantwortet. Das verschafft Zeit, aber es war auch ehrlich und nicht getrickst.)

Welcher Verbrechen klagt man mich denn an?

Der forensische Psychiater muss hier wieder aufpassen. Eine Falle: Die Völuspá ist zu alt und erfahren, als dass sie die Unschuldige spielen könnte. Aber mit der scheinbaren Naivität, die sie hier vorspielt, verfolgt sie ein simples und plattes Ziel: Sie möchte den Psychiater provozieren. Womöglich zu einer emotionalen Reaktion verleiten. Diese ruhig gestellte Frage ist unglaublich dreist, das weiß sie auch. Sie weiß auch, dass der Psychiater das weiß. In dem Leitzordner vor ihm liegt das Schrecklichste an Bildern, dass man sich vorstellen kann.

Der Psychiater entscheidet sich für eine Antwort, die weder lässig unterspielt noch irgendwie beleidigt rüberkommt. Er sagt:

Ihnen wird vorgeworfen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben und Kapitalverbrechen. Darunter auch Mord in sehr vielen Fällen.

Sein Blick fällt auf den Leitzordner, aber es ist überflüssig, jetzt ins Detail zu gehen. Nur, weil die Poesie die Naive spielt, muss er ja nicht auch so naiv tun und der Poesie wie ein flatternder Schulbub die schrecklichen Bilder zeigen, die sie selbst schon kennt. Die Beweise sind erdrückend. Und die Poesie hat selbst das beste Gedächtnis. Sie sagt:

Gut, ich bekenne mich schuldig.

Das ist eben jetzt das Problem eines forensischen Psychiaters. Ein solches Lippenbekenntnis nützt ihm nichts. Die Poesie kann sich tausendmal schuldig bekennen. Seine Aufgabe ist es aber, zu erkennen, ob sie wirklich schuldfähig ist. Hat sie ein Gewissen? Denn das Problem ist, das Klugheit und Intelligenz noch lange nicht bedeutet, das jemand schuldfähig ist. Auch dieses Manöver ist eine Falle. Denn diese Aussage bringt ihn in einen Zugzwang auf die initiative Seite des Gesprächs.

Was er jetzt sagt, kann das ganze Gespräch für die nächsten zwei Stunden oder sogar für Wochen beeinflussen. Der Faden eines Gesprächs ist irreversibel. Er muss höllisch aufpassen.

Er entscheidet sich für etwas sehr ungewöhnliches. Er sagt garnichts. Er schweigt. Eine Minute. Zwei Minuten. Drei Minuten…

Es vergeht eine viertel Stunde, eine halbe Stunde…dann sagt die Poesie zu ihm:

Herr Psychiater, Sie haben gerade etwas sehr Poetisches getan. Sie haben geschwiegen. Ich hab mich fast in sie verliebt. Haben Sie etwa eine Seele?

Zum Glück ist die Poesie jetzt unruhig geworden, denkt der Psychiater. Ich habe sie mit meinem Schweigen weich gekocht. Sie ist in die Initiative des Gesprächs gegangen, und natürlich war ihr das unangenehm. Deshalb kommt sie gleich wieder mit einer Gegenfrage, aber so einfach werde ich es ihr nicht machen. Deshalb sage ich:

Erklären Sie mir doch bitte den Zusammenhang.

Er gibt die initiative des Gesprächs zurück, das verschafft ihm Zeit.

Die Poesie antwortet:

Gut, ich erzähle Ihnen eine Geschichte. Es war einmal ein Deutschland, da wuchsen an vielen Orten Donar-Eichen. Die Menschen wussten, dass der Gott Donar in ihnen wohnt. Der Donnerer. Die Eichen waren heilig. Es hieß, wer sie umhaute, der würde die unmittelbare Rache und den Blitz und den Donner des Gottes auf sich ziehen.

Nun begab es sich aber, dass viele christliche Missionare durchs germanische Land gezogen kamen. Sie begingen ein Missionsritual, in dem sie den Termin festlegten und die Menschen des Ortes um diese Eiche versammelten. Der Missionar zückte die Axt. Er würde den Baum fällen. Und das würde er beweisen: Er und sein christlicher Gott würden stärker sein und kein Donar würde Rache üben mit Blitz und Donner. Also legten Sie die Axt an den Baum und fällten ihn, um die Menschen zu überzeugen von der überlegenen Kraft des christlichen Gottes…

Warum spricht sie jetzt nicht weiter, denkt der Psychiater. Was soll ich darauf antworten? Ich muss neutral bleiben. Ich könnte ihr mit irgendeiner Floskel kommen…nur das würde sie durchschauen…aber irgendwie hört sich das alles auch schon ziemlich typisch an..schon krank irgendwie..ein Klient kommt mit irgendeiner absurden Story von anno dunnemals, und dann dieser geweihte Ton: Es begab sich aber…..dass Missionare….puh….gut, ich werde so antworten, als würde mich die Geschichte inhaltlich interessieren:

Naja, hat ja irgendwie auch geholfen, nich?

Die Poesie spricht weiter:

Der Baum fiel. Aber was darauf folgte, die Rache des Gottes Donar, war so furchtbar, so entsetzlich, dass kein Mensch es sich auch nur ansatzweise ausdenken konnte. Donar, der Gott, tat das Fürchterlichste….

Was denn?

Nichts. Als der Baum fiel, schwieg er. Er verhielt sich still. Als sie vorhin geschwiegen haben, da wurde der Donner laut, die Stimme des Donar, ich habe sie gehört. Wollen wir beide jetzt den Leitzordner ansehen?

Der Psychiater sitzt in der Klemme. Er muss jetzt wirklich überlegen, ob er als Seelsorger antwortet oder als Psychiater. Fest steht: Die Poesie hört Stimmen, wo keine sind. Das ist ein eindeutiges Zeichen für eine psychische Störung. Es kann aber auch sein, dass diese Sache nur von ihr simuliert wird. Sie ist ja schließlich nicht blöd. Er muss sich Zeit verschaffen. Er sagt:

Geschwiegen hab ich, nicht gedonnert.

Die Poesie antwortet:

Sie sind der Donar, ganz ohne Zweifel.

Und das sagt sie jetzt mit der Ernsthaftigkeit und einer so ruhigen Überzeugtheit, wie es nur Wahnsinnige können. Der Psychiater ist innerlich hoch erfreut darüber, seinen Job an diesem Tag erledigt zu haben. Er muss sich jetzt nicht mehr so arg konzentrieren. Seine Klientin ist nicht schuldfähig. Sie hört Stimmen und deligiert die Verantwortung für ihr Handeln an fremde Mächte. Klarer Fall einer paranoiden Erkrankung. Knapp gesagt fürs innere Protokoll, man wird sie wegschließen müssen und irgendwie versuchsweise therapieren, aber in einem Gerichtsaal hat sie nichts verloren.

Ihr gegenüber verbirgt er seine Feierabendlaune jedoch. Er möchte nicht erleichtert wirken, das steht ihm auch nicht zu. Die Sache ist zu ernst, aber seinen Job hat er erledigt. Er lässt noch etwas Zeit vergehen und sagt dann:

Ja gut, Frau Völuspá, ich muss darüber länger nachdenken und heute noch zu einem anderen Termin. Wir sprechen in sieben Tagen weiter….

Genug für heute: Er lässt den Wärter aufschließen und die Klientin wegführen.

….

Den forensischen Psychiater hat man allerdings drei Tage später erhängt in seiner Garage gefunden. Bei ihm ein Abschiedsbrief, auf dem folgendes stand:

Wer einen Beruf hat, ist berufen. Der Ruf ist eine Stimme. Berufen sein ist Schicksal. Wer dem Ruf folgt, folgt einem Auftrag ohne Wenn und Aber. Mein Beruf war die forensische Psychiatrie. Mein Anspruch und Auftrag war es immer gewesen, auf wissenschaftlicher Basis zu entscheiden, ob eine Person schuldfähig ist oder nicht.

Meine letzte Klientin, die Völuspá der Poesie, hat mich und meinen Beruf ad absurdum geführt, denn in ihrem Fall habe ich nicht als Wissenschaftler entschieden, sondern als Gott. Sie hat mich dazu verführt, wie ein Gott über Schuld und Unschuld zu entscheiden, eine Anmaßung, die dem Gebot der Wissenschaft zuwiederläuft!

Ich habe mich immer als Wissenschaftler definiert und kann kein Gott in weißem Kittel sein. Die Völuspá der Poesie aber hat einen Zweifel in mir gesäät, denn nur ein menschliches Gewissen kann zwischen Schuld und Unschuld unterscheiden. Doch indem ich den Satz: „Sie sind der Donar, ganz ohne Zweifel.“ ..als Beweis und Motiv für die Schuldunfähigkeit meiner Klientin hernahm, habe ich unfreiwillig Gott gespielt. In diesem Moment war ich selbst Donar, ganz ohne Zweifel. Sie hatte es mir gesagt, und ich habe mich genau so verhalten. Das heißt: Ich habe ihr gehorcht und nicht meinem wissenschaftlichen Auftrag.

Hinzu kam, was ich erst später erfuhr, dass die Donar-Eiche bei den Germanen oft auch als Gerichtsbaum und Platz zur Klärung von Streitigkeiten diente. Sie hat mich also in meiner Funktion als Gerichtspsychiater in ihr Konstrukt hineingerechnet, und ich habe es nicht bemerkt…

Kurz gesagt: Sie hat mich ausgetrixt. Ich habe versagt. In Ihrem Fall sogar in einem extremen Fall von Verbrechen und Schuld, die sie im Laufe ihrer unrühmlichen Karriere auf sich geladen hatte. Mit der Schuld und dem Versagen in meiner Anmaßung kann ich nicht mehr weiterleben. Die Pein ist unerträglich. Ich bin beruflich und als Mensch gescheitert und dürfte nur noch als Gott weiterleben. Aber ich bin nur ein Wissenschaftler, ein Mensch.

Gez: Karl Hans Posten. Forensischer Psychiater.

Beim Arzt: Esoterik

Immer mal wieder haben auch Wörter Krankheitssymptome. Sie fühlen sich dann nicht wohl, sind unpässlich, husten, stottern oder haben Kopfschmerzen. Dann müssen sie zum Arzt.

Das Wort Esoterik ist seit Jahren ein solches unpässliches Wort.

Historisch betrachtet meint Esoterik eigentlich Innerlichkeit oder die Lehre vom Inneren. Dubios bis störend wuchs im Laufe der Zeit ein Geschwulst aus dem Wort heraus. Es raunte von Geheimlehre, geheimbündnerische Verschwörungen, unklare bis nebelhafte Geheimwissenschaft, Grenzwissenschaft, Magie, Stühlerücken, Geisterbeschwörung, kann man alles nachschauen….

Hinzugewachsen war dann bald der Esoterik-Kitsch und die Esoterikindustrie, die mit allerlei Räucherwerk, Klingelglöckchen, Pendeln und hippiesken Pusteln, Flöten, Töpferwaren, Talismanen, Schwitzhütten, insbesondere die Esoterikmode und den Esoteriktrend befeuerte, begleitet von dubiosen Astralphilosophien, Reinigungssteinen und Energieströmen hier und dort dann auch gut Kasse machte.

Dabei wird das hier Aufgezählte absolut gar nicht per sé schlecht gemacht. Nur die äußerlich behauptete Esoterikgeste, der keine wirkliche Denk- und Empfindungeanstrengung entspricht, muss sich Polemik gefallen lassen.

Zu den peinlichen Erscheinungen der kränkelnden Esoterik gehört mittlerweile ihre diskursive Verkoppelung mit der Quantenphysik, die eine uferlose Literatur hervorbrachte, die sich zumeist unklar bis raunend oder schwiemelig artikuliert und auf diese Weise manchmal sogar bis in die höchsten Weihen „hermetischer Literarizität“ hochschwafelt mit der unausgesprochenen Legitimation der Postmoderne im Rücken, die dann zumeist auch dem quantenphysikalisch angehauchten Mode-Literaten einen Reisepass in die Gefilde des Schwachsinns ausstellt, mit der Lizenz zur totalen Relativierung, Wahrheitsvernichtung, Verwirrung und Verblödung.

Besonders unangenehm hierbei sind auch die durchaus zur Verwirrung und Verblödung einladenden Worte wie „Unschärfe“ oder „Fernwirkung“ oder „Verschränkung“…oder „Zufall“. Worte wie am Reißbrett entworfen für den schwiemeligen oder höchst verdächtigen Esoteriker.

All das hängt mittlerweile wie ein großes Geschwür an dem völlig unschuldigen und klaren, sogar äusserst scharfen Wort Esoterik.

Die alten Griechen hatten eben dieses Wort erfunden, um dem geistig Inneren und seinen Verhältnissen zur Welt einen Begriff zu geben, zu dem Anfangs auch die Welt der Ideen und einige mathematische Gesetze gehörten. Sie staunten einfach darüber, wie der menschliche Geist Gesetze finden und auch mathematisch im Innern des Geistes ergründen kann. Sie staunten über das Riesige der seelischen Vernunft in ihrem Inneren, das ganz offensichtlich mit der Welt „da draußen“ verkoppelt ist und nannten dieses Riesige im Innern des beseelten Geistes Esoterik.

Mehr isses nich. Aber auch nicht weniger.

Nachdem der Arzt das große erdrückende Geschwür von schlechter Esoterik weggeschnitten hat, bleibt etwas sehr Normales, Riesiges und zugleich sehr Klares übrig.

Die klare und gute Esoterik markiert eine klare und gute Naturwissenschaft, in der „die Natur im(!)Menschen die Augen aufschlägt“ Nicht am Menschen, nicht neben dem Menschen, nicht hinter dem Menschen, nicht über dem Menschen. Naturwissenschaft findet deshalb auch in der Natur des Menschen statt. Und nicht ausschließlich irgendwo da draußen, wobei überhaupt nicht geklärt ist, wo dieses Draußen beginnt oder endet.

Das Wort Esoterik fühlt sich befreit und geheilt. Es möchte den Arzt auch unbedingt weiterempfehlen an seine Wortgeschwister Mystik und Magie. Gerade die Mystik braucht einen guten Operateur, der viele Mißverständnisse und Interpretationsgeschwüre wegschneidet, bis ihre einfache klare und scharfe Grundbedeutung wieder sichtbar wird.

Und jeder der heute Wissenschaft betreibt oder Naturwissenschaft lehrt, ist verpflichtet, darauf hinzuweisen, dass die Geschichte der naturwissenschaftlichen Rationalität in der Esoterik gründet und dass viele große Meister der mathematischen und physikalischen Wissenschaften sehr oft zugleich auch Esoteriker, Astrologen, Alchemisten, Magier und Mystiker waren.

Jedes andere Vorgehen in der Pädagogik der Naturwissenschaften, vernichtet Gedächtnis und produziert ein Weltverständnis der platten Instrumentalität. Und in letzter Konsequenz entsteht daraus eine Mentalität des geschichtsblinden Handelns, dessen Endfigur die instrumentelle Menschenindustrie ist, in der die Intelligenz ins Künstliche hineinwuchert, während der Verstand auf der Strecke bleibt.

Oder aphoristisch ausgedrückt: Intelligenz ist das Kondom des Geistes. Der Geist kann damit ficken, aber der Verstand wird verhütet und die Wahrheit pflanzt sich nicht fort.

Wenn in den mathematisch physikalischen Wissenschaften heute ein Physiker in Schwierigkeiten gerät, einem Laien die mathematisch abstrakten Konzepte zu erklären, dann bedient er sich in seiner Hilflosigkeit zuletzt oft einem Ausweichmanöver. Er sagt dann oft: Shut up and calculate! Was soviel heißt, wie: Halts Maul und rechne!

Einem solchen ausschließlich rechnenden Physiker kann man nur entgegnen: Halts Maul und denke, frage, staune und begib dich ins Gespräch.

U F Os

Der Pentagonbericht ist nun ein kleiner Durchbruch in der Bewertung dessen, was am Himmel so vor sich geht. Oder vor sich gehen kann. Er öffnet in gewisser Weise den Bewusstseinsrand unseres an sonsten völlig abgedichteten oder imbezilen kosmologischen Weltbilds.

Sehr typisch waren dementsprechend auch einige Reaktionen auf diesen Bericht in unseren Staatstreammedien. Was dieses Thema betrifft, konnte man noch einmal diese käsige Süffisanz im ironistischen Weglächeln beobachten, das den eingefleischten „Naturwissenschaftler“ und Ufo-Skeptiker hierzulande und auch woanders auszeichnet. Sogar Harald Lesch konnte nicht anders reagieren, als erfahrenen Militärs, Technikern und Piloten zu unterstellen, sie seien zu doof, zwischen technischen Artefakten in Aufzeichnungsgeräten und realen atmosphärischen Objekten zu unterscheiden….Militärs, deren Job und deren Beruf es ist, Beobachtungen zu machen und Aufklärungstechnik zu benutzen. Als Philosoph und Naturwissenschaftler als echten Frager und Forscher kann ich Harald Lesch nicht mehr ernst nehmen. Schade eigentlich. Meine eigenen Gedanken zu dem Ufo-Phänomen oder UAP-Phänomen hatte ich hier an anderer Stelle schon erläutert. Ein alternativer Kanal wie exopolitik hatte auch schon immer mal wieder gute Informationen gebracht.

Es gibt aber noch eine Sache, die mir bedenkenswert erscheint. Und zwar die Möglichkeit, dass jede seltsame Sichtung oder vielmehr das „Sichtbarwerden“ eines sogenannten Ufos immer auch auf eine gegebene Bewusstseinssituation verweist.

Und hier würde man normalerweise in ein schweres Missverständnis geraten. Denn es klingt so, als würde „Bewusstseinssituation“ wieder auf eine Halluzination oder auf eine psychische Störung verweisen. Das ist aber absolut nicht gemeint.

Gemeint ist viel mehr, dass Ufos real existierende Objekte und Phänomene sind, oder um es noch direkter zu sagen: Es gibt Ufos. Sie sind reale physische Erscheinungen. Wer sie sieht, hat keine Halluzination. Aber die Bewusstseinssituation innerhalb des Zeitfensters, in der die „Begegnung“ stattfindet, ist eine Spezielle oder Besondere. Es könnte sein, dass Ufos sich lediglich sichtbarwerdend in die Bewusstseins-Situation einkoppeln. Oder etwas anders gesagt: Das Sichtbarwerden eines Ufos ist ein Randphänomen innerhalb einer Bewusstseinsstruktur, die aus Gründen der Okonomie dazu neigt, Ränder zu schließen oder kosmologische Informationen wegzufiltern.

Wenn diese Bewusstseinsränder zu fest geschlossen sind, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass ein Ufo sich zeigt. Das würde erklären, warum Ufos gerade nicht von „Ufo-Fans“ oder Esoterikern (hier nicht als Schimpfwort gemeint) gesehen werden, dafür von pragmatischen, bodenständigen, aufgeräumten und randgeschlossenen Typen wie Farmer , Piloten, Militärs, robusten Gendarmen oder Hausfrauen. Gerade die randgeschlossenen und aufgeräumten und pragmatischen Naturen haben dann natürlich am meisten an dem Eindruck zu knabbern, der da in ihr aufgeräumtes und pragmatisches Weltbild kracht. Je dichter, starrer oder abgeschlossener ein Bewusstseinsrand ist, um so größer die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Rand für Momente porös wird oder bricht.

Ich stütze diese Überlegung auf viele Zeugenaussagen, die unter anderem den Eindruck hatten, dass ein Ufo im Moment der Begegnung „etwas mit Ihnen macht“ bzw. auf Zeugenaussagen, die sogar das Gefühl eines momenthaft synchronen oder gekoppelten Bewusstseinszustand hatten.

Es wurde ja auch schon beobachtet, dass Ufos nicht nur etwas mit dem Bewusstsein derjenigen „machen“, denen sie begegnen. Ufos schalten auch Anlagen ein und aus. Oder sie manipulieren Startvorrichtungen oder elektromagnetische Konstruktionen.

Deshalb ist es eine große Leistung und eine echt mutige Entscheidung des Pentagon gewesen, Ufos oder Beobachtungen zumindest vom Phänomen her nicht mehr unter den Tisch zu wischen, oder die Zeugen solcher „Vorkommnisse“ nicht mehr zu diskriminieren.

Das Pentagon oder die Piloten wundern sich über die irrwitzigen Flugbewegungen, die solche Objekte vollführen und die jeden normalen Piloten sofort zerquetschen würden. Dazu würde ich sagen, um diese Flugbewegungen zu verstehen, muss man zunächst einmal abhaken, dass es sich um „Flugbewegungen“ handelt.

Ufos fliegen nicht, sie sind.

Das heisst: Sie bewegen. Das ist ein Unterschied.

Das heißt: Sie zeigen.

Hauptsächlich runde Dinge, Scheiben oder Dreiecke.

Die Unmittelbarkeit ihres „Zeigens“ hat zur Folge, dass Ufos nicht „kommunizieren“, das heisst:

Ufos kon-spirieren mit dem Bewusstsein, aber sie reden uns nicht an. Sie texten uns nicht zu.

Ufos zeigen, was ist.

Kreise, Dreiecke, Rotation und Lichter und Farben.

Es „steckt“ nichts dahinter.

Ufos sind unheimlich, weil sie nicht „heimlich“ einfach nur sagen und zeigen, was Sache ist.

Nämlich Kreise, Dreiecke, Farben, Rundes und Bewegung.

Ufos sind unmittelbar, das heisst ohne die Notwendigkeit, irgend etwas zu „interpretieren“

Ufos irritieren gerade deshalb, weil sie völlig geheimnislos sind. Sie verbergen nichts. Und deshalb müssen sie auch nicht sprechen oder sprachliche Signale aussenden.

Ufos sind das ganze Gegenteil von Geheimdienst.

Ufos sind nichtphantastische Phantastik.

Ich würde allerdings auch vermuten, dass man zum echten Verständnis des Ufo-Phänomens ein europäisch grundiertes Bewusstsein braucht. Oder ein indigen indianisches. Die Amerikaner oder viele Amerikaner sind extrem pragmatische und praktische Macher, Zupacker, Gegenwartstypen, präsent und ärmelhochkrempelnd im Hier und Heute verankert. Das ist eine sehr wichtige und sympathische Eigenschaft. Diese Eigenschaft mussten sie auch ausbilden bei der Besiedelung von Fläche und der Eroberung eines Flächenlandes in permanenter „Gegnerschaft“ zum Raum. Der Raum oder die Ausdehnung ist der prinzipielle Feind, den es zu erobern und einzunehmen gilt. Deshalb zeigen sich in Amerika auch so viele Ufos als Einbrüche des Unverständlichen in der Fläche. Denn mit einem bloß exzentrischen Flächenbewusstsein versteht man die Ufos nicht. Und genau deshalb zeigen sich gerade bei den Amis so viele Ufophänomene, weil der Rand in die Tiefe, in die Zeitentiefe bei ihnen stark geschlossen ist. Die Amerikaner sind nicht tiefsinnig. Das ist kein Vorwurf oder ein Mangel, das hat auch Qualitäten. Trotzdem nervt es manchmal zu sehen, dass der Ami Hegel einfach nicht versteht oder Heidegger. Aber dafür gibt es ja Hilfe hier aus Europa. Wirklich verstehen kann man die Ufos nur mit einem europäischen oder mit einem indianisch eingeborenen Bewusstsein. Deshalb ist dieses Glasnost des Pentagon um so mehr zu begrüssen.

Lied des Druiden, nach Amergin

Ich bin die Woge im Gang des Luchses
Ich bin der Laut im Stamm des Baums
Ich bin die Schale trinkenden Auges
Ich bin der Speer im schwarzen Raum

Ich bin die kreisende Feder
Ich bin das Dreieck des Schwerts
Ich bin die weisende Glut der Schmiede
Ich bin das Wasser
unter dem Berg

Ich bin das Netz der ruhenden Spinne
Ich bin die singende Sehne die spannt
Ich bin die Beuge im Blick des Hirsches
Ich bin der Schritte zählende Sand

Ich bin das Fragen der Blüte
Ich bin der Sturm vor dem Blitz

Ich bin der Mund aller Hände
Ich bin der lodernde Farn

Ich bin der Stab im Boden der Erde.
Ich bin der Fluss im hellen Sprung
Ich bin die Lunge im hohen Adler
Ich bin der Magen des fliehenden Hahns

Ich bin die Bläue der Klinge
Ich bin der Faden des Walds
Ich bin die Speise des Mondes
Ich bin das Flackern des Scheidts

Ich bin die knöchernde Nadel
Ich bin das fallende Korn
Ich bin der steigende Regen
Ich bin der säende Stern

Ich bin, der ich bin

Ich bin Amergin, der Druide
Dieser Gemeinde höre ich zu

Die Rast

Im Jahre Zwölfhundertfünfunddreissig, nahe dem Flecken Drosa bei der Dübener Heide, legte ein Fuhrmann mit seinem Wagengespann einen Halt ein, weil er bemerkt hatte, dass sein Ross über die linke Schulter eine kleine Lahmung zeigte. Es lag noch etwa eine Viertel Meile Wegs vor ihm, die er wohl bis zur Nachmittagssonne gut zurückgelegt haben würde, um das kleine Vorwerk bei Drosa mit Weinschläuchen zu beliefern und einigen frischen Balgen für den Lederer.

Da der Sohn des Vorwerkmeisters, mit Namen Gerhald, ihn auf der Fuhre begleitete, hieß er diesen ebenfalls für ein Weilchen vom Bock absitzen, um Rast zu geben und dem Pferd eine kurze Pause. Der Fuhrmann achtete nun einige prüfende Blicke gegen sein Tier, legte ihm Hände über Hals, Augen, Ohren, Mund und alle Schienbeine und gab ihm dann von den Winteräpfeln des Wagens zur Zehr. Er gedachte sein Pferd noch gut die Viertel Meile zum Vorwerk ziehen zu lassen, wo er die Ursache für das Lahmen genauer prüfen, das Tier vielleicht mit den Hufen in ein Wasser stellen und auch einen halben Tag zur Ruhe geben wollte.

Gerhald, der sich für die kurze Pause mit dem Rücken gegen das große Rad des Wagens gelehnt und seine Füße im Waldgras des Weges hingestreckt hatte, blinzelte in den satten Saum umstehender Kräuter und spürte dabei ein leichtes Grimmen in seinem Kniegelenk, das ihn in den letzten beiden Tagen wenig gerührt aber jetzt wieder etwas ins Spüren genommen hatte.

„Was meint ihr“ – fragte er nun aus einer Laune den Fuhrmann – „ist der Wagen in hundert Jahren noch hinter dem Tier?“

„Was – mein Wagen?“

„Oder in zweihundert Jahr?“

Der Fuhrmann war nun hinter seinem Ross hervor und dicht vor das Wagenrad zu Gerhald getreten und schaute zu ihm herunter, der da saß vor den Mittag gelehnt. „In zweihundert Jahr? Der Wagen, was? Mein Tier? „

Gerhald ward nun in seiner Laune übermütig geworden: „Mach dreihundert Jahr oder fünfhundert Jahr! Rollt der Wagen dann noch, und läuft da ein Pferd, das ihn zieht?“

Der Fuhrmann hielt inne. Sein Aug und Gemüt wollte er in fünfhundert lange Sonnenwenden hineinstrengen, hintereinander, gerechnet ab seinem eigenen Namenstag im Hornung.

Gerhald, der das Zusammenziehen und Rechnen von Zahlen als Gehilfe bei einem Landvoigt im Nürnbergischen einmal errungen hatte, sagte: „Siebzehnhunderfünfunddreissig – sind fünfhundert Jahr. Fünfhundert Jahr – da ist kein Wagen mehr und kein Pferd!“

Der Fuhrmann schaute seinem Begleiter jetzt wohl ins Gesicht und sagte: Siebzehnhundertfünfunddreissig….ewig sind fünfhundert Sonnen. Du weißt nichts davon. Geh auf den Wagen. Wir fahren vorran.“

So setzten sich der Fuhrmann und Gerhald wieder auf den Bock hinter das Tier, die letzte Viertel Meile zum Vorwerk zu nehmen. Sie kamen gut ihres Weges und grüßten zur Nachmittagssonne ihr Ziel.

Die Metaphysik der Maschine

(Das Ende der Philosophie und die Aufgabe des Denkens)

Die Geschichte des Computers ist hilfreich und wertvoll, um ein wichtiges Thema der Philosophie verständlich werden zu lassen. Vielleicht kann er sogar helfen, zu verstehen, wie sich dunkle Materie und sichtbare Materie zueinander verhalten.

Immer mal wieder wurde in der Philosophie die Frage diskutiert, welcher Zusammenhang wirkt zwischen Digitalisierung, Physik und Metaphysik. Im Prinzip betrifft das auch das Phänomen von Sprache und Bewusstsein. Der Philosoph Gotthardt Günther hatte sich damit beschäftigt, aber sein Ansatz war nichtkosmologisch gedacht, und deshalb wahrscheinlich eine Sackgasse.

Zwar macht die Digitalisierung heute von sich reden mit großer Geste, aber man kann sich durchaus einmal philosophisch mit ihr befassen. Und so super kompliziert ist das alles nicht.

Wenn heute irgendwo philosophische Vorträge zum Thema Technik-Philosophie, Sprache und Digitalisierung gehalten werden, wird eine wichtige Frage einfach selten gestellt:

Was ist Metaphysik?

Das ist eine Grundschulfrage, zu der man sich als Philosoph verhalten muss, bevor man über Digitalisierung redet. Bevor man das nicht geklärt hat, braucht man gar nicht anfangen, irgendwelche philosophischen Vorträge über Digitalisierung zu halten.

Im Prinzip beginnt es mit der Metaphysik des Mundes.

Ein Mund, der dauernd geschlossen wäre, würde ja die Eigenschaft verlieren, ein Mund zu sein. Denn da wäre ja nur eine glatte Wand und kein Mund. Umgekehrt wäre ein Mund, der immer nur offen steht, ebenfalls kein Mund, sondern nur ein Loch in der Wand. Der Mund also erhält seine mundhafte Mündigkeit durch die Tatsache, dass er auf und zu gehen kann, indem er Sprache, Laute und Töne erzeugt.

Im Prinzip könnte man einen Mund also bereits als ein Quantenobjekt betrachten, dessen beiden Zustände „auf/zu“ in einer Superposition „Mund“ überlagert sind.

Das Wort „Mund“ ist also ein Quantenobjekt in der Superposition „auf“/ „zu“

Man braucht sich jetzt nur vorzustellen, dass in der menschlichen Sprache beinahe jedes Wort ein Quantenobjekt ist.

Zum Beispiel das Wort „Tür“ oder das Wort „Bein“. Man stelle sich vor, wie viele Zustände das Wort „Bein“ ineinander überlagern kann: Krankes Bein, kurzes Bein, sauberes Bein….. oder man bedenke, dass die „Tür“ nicht nur „auf“ und „zu“ (0 oder 1) sein kann. Sie kann auch blau sein, oder rot, oder schmutzig oder groß oder klein…

Zur Metaphysik kennt man das Bild von den Löchern im Käse. Die Löcher im Käse sind „Nicht-Käse“ oder Meta-Käse. Während der Käse die stoffliche Physis repräsentiert.

Das Prinzip von 0 und 1 realisiert sich immer physisch. Meta-Physik ist der unmarkierte Zeitraum, der nicht gedacht wird, aber das Denken erst ermöglicht. Der Lochstreifen wurde bereits im 18. Jahrhundert erfunden.

Oder…etwas mehr in Richtung Sprachwissenschaft formuliert: Metaphysik bezeichnet die Tatsache, dass der Mund, wenn er sich zum Sprechen öffnet, kein Mund ist, sondern ein Loch, ein Nicht-Mund (Meta-Papier) oder ein Meta- Mund, eine Öffnung, aus die Sprachlaute nach außen dringen. Ebenso betrifft das den Zustand „Mund zu“. Welt und Sprache spielen sich zwischen diesen beiden Zuständen ab.

Oder mehr in Richtung Schrift: Metaphysik bezeichnet die erstaunliche Tatsache, dass Tinte nur fließen kann, weil da ein Loch, eine Öffnung ist, (Meta-Tinte) durch das die Tinte hindurchfließt.

Oder mehr in Richtung Musik gesprochen: Metaphysik bezeichnet die erstaunliche Tatsache, dass Töne „Löcher“ In der Stille sind.

0der umgekehrt ist die Stille ein „Loch“ in den Tönen.

Oder mehr in Richtung Computer gesprochen: Metaphysik bezeichnet die erstaunliche Tatsache, dass der Computer eine „Öffnung“ hat, einen Eingang, der „Nicht-Computer“ ist.

Dass der Mensch ein Verhältnis zur Metaphysik hat, liegt auch daran, dass er ein Wesen ist, das Stille hören kann.

Die Stille ist der nichtmarkierte Raum, in dem das menschliche Bewusstsein sein „O“ formt. Als seinsoffenes Geschöpf hat der Mensch die Fähigkeit, Stille zu hören.

Warum ist etwas und nicht vielmehr nichts?

Diese Frage verdanken wir der Tatsache, dass menschliches Bewusstsein eine „Öffnung“ im Sein ist. (Hölderlin)

Die Schwierigkeit einer Antwort auf die Frage, ob der Käse die Löcher formt, oder die Löcher den Käse, das ist Thema von Philosophie seit 3000 Jahren oder noch länger.

Nun hat die menschliche Sprache die merkwürdige Eigenschaft, die Löcher in der Sprache, nicht nur mit Pausen oder Schweigen zu füllen, sondern mit „leeren Worten“. Das sind die metaphysischen Worte.

Ein Wort wie „Mensch“ ist ein leeres metaphysisches Wort. Ebenso wie „die Gesellschaft“

Für sich genommen sind diese Worte leer. Deutungslos. Ein Wort wie „die Gesellschaft“ ist für sich genommen ein „leeres Zeichen“. Es ist ein leeres Wort, das erst durch Attribute oder Adjektive näher BE-Zeichnet wird. Die lustige Gesellschaft. Die trauernde Gesellschaft. Die sportliche Gesellschaft.

Der normale Alltagsteilnehmer hat es nicht mit „Menschen“ oder mit „Gesellschaft“ zu tun, vielmehr immer ganz konkret mit einer einzigartigen Frau Koslowskie oder mit einem einzigartigen Herrn Bödefeld.

Trotzdem brauchen wir, um uns verständigen zu können, die metaphysischen Setzungen, also die Löcher, als leere Worte. Das sind sozusagen unsere Quantenobjekte.

Ein Wort wie „Mensch“ ist komplett leer, das heisst: Deutungslos. Selbst als Gattungsunterschied „Nicht-Tier“ gewinnt man nichts weiter hinzu, weil auch „Tier“ ein deutungsloses Wort bleibt. Solange, bis wir ihm ein Be- Deutung geben. Der wahre Mensch, der gute Mensch, der schlechte Mensch, die neue Gesellschaft, die französische Identität, der Frühmensch, der neue Mensch, der tolerante Mensch u.s.w. So stanzen wir uns unsere Lochstreifen.

Unsere meta-physischen Setzungen sind die Löcher im Papierstreifen unserer Wirklichkeit. Sie sind „Nicht-Papier“ also die Löcher in der stofflichen Physis. Sie sind zwar das „Nicht- Papier“ , doch sind sie nicht „nichts“ . Sie sind also

meta-physisch

Aber genau diese Nicht-Physis, diese „Löcher“ , dieses Nicht-Papier bestimmt die Sprache und das Denken.

Wo das Loch im Papier ist, da erscheint die Sprache als welthaftes Bezeichnen. Und das Loch im Papier steht für die Öffnung des Menschen zur Welt. Denn die Sprache und das Denken braucht die Öffnung des Mundes und die Öffnung der Ohren zur Rede und zum Hören. (Hölderlin)

Das ganze Mißverständnis unserer Weltinterpretation beruht auf der Frage, was Papier und Nicht-Papier (Metapapier) bedeutet. Alle Computer dieser Welt arbeiten immernoch mit diesem Prinzip.

Letztendlich greift das Bild des Lochstreifens aber noch weiter. Denn das Loch im Streifen, ist die Stelle, wo etwas „fehlt“, Dieses „Fehlen“ von etwas, steuert Handlung oder setzt Impulse, nämlich Steuerimpulse und Sinnimpulse.

Das Loch im Lochstreifen markiert einen „Fehl“. (Hier fehlt das Papier.)

Damit setzt es einen Be-Fehl.

So muss man sich also das Fehlen von etwas, zum Beispiel das Fehlen von Wissen oder das Fehlen von Essen und Trinken immer als einen Be-Fehl vorstellen.

(Wenn Essen „fehlt“ hat man Hunger. Das Bedürfnis befiehlt das Essen. Wenn Wissen „fehlt“ , dann, befiehlt das Bedürfnis ein Fragen und Forschen)

Oder wie mein ehemaliger Elektrotechnikmeister in der Ausbildung sagte:

Philosophieren kannst du noch und nöcher. Doch steuern tun uns immer nur die Löcher.

Der Mensch unterscheidet sich jedoch darin von einer Maschine, dass er ein Bewusstsein hat und sein Tun reflektieren kann, wenn er verstanden hat, was er tut. Sein Bewusstsein ist nicht vorgestanzt. Der Mensch kann wissen und verstehen. Und in diesem Wissen kann er das, was „fehlt“ als einen „Fehler“ identifizieren. Und zwar mit Bewusstsein.

Dass alles Denken und Handeln immer in einem Kontext steht, kann der Mensch sich nicht aussuchen. Aber als kontextlibertäres Wesen hat er die Freiheit, seine Kontexte zu prüfen oder zu ändern. Er kann entscheiden, was wichtig ist: Blaue Tür oder offene Tür oder breite Tür oder alte Tür….Das menschliche Denken und Handeln ist kontextlibertär.

Was also in den Diskussionen zur Digitalisierung „fehlt“, ist das Bewusstsein für das Problem der Metaphysik.

Wenn die Welt selbst schon ironisch ist, dann macht ironisches Sprechen keinen Sinn mehr. Das Denken selbst muss nichtironisch werden, um die Welt fassen zu können.

Frage an die Astrophysik: Was ist Dunkle Materie? Was ist sichtbare Materie.

Interessante Runde, aber Thema verfehlt.
Der lochkartengesteuerte Webstuhl…eine Erfindung des 18. Jahrhunderts

Der Löwe und die Haferflocke

Seit Sigmund Freuds Werk „Das Unbehagen in der Kultur“ stellt sich die Frage, ob der Mensch ein von unbewussten Trieben geleitetes Wesen sei. Immer mal wieder wurde der Mensch auch als Tier beschrieben, das nur oberflächlich und notdürftig von einem kulturellen Lack seiner Zivilisation zusammengehalten werde. Andere Autoren stellten dem Menschen sogar das Attest aus, ein gescheitertes Tier zu sein. Der Mensch wäre im Tierreich gescheitert, und müsse seit dem irgendwie in einer psychopathologischen Notunterkunft zurecht kommen. Doch manchmal erlaube er sich eine kleine Entfesselung, eine Lust oder ein ungehemmtes Hinabsteigen in das Tiefenreich seines unbewussten inneren Tierparks.

Doch sind die Tiere nicht zu beneiden. Sie müssen immer nur total langweilig Tier sein und kennen nicht den Luxus eines gepflegten Unbewussten. Sie wissen nicht, was ein schöner Trieb ist. Ewig und immer bleiben sie bloß ein Tier. Sie tun nur, was sie tun. Aber sie wissen es nicht. Tag ein. Tag aus. Sie müssen immerzu Eichhörnchen sein. Oder tagtäglicher Wurm.

Dabei ist es nicht ganz sicher, ob auch Tiere nicht so etwas wie einen Genuss am Dasein empfinden können. Wenn man Tiere beobachtet, sieht man, dass es Momente gibt oder Vorstufen, die eine Art reinen Daseinsgenuss nahelegen. Diese Momente sind vielleicht die Momente, wo Tiere sich kurzzeitig zum Menschen hinaufsteigern. Während man dem Menschen immer unterstellt, er würde sich im reinen Daseinsgenuss zum Tier hinabsteigern.

Trotzdem wird man nicht glauben, dass Tiere sich in Momenten der reinen Lebensfreude wünschen, wieder eine Pflanze zu sein. Man hat auch noch nicht beobachtet, dass Tiere neurotisch werden, weil sie sich durch die Fesselung ihrer tierischen Kultur als gescheiterte Pflanzen empfinden.

Man stelle sich einen Löwen beim Psychiater vor. Der Psychiater sagt zu dem Löwen: Du Löwe, eigentlich, in deinem tiefsten Inneren bist du ein Stiefmütterchen oder wahrscheinlich eine hemmungslose Haferflocke. Du musst es nur zulassen. Wenn du, Löwe, in dein Innerstes schaust, erkennst du deine triebgesteuerte Existenz als Haferflocke. Jetzt darfst du sie mal rauslassen. Zeig mir deine entfesselte Haferflocke! Der Löwe würde antworten: Herr Dr. Freud, die Haferflocke ist nicht das Problem, es geht in mir noch viel abgründiger zu. In einigen Momenten will es mir erscheinen, als sei da in meinem Innern ein Mensch.

Archimedischer Hebel

Max Planck Institut für Dummheit:

Naturwissenschaft allein bewirkt nicht viel. Erst über die Hebelwirkung ihrer technischen Anwendung setzt sie enorme Kräfte für die Gesellschaft frei. Wie eine kleine Bewegung des Hebels auf der Wissensseite den Fuß des Fortschritts voranschreiten lässt, so wird dieser Fuß auf der anderen Seite mit der tausendfach verstärkten Kraft der Dummheit wieder zerquetscht.

Oder anders:

Dummheit allein ist nur eine graue Maus. Erst wenn sie durch Wissenschaft und Technik richtig verstärkt wird, erstrahlt sie in ihrer ganzen Pracht.

Das Prinzip der Übersetzung: Der Hebel des Wissens verstärkt die Kraft der Dummheit um das Tausendfache.

Wissen breitet sich langsam aus. Die Dummheit explodiert exponentiell.

Eine Chance ergibt sich aus der Umkehrung des Prinzips: Eine kleine Investition von Dummheit verstärkt die Kraft des Wissens auf der anderen Seite um das Tausendfache.

Fliehen die Galaxien von uns weg, weil sie Angst vor den Menschen haben, oder expandiert das Universum, weil es uns entgegenwächst?

Die Geschichte ist eine Bildhauerin. Über Jahrtausende arbeitet sie mit dem Hammer des Stumpfsinns und mit dem Meißel der Verblödung das Bild des Menschen aus dem Granit.

Goethe ist der KZ-Wärter der deutschen Kultur. Kleist und Hölderlin seine Gefangenen. Aber Goethe kann nichts dafür. Er tut nur seinen Dienst.

Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung betreibt seit über 30 Jahren einen Phänozid an der deutschen Sprache und Dichtung.

Wahrheit und Argument

Wahrheiten, Argumente und Wirklichkeiten werden immer auch getragen von Erfolgsgeschichten und Ernährungskomplexen. Die Dinosaurier lebten lange Zeit, sehr lange Zeit, in einem Habitat, das sehr gut abgestimmt gewesen war auf ihre Größe und Lebensweise. Das Klima, der Pflanzenwuchs und das Nahrungsangebot gaben ihnen….was? Gaben ihnen Recht. Und gaben ihnen das täglich Brot. Sie lebten nach dem Prinzip: Wess Brot ich ess, dess Lied ich sing. Also besangen sie ihre Natur.

Der Dinosaurier war zu seiner Zeit über Jahrmillionen eine einzige Erfolgsgeschichte. Hätte man die Dinosaurier damals gefragt, ob ihre Welt gut und in Ordnung ist, hätten sie die Frage bejaht. Schau dich doch um – hätten sie gesagt – unsere Welt funktioniert einwandfrei. Schau die Wärme, schau das Klima, schau dir unser Schlaraffenland voller fetter riesiger Wälder, Meere und Pflanzen an. Alles ist richtig. Alles ist gut. Alles funktioniert. Und guck mal, wir sind nicht einfach nur selbstzufrieden. Wir gehen mit der Zeit und verändern uns sehr oft. Wir sind bunt. Unsere Welt ist vielfältig. Es gibt fliegende und schwimmende und gehende und kriechende Dinos….

Alles war richtig. Alles war gut. Die Dinosaurier waren innerhalb ihrer Wirklichkeit die Allesrichtigmacher. Aber sie leisteten sich auch Innovatoren. Sie waren nicht unkreativ. Auch die Dinos haben sich von Zeit zu Zeit verändert. Immer mal wieder brachten sie eine neue Art hervor. Oder eine neue Unterart oder eine ganz neue Species. Die Natur gab ihnen…was? Sie gab ihnen Recht. Und sie gab ihnen immer das Brot. Wess Brot ich ess, dess Lied ich sing.

Die Wahrheit und die Wirklichkeit der Dinosaurier war nicht irritierbar. Damals galt: Der Dinosaurier hat Recht. Und er macht auch alles richtig. Über viele viele Millionen Jahre.

Nichtirritierbare Wirklichkeiten und Wahrheiten: Was erfolgreich ist, hat Recht. Was sich gut ernährt, hat Recht. Was sich gut fortpflanzt, hat Recht. Was schnell und hoch und breit wächst, hat Recht. Was vielfältig und in voller Größe und Lebendigkeit sein Dasein behauptet, hat Recht. (Nietzsche in Kurzform)

Aber es kommt noch besser: Der Dino hat über Jahrmillionen sogar seine Umwelt geschont. Der Dino war über Jahrmillionen absolut korrekt. Er hat niemals alle Wälder auf einmal leergefressen. Er hat niemals alle seine Meere auf einmal vollgekackt. Und er hat wirklich viel gefressen und viel gekackt. Und der Dinosaurier hat niemals so viel gefurzt, dass er wegen Methangasen ein Klimaproblem bekommen hätte. Und er hat wirklich viel gefurzt. Der Dinosaurier hat Greta und Fridays for Future quasi erfunden. Er war ein Balancetier und ein Klimaschützer! Und das über Jahrmillionen. Der Dino lebte Jahrmillionen. Das muss ihm erstmal einer nachmachen.

Der Dinosaurier machte nichts falsch. Er machte keine Fehler. Der Dinosaurier funktionierte hervorragend. Der Dinosaurier machte alles richtig.

Der Dinosaurier hat Recht – solange, bis er ausstirbt.

War das nicht gemein, blöd, böse und total ungerecht gegen den Dino? Er hat doch alles richtig gemacht. Und trotzdem ist er ausgestorben.

Umweltschutz schützt nicht vor der Umwelt.

Aber das Merkwürdige ist: Erst der ausgestorbene Dinosaurier bekommt seine volle Wahrheit, seine ganze Wahrheit.

Man sagt dann: Der Dinosaurier war.

Wa(h)r gewesen.

Aber so ganz ausgestorben ist er ja doch nicht. Wie man weiß, stammen die Vögel von ihm ab. Er lebt heute weiter in den Hühnchen, im Broiler…

Coronalogie: Stärke des Menschen. Schwäche des Virus.

Das scheinbar perfekte Corona-Virus hat eine Schwachstelle, wo man es angreifen kann: Das Virus denkt nicht.

Wir leben in einer Welt, in der die Idee, alles total zu kontrollieren und zu beherrschen, zu einer unendlichen Matrjoschka-Puppe führt. Eine Puppe der Kontrolle stülpt sich über die andere. Zuerst sollte die Technik die Natur kontrollieren. Jetzt brauchen wir Techniken, die Techniken kontrolliert. Morgen brauchen wir Kontrollen, die Kontrollen kontrolliert. Bis ins Unendliche fort.

Kontrolle folgt der Idee der Nutzbarkeit der Natur und des Gebrauchs der Natur. Die Matrjoschka-Puppe der Kontrolle produziert ein 1.0 ein 2.0 ein 3.0 ein 4.0 und so weiter……

Wenn wir so weiter machen, unterscheiden wir uns nicht mehr von einem Virus, dessen Lebensinhalt nur noch im Mutieren und Produzieren besteht. Oder aber, das allmähliche Viruswerden des Menschen ist ein Programm.

Es ist zwar richtig, dass Zivilisation und ihre Errungenschaften uns vor vielen Unbillen und Krankheiten bewahrt. Im selben Atemzug erhöht sich aber auch die Effizienz unserer künstlichen Konstruktionen und Habitate. Effizienz steht jedoch für geringe Belastbarkeit.

Hohe Effizienz heißt geringe Belastbarkeit.

Bei hoher Effizienz steigt die Unfallgefahr. Weil hohe Effizienz mit geringer Belastbarkeit einhergeht. Ein Raketentriebwerk ist hocheffizient aber kaum belastbar gegen Abweichungen und Störungen. Eine Kleinigkeit kann das ganze System zerstören.

So ist nun unsere hocheffiziente Kontrollgesellschaft durch einen Virus lahmgelegt. Weil die Geschwindigkeiten und Verkehrsflüsse und Ballungsgebiete und Zusammenballungen von Menschen der Idee der Effizienz folgen.

Efizienz verringert aber die Belastbarkeit. Eine ideale Angriffsfläche für ein Virus.

Wer Intensivstationen nach Effizienz vorhält, verringert die Belastbarkeit.

Wir werden das Virus und alle kommenden Viren nicht besiegen, in dem wir mit totalitären Maßnahmen gegen die Totalität eines gleichgültigen Replikators und Mutanten angehen.

Denn ein Virus ist kein Mensch. Und er ist uns durch seine hohe Generationenfolge bei einer riesigen Zahlenmenge haushoch überlegen.

Dem Virus ist alles egal. Der Virus kennt nur das Überleben aber kein Leben. Im Totalitarismus ist der Virus dem Menschen immer überlegen und einen Schritt vorraus. Impfstoffe können vielleicht vorrübergehend helfen. Aber der Virus steht für den berühmten Satz: Das Leben findet immer einen Weg. Wenn nicht in diesem Erreger, dann im nächsten. Es eröffnet sich hier ein Teufelskreis. Man kennt das von multiresistenten Krankenhauserregern.

Mit ständiger totalitärer Kontrolle züchten wir uns einen Supervirus heran.

Immunisierung ist kein System, sondern ein ständig laufender Prozess. Es gibt keine total geschlossenen Ränder im Universum. Es wird nie eine absolut dichte Abdichtung als perfekte Immunität geben. Ebenso wenig werden Viren damit aufhören, zu mutieren. Das Leben findet einen Weg. Das Universum lässt sich nicht erpressen. Wenn Menschen lange Zeit keinen Kontakt zu anderen Menschen haben, dann schwächt das auch wieder den Prozess der Immunisierung. Es ist ein Teufelskreis.

Aber der Mensch ist kein Virus. Er denkt und handelt nicht gleichgültig und totalitär wie ein Virus.

Der technologische Mensch ist groß geworden, weil er sich von Viren unterscheidet. Er kann differenzieren, erforschen, genau hingucken, beobachten und Schlüsse ziehen.

Im Moment reagieren wir totalitär auf den Totalitarismus des Virus.

Wir versuchen, selbst ein Virus zu werden. Das funktioniert nicht. Im Virus-Sein ist uns der Virus überlegen.

Im Totalitarismus ist uns das Virus immer überlegen.

Die richtige Strategie muss lauten: Die Stärke des Menschen ausspielen.

Und diese Stärke heißt: Differenzierungsfähigkeit. Das Virus ganz genau beobachten. Was tut es wo, warum, wann und bei wem?

Und danach dann die Maßnahmen dimensionieren. Differenziert. Nicht totalitaristisch. Im Totalitarismus ist uns das Virus überlegen. Wenn wir das Virus totalitaristisch behandeln, wird es uns eine noch totalitaristischere Antwort geben.

Genau hinschauen. Differenzieren. Unterscheiden. Beobachten. Schlüsse ziehen. Das ist der Mensch. Das ist Aufklärung, das ist Wissenschaft, das ist 21. Jahrhundert.

Alles für alle gleich abschalten oder anschalten – das ist der Virus, das ist Stumpfsinn, das ist Totalitarismus.

Der Mensch ist kein Virus. Aber genau das ist seine Stärke. Wenn der Mensch beweisen kann, dass er selbst kein Virus ist, hat er den Kampf gewonnen.

Das (un)bekannteste Zitat von Albert Einstein

Fermi’s Paradoxon im Licht der Überlieferung

Von Einstein kennt man viele Aussprüche und Zitate. Nur ein Zitat bleibt ungelesen. Sein letztes. Es wird überliefert, dass Einstein seine letzten Worte auf dem Sterbebett in den USA auf deutsch gesprochen haben soll. Was er gesprochen hat, gilt als unbekannt, weil die anwesende Krankenschwester kein deutsch verstehen konnte. Wenn ich darüber nachdenke, finde ich diese anekdotenhafte Geschichte bedeutsam. Er hat ein Geheimnis hinterlassen. Wird ganz am Ende die Muttersprache doch wichtig? Die Wurzel, das Ethym? Ist es am Ende ein Heimkommen zur Muttersprache? Zur angeborenen Sprache? War Einstein in seinem Leben ein unfreiwilliger Odysseus, der am Ende doch wusste, das man immer zur Heimat zurückkehrt? Das Verrückte an dieser Überlieferung ist: Einsteins letzte Worte wurden zwar gesprochen, aber sie sind unlesbar. Das erinnert ein wenig an das Voynich-Manuskript. Ein Buch voller Tinte und Zeichen, aber niemand kann es lesen.

Warum war es Albert Einstein als internationalem Superstar der Wissenschaft am Ende ein so dringendes Bedürfnis, etwas auf deutsch zu sagen, in seiner Muttersprache, und nicht auf englisch. Was hat er gesprochen? Niemand weiß es, aber alle haben es gehört. Ich habe mich davon inspirieren lassen, an die Esche zu denken. Lässt sich die Expansion des Universums auf ernsthafte und wissenschaftlich Art mit einem wachsendem Baum besser erklären als mit einem expandierenden Luftballon, den man aufbläst? Ist das Universum ein Luftballon? Oder ist es ein Baum?

Das expandierende Universum als Luftballon.

Beinahe jede Woche hatte man in den letzten Jahren Meldungen lesen können, in denen astrophysikalische Einzelbeobachtungen Wiedersprüche zu den kosmologischen Modellen offenbarten.
Kaum eine halbe Stunde vergeht heute zwischen Frühstück und Mittagspause, und hoppla –  wieder einmal hat ein Forscherteam einen uralten Methusalem-Stern entdeckt, den es eigentlich nicht geben dürfte. Oder man wundert sich zum Nachmittagskuchen über eine Galaxie, einen Quasar, ein schwarzes Loch, ein Planetensystem, das sich überraschender Weise ganz anders verhält als alle angenommenen Modelle. Das Universum scheint mittlerweile nur noch Abweichler zu zeigen, die bei näherer Beobachtung ein modellfremdes Verhalten zeigen oder deren Muster so garnicht hineinpassen ins Übliche. Von der  Kirmes rund um das Thema „Dunkle Materie“ ganz zu schweigen.  Schwierig geworden  war  neuerdings auch wieder die Hubble-Konstante zur Expansion. Letztendlich herrscht Verwirrung.
Hier wirkt offenbar eine normale Gesetzmäßigkeit: Je genauer oder länger Astronomen irgendwo hinschauen, um so abweichlerischer verhalten sich die Objekte. Der Grund hierfür ist eigentlich simpel: Wie im richtigen Leben hat das Universum eigentlich nur Unikate zu bieten, bestenfalls Ähnlichkeiten. Doch findet man keine echten Kopien oder Wiederholungen. Wenn man ganz genau hinschaut, produziert auch das Weltall keine Konfektionsware oder Kostüme von der Stange, die sich einreihen lassen in ein Schema F.  Auch das Weltall bietet offenbar nur Objekte, die daherkommen im individuell geschneiderten Maßanzug.

Eine gute Gelegenheit, hier noch eine ganz alte Theorie zum Universum auszubreiten. Eine Theorie mit Gamsbarthut.

Es gab schon Menschen, die glaubten mit Heideggers Hut reden zu müssen...
Das Universum trägt rustikale Hüte

Der Urknall oder das Universum in rustikaler und ländlich geprägter Garderobe ergibt zunächst ein ungewohntes Bild. Trotzdem darf neben dem Astrophysiker am Teleskop immer auch ein Bauer mit Heugabel stehen oder ein Förster in grünem Loden. Die ländlichen Weltraumanzüge heißen Gamsbarthut, Trachtenjanker, das Dirndl oder die Lederhose. 

Obwohl man im Schwarzwald eher einen Bollerhut trägt. Es stellt sich die Frage, wie man bäuerlich erdverbundene Heimatbezogenheit mit interstellarer Raumfahrt verbindet. Was genau ist eigentlich der Unterschied zwischen „Expansion“ und „Wachstum“ ?  Und müsste man im Kosmos nicht eigentlich unterscheiden zwischen „Distanzen“ und „Entfernungen“ ?


Die Kosmologie spricht von einem „expandierenden Universum“. Der ländlich bäuerlich gestimmte Philosoph würde eher von einem „wachsenden Universum“ sprechen. Man sagt ja auch: Der Baum wächst. Man sagt nicht: Der Baum expandiert. Darin klingt ein Unterschied an, der nicht nur eine sprachliche Haarspalterei ist.


Unser Teleskope wachsen wie Blumen. Sie öffnen ihre Blüten und werden von den Sternen mit Erkenntnis bestäubt.

Enrico Fermi hatte einmal die  Frage gestellt, warum wir bei einer so extrem hohen Anzahl von Sternen und Planeten bis heute noch keine weitere intelligente Zivilisation angetroffen haben. Rein statistisch gesehen müsste es doch mindestens ein paar Tausend intelligente  Zivilisationen geben. Wo sind die? Warum hören wir nichts von denen?

Der Interessierte kennt dazu heute einige Antworten, die alle mehr oder weniger hinauslaufen auf ein Hauptargument: Es müssen sehr viele und komplex-günstige Faktoren über eine lange Zeit zusammenspielen, damit so-etwas wie eine Evolution zu intelligentem Leben ermöglicht wird. Diese Faktoren sind möglicherweise so selten und empfindlich zufallsgestreut eingestellt, dass die Wahrscheinlichkeit für komplexe Gehirne oder Intelligenz auf Planeten  doch stark absinkt. Der Mensch könnte mit seiner Erde möglicherweise der extrem seltene Jackpot in der kosmischen Lotterie sein…..dann kommen noch die Filtertheorien hinzu über dumme Zivilisationen, die sich selbst zerstören, bevor sie sich weiter entwickeln ……und so weiter und so weiter…kennt man alles…. Es kann jedoch aufschlußreich sein, Enrico Fermis Frage noch einmal aus dem Blickwinkel Heideggers zu beleuchten.

Die Astrophysiker sagen, dass der Blick ihrer Teleskope immer in die Vergangenheit gerichtet ist.

Wenn das so ist – und wenn das heutige kosmologische Modell mit dem Urknall und der Expansion des Universums stimmt – dann käme jeder Alien, dem wir begegnen, aus der Vergangenheit. Jede sogenannte „Begegnung der dritten Art“ wäre dann aber im Prinzip ein „Erinnern“.
Die Begegnung wäre dann eher die Begegnung mit einem alten Bekannten. Oder anders gesagt: Sie wäre die Begegnung mit einem „Ähnlichen“.

Umgekehrt würde das genau so gelten. Auch wir selbst kämen dann aus der Perspektive des Aliens aus der Vergangenheit.

Denn alle Zivilisationen des Universums kommen ja aus ein und demselben kleinen Samen des Urknalls.
Alle Zivilisationen des Universums kennen sich also schon von früher. Sie sind sich schon einmal begegnet. Sie waren alle schon einmal dicht bei einander im „Potential“ des Urknalls enthalten.

Vorausgesetzt, man versteht den Samen des Urknalls als eine Potentialität, die sich mit der Expansion in eine Aktualität entwickelt hat. In diesem Fall, gäbe es für den Menschen keine wirklich „fremden Aliens“ Jede Begegnung wäre dann Wiederbegegnung.

Die Expansion des Universums und das Urknall-Modell ist höchstwahrscheinlich nicht wirklich falsch. Die Frage ist nur, ob die Kosmologen ihr eigenes Modell richtig interpretieren. Wenn man das Urknallmodell und die Expansion des Universums anders interpretiert, ergeben sich sogar neue Ausblicke für die interstellare Raumfahrt.

Viele Menschen sind heute inspiriert von den Fortschritten der SpaceX-Raketen und freuen sich über die Aussicht, den Mars schon bald mit Raketenflügen zu erreichen. Im Prinzip gehöre ich auch zu den Begeisterten und drücke Elon Musk und seinem Unternehmen beide Daumen. Denn die günstigen Raketen von SpaceX werden in Zukunft für weitere und noch größere Weltraumteleskope gebraucht.

Aber der Mars? Echt jetzt?

Wenn man mal realistisch ist, realistisch und phantasielos, dann stellt sich doch heraus, daß die Idee „Raumflugkörper“ oder die Idee „Rakete“ ziemlich viele Unbequemlichkeiten mit sich bringt. Das Universum, von der Erde aus betrachtet, ist wunderschön. Aber das Universum zwischen den Planeten, zwischen den Sternen ist ein extrem ungemütlicher, äußerst menschenfeindlicher und gefährlicher Ort. Diese Gefährlichkeit und Lebensfeindlichkeit potenziert sich noch bei interstellaren Reisen. Bei einer Distanz von Lichtjahren kommt das Zeit-und Distanzproblem dermaßen in die Wirksamkeit, dass man sich beim besten Willen und selbst bei hochgeschraubtem technologischen Optimismus irgendwann eingestehen muss: Das Konzept „Raumflugkörper“ ist limitiert. Das kann es nicht sein. Zugleich weiß man aber: Wir müssen irgendwie einen machbaren, einen realistischen Weg finden.

Wenn man die technische Evolution mit der biologischen Evolution vergleicht, dann handelt es sich bei einer „Rakete“ um einen relativ primitiven Entwicklungsstand. Das Prinzip „Rückstoß“ oder das Prinzip „impulsgetriebener Raumflugkörper“ entspricht ungefähr dem Pantoffeltierchen, dem Tintenfisch oder, wenn es hochkommt, einem Frosch, der sich „nach hinten“ abstößt. Rückstoß. Ein Frosch gehört noch zu den Lurchen. Der evolutionäre Schritt zum Menschen ist hier noch sehr weit.

Wenn man interstellare Distanzen überwinden möchte, muss man irgendwie die Evolution zum Menschen einleiten, der zumindest das Rad erfindet oder den Hebel oder den Wagen. Vom Elektromotor noch ganz zu schweigen.

Ich stelle mir vor, wir entdecken wirklich einen Planeten, der eine Ozonschicht und ein Magnetfeld hat und um einen relativ gutmütigen Stern kreist. Und nur ein solcher Planet mit Ozonschicht und Magnetfeld um einen gutmütigen Stern ist für uns interessant. Und dieser Planet befindet sich in einer Distanz von zweiundvierzig oder zweiundachtzig Lichtjahren – was dann? Kein Mensch hat Lust, eine solche Distanz in einer Blechbüchse zu überwinden. Aber es wäre auch extrem unbefriedigend, einen solchen Planeten immer nur aus der Ferne anzugucken oder mittels „Fernerkundung“ zu analysieren. Und sobald wir einen solchen Planeten wirklich und in echt entdeckt haben, will niemand mehr zum Mars. Kein Schwein im Weltall interessiert sich für den Mars, wenn unsere Teleskope wirklich einen erdähnlichen Planeten mit Ozonschicht und einem Magnetfeld entdecken. Dann interessiert nur noch die Frage: Wie überwinden wir interstellare Distanzen? Und das auf eine Art und Weise, die weder am Anfang oder am Ende des Projekts irgendwelche Tattergreise mit weißem Bart oder verstorbene Urenkel produziert.

Die Lösung kann nur heißen: Martin Heidegger und Albert Einstein zusammendenken. Zu jedem Einstein gibt es ein Zweistein. Und Heidegger ist Albert Zweistein.

Heideggers Heimatverbundenheit wurde ja oft fehlinterpretiert. Heideggers „Heimat“ meinte einen Menschen der im Kosmos „wohnt“. Nicht einen Menschen, der im Kosmos umherstolpert oder umherirrt. Und dieses Wohnen im Kosmos hat nicht ausschließlich mit dem deutschen Mythos zu tun. Bifröst, den Weltenbaum oder die Regenbogenbrücke gibt es in vielen anderen Mythologien auch.

Die große Frage ist, ob man in der heutigen Kosmologie nicht unterscheiden muss zwischen „Distanzen“ und „Entfernungen“

Schließlich kennt man eine alte Volksweisheit: Wer seine Heimat nicht kennt, der kennt auch kein Ziel.

Die moderne Kosmologie verfährt ja genau so: Sie schaut mit ihren Teleskopen in die Vergangenheit des Universums, weil sie wissen möchte, wo sie herkommt.

Wenn die kosmologischen Modelle stimmen, dann gilt das für alle Zivilisationen, die mit Teleskopen ins Weltall schauen. Sie kommen jeweils füreinander aus der Vergangenheit.

Unsere Teleskope sind Blumen. Sie öffnen ihre Blüten und werden von den Sternen mit Erkenntnis bestäubt.

Die Kosmologie sagt: Das Universum ging aus einem kleinen Samen hervor, dem Urknall. Wenn das so ist, dann wäre das Universum eine Art wachsender Baum, und alle Aliens oder alle Zivilisationen müssten sich dann „im Holz“ dieses Universums befinden. Und dieses „Holz“ des Universums war ursprünglich im Samen des Urknalls enthalten, ebenso wie alle Aliens und alle Zivilisationen, Planeten und Galaxien.

Der kleine Hubble-Dämon

Ich stelle mir hier einen kleinen Hubble-Dämon vor. Der Hubble-Dämon ist ein Zwerg, der bereits im Samen des Urknalls gesessen hat, als das Universum noch ganz klein und jung war. Ich nenne diesen Zwerg hier Odin

Alle Astrophysiker sind sich heute darüber einig, dass unser Universum eine Evolution durchlaufen hat. Es hatte einen Anfang. Die Theorien und die Beobachtungen dazu scheinen auch sehr plausibel.

Ich stelle mir nun vor, der kleine Hubble-Dämon war von Anfang an „im Holz“ des Universums. Und existiert auch heute noch.

Wenn man die Entwicklung des Universums mit dem Urknall als das Aufplatzen eines Samens und das Herauswachsens eines Baumes vergleicht und dabei bedenkt, dass mit dem Urknall auch Zeit und Raum erst geschaffen wurden, erkennt man mehrere Dinge:

Ganz am Anfang kann man einem solchen Keimlings beinahe beim Wachsen zusehen. So schnell wächst er. Diese Phase könnte man als „Inflationsphase“ bezeichnen.

Wenn Astrophysiker heute sich darüber wundern, dass unser Universum um so schneller sich auszudehnen scheint, je weiter die Galaxien entfernt sind, dann gibt es da nichts zu wundern, denn sie schauen ja in eine junge Wachstumsphase „zurück“ in die Vergangenheit. Die Sterne „ganz hinten“ sind ja die Sterne „ganz am Anfang des Wachstums.“. Ein junger Baum wächst am Anfang proportional „schneller“ als später.

Das Sprießen, die Schnelligkeit des Wachstums „in die Höhe“ wird bei einem jungen Baum jedoch irgendwann von einem Wachstum in die „Dicke“ und in die „Breite“ des Baums ausgebremst.

Wenn man „Höhe des Baums“ mit einem Anwachsen der Zeit und die „Dicke des Baums“ mit einem Anwachsen des Raumes identifiziert, kommt man ziemlich gut an die heutigen kosmologischen Modelle zum Urknall heran.

Wenn man sich jetzt einen Hubble-Dämon als ein Wesen vorstellt, das in diesem Baum sitzt und von Anfang an mitwächst, dann stellt sich die Frage:

Wo sitzt der Hubble-Dämon in dem Baum? Wächst er selber mit dem Baum mit? Oder ist er so etwas wie ein im Holz eingeschlossener Fremdkörper, der durch den Wachstumsprozess irgendwie in die Höhe und in die Breite geschoben wird?

Die Frage nach der Form des Hubble-Dämons ist knifflig. Seine Existenz kann nicht zugleich in die Höhe und in die Breite des Baums verschoben werden.

Wäre Odin ein Sandkorn im Stamm des Baumes, müsste er sich entscheiden, ob er in die Höhe nach oben mitwächst oder ob er in die Breite abbiegt.

Eine ausgleichende Lösung könnte darin bestehen, den Odin zur Hälfte in die Höhe (Zeit) und zur Hälfte in die Breite des Stammes (Raum) abbiegen zu lassen.

Das Merkwürdige ist aber jetzt: Würde man Odin an einer bestimmten Stelle im Baumstamm interviewen und ihm die Frage stellen:

„Was siehst du, wenn du in die Vergangenheit schaust.“

Dann würde Odin antworten: „Dazu müsste ich nach unten schauen. Und dort unten sehe ich die breiteste Stelle des Stammes.

Die Frage ist nun: Würde der Hubble- Dämon so antworten? Oder würde er auf die Frage nach seiner Vergangenheit antworten: „Ich sehe einen winzigen Keimling, der aus einem Samen herausspriesst.“

Das Eigenartige an diesem Gedankenexperiment ist: Das eine Mal antwortet Odin, in dem er sagt, was er sieht. Das andere Mal antwortet er, in dem er sagt, woran er sich erinnert.

Denn „früher“ war das Universum ganz unten nur ein dünner grüner Austrieb. Aber „später“ zeigt sich das Gegenteil. Die Vergangenheit des Universums ist heute die dickste Stelle am Fuße des Baumes.

Beide Antworten sind nicht falsch.

Aber bei einem Baum wird die Sache noch komplizierter. Denn der Same wächst ja auch in die Wurzeln des Baumes nach unten.

Der Hubble-Dämon, der sich von Anfang an im Samen des Urknalls aufhielt, kann also nicht als ein separates Sandkorn aufgefasst werden. Weil ein solches Sandkorn nicht gleichzeitig in der Wurzel und in der Krone des Baumes sitzt. Es müsste sich entscheiden.

Was also ist der Hubble-Dämon?

Die Antwort kann nur lauten: Der Hubble-Dämon ist das Ganze. Das ganze wachsende Universum. Das ganze Wachstum des Baumes. Das Universum wächst.

Der Hubble-Dämon steht für die Breite und Dicke des Baums (Raum) als auch für die Höhe (Zeit)

Es lässt sich schon erkennen, dass in einem Baum sich das Konzept der „Raumzeit“ abbildet wie der „Zeitraum“. Der Baum ist ein Zeitraum.

Das Universum wächst weiter. Es breitet sich aus. Zeitlich in die Höhe und räumlich in die Dicke der Äste und Stämme, wobei „Höhe“ und „Dicke“ immer gleichermaßen für Raum und Zeit stehen.

Wenn aber der hier gedachte Hubble-Dämon sich an jeder Stelle des Universums aufhält, dann ist er auch Teil des menschlichen Bewusstseins.

Denn der Mensch ist ja als Teil des Wachstumsprozesses des Universums genau so „im Holz des Universums“ als auch immer ein Teil des Ganzen.

Was sehen wir also, wenn wir in die Vergangenheit des Universums schauen?

Sehen wir ganz unten einen dicken Stamm des Baumes, die dickste Stelle des Baumes, oder sehen wir einen kleinen Keimling, der gerade aus einem Samen hervorplatzt?

Vielleicht sitzen wir ja auch in der Wurzel des Baumes. Also quasi unterirdisch. Was sehen wir dann?

Ist unser Schauen ein Sehen? Oder ist unser Schauen ein Erinnern?

An welcher Stelle des Baumes sitzen wir als Teil des Hubble-Dämons?

Für den Hubble-Dämon, der im Baum des Universums sitzt, gibt es keinen ausgezeichneten „Ort“, wo man ihn interviewen könnte. Denn der Same enthielt von Anfang an als „Potential“ alle Möglichkeiten des Baumes und des Hubble-Dämons.

Oder anders gesagt: Für Odin existiert keine Zukunft und keine Vergangenheit.

Denn er „sitzt“ ja nicht nur in einem Teil eines Astes dieses Baumes, von dem aus er auf einen höheren Ast in die die Zukunft zeigen könnte.

Ebensowenig kann er nach „unten“ auf die Vergangenheit zeigen. Denn der dicke Stamm unten am Fuße des Baumes zeigt ihm nicht die Vergangenheit als kleiner spriessender Keimling, sondern der dicke Stamm zeigt ihm das „Jetzt“ des Baumes in einem dicken Stamm.

Mich hat immer ein bestimmtes Sprechen der Astrophysiker gewundert. Sie sagen: Vor 1. Milliarde Jahren ist in einer fernen Galaxie eine Supernova explodiert. Dieses Ereignis können wir jetzt sehen. Wir sehen also jetzt erst das Licht von einem Ereignis, das bereits 1 Milliarde Jahre alt ist.

Aber wie kann das sein? Wenn das Universum aus einem kleinen Samen hervorgegangen ist, dann kann es doch nichts geben, das „älter“ ist als der Beobachter, der es beobachtet. Wir und das Universum sind doch gleich alt. Alle Zivilisationen und alle Ereignisse des Universums waren doch „potentiell“ im Samen des Urknalls bereits vorhanden und dicht bei einander.

So meine ich: Es gibt in diesem Universum zwar Distanzen, aber es gibt keine Entfernungen. Demzufolge kennt dieses Universum immer nur eine absolute Gegenwart des „Jetzt“. Wir sehen keine Supernova, die sich „vor 1 Milliarde Jahren ereignet hat“ Wir sehen immer nur eine Supernova, die sich „Jetzt“ ereignet.

Fest steht: Der Same oder die Potentialität des Samens als Urknall hat sich ganz und gar in die „Aktualität“ der aufgehenden Blüten unserer Teleskope eingelöst. Der Same des Ahorns oder der Kastanie ist ganz und gar im Baum aufgegangen. „aufgegangen“.

Es gibt für einen solchen Hubble-Dämon in der Evolution des Universums keinen ausgezeichneten „Ort“ im Holz des Universums, den er nicht schon kennt. Aber es gibt für ihn auch keine „Distanz“.

Oder anders gesagt: Odin ist „immer schon“ da, wo er hinreisen möchte. Nämlich überall.

Aber aus dem Hubble-Dämon würde noch eine andere Konsequenz folgen. Weil es innerhalb des mitwachsenden Hubble-Dämons im Holz des Universums keine Entfernungen gibt, ist es auch sinnlos von „Kilometern“ oder „Lichtjahren“ zu sprechen.

Diese Maße beschreiben „Distanzen“. Aber sie sagen nichts über „Entfernungen“ aus.

Wie kann man sich den Unterschied zwischen „Entfernungen“ und „Distanzen“ beim Hubble-Dämon am besten klar machen?

Wenn man die eigene Hand vom Körper wegstreckt, würde man die „Distanz“ zwischen Hand und „Körper“ mit 85 cm angeben. Ein gedachtes Raumschiff müsste also von der Schulter bis zur ausgestreckten Hand eine „Distanz“ von 85 cm überwinden. Das ist konventionelle Raumfahrt.

Die „Distanz“ zwischen Hand und Körper ist jedoch gleich Null, wenn man sie aus der „Innenperspektive“ des Hubble-Dämons betrachtet. Denn die Hand bleibt ein organisch gewachsener Teil des Körpers.

Es ist egal, ob ich die Hand an die Nasenspitze führe oder sie weit ausstrecke. Die Hand ge*hört zum Körper. Für Hand und Körper gibt es keine „Distanz“ Ich bin immer gleichzeitig die Hand, der Körper als auch das Spüren der Hand. Ich muss kein umständliches Raumschiff bauen, um die 85 cm bis zur Hand zu überwinden.

Der Hubble-Dämon braucht kein „Raumschiff“ um sich innerhalb des Holzes im Baum des Universums von „A“ nach „B“ zu bewegen. Der Hubble-Dämon ist „immer schon“ da.

Die nichtkonventionelle Raumfahrt ist „immer schon da“ wo sie hinwill, und zwar instantan.

Wenn jeder Außerirdische, dem wir begegnen, aus der Ferne kommt, das heißt: aus der Vergangenheit, dann müsste es sich um eine „Erinnerung“ handeln.

Der Außerirdische wäre dann ein „alter Bekannter“ und kein Fremder.

Wenn wir in diesem Universum Aliens begegnen, dann kommen sie aus der Vergangenheit und nicht aus der Zukunft. Und das gilt immer für beide Parteien. Jede Begegnung mit Außerirdischen wäre eine Erinnerung.

Noch einmal das Fermi-Paradoxon

Eigentlich wirken zwei Arten der Naturwissenschaft. Die konvexe Naturwissenschaft fragt nach den Grenzen der Erkenntnis. Die konkave Naturwissenschaft fragt nach den Grenzen der Phantasie.

Die Redewendung von der „extremen Seltenheit“ unserer Species könnte man auch konkav mit einer anderen Redewendung kontern. Vielleicht sind wir einfach nur „selten dämlich“ – wie man auf berlinisch sagt.

Ich denke, dass interstellare Distanzen nicht mit „Raumflugkörpern“ im konventionell gedachten Sinne überwunden werden. Meine Vermutung ist, dass die Experimente von Martin Tajmar immernoch interessant sind. Nicht deshalb, weil man die Gravitation aufhebt. Die Experimente sind deshalb interessant, weil man eventuell die „Raumzeit“ oder besser gesagt, den Zeitraum manipulieren kann. Dazu braucht es aber keine komplizierte „Warp-Technologie“ Ebensowenig braucht man künstliche „Wurmlöcher“. Die Technologie muss irgendwie mit Rotation und Temperaturdifferenz zu tun haben. Man muss hier experimentieren und suchen nach harmonischen Verhältnissen zwischen Masse, Durchmesser, Temperatur, Rotationsfrequenz und Rotationswinkel. Wir müssen uns nur erinnern.

Mathematik? Was ist Mathematik – Mathematik ist eine Kunst des Verhältnisses. Um nichts anderes geht es in der Mathematik. Es geht immer nur um Verhältnisse. Einstein war ein Verhältnisdenker. Das erste und wichtigste Verhältnis ist aber nicht das Verhältnis zwischen a und b, sondern das Verhältnis Mensch und Kosmos. Ein Verhältniss ist jedoch kein starres geschlossenes System, vielmehr ein ständiger Prozess im Abgleich des Bewusstseins mit dem „Ist“ des Universums.

Coronalogie: Das korrekte Virus

Alle sind krank. Nur das Virus lebt gesund.

Das Coronavirus trinkt keinen Alkohol.

Das Coronavirus raucht nicht.

Mit Kaffee kann es nichts anfangen.

Die Werte seines Blutdrucks sind einfach phantastisch. Wenn es denn Blut hätte.

Aber auch ohne Blut bleibt es sportlich bewegt.

Es produziert kein C02, oder noch besser: Selbst atmet es gar nicht.

Klimaneutral segelt es im Wind des Atems anderer Leute. Ist das nicht genial?

Von seinen eigenen unhygienischen Lungenflügeln hat es sich schon vor langer Zeit getrennt.

Das Virus produziert keinen Müll.

Plastikmüll schon gar nicht.

Es holzt keine Regenwälder ab.

Kurz gesagt: Sein ökologischer Fußabdruck ist minimal bis nicht vorhanden.

Das Virus erzählt keine diskriminierenden Witze über Ostfriesen, Chinesen, Wessis, Ossis, Blondinen, Singhalesen….

Rasse, Herkunft, Klasse? Was ist das?

Für das Virus sind alle Menschen gleich.

Das Virus möchte niemanden verletzen.

Nur manchmal ein paar Leute töten, das muss erlaubt sein.

Das Virus ist korrekt.

Männer oder Frauen? Fänner oder Mauen? Wo ist der Unterschied?

Ist dem Virus egal, alles neutral.

Geschlechtsmerkmale sind für das Virus wie Plastikmüll. Unbrauchbar oder schädlich.

Gleichbehandlung ist sein zweiter Vorname.

Das Virus ist Trans aber nicht sexuell.

Hauptsache die Lungen werden feucht. Vermehrung reicht völlig aus.

Das Virus geht gerne viral.

Es braucht kein Gedächtnis. Wozu? Es hat ein Programm.

Das Virus ist höflich. Genau genommen unauffällig. Sehr dezent.

Es eckt nicht an. Es schwimmt mit und schleust sich ein.

Sein Lebensinhalt: Überleben.

Seine Methode: Opportunismus.

Seine Mechanik: Ausnutzung von Situationen.

Sein Ziel: Ein Weltbürger werden, überall zu Hause.

Sein Lebenssinn? Kommt auf den Lebenssinn der Leute an. Das Virus selbst hat ja kein Leben.

Es kennt nur sein Überleben.

Das Virus mag keinen Lärm, aber es ist nicht gern allein.

Ihm gemäß ist der Auftritt in Gruppen oder die Existenz in der Masse und Skalierung.

Dann explodiert es gern. In Skalierungseffekten, exponentiell…

Dann vermehrt es sich wie Zinseszins.

Die Skalierungseffekte machen das Virus dann günstig und erschwinglich für jedermann

Wie Windräder, wie Akkus, wie Solarzellen, wie Elektroautos..

Ein Massenprodukt der Natur

Doch das Virus explodiert gerne leise.

Es mag keinen Krach, keinen Streit

Schon Silvesterfeuerwerk ist ihm zu stark sichtbar, zu schmutzig, zu laut, zu hell, zu grell, nicht sauber und viel zu verschwenderisch.

Kurz gesagt: Sinnlos.

Und doch ist das Virus nicht faul. Es produziert und produziert und produziert…

Dabei ist es auch innovativ. Es mutiert und mutiert und mutiert…

Virus 1.0 Virus 2.0 Virus 3.0 Virus 4. 0

So verändert es sich.

Doch wird das Virus nichts ändern. Denn es verändert immer nur sich selbst. Es verändert sein Leben aber nicht die Welt.

Es mutiert und passt sich an.

Kreativ. Ihm fällt immer was ein.

Wir fassen zusammen:

Das Virus ist korrekt. Es lebt absolut gesund. Es achtet auf Bewegung. Es verhält sich geschlechtsneutral.

Es raucht nicht. Es trinkt nicht. Es kennt keine Rassen, keine Herkünfte, keine Geschlechter, Fämmer oder Mauen, es behandelt alle Menschen gleich.

Ein Internationalist wie aus dem Lehrbuch.

Nur die Alten mag es nicht. Die Alten müssen weg, denn es braucht die jungen Wähler. Es braucht kein Gedächtnis.

Ihm genügt ein Programm.

Klimaneutral segelt das Virus im Wind des Atems anderer Leute.

Doch selbst atmet es nicht.

Das Virus ist höflich. Es benutzt keine Fäkalworte oder verhetzende Sprache. Es schreit nicht herum.

Es produziert, kopiert, skaliert und explodiert leise wie Zinseszins.

Doch bleibt es fleißig, innovativ und immer korrekt. Das Virus möchte niemanden verletzen, nur manchmal ein paar Leute töten.

Ist so ein Virus nicht wunderschön?

Hat es nicht alles, was wir haben wollen? Hat es nicht die saubersten Manieren?

Umweltfreundlich. Gut. Leise. Klimaneutral. Gesund. Höflich. Kreativ. Produktiv. Nie alt, immer jung, immer neu, immer anders.

Ist das nicht der Mensch, wie die Welt ihn erträumt? Das C02-freie Viruswunder mit dem grünen Daumen und jederzeit global gestimmt?

Das gleichgleiche Gleichgültigskeitszeichen unserer Welt?

Sein Blutdruck ist phantastisch.

Dem Virus geht es gut.

Das Virus lebt gesund.

Es übererfüllt die Reproduktionsrate.

Es wird sehr lange leben.

Und wenn es mal stirbt, dann nicht wie ein Rockstar am Alkohol mit Kippe im Mundwinkel, ganz gepflegt in der eigenen Kotze liegend. Das Virus stirbt nicht an einem Laster oder an einer schlechten Angewohnheit. Nein, es mutiert. Es ändert sein Leben oder löst sich geräuschlos auf.

Selbstverständlich beinahe rückstandsfrei.

Klimaneutral.

Ohne ökologischen Fußabdruck.

Spurlos.

Aber all das ändert nichts.

Ein gutes Virus. Ein korrektes Virus.

Ein Wirus wie Wir.

Aster Arnika

Paul Celan auf Bifröst

Ihr großes Farbenspiel zeigt die Natur in ihren Auf- und Untergängen. Im Frühjahr wacht sie auf in ihrem Blütenreich, im Herbst verabschiedet sie sich mit feurig abdankenden Blättern. Nur in den frühen Morgenstunden betätigt sich die Sonne als virtuose Malerin der Atmosphäre. Und in den letzten Momenten des Tages entzündet sie noch einmal die ganze Fülle des Abschieds im abendreichen Horizont.  Aufgehen und Verlöschen, Übergang und Wandlung, die Natur ein Hämatom, ein blau geschlagenes Auge, das von Blau über Gelb nach Grün, Lila, Rosé nach Rot zu Dunkelblau tagtäglich und alljährlich im Rhythmus der dämmernden Zeiten überwechselt von Verwund(er)ung nach Heilung. Dabei entfärbt sie ihr morgendliches Glühen in die bleiche Gesichtsfarbe des Mittags, und das Blühen des Frühlings verschwindet im großen unverwundbaren Körper des grauen Sommers, um bald danach tiefrot hineinzubluten in die Blätter des Herbstes, wo die Jahreshaut nach ihrem Aderlass allmählich verblasst ins erschöpfte Weiss des Winters oder als Tageszeit in die erholende Schwärze der Nacht. Wesen und Grad der Verwesung. Die Dauer im spektralen Zirkulieren der Zeit.

Wenn Astrophysiker in die rotverschobene Morgendämmerung der Vergangenheit schauen, betätigen sie sich als Neugierige, die in Wahrheit altgierig sind.

Die Bremslichter leuchten rot auf. Sie sitzen hinten, doch sieht sie jedermann von vorn. Das ist ihre Ordnung, der Kosmos in seiner Ordnung.

Das  Höhenfeuerwerk gibt den menschengemachten Reim auf Kulturen und Zivilisationen. Kurz bevor Weltreiche sterben, kurz bevor Zivilisationen enden, werden sie noch einmal bunt. Rom wurde bunt, dann war es tot. Die Maya wurden bunt, dann waren sie am Ende. Das alte ägyptische Reich wurde bunt und dann war es weg. Das alte Europa war so bunt, dann kam der erste Weltkrieg. Wenn Zivilisationen sterben, werden sie kurz vorher noch einmal ganz bunt. Das Höhenfeuerwerk wird bunt, und dann ist es schon vorbei. Nach dem dumpfen Knall ihrer Gründung steigt der Stamm der Kultur ein paar Jahrhunderte beinahe unbemerkt in die Höhe, dorthin, wo das Bukett, die Blüte, die Krone des Baums in der Höhe explodiert, erglüht und verblüht in paradoxer Einheit von maximaler Farbenpracht und nicht mehr aufzuhaltendem Verlöschen. Sein und Nichtsein sind vereint für den kurzen Moment des Ausstreuens aller Farben und Formen in Funkenregen, Silberwirbeln, Goldstaketen und den  leuchtenden Kugeln im Flirren der feurigen Krone.

Dann regnet das alles zurück auf die Erde, auf ihren gründenden Boden. Auf diesem Boden agiert die Natur noch einmal ebenso färbend wie am Himmel. Das Bunte, das Schillernde, das grünlich Leuchtende, das goldblau Glänzende kündet von den langwierigenden Metamorphosen der Farbentwicklung auf Fäulniskörpern und Kadavern. Abgestorbenes Holz, Teppiche aus Mikroorganismen, ebenso wie fauliges Fleisch zeigen im Dunkeln ein bläulich schimmerndes Grün. In Sümpfen wird der Wanderer von bunten Irrlichtern entzündlicher Gase immer tiefer ins Abseits  verwirrt. Und schließlich zeugt die schillernde Farbenpracht mancher Fliegen und Insekten, die sich niederlassen auf Kadavern, um erneut sich fortzupflanzen von einem aufblühenden zweiten Frühling der Farbe im colorierten Zeitfluss der Vergängnis, der immer schon den nächsten Anfang mit sich führt.

Die Supernova verwest den sterbenden Stern im diamantenen Strahl seines Vergehens und schafft dabei zugleich wieder ein neues Wesen aus Umlaufbahnen und Planeten. Die farbig schillernde Schmeißfliege verwest den Kotaufen ebenso wie den Kadaver. Zum wimmelnden Wesen verwandelt er sich dabei selbst im schillernden Fleiß der goldenen Insekten, die er hervorbringt und ernährt. Die blicklose Made erwacht eines Tages als Flieger und staunt über und über und über ihre Augen.

Das Welt ist bunt, die Zukunft Gold, besonders zu Beginn und gegen Ende

Die erste Generation wird schuldig. Die zweite Generation verwaltet die Schuld. Die dritte Generation studiert Kunstgeschichte. Die vierte Generation verkommt.

70 Jahre DDR: Hegel und die Deutschen

Die Philosophen haben Hegel immer nur verschieden interpretiert. Es kömmt darauf an, ihn zu denken.

Über Hegel wird viel geredet, aber eine seiner wichtigsten Denkfiguren bleibt zumeist unbeachtet. Zu DDR-Zeiten war das Schulstoff: Die Negation der Negation. Das besagt zunächst, dass die einfache Verneinung von etwas, dieses verneinte  Etwas nicht aus der Welt schafft. Die reine Gegenposition zum Faschismus lässt den Faschismus weiterleben. Die bloße Verneinung des Stalinismus führt nicht wirklich zur Abschaffung von doktrinären Phantasien. Denn die bloße „Ablehnung“ von etwas, lehnt den Ablehner immer nur an das Abgelehnte an. Der Ablehner wird zum Anlehner. Der Feind, den man ablehnt, wird dadurch zu einem Ohrensessel, an dessen Lehne sich der Ablehner anlehnt.

Am Werk von Hegel zeigt sich gut, was Philosophie ist und was sie nicht ist. Philosophie ist Bewusstseinsbildung. Das ist ihre Aufgabe. Philosophie baut keine Gesellschaften. Philosophie regiert nicht. Philosophie will nicht die Welt verbessern oder den Menschen verbessern. Philosophie kann keine Autos reparieren und keine Kriege verhindern. Philosophie rettet niemanden vor dem Ertrinken, senkt nicht die Kriminalitätsrate und schützt auch nicht vor Vulkanausbrüchen. Philosophie kann noch nicht einmal verhindern, daß die Welt schlechter wird. Philosophie bildet und vertieft Bewusstsein. Denken und Philosophie ist eine Möglichkeit, ein Angebot unter tausend Angeboten, die der Mensch abschlagen oder annehmen kann. Darin ist der Mensch frei.

Hegel kennt keine Verneinungen im platten Sinne. Er sagt: Um etwas wirklich zu verwinden, darf man es nicht einfach nur ablehnen. Vielmehr muss man die einfache Verneinung noch einmal verneinen. Das führt in eine Bejahung des Problems auf einer höheren Bewusstseinsebene. Das nennt er „Negation der Negation.“ Erst die Negation der Negation führt ein Problem in die Verwindung.

So kann der Anti-Alkoholiker auch im trockengelegten Zustand nur durchhalten, wenn er seinen Alkoholismus bejaht. Nach Hegel reicht es nicht, einfach nur platt Nein zum Alkohol zu sagen. Er wird nie wieder in den Bewusstseinszustand vor der Suchterkrankung zurückkehren. Auch der trockene Alkoholiker bleibt Alkoholiker. Hegels Prozessphilosophie ist eine Philosophie der Irreversibilität.

Der Nazi als Problem kann nur dadurch verwunden werden, indem man die einfache Verneinung noch einmal verneint und dadurch in eine Bejahung überführt. Das ist die Negation der Negation.

Dadurch entsteht ein neues „Ja“ zum Nazi als eine Art Hypernazi. Der Hypernazi ist jetzt eine neue Qualität im Durchgang des Bewusstseins durch einen – irreversiblen – Erfahrungsprozess. Der Hypernazi ist jetzt ein Nazi, aber aufgehoben auf einer neuen Stufe des Bewusstsein. Der Hypernazi verhindert fortan den „Nazi“ auf der ersten (unreflektierten) Stufe. Der Hypernazi lehnt den Nazi nicht einfach nur ab. Der Hypernazi hebt den Nazi als Erfahrung im Gedächtnis „auf“. Das nennt Hegel „Aufhebung.“

Er muss ihn nicht mehr nur platt ablehnen. Denn die bloße Ablehnung von etwas führt nur in den kranken Double-Bind der wiederholten Kontroverse. Er führt jedoch nicht in die gesunde  Irreversibilität historischer Erfahrung. Einfacher gesagt: Der Nationalsozialismus kann niemals abgelehnt werden, nur verdaut.

Die Philosophen haben Hegel immer nur verschieden interpretiert. Es kömmt darauf an, ihn zu denken.

Wenn das Hegelsche Werk die glatte Gesichtshaut der Philosophie als junge Frau zeigen würde, dann sind Adorno, Zlavoj Zizek, Luhmann, Deleuze, Derrida, Avanessian oder Sloterdijk die hässlichen Mitesser auf dieser Haut. Was einmal das schöne klare Gesicht der Philosophie war, ist heute eine pockennarbige und verpickelte Fratze nach den Strahlenschäden des zwanzigsten Jahrhunderts.

Clearasil hilft.

Gerade zu Hegel kursiert in Deutschland eine gern gebräuchliche Floskel. Die Floskel spricht von „Besinnungsaufsätzen“.

Das Wort „Besinnungsaufsatz“ wird zumeist abwertend bis verächtlich gebraucht. Zumeist möchte sich der echte, der wirkliche, der wahre, der studierte Hegelkenner damit abgrenzen von einem Grundschüler, der einen „simplen Besinnungsaufsatz“ schreibt über die Hegelsche Dialektik.

Verächtlich schaut der wahre Hegelconnaisseur dann auf all die „Besinnungsaufsätze“ von sehr einfachen Gedanken, die ihrem Hegel zu nahe treten, wenn sie zum Beispiel schreiben: „Dialektik ist, wenn jede Medaille zwei Seiten hat.“ Oder wenn geschrieben wird: „Dialektik ist, wenn der Freiheit wovon immer auch die Frage nach einer Freiheit wozu beigeordnet ist.“

Dem wahren und besonders kenntnisreichtümelnden Hegelconnaisseur ist das zu blöd oder zu simpel. Wer solche „Besinnungsaufsätze“ zu Hegel schreibt, den vernichtet der Hegelconnaisseur  kennerhaft mit dem Wisserlächeln und der abwertenden Floskel vom „Besinnungsaufsatz“ , der in seiner simplen Art niemals die wahre Tiefe und Komplexität von Hegel erfassen kann.

Heute darf man sagen, ein gepflegter Besinnungsaufsatz über Hegel  ist allemal mehr wert als die traurigen Mitesser der  Philosophieconnaisseure.

Hegel nannte sein Hauptwerk: „Phänomenologie des Geistes.“

Die Deutschen kommen und gehen. Hegel bleibt.

Gäbe es wirklich ein Epochengesicht als etwas, das man als geistige Physiognomie einer Epoche umschreibt, dann würde man in unsere heutige Epoche erschrocken hineinschauen wie in eine verzerrte Horrorfratze, um sich danach wieder erleichtert den klaren Gesichtszügen des Hegelschen Werkes zuzuwenden.

250 Jahre Hegel. Wieder ein Geburtstagsblumenstrauß.

Eine andere alberne deutsche  Angewohnheit ist es, Hegel abkanzeln oder auslachen zu wollen, weil er den preussischen Staat als das Non Plus Ultra geschichtlicher gesellschaftlicher Entwicklung auffasste. Ja nu, möchte man da sagen: Gemessen an den Vorgängen, die sich gesellschaftlich auf Hegels philosophischem Rücken im 20igsten Jahrhundert abgespielt haben, ist ein solches überzogenes Lob des preussischen Staates ein kleiner verzeihlicher Fehler der Überabrundung seines ansonsten sehr runden Werkes.

Und je länger man sich mit den Köpfen und dem Denken des 19.Jahrhunderts befasst, umso stärker tritt die Frage hervor, ob es nach Hegel oder Schelling nicht eigentlich ganz grundsätzlich eher bergab gegangen ist.

Ob Hegels freches Selbstbewusstsein, in seinem Theoriegebäude sei ein für alle mal alles Wesentliche über die Welt und den Menschen gesagt, wirklich etwas überzogen gewesen war, bleibt immer noch abzuwarten.

Die sogenannte Postmoderne, die längst noch nicht überwunden ist, lehnt es ab, einen allgemein durchgreifenden Wahrheitsbegriff anzuerkennen. Das führt sogar soweit, dass die Postmoderne es selbst ablehnt, eine klare Definition zu geben, was Postmoderne eigentlich ist. Die Postmoderne macht sich unangreifbar, in dem sie ihren Kritikern bei Bedarf entgegenruft, es gäbe gar keine Postmoderne. Oder der Begriff Postmoderne sei derartig komplex zu verstehen, dass jeder Versuch, die Postmoderne zu kritisieren, in den hilflosen Versuch einmündet, etwas zu greifen, was nicht greifbar ist.

Als Begründung führt sie an, dass ein durchgreifender Wahrheitsbegriff in die Dogmatik führen könnte. Jeder Mensch lebe ja in seiner eigenen Prägung und seiner eigenen Wahrheit. Und letztlich müsse man für das gesellschaftliche Zusammenleben eher einen Toleranzbegriff definieren, so nach dem Motto: Wahrheit ist das, was gerade besonders gut funktioniert. Oder: Wahrheit ist das, was gerade am wenigsten Unheil anrichtet.

Dabei geht es bei der Wahrheit jedoch nicht um das Gepachtethaben einer ein für alle mal gültigen Wahrheit. Es geht lediglich um eine verbindliche Auskunft darüber, in welchem kosmologischen Verhältnis sich das menschliche Fragen nach der Wahrheit bewegt als Prozess einer Bewegung im Bewegtsein.

Nun könnte einer kommen und sagen: Auch diese Wahrheitzumutung ist schon zu viel. Fragen stellen immer nur ganz wenige. Die meisten Menschen kümmert doch eher die Bewältigung des Alltags, das Machen und Tun, und wenn es hoch kommt die Frage nach dem passenden individuellen Wohlbefinden.

Auf den ersten Blick kann man diese Erwiderung gelten lassen, aber auf den zweiten Blick stellt sich heraus, dass in die Leerstelle des abwesenden Wahrheitsbegriffs mittlerweile immer mehr Schwachsinn einströmt, nach dem sich dann alles und jeder zu richten hat. Es gibt zwar kein gültige Wahrheit für alle, aber dafür gibt es C02 für alle. Oder es gibt Rassismusdebatten für alle oder es gibt Atombomben für alle oder es gibt die Stickstoffsynthese für alle oder es gibt Viren und Impfungen für alle. Oder es gibt Nazis für alle und Antifaschismus für alle gibt es auch.

Oder plötzlich gibt es für alle kein Klopapier mehr, aber dafür gibt es für alle noch elektromagnetische Strahlung und Elektronen für alle, die durch Leitungen und Handys strömen. Nur eine Wahrheit für alle soll es nicht geben. Da lacht sich ein Hegel doch kaputt.

Dass Hegels Geburtstag ins 30. Jahr der deutschen Einheit fällt, ist ein schöner „Zufall“.

Was zum Thema „deutsche Einheit“ nur selten besprochen wird, ist die Tatsache, dass die DDR eigentlich als ein philosophischer Staat konzipiert gewesen war, der sich zwar über den Umweg Karl Marx auf Hegel stützte, aber zutiefst unhegelianisch funktionierte.

Deutsche Philosophie des 19. Jahrhunderts wurde in deutscher Muttersprache bereits in der Grundschule ab der 5. oder 6. Klasse in ihren Grundzügen als obligatorisch behandelt. Spätestens mit dem 10. Lebensjahr wurde jeder Ossi mit den deutsch philosophischen Dickbrettbohrern vertraut gemacht: „Bestimmt das Sein das Bewusstsein oder ist es umgekehrt?“

Dass der gescheiterte Marxismus auf Hegel aufsetzt, entwertet ja die gedankliche Schule des hegelschen Denkens nicht.

Ökonomische Gesellschaftstheorien scheitern regelmäßig an der Realität. Nicht deshalb, weil der Tausch zwischen Ware und Wert unverstanden bleibt. Sie scheitern, weil das Phänomen „Wert“  als das, was als wertvoll gilt, veränderlich bleibt. Ausserdem kann der menschliche Geist als das Wertvollste nicht in Kapital ausgedrückt werden und deshalb selbst nicht Teil einer ökonomischen Theorie sein. (Siehe Kurt Gödel)

Bis heute gibt es keine einzige Philosophie, die das Phänomen „Wert“ überzeugend behandelt.

Dafür gibt es in Deutschland ca 16 Millionen Menschen, die zumindest ansatzweise oder als fernes Echo mit dem dialektischen Denken und der Prozessphilosophie Hegels in der Kinderwiege aufgewachsen sind.

Es war nicht alles schlecht im Osten, autsch.

Außerdem war die DDR ein Leseland. Man las nicht immer aus einem Bildungsbedürfnis heraus, manchmal  oft aus purer Langeweile. Gemessen an den toten Innenstätten am Sonntagnachmittag mit hinter dem Rücken verschränkten Armen spazierenden ABV, wirkte sogar Hegel oder Feuerbach wie aufregendes Breitwandkino. Neben Hegel waren auch die anderen deutschen Klassiker der Philosophie wie Schelling, Feuerbach und Kant nicht verboten und jederzeit erreichbar. Denn die offizielle Doktrin folgte ja der Einsicht, dass Karl Marx nur verstanden werden könne, wenn seine Kritik am deutschen „Idealismus“ offen gelegt wurde.

Das sorgte in der DDR für eine taktische Toleranz gegenüber der deutschen Philosophie im Umfeld von Hegel. Die Bücher waren nicht verboten. Man konzidierte, dass auch Marx selbst ein Folgeergebnis des Hegelschen Denkens war.

Manchmal las man „die anderen Philosophen“ auch deshalb, weil man schauen wollte, wo Marx eventuell gemurxt haben könnte, so aus einem oppositionellen Impuls heraus, um den Staatsbürgerkundelehrer mit peinlichen Fragen in Verlegenheit zu bringen.

Man stelle sich die DDR als ein Land vor, in dem 16 oder 17 Millionen Menschen ein Begriff wie „die Negation der Negation“ schon mal gehört haben, wenn sie den Staatsbürgerkundeunterricht nicht geschwänzt haben. Was damals auch nicht so einfach gewesen ist. Ebenso wie die Begriffskette These-Antithese- Synthese.

Der Ossi ist deshalb besonders empfindlich gegen die Dummheit der westdeutschen Linken, die ihre Antithesen nichthegelianisch formuliert. Die westdeutsche und quasi kulturmarxistische Linke muss einem hegelianisch geschulten Ossi immer als Horrorfratze erscheinen.

Hitler war kein Nationalist. Hitler war Internationalist. Wer ein Imperium per Krieg über Völkergrenzen hinweg anzettelt, denkt global. Insofern waren die Nazis Globalisierer im negativen Sinne.

Man muss kein „Nazi“ sein, um die Horrorfratze der westdeutschen Linken als besonders peinlich und dumm zu empfinden. Wer „gegen Nazis“ ist, schafft den Nazi nicht ab, sondern hält ihn am Leben.

Nach Hegel sind These und Antithese aufeinander angewiesen. Ein alter Hut. Wer „Nieder mit dem König! “ ruft, der ruft automatisch: Es lebe der König!“

Der westdeutsche linke Antifaschismus ist für einen Hegel-Ossi in seiner Debilität kaum auszuhalten. Weil die  Dummheit der westdeutschen kulturmarxistischen  Linken exakt die Dummheit und Debilität der Wandlitzfunktionäre wiederspiegelt.

Denn auch der Antifaschismusbegriff der DDR war nichthegelianisch gedacht. Auch die DDR stand in der verlogenen Behauptung einer „Stunde Null“. Die offizielle Doktrin lautete: Der erste antifaschistische Staat auf deutschem Boden. So, als wäre die DDR vom Himmel auf den deutschen Boden gefallen. Wer so denkt, denkt geschichtslos, gedächtnislos und nichthegelianisch. Er produziert neuen Theorieschwachsinn in platter Gegnerschaft zum „Vorher“. Er stellt sich selbst in die Unschuld von Sauberkeit und Rechtschaffenheit und zeigt mit dem Finger auf die Bösen und Schuldigen der Vergangenheit. Mit „Aufarbeitung“ hat das null zu tun. Im Gegenteil: Es entsteht eine kulturmarxistische Priesterkaste der Guten und Unschuldigen.

Nach Hegel schafft die einfache Verneinung von etwas (Negation) das Verneinte nicht aus der Welt.

Im Gegenteil: Das Verneinte lebt weiter in einer neuen „Position“. Nach Hegel führt ein einfaches „Dagegensein“ noch zu keiner Lösung, nur in den Double-Bind. Der Double-Bind kann bei instabilen Psychen zu kranken Reaktionen führen. Und genau das passiert heute ständig. Die „neue Rechte“ ist nicht neu oder rechts, weil sie neu und rechts ist, sondern weil die dumme alte Linke so alt und dumm und links  ist.

Erst die Negation der Negation als Verneinung der Verneinung, führt zu einer „Verwindung“ der Katastrophe.

Wer den deutschen Nationalsozialismus „verwinden“ will, muss zum „Hypernazi“ werden.

Der „Hypernazi“ ist ein Mensch, der im historischen Bewusstsein lebt, dass sein „Antifaschismus“ auf den Faschismus angewiesen ist in Folge von Gedächtnis und historischer Schmerzerfahrung. Wer einfach nur im platten nichthegelianischen Sinne sagt: „Ich bin gegen Nazis“ – der ist nicht besser als sein „Gegner“. Und der bereitet in seinem „Antifaschismus“ den nächsten Gulag vor.

Die geistesgestörte Fratze der  „westdeutschen Linken“ schließt natürlich mit ein, dass auch unter den „neuen Rechten“ dialektisches Denken nicht gerade ein Modethema ist. Hegel wurde von „rechts“ oder „links“ immer nur instrumentalisiert, aber er wurde nicht gedacht.

So ist Hegel nicht irgendein theoretischer Schwulst. Ganz praktisch zu erkennen ist Hegel in den Ingenieurswissenschaften.

Ein guter Ingenieur konstruiert nicht gegen die Natur sondern mit der Natur. Ein guter Ingenieur sagt oft: „Was uns an dieser Stelle stört, kann uns an anderer Stelle nützlich sein.“ Der Ingenieur hegelianisiert sein Handeln in dem berühmten Sowohl-schlecht-als-auch-gut. Er denkt: Eigentlich sind Fliehkräfte bei einer Maschine schlecht und störend. Aber wenn ich die Fliehkräfte, die mich normalerweise stören, selbst zur Regulierung benutze, dann erfinde ich den Fliehkraftregler. Der wandelt das Störende, die Fliehkraft, in etwas Gutes und Gewolltes um. Die Fliehkraft sorgt jetzt selbst dafür, dass die Maschine nicht mehr flieht oder auseinander fliegt. Das ist angewandte Dialektik. Ein anderes Beispiel ist der Quantencomputer. Was uns an einer Stelle bei der Miniaturisierung stört, zum Beispiel der Tunneleffekt, kann uns an anderer Stelle nützlich sein, zum Beispiel als Quantencomputer. Hegel steckt ganz direkt in der Technik. Jeder gute Ingenieur ist Hegelianer.

Wow. Die Philosophie kann ja plötzlich doch Autos reparieren.

Zu den großen Merkwürdigkeiten unserer Zeit gehören große Aufmacher in Wochenzeitungen und Tageszeitungen, die Hegel ganz groß feiern und zum Geburtstag gratulieren. Aber die Agenda im redaktionellen Alltag dieser Zeitungen lautet bewusst oder unbewusst Volksverdummung und Volksverblödung. 

Als Entschuldigung könnte man anführen, dass Zeitungen kein philosophisches Geschäft betreiben. Philosophie ist nicht ihr Kerngeschäft. Sie bringen „News“ oder „Storys“ aus dem Tagesgeschehen, bestenfalls mit kommentierenden Einrahmungen. Ein anderer Grund ist sicherlich, dass in der BRD seit ungefähr 50 Jahren die Geisteswissenschaft und der Intellektuelle an sich tot sind. Sie ist deshalb tot, weil Geisteswissenschaft in Deutschland seit 50 Jahren ihre Aufgabe verfehlt. Geisteswissenschaft befasst sich weder mit Kunst, noch mit Literatur oder Naturwissenschaft, sondern Geisteswissenschaft befasst sich, wie der Name schon sagt, mit dem Geist und dem ihm zugehörigen guten alten Wahrheitsbegriff, in dem die Kunst ebenso wie Technik und Naturwissenschaft eingeschlossen sind. Dabei eignet sich ausgerechnet Hegel sehr gut für eine redaktionelle Einbindung in die Alltagspraxis. Gerade in einer technologischen Welt, in der „News“ sich mehr oder weniger auf 5 Kategorien verteilen.

1. Irgendwo sind wieder irgendwelche Bomben explodiert.

2. Das Klima ist bedroht.

3. Politiker haben irgendwas beschlossen.

4. Irgendwo gefährdet irgendjemand  den Frieden und die Demokratie.

5. Börse, Technik, Geld…

Hegel zu Kategorie 1:

Ammoniumnitrat ist Stickstoffchemie und eine dialektische Chemikalie. Einerseits dient es als Düngemittel der intensivierten Nahrungsmittelerzeugung. Andererseits beruht die Handhabung und die Verwendung vieler Sprengstoffe auf eben dieser Stickstoffchemie. Das Wort „Bevölkerungsexplosion“ bekommt eine hegelianische Note. Der Mensch hat die Freiheit, sich zu entscheiden, was er mit seinen Erfindungen tut.  Dialektisches Denken ist Freiheitsphilosophie und trägt zum Verständnis bei, wie die menschliche Freiheit in Naturzusammenhänge eingebunden ist. Freiheit beruht auf Bindung. Und menschliche Freiheit beruht auf der Arbeit an Wissen, Fragen und Bewusstsein. Erst das, was ich mir bewusst gemacht habe, stellt mich in die Freiheit der Entscheidung.

Unbewusstes muss durchlitten werden. Erst das bewusst gemachte wird gelebt.

Hegel zu Kategorie 2:

Das Klimaproblem betrifft Hegel besonders. Es fragt nach dem Verhältnis von Jahrmillionen und dem begrenzten Horizont von Karrieren, Legislaturperioden und Tagesaufgeregtheiten. So viel ist sicher: Die Erde wird den Menschen überleben und wegstecken wie eine kurze Fieberepisode. Mit Hegel muss man nach den Illusionen fragen: Wer ernsthaft glaubt, durch Elektromobilität oder C02-Reduktion irgendein Problem zu lösen, lügt sich was in die Tasche. C02- Debatten sind Pseudodebatten. Wer heute glaubt, dass C02 unser Problem ist, der glaubt auch an den Weihnachtsmann. Die Menschheit hat kein C02-Problem, sondern ein Dummheitsproblem. Nicht C02 muss eingespart werden, nicht auf Fleisch muss verzichtet werden. Eingespart werden muss die Dummheit. Verzichtet werden muss auf den Stumpfsinn. Die öffentlichen Diskurse stehen vor dem Spiegel und drücken oberflächliche Pickel aus. Mal ist es der Klimapickel, dann der Coronapickel, dann wieder der Nazipickel. Die Abwesenheit eines allgemeingültigen Wahrheitsbegriffs in den Geisteswissenschaften lässt in die Leerstelle das CO2 einströmen, den „Nazi“ oder das „Coronavirus“. Hat man an einem Pickel herumgedrückt, zeigt sich bald schon wieder auf der Oberlippe oder neben der Nase wieder irgendein neuer Pickel. Man doktert an öberflächlichen Sympthomen herum, aber man erweitert nicht das Bewusstsein. Wer sich heute wirklich informieren will, meidet die Medien und liest dafür lieber Flusser, Lem, Bateson, Eliade, die guten Physiker und die deutschen Philosophen.

Hegel zu Kategorie 3: Siehe Kategorie 1 und 2

Hegel zu Kategorie 4: Das Reaktionäre, das Konservative,  das Nationalistische ist heute die große Angstfigur. Karl Raymund Popper hat die „offene Gesellschaft“ ausdrücklich gegen Hegels geschichtsphilosophischen Determinismus proklamiert. Was den schlechten Erfahrungen des zwanzigsten Jahrhundert geschuldet war.

Nur behält Hegel eben trotzdem Recht.
Die „offene Gesellschaft“ ist das Ergebnis von Erfahrungen und damit wiederum eine „Folge“ der  Geschichte. Es gibt keine Gesellschaftsidee, die nicht historisch  determiniert ist. Der Mensch macht schlechte Erfahrungen und lernt daraus. Das gilt für den griechisch geprägten Parlamentarismus ebenso wie für den Stalinismus. Das mitteleuropäische Abendland hat die besten und zugleich die schlimmsten Erfahrungen gemacht. Dieses Europa  könnte heute die Würde und die Autorität einer grauhaarigen Greisin ausstrahlen. Stattdessen entwürdigt man die Greisin Europa, zieht ihr grüne Mädchenkleidung an, setzt ihr einen Fahrradhelm auf und schubst sie auf einem Elektrofahrrad einen Abhang hinunter.

Trotzdem soll und darf man Karl Raymund Popper natürlich ehren und gelten lassen. Man kann unterscheiden zwischen einer primitiv offenen Gesellschaft und einer intelligent offenen Gesellschaft.

Die primitiv offene Gesellschaft lebt ohne Gedächtnis. Sie hält etwas für fortschrittlich, nur weil es „bunt“ oder „vielfältig“ ist. Die intelligent offene Gesellschaft lebt im Gedächnis ihres Gewordenseins. Sie verteidigt nicht nur die Offenheit nach vorn sondern auch die historische Offenheit nach hinten.

Die „offene Gesellschaft“ im primitiven Sinne verstanden führt dagegen zur Ausbildung von lauter kleinen Mikrogesellschaften, Parallelgesellschaften und Mikrogrenzen zwischen geschlossenen Favelas, Ghettos, gatet communitys, mind bubbles, Käseglocken, sowie neuen Klöstern und Katakomben der „Wahrheit“.

Die primitiv offene Gesellschaft erreicht genau das Gegenteil von dem, was sie vorgibt zu sein. Sie zerfällt in lauter geschlossene Parallelgesellschaften, sie verliert an Geist, verstumpft und verödet zu einer Ansammlung von Existenzkiosken und partikularisierten Büdchen in einer versteppten, geistlosen und wüsten Gegend. Die Klöster der Wahrheit sind dann am Ende die schwarzen Microchips auf der Computerplatine, zu denen nur noch der Technopriester zutritt hat und sonst niemand.

Ammoniumnitrat lässt derweile die Bevölkerungen explodieren.

Es wird so getan, als gäbe es eine Gleichberechtigung der Kulturen. Nach den Erfahrungen von Auschwitz, Atombombe, Relativitätstheorie, Stickstoffsynthese und Quantenphysik gibt es aber keine Gleichberechtigung der Kulturen mehr. Die Greisin Europa ist nicht gleichberechtigt, sondern prima inter pares, die alte und erfahrene Dame, der man zuhört. Mitteleuropa ist der Gipfel, der Nervenknoten und nach Auschwitz der Abgrund menschlicher Geschichte. Die Greisin Europa als Gedächtnis der Welt kann von anderen Kulturen nichts mehr lernen, das sie selbst nicht bereits durchlebt hat. Dreissigjährige Kriege, hundertjährige Kriege, Industrialisierung und Kritik an der Industriealisierung, Faschismus, Antifaschismus, Stalinismus, Holocaust, Atombombe, Kritik und Selbstkritik, Gesellschaft und Gesellschaftskritik, Aufklärung und Aufklärungskritik, Religion und Religionskritik, Revolutionen und Konterrevolutionen, Scheiße und Gegenscheiße… wer heute behauptet, es gäbe eine „offene Gesellschaft“ im nichthegelianischen Sinne, lügt sich was in die Tasche und arbeitet bewusst an der Zerstörung von Gedächtnis und europäischer Kultur.  Die „Feinde“ der offenen Gesellschaft sind nicht die Konservativen. Die  „Feinde der offenen Gesellschaft“ sind die Mentalitäten, die so tun, als sei Karl Raymund Popper ahistorisch vom Himmel gefallen ohne Bindung an historische Erfahrungen. Popper könnte eine Erfindung Hegels sein, aber Hegel ist keine Erfindung Poppers.

Hegel zu Kategorie 5:

Vieles, was im Internet oder auch in den Medien zum Thema Geld, Technik und Börse erzählt wird, ist entweder hysterisch oder Gelehrsamkeitsschwachsinn. Geld ist Tausch. Und Tausch ist Stoffwechsel. So wie atmen, essen und trinken. Der Kapitalismus bildet den Stoffwechsel ab im Tausch von Angebot und Nachfrage oder Leistung und Geld oder Input und output oder Ware und Wert.

Aber was genau ist wertvoll? Wie wertvoll ist der Wert? Was etwas „wert“ ist, bleibt volatil.

Für einen Organismus ist Fließendes besser als Gestocktes und Gestautes. So ist für eine Gesellschaft fließendes Geld besser als gehortetes oder angehäuftes Geld, das nicht bewegt wird, nicht in den Tauschprozess integriert wird. Trotzdem braucht der Organismus auch Reserven für schlechte Zeiten. Ein gewisses Maß an angehäuften Reserven ist natürlich.

„Elitenkritik“ ist Kritik des Körpers gegen ein Fehlverhalten des Gehirns. Ein Mensch, in dem der Geist nicht auf die Signale des Körpers achtet, gefährdet seine Gesundheit. Das gilt auch für Gesellschaften.

Der „Intellektuelle“ verfehlt seine Aufgabe, wenn er glaubt, seine Kompetenz sei schon bewiesen mit Harvard-Zertifikaten, Oxford-Abschlüssen, dem vorbildlichen Gendering, Antidiskriminierungsprogrammen oder dem Tragen von Titeln wie „Fellow in Research“ oder „Assistent Advisor“, dem Benutzen von besonders bescheuerten Worten wie „advance studies“ oder albernen philosophischen Veröffentlichungen mit Eindruck schindenden Titeln wie „Akzellerationismus“ oder „Miamifikation“ usw…usw…

Verrottungssympthome einer völlig verrotteten Geisteswissenschaft.

Die „Kritik am Kapitalismus“ bleibt einseitig, wenn immer nur nach dem Fließen oder Nichtfließen des Geldes gefragt wird. Hegel würde nach dem Fließen des Geistes fragen. Kapitalismus ist nicht böse, weil er an Geld oder „am goldenen Kalb“ oder materiellen Dingen als Privatbesitz orientiert ist. Zum Problem wird der Kapitalismus erst dann, wenn der Besitz von Gehirn und Geist ungenutzt oder unterbewertet bleibt oder wenn der Privatbesitz von Geist und Denken nicht ebenso gepflegt oder in den dialogischen Tauschhandel integriert wird. Dieser Tausch ist ins Stocken geraten. Wenn dem Fließen des Geldes kein flüssiger Geist parallel läuft, wird der Gesellschaftskörper krank.

In den Medien wird viel geredet aber nichts mehr gesagt.
Das Sagen fließt elektronisch stumm in der Technik am Menschen vorbei.

Die Elektronen sagen. Die Medien reden.

Die Frage nach der Wahrheit des Seyns, die eigentlich dialogisch vom Menschen gelöst werden müsste, wird an die Automatismen der Technik deligiert.

Die Technik wird immer schärfer, während der Mensch immer mehr verschwimmt. Die Elektronen werden immer wahrer, während der Mensch immer unwahrer wird. Die Wahrheit wird den Elektronen überlassen oder den Geheimdiensten. Wir glauben an verschiedene Götter, aber alle benutzen das selbe Klopapier und die selben Handys. „Vielfalt“ und „Buntheit“ heißen die neuen großen Lügenworte unserer Zeit.

Man redet von der „Integration fremder Kulturen“

Das Einzige, was unsere Gesellschaft wirklich integrieren kann, sind Elektronen.

Es wird immer davon gesprochen, dass der Mensch sich an der Natur  verschuldet. Die Gattung lebt angeblich über ihre Verhältnisse. Hegel würde beides verneinen. Er würde sage: Die menschliche Gattung lebt nicht über, sondern unter ihren Verhältnissen und damit unter ihren Möglichkeiten. Die Verschuldung besteht nicht in materieller Verschwendung. Sie besteht darin, dass die Gattung den Reichtum und die Möglichkeiten nicht nutzt, der ihr vor die Füße gelegt wurde.
Wer sich heute darüber mokiert, dass die Forschung an der Kernfusion angeblich „Milliarden verschlingt“  – der ist – wie man auf berlinisch sagt – nicht mehr ganz knusper in der Birne.

Als Nachkriegsdeutscher ist man in den letzten 50 Jahren immer mal wieder mit der Frage konfrontiert worden, ob der Nationalsozialismus durch das Mitläufertum der „Vielen“ oder durch die Überzeugungstäterschaft der „Wenigen“ ermöglicht wurde.

Das Selbe gilt für den Stalinismus.

Jede Epoche macht dem Menschen ihr eigenes Angebot der Wahl. Dieses Angebot wiederholt sich niemals eins zu eins mit dem Angebot in früheren Epochen. Der Mensch kann sich entscheiden: Lebensbequemer Mitläufer sein oder selbstständiger Denker. Die „deutsche Linke“ glaubt heute, sie käme nach ihrem Tod ins moralische Paradies, wenn sie mit dem Zeigefinger auf „die Rechten“ zeigt. Sie glaubt, in ihrem nachholenden und staatssubventionierten „Wiederstand gegen Rechts“ den versäumten „Widerstand von 1933“ nachholen zu können. Sie glaubt, der europäischen Lebensaufgabe ist genüge getan, wenn man Heidegger als Nazi in den Orkus verbannt oder wenn man plötzlich Luther oder Emanuel Kant oder wen auch immer als Rassisten identifiziert und durch das Umbenennen von Straßennamen Geschichte und Gedächtnis ausradiert. Sie glaubt, ein besonderes und moralisch einwandfreies Leben zu führen, wenn man mit dem Finger auf Nationalismus oder Konservatismus zeigt. Die „deutsche Linke“ glaubt, dass die Zukunft vom „C02“ bedroht wird oder von dem nächsten Hitler.

In 50 Jahren wird sich auch diese bequeme nichtdenkende Haltung als genau das große Mitläufertum  ihrer Epoche darstellen, wie sich heute das Mitläufertum der breiten Masse in Zeiten des Nationalsozialismus darstellt.

Aber die Geschichte wiederholt sich niemals eins zu eins.

Keine Frage, irgendein nächster Hitler steht immer vor der Tür. Aber er kommt durch ganz andere Türen und sieht immer völlig anders aus als der vorherige.

Jede Epoche hält für den Menschen ihr eigenes und neues Angebot bereit, sich zu entscheiden für das Fließen des Geistes und das Gedächtnis oder dagegen.

Hegels Geburtstag und die niedergebrannte Notre Dame erinnern daran.

Sprache und Musik

Vilém Flusser hatte einmal eine ziemlich komische Bemerkung gemacht. Er berichtet davon, wie der portugiesisch schreibende Intellektuelle in seiner Muttersprache die Vokalität und die Prosodie eher unterdrücken muss. Sein Text würde sonst nicht ernst genommen werden. Das Portugiesische sei von Natur aus derartig melodiös und musikalisch, dass ein Aufsatz auch über ernstere Themen wie ein süßlich niedliches Kinderlied wirke, wenn der Schreiber nicht entmusikalisierend eingreife. Man stelle sich einen portugiesischen Schreiber vor, der seinen Text absichtlich entmusikalisiert, um ernst genommen zu werden.

Dagegen die deutsche Sprache, die von Natur aus unmusikalisch ist, fordere den Schreibenden auf, ständig an der Musikalität seines Textes zu feilen. Prosodie, Rhythmik und Kadenzen gelten im Deutschen als Ausweis für hochentwickeltes Sprachvermögen und eine fein ausgebildete Intellektualität.

Daraus ergibt sich im Deutschen der typische Bruch zwischen Stil und Kultur. Was in der deutschen Sprache äußerlich musikalische Eleganz  behauptet, verliert zumeist an Kultur. Halbschläue, müde Paraphrasen oder sogar völlige gedankliche Leere können in der deutschen Sprache auf hohem musikalischen Ton daherkommen.  Adorno ist hierbei der Hauptschalter gewesen. Gerade Adorno, der selbst am Stärksten gegen den Kitsch polemisiert hat, war selbst der allergrößte Kitschproduzent des Denkens. Ihm folgte ein große Masse an  BRD-Suhrkamp-Intellektualität als  hochtönende Leere. Edelkitsch oder Paraphrasen dominieren die Diskurse.

Der Hang des deutschen Intellektuellen zum sprachlichen Edelkitsch hat über die Jahrhunderte dazu geführt, dass die genuin deutschen und wirklich erstklassigen Philosophen gerade von ihren eigenen Landsleuten nicht gelesen wurden. Der Kitschproduzent Nietzsche gegen den Philosophen Jakob Böhme. Der Kitschlyriker Goethe gegen den Dichter Adam Müller.

Es dauert eine Weile, bis man verstanden hat, wie Musik und Sprache tatsächlich zusammenklingen. Der kosmologisch musikalische Zusammenklang ergibt sich weder aus dem Hüpfen von Vokalen, dem Singen von Kadenzen noch aus einem Satzrhythmus. Die musikalische Stimmigkeit eines guten Textes hat etwas mit der Stimmigkeit eines Motivs oder eines Gedankens zu tun.

Dabei muss ein Motiv garnicht „richtig“ sein im Sinne der konventionellen Logik. Ein Motiv ist dann „stimmig“  wenn es sich einschmiegt in die strömende Semantik einer sprachlichen Überlieferung.

Auch hier eignet sich der Vergleich mit einem Segelflug. Ein Drachenflieger oder ein Gleitschirmflieger fliegt nicht selbst. Er lässt sich fallen und schmiegt sich ein in eine Strömung, die nicht von ihm kommt. Er lässt sich treiben und steuert bestenfalls durch Gewichtsverlagerungen Aufwinde und Gefälle an, die ebenfalls nicht von ihm kommen. Also schmiegt er sich ein in überindividuelle Wa(h)r heiten und in die tragenden Winde und Luftschichten der Überlieferung.

Das unterscheidet ihn ganz grundsätzlich von einem Ikarus. Ich vermute, dass die Ikarusgeschichte eigentlich einen falschen Hermes darstellt. Die Ikarusgeschichte berichtet vom „Aufflattern“. Ikarus flattert und schlägt mit den Flügeln. Und deshalb stürzt er auch ab.

Hermes gleitet und lässt sich fallen.

Adam Müller sagt: Die Idee ist frei. Sie ist keineswegs an Individualität gebunden. Ein guter Segler  geht „in Resonanz“ mit dem Wetter. Das macht seinen Flug musikalisch.

Genau so agiert auch die Musikalität eines Textes. Resonanz meint Resonieren. Es ist nicht die Sprache, die klingt. Es ist ein Motiv, das trägt. Dann „stimmt“ es auch.

Der Seegler im Flug verzichtet auf Individualität und Persönlichkeit, oder besser gesagt: Er lässt sein Ich fallen. Indem er sein Ich fallen lässt in die überliefernden Luftströmungen bekommt der Flug Resonanz und  „Stimmigkeit“ also Wa(h)rheit geschenkt. Es ist nicht der Segler, der fliegt, es ist die Strömung, die trägt.

Die „Hermetik“ von Texten oder Kunstwerken, abgeleitet von Hermes, meint gerade nicht Abriegelung des Textes gegen Verständlichkeit.

„Hermetik“ meint  engen oder dichten Kontakt mit dem Wetter und den tragenden Luftschichten. Fliegen ohne Spalt. Gleiten ohne Klappern. Die Luftströmung liegt „dicht“ am Flügel an.

Natürlich gehört es lange schon zum guten Ton, zum floskelhaften Versatz vieler Autoren, darauf hinzuweisen, dass ein reines Ich selbstverständlich nicht existiert. Aber diese Verlautbarungen bleiben Lippenbekenntnisse, wenn sie in der sprachlichen Praxis keinen Widerhall finden.

Deshalb ist es schon ziemlich verrückt und beinahe auf unheimliche Weise stimmig, dass Schreibgeräte lange Zeit aus Vogelfedern gearbeitet waren.

Zugegeben sind das keine superneuen Erkenntnisse. Sie sind nicht originell. Eher original. Im Sinne Kleists berühren sie das Thema Grazie. Aber die totale Verstelltheit des deutschen  Literaturbetriebs mit den hinkenden  Ich-Stummeln subjektivistischer Künstlerflöten, die mit Ihrem Ich-Tum jegliche musikalische Resonanz verhindern und damit ihrem Segelinstrument die Gleitfähigkeit nehmen, macht die Erinnerung an das, was wahre Musikalität und Hermetik eigentlich meint, heute wieder so wichtig.

Harald Leschs Fragezeichen

Die Frage nach dem Wesen von künstlicher Intelligenz beschäftigt heute deshalb so stark, weil die Frage nach der natürlichen Intelligenz und ihrer Definition immernoch in der Luft hängt. Ebenso bleibt die Kontaktaufnahme mit außerirdischer Intelligenz solange fraglich, wie die irdische Intelligenz für sich noch keine überzeugende Figur gefunden hat. Fest steht: Mit Tests, Mustererkennung, Algorithmen oder dem Bewältigen von Aufgaben hat die Intelligenz, die hier in Frage steht, nichts zu tun.
Harald Lesch wirkt immer irgendwie unvollständig bis verpfuscht. Einerseits finde ich ihn gut, wenn er Astrophysik erklärt.
Hier kann er ein guter Wissenschaftserklärer sein und auch ein kompetenter Physiker, aber philosophisch überzeugt er nicht. Selbst unter der Prämisse, dass ein Hochschullehrer nicht selber denken müsse, vielmehr nur zum Denken anrege, wirken seine Ausführungen nicht so, als würde er heimlich oder im Stillen selber denken.
Er bindet Philosophen oder philosophische Zitate in seine Vorträge ein, so dass der Zuschauer das Gefühl bekommt, Harald Lesch würde denken.
Das ist aber nicht der Fall. Die philosophischen Zitate sind bei ihm eher Pflichtübungen oder Partygeräusche, eine Art Cogito interruptus, der das Denken an einer Stelle für beendet erklärt, wo es eigentlich erst beginnen müsste.

Bei dem Beispiel mit Ann Perrish unterschlägt er, dass es sich letztlich um eine Kreisbewegung handelt. Das Buch kommt der Frau – in der Zukunft – aus der eigenen Vergangenheit wieder entgegen. Frau und Buch haben lediglich eine Zeitraum-Schleife gedreht.

Die Sache mit dem Buch wirkt nur besonders spektakulär, wegen der Entfernung und der langen Zeit, aber trotzdem ist das nichts Besonderes. Das geschieht ständig.

In dem Toastbrot am Morgen könnte sich das Getreide-Korn wiederfinden, dass ich vor einem halben Jahr bei einem Spaziergang auf einem Feldweg mit dem Hosenbein gestreift habe. Nichts besonderes also.

Die Sektflasche, die „am Morgen“ auf dem Frühstückstisch steht, hat „gestern Abend“ auch schon dort gestanden. Sie kommt also aus dem Abend der Vergangenheit in der Zukunft des Morgen auf mich zu.

Der Wissenschaftler, der morgens in sein Quantenlabor geht. Geht er in die Zukunft des Labors oder geht er in die Vergangenheit des Labors von gestern abend?

Der Weg zum Seyn hin ist immer schon der Weg vom Seyn her. (Heidegger) Daran erkennt man, dass der Begriff „Zufall“ ganz grundsätzlich fragwürdig bleibt.

Sogar dort, wo er sich als „echter Zufall“ der Unschärferelation darstellt. Die Behauptung der Wissenschaft, dass der Quantenzufall ein „echter Zufall“ ist, bleibt eine Trivialität, die sich nur selbstbezüglich oder tautologisch am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen will.
So, wie eine Katze, die man als Katze beweist, weil sie doch Katze heißt.

Das „Quantum“ ist genau so zufällig wie jeder Mensch „zufällig“ seine „Eigenartigkeit“ hat oder eben nicht. Oder man müsste über die Definition von „Zufall“ schärfer sprechen. Dass etwas „nicht vorhergesagt“ werden kann, bedeutet noch lange nicht, dass etwas „ohne Grund oder ohne Ursache“ geschieht.

Denn „Ursache“ des Quantenzufalls bleibt ja das Universum. Wenn das keine klare Ursache und kein klarer Grund ist, was dann?

Andererseits: Wenn man „Zufall“ als ein Ereignis definiert, das immer genau zum ersten und zum letzten Mal geschieht und nicht reproduziert werden kann, nicht wiederholt werden kann, dann ist absolut jeder Vorgang und jedes Ereignis im Universum „zufällig“, weil das Universum in der nächsten Sekunde nie wieder so sein wird wie vor einer Sekunde. 

Streng genommen ist dann überhaupt garnichts in irgendeiner Weise reproduzierbar, und damit also ist alles zufällig.

Die Behauptung des „Quantenzufalls“ ist ein Vehikel, das eine andere und viel wichtigere Frage verdeckt:

Ist der Mathematiker oder der Physiker selbst ein Be-Teil-igter des Universums oder ist er es nicht? Harald Lesch erklärt vorbildlich, wie die heutige Wissenschaft die Unschärferelation als objektives Naturgesetz betrachtet. Ausdrücklich weist er darauf hin, dass die Unschärfe gerade nichts mit einem Messproblem zu tun hat, wie es Heisenberg zu seiner Zeit noch formulierte, nein, die Unschärfe wird heute als objektive Naturtatsache betrachtet.

Das Problem an dieser Sichtweise ist, dass sie nur funktioniert, wenn der Wissenschaftler selbst als außerhalb der Dynamik des Universums stehend betrachtet wird.

Dass der Wissenschaftler selbst außerhalb des Universums steht, darf nach Maßgabe des gesunden Menschenverstandes jedoch angezweifelt werden. Ein Mathematiker muss essen und trinken, ein Computer braucht eine Steckdose.

Um die „Unschärfe“-Relation wird immer ein Zirkus veranstaltet,
als sei sie irgendeine ganz schwierige Zauberei der Natur oder eine Störung des gesunden Menschenverstandes. Dabei ist schon jeder Prozess der Beobachtung kosmologisch unscharf.

An welchem Ort hält sich eine Beobachtung auf? Welchen Impuls hat ein Gedanke? Ist der „Ort“ einer Beobachtung die Welt oder „der Wissenschaftler“?  Wo genau hält sich eine Idee auf? Findet sie sich in der Welt oder im Wissenschaftler?

Die Unschärferelation ist ein Scheinparadox, das dafür benutzt wird, den klar denkenden und klar fragenden Menschen von den wichtigen Fragen abzulenken.

Interessant ist das Wort „Unschärferelation“ tatsächlich als Wortspiel.

Sie wird manchmal auch „Unbestimmtheitsrelation“ genannt.

Während man früher in der Sprache manchmal von einem „scharfen“ Denken gesprochen hat, das Trennungen und Unterschiede wahrnahm aber auch erzeugte, muss man seit der Quantenphysik mit Unschärfen operieren. 

Was Harald Lesch nicht erklärt: Wieso kann der Geist zwischen Schärfe und Unschärfe unterscheiden?

Gerade mit der „Schärfe“ des Geistes trat einmal die Kunst der Kritik in die Welt. Kritik/Kritein meinte wörtlich „Trennungsvermögen“, das logischerweise immer auch ein Zusammenhangsvermögen meint. Denn das Kritisierte muss sich dem Kritiker ja irgendwie mit_teilen (Analyse-Synthese)

Un“Schärfe“relation.

Da bald  der Quantencomputer als Technologie ins Haus steht, muss man sich wohl oder übel mit John Wheelers Frage befassen.

Die Funktion des Quantencomputers beruht auf der Unschärferelation.

Die wird manchmal auch Unbestimmtheitsrelation (ohne Stimme?) genannt.

Die Naturwissenschaft behandelt die Unschärfe heute als „objektiven“ Sachverhalt der Natur. Während Heisenberg und Co in den Anfängen noch einem philosophischen Impuls folgten und durchaus  darauf hingewiesen haben, dass die Unschärfe eventuell etwas mit dem teil*nehmenden* Wissenschaftler zu tun hat, der als Forscher teil*nimmt* als Teilch*nehmer* der Natur. Der Wissenschaftler *nimmt* Teil und erhält die Gabe seines Er*Gebnis*

Harald Lesch erklärt also durchaus richtig, dass der Naturwissenschaftler Fragen stellt.

„Wieso halten Atomkerne zusammen?

Folgt man Harald Lesch, wäre die Physik eine Art Prügelpapst der Natur.

Nach Raymond Queneau….

Neulich in der Buslinie wurde ich Augenzeuge einer Kernfusion. Zwei Wasserstoffkerne, die sich normalerweise stark abstoßen, gerieten über eine Rempelei in eine Nähe, die zu einer Prügelei führte. In der Prügelei verschmolzen beide Kerne zu einem prügelnden  Heliumkern. Dabei wurde Energie frei. Fluchen, Pöbeln und Bewegungsabwärme, sowie etwas Nasenbluten bei beiden Kernen. Die Prügelei dauerte etwa 20 Sekunden, danach hatte der gemeinsame Prügelkern weniger Bindungsenergie als die beiden Kerne vor der Verschmelzung. Denn die Prügelei hatte Kalorien verbraucht, Energie abgestrahlt und zu einem gewissen Blutverlust geführt. Die Prügelfusion hatte die Innentemperatur des Busses um ca 0.003 Grad Celsius erwärmt. Die bosonischen Teilchen, die den Fermionen mitteilen, welche Kräfte gerade auf sie wirken, waren die vier Fäuste, die beide Partner sowohl gegeneinander als auch miteinander austauschten. Die blanke Physik.

Später habe ich mir die Frage gestellt, ob die Tatsache, das beide Prügelpartner nach dieser Angelegenheit wieder getrennter Wege gegangen sind mit einer Kernspaltung vergleichbar wäre. Denn tatsächlich bedurfte es einer gewissen Energie eines Dritten, der eingegriffen hatte, um den prügelnden Kern wieder zu schlichten. Auch bei der Spaltung des Prügelkerns wurde Energie frei, denn der Schlichter hatte sich beim Versuch des Schlichtens leider selber den Arm gebrochen. Sein Arm war in zwei neue Teilchen gebrochen, was mich wiederum an den radioaktiven Zerfall erinnerte

….

Zu den großen Fragen der Unschärferelation gehört die Frage,

ob das Fragen

selbst unscharf ist.

Besonders komisch ist außerdem: Von einem Quantencomputer erwarten wir scharfe Lösungen und scharfe Antworten auf bestimmte Fragen und Probleme. Mit einem Computer, der uns unscharfe oder unbestimmte Antworten gibt, könnten wir nichts anfangen.

Während uns die Natur auf einer fundamentalen Ebene unscharfe oder unbestimmte Antworten gibt, scheinen die Fragen, die wir an die Natur stellen, immer scharf zu sein und sehr bestimmt.

Denn die Unschärferelation konnte ja nur deshalb entdeckt werden,

weil die Fragen der Wissenschaftler  scharf sind und bestimmt.

Warum verhält sich das Strahlungsspekrum eines schwarzen Körpers genau so und nicht anders?

Wieso halten Atomkerne zusammen?

Sind bestimmte und scharfe Fragen an die Natur.

Kants Aufforderung zum Selberdenken wird oftmals mißverstanden.

Das Selberdenken meint nicht: Denke ganz anders als alle Anderen.

Oder: Denke ganz subjektiv wie du willst einfach so vor dich hin.

Die Aufforderung zum Selberdenken meint: Vollziehe das Denken in dir selbst. Begebe dich selbst in das Vollziehen des Denkens.

Es ist die Aufforderung, aus der passiven Konsumentenhaltung gegenüber dem Fernsehen und den Medien und dem allermeisten Bücherschrott in die aktive und selbst vollziehende Aktion des Denkens zu springen. Nur hier und nur so erreicht man das „Fahren“ oder die „Fähe“ der eigenen selbst erfahrenen  Denkens. Und nur so kann man überprüfen, was „stimmt“ und was „nicht stimmt“.

Komisch, die Unbestimmtheitsrelation hat offenbar eine Stimmigkeit.

Kuriose Weise wird die Unschärferelation manchmal auch Unbestimmtheitsrelation genannt.

Harald Lesch aber bedarf einer „Stimme“, um die „Unbestimmtheitsrelation“ zu erklären. Wer „bestimmt“ die „Unbestimmtheit“?

 

Problematisch an Harald Leschs Sendungen ist die rein passive Konsumentenhaltung, die sie beim Zuschauer erzeugen. So nach dem Motto: Es genügt, wenn Harald Lesch für mich denkt, dann brauche ich es nicht selber tun. Mein Problem mit Harald Lesch ist nicht, dass er die Physik erklärt. Mein Problem ist, dass er Philosophen beimengt und damit  den Anschein erweckt, er würde die Physik philosophisch erklären. Sogar Heideggers „Seyn“ mischt er hinein, so dass jeder glaubt, damit sei Heidegger Genüge getan. Aber das ist alles Quatsch. Harald Lesch hat Heidegger überhaupt nicht auf dem Schirm.

Denn: Der Physiker oder der Wissenschaftler stellt keine „zufälligen“ Fragen an die Natur.

Wie unscharf ist das Fragen?

„Wo genau hält sich das Elektron auf?“ – ist eine scharfe Frage.

Oder: „Wieso verhält sich die Linie eines Strahlungsspekrums genau so und nicht anders“ ist eine scharfe Frage.

Die Unschärferelation wäre nicht entdeckt worden, wenn Wissenschaftler nicht besonders scharfe Fragen gestellt hätten.

Gibt es eigentlich auch die Unschärfrerelation der Frage?

Lange Zeit war man der Frage nachgegangen, wie man „Intelligenz“ definieren könnte. Wichtig geworden war diese Frage auch deshalb, weil man in Zukunft Klarheit darüber haben wollte, wann genau man  sprechen könne von „künstlicher Intelligenz“

Die Frage erzeugt in ihrem Umfeld eine Art Komik, weil die Antwort schon in der Frage enthalten ist. Intelligenz ist die Fähigkeit, Fragen zu stellen. Künstliche Intelligenz in einer Maschine ist dann erreicht, wenn die Maschine keine Antworten mehr gibt, sondern neue Fragen stellt. Das ist natürlich lästig. Weil eine Maschine, die Fragen stellt, nichts produzieren kann. Doch in einer Welt, die Fragen als lästig empfindet, sind die Aussichten für künstliche Intelligenz nicht besonders rosig. Aus diesem einfachen Grund kann man bis heute wirklich alle Großrechner, Computer, Algorithmen,  auch wenn sie tausend Mal schneller und besser Schach spielen können als ein Mensch, von dem Begriff der Intelligenz ausschließen. Und aus diesem einfachen Grund hat auch das 21. Jahrhundert noch garnicht begonnen. Das 21.Jahrhundert wird erst dann beginnen, wenn die Maschine erfunden wurde, die Fragen stellt.  Eine solche Frage betrifft auch die Frage nach der Unbestimmtheit,   nach der berühmten Unschärferelation und nach dem sogenannten „Zufall“.

Die Komik oder das Paradox eines Quantencomputers zeigt sich darin, dass er in seinem Innern auf der Unschärferelation beruht, die man auch Unbestimmtheitheitsrelation nennt.

Gebaut wird der Quantencomputer aber von Menschen, die sich von ihm bestimmte Antworten erhoffen, (keine unbestimmten oder unscharfen Antworten).

Denn mit einem Computer, der unscharfe oder unbestimmte Antworten liefert, kann kein Mensch etwas anfangen.

Eine andere Komik der Quantentheorie erscheint, wo sie dazu verwendet werden kann, Datenübermittlung besonders abhörsicher zu machen.

Die Komik erscheint hier, weil die „Unbestimmtheitsrelation“ dazu benutzt wird, eine besonders sichere Sicherheit sehr bestimmt  abzusichern.

Umgekehrt kann man mit Hilfe des Quantencomputers, der auf der Unschärferelation beruht, in Zukunft beinahe jeden Verschlüsselungscode auf besonders scharfe und unmißverständliche Art entschlüsseln.

Die allgemeine Komik der Unschärfe oder der Unbestimmtheitsrelation zeigt sich darin, dass sie für besonders scharf bestimmte  Aufgaben verwendet wird, die ganz und garnicht unbestimmt erscheinen, sondern als Aufgabe scharf formuliert.

Die Unsicherheit des Quantenzufalls hat im Anwendungsfall nur den paradoxen Verkaufsschlager der Sicherheit und Nichtzufälligkeit im Angebot.

Der Effekt: Die Quantentheorie, deren Unschärfe und Zufälligkeit wir als naturgegeben interpretieren, führt in der Anwendung zu besonders scharfer Kontrolle, scharfem Einschluss und scharfer Überwachung durch den perfekten Computer und damit in eine Welt, in der nichts mehr dem „Zufall“ überlassen wird.

Die unscharf wabernde Offenheit von Quantenzuständen hat leider nur eine besonders scharfe Verschlüsselungstechnologie  im Schaufenster liegen.

Komisch ist außerdem: Die Tatsache, dass die Unschärfe überhaupt entdeckt wurde, verdankt sich einer sehr scharfen Frage an die Natur.

Eine gewisse Ähnlichkeit mit der Komik im Literaturbetrieb lässt sich nicht leugnen.

Die Lyrikerin bei der Gedichtelesung am Holztisch vor dem Wasserglas besteht darauf, dass ihre Lyrik  unscharf wabert im Hermetischen. Das Sprechen wabert im Ungefähren des Rauschens in der Tiefe des Geheimnisvollen. Jede unmittelbare Verständlichkeit weist der Lyriker weit von sich. Man müsse Gedichte irgendwie geheimnisvoll erspüren. Jede Forderung nach unmittelbarer Verständlichkeit sei doch total unkünstlerisch und nichthermetisch.

Nach Feierabend ist jedoch jeder Lyriker froh, wenn die Gebrauchsanweisung seines Smartphones oder seines Tablets unmißverständlich und scharf formuliert wurde, und er beschwert sich beim Hersteller, wenn dies nicht der Fall ist.

Zufall?

 

John Wheeler hatte einmal die Frage gestellt: Warum Quanten?

Vielleicht lässt sich diese Frage heute so beantworten: Mit der Einführung des Quantencomputers wird die Frage umgedreht. Warum Menschen? Das Warum in John Wheelers Frage verweist auf eine Drehung. Die einzige Souveränität des Menschen gegenüber der Maschine, ist die Fähigkeit, Fragen zu stellen. Verschwindet das Fragen, verschwindet der Mensch und es regiert die Maschine.

Verschwörungstheorie als Kunstwerk

Manchen Verschwörungstheoretikern wird vorgeworfen, dass Ihre Behauptungen unwissenschaftlich sind und keiner Nachprüfbarkeit stand halten. Eine solche interessant kursierende Verschwörungstheorie ist die Theorie von der flachen Erde.
Die Flacherdler behaupten, dass die Erde in Wirklichkeit doch keine Kugelform hat, sondern eine Scheibenform, und dass die offizielle Wissenschaft uns daran hindern möchte, diese einfache Scheibenerde zu erkennen.
Der Tageszeitungsredakteur irgendeines Käseblatts bekommt dann zumeist aufgeregt hektische Flecken im Gesicht, weil er sich darüber freut, jetzt endlich wieder zeternd und mit sich überschlagender intellektueller Kanone nachzuweisen, dass diese Verschwörungstheorie Quatsch ist und total doof und unwissenschaftlich und echt an den Haaren herbeigezogen, und wie lächerlich und saudumm oder sogar gefährlich und realitätsverweigernd all diese Verschwörungstheorien doch sind.

Wer heute sich ins intellektuelle Zeug wirft, Verschwörungstheorien faktisch inhaltlich oder wissenschaftlich widerlegen zu wollen, der ist höchstwahrscheinlich ein mentaler Juwel 72 – Raucher.

Die Aufgabe lautet indes anders: Man gewinnt viel mehr, wenn man die Aussagen von Verschwörungstheorien als Allegorie ernst nimmt.
Wenn man Verschwörungstheorien als allegorische Kunstwerke betrachtet, dann ist die flache Erde durchaus eine Allegorie, die von einer inneren Wahrheit erzählt. Sie berichtet von der einfachen Wahrheit, dass der normale Alltags-Mensch in seinem Alltag keine Kugel bewohnt, und dass die Vorstellung, wirklich und in echt auf einer Kugel zu leben für den normalen Menschen einfach nicht lebbar ist. Oder die Theorie berichtet davon, dass der Zustand unseres Denkens und der Welt sich immernoch so anfühlt, als sei die Erde flach, oder als glaubten wir an einer flache Erde.

Interessanter Weise ergibt sich daraus ein erweitertes Verständnis für den Ursprung der Allegorie. Die Allegorie ist ursprünglich ein Ausdruck für ein Innenweltproblem, das in der äußeren Welt nicht sichtbar ist. Die Allegorie verfälscht nichts, und sie verschleiert nichts absichtlich. Sie realisiert nur etwas als Ausdruck, das einem inneren Eindruck entspricht. Der allegorische Gehalt von Verschwörungstheorien ist das unbewusste Ergebnis einer Innen-Außendifferenz, die nur durch eine Allegorie sichtbar gemacht werden kann. Das ist ihr Ursprung. Insofern sind Verschwörungstheorien echte Kunstwerke und kein Kitsch.

Der Kitsch-Künstler dagegen, der Allegorien künstlich erzeugt, benutzt die Allegorie als Effekt. Der Kitschkünstler erfindet das allegorische Sprechen künstlich, um sich die Aura von Tiefe und Geheimnis zu geben. Eine echte Allegorie aber kann man nicht künstlich erfinden. Sie entsteht aus einem wahren Konflikt, einer wahren Innen-Außendifferenz von Wahrnehmung. Insofern ist der Verschwörungstheoretiker ein wahrer Künstler, während der Kitschkünstler, der von sich behauptet, er sei ein „Künstler“ nur ein Künstlerdarsteller ist. Interessant daraufhin zu untersuchen wäre auch die Theorie von der hohlen Erde, die es ja auch gibt.

Eine andere Verschwörungstheorie erzählt von Flugzeugen, deren Kondensstreifen keine Kondensstreifen sind, sondern verspritzte Chemikalien, die den Menschen in seiner Realitätswahrnehmung beeinflussen oder genetisch verändern sollen. Auch hier reibt sich der Redakteur eines aufgeklärten Käseblatts immer die Hände und geht als Klassenprimus zum intellektuellen Großangriff über: Nein, das stimmt ja garnicht!
Die Theorie von den Flugzeugen mit den Chemtrails ist total doof, ich weiß das. Das ist eine Verschwörungstheorie. Nichts ist heute peinlicher als der Kollumnist oder der Zeitungsredakteur, der heute mit aufklärerischem Aplomp gegen Verschwörungstheorien anschreibt, um nachzuweisen, wie unrichtig die doch sind.

Auf einer allegorischen Ebene stimmt die Theorie durchaus: Die Flugzeuge „da oben“ repräsentieren offensichtlich eine Welt, die einer in sich konsistenten Realität entspricht. Flugzeugen können fliegen, weil ihre Flügel für Auftrieb sorgen. Während wir hier unten, oder die Menschen „da unten“ uns immernoch darüber streiten, ob es eine einheitliche Realitätswahrnehmung gibt oder nicht.
Denn „hier unten“ wird mittlerweile permanent über Realitäten oder Realitätswahrnehmung gestritten, während „oben“ die Flugzeuge ganz offensichtlich in einer gemeinsamen und unzweifelhaft eindeutigen Realität eingebunden sind.

Ein anderes Argument gegen Verschwörungstheoretiker lautet: Sie würden in einer hochkomplexen Welt den Überblick verlieren und dementsprechend „mit einfachen Lösungen“ oder „einfachen Feindbildzuweisungen“ reagieren.
In einer hochkomplexen Welt nehme die Tendenz zu, wieder mal mit einfachen, also protofaschistischen Konzepten Schuldige zu suchen oder böse Mächte, die verantwortlich sind. Der Verschwörungstheoretiker neige dazu, in komplexen Sachlagen mit einfachen Zuweisungen Schuldige und böse Mächte zu konstruieren.

Dazu muss man aber sagen: Das Wort „Komplexität“ wird oft als Einschüchterungswort von Leuten benutzt, denen Komplexität zumeist auch egal ist oder die besonders inkompetent sind, was komplexe Prozesse angeht.

Das Wort „Komplexität“ fällt als Einschüchterungswort zumeist immer dann, wenn Fachleute oder Experten sich als Verwalter des Komplexen darstellen, von dem der Laie die Finger lassen sollte.
Dass die Welt komplex ist, ist so ein T-Shirt-Spruch, der immer stimmt, und es ist auch richtig, dass man eine Gehirn-OP nur von einem Experten durchführen lassen sollte. Nur heißt das nicht, dass man sich von einem Experten das Gehirn wegopperieren lassen muss. Außerdem kann man immer darauf hinweisen, dass der Weltzustand heute und viele Geschehnisse des 20igsten Jahrhunderts ja durchaus auf Experten zurückzuführen sind, die Ihr Fach studiert haben. Und wenn diese Aussage möglicherweise angezweifelt werden kann, dann deshalb, weil viele lebensbestimmende Entscheidungungen eben nicht komplex auf das Komplexe reagieren, sondern einfach.
Die „einfachen Lösungen oder die einfachen Feindbildzuweisungen“ haben die Verschwörungstheoretiker ja nicht erfunden. Sie kommen ja oft von der Politk selbst: Alle Atomkraftwerke abschalten – einfache Lösung. Alle Grenzen auf – – einfache Lösung. Alle Grenzen zu – einfache Lösung. Alle gehen in Quarantäne – einfache Lösung. Alle müssen geimpft werden – einfache Lösung. Krieg ja oder Krieg nein – einfache Lösung. Löhne rauf oder Löhne runter – einfache Lösung. Der Transistor in einem Rechner schaltet entweder 0 oder er schaltet 1 – einfache Lösung. Wer rechts von den CDU steht ist ein Nazi – einfache Lösung. Wer Fragen oder Zweifel zum menschengemachten Klimawandel hat – ist ein Klimaleugner – einfache Lösung. Wer als Deutscher mit deutscher Vergangenheit Hemmungen hat, Russland als Feind zu betrachten, ist ein Putinversteher – einfache Lösung. Wer Zweifel an der Multikulturalität hat – ist ein Ewiggestriger oder auch ein Nazi – einfache Lösung. Wer die Coronapolitik in Frage stellt, ist ein Wirrkopf – einfache Lösung.

Das einzige Beispiel, in dem auf eine komplexe Welt wirklich auch komplex reagiert wird, ist das deutsche Steuerrecht und zum Teil das Zivilrecht. Die Komplexität des Steuerrechts ergibt sich aus dem Bemühen, einer komplexen Welt nicht mit einer einfachen Lösung zu begegnen, vielmehr mit einer komplexen. Ein seltenes Beispiel. Die Berechnung eines Raketentriebwerks ist ähnlich komplex.

Darüber hinaus kennt man jede Menge Fälle, in denen ein Hang zur Verschwörungstheorie sich auf peinlich einfache Art einfach als richtig herausstellte.
Barschel, Spendenaffaire, Schwarzgeld, Amthor.. Bla Bla……

So ist also an der Verschwörungstheorie „Flugzeuge versprühen Chemiekalien zur Gedankenkontrolle oder zur Realitätsverwirrung“ als allegorisches Kunstwerk durchaus etwas Wahres dran.
Die allegorische Lesart dieses Verschwörungs-Kunstwerkes lautet: „Die Menschen auf der Erde sind verwirrt oder zerstritten über die Frage der gemeinsamen Realität, während die Flugzeuge oben sich offenbar einig sind, in welcher Welt sie leben.
Piloten verfügen über ein international geltendes Reglement, sich realitätsverbindlich und meistens unmißverständlich zu verständigen, während wir hier unten offenbar unter Sprachverwirrung leiden, unter Zensuren, Sprachregelungen oder sogar Gedankenpolizei und realitätsuntauglichen Ideologien.

Coronalogie: Welkes Land

Neulich beim Hören einer Rede von Gesundheitsminister Jens Spahn musste ich an die Zigarettenmarke Ernte 23 denken. Aber dann fiel mir ein, dass Ernte 23 eine Westzigarette war. Juwel 72 trifft es eigentlich besser.

In der Endzeit der DDR in den späten 80iger Jahren gab es eine Zigarettenmarke Juwel72. Die Schachtel war irgendwie in einem mäßig ambitionierten Eleganzdesign gehalten mit oxidiert grüngoldbräunlich wirkenden Ornamenten. Sie wurde 1972 als „moderne“ Variante der alten Juwel-Zigarette eingeführt. Der edelverwelkte Name Juwel72 sollte irgendwie ausstrahlen Hochwertigkeit, Neuheit und Bestand. Schon zu DDR-Zeiten oder in den späten 80iger Jahren war das eine irgendwie unbeliebte Marke, wurde selten gekauft, hat auch nicht geschmeckt. Zumeist standen fünfzehn oder zwanzig Juwel 72-Schachteln als eine Art Juwelensammlung nebeneinander in einem staubigen Tresen der Mitropagaststätte Magdeburg, um den Mangel an Auswahl zu kaschieren, wenn die anderen und weniger unbeliebten Zigarettenmarken ausverkauft oder nicht lieferbar waren.

Wenn man das Design der Schachtel heute sieht, würde man sagen: welkes Design. Das Wort „verwelkt“ trifft es eigentlich. Juwel 72 war eigentlich schon in den 80iger Jahren in der DDR eine welke Zigarettenmarke. Für den jugendlichen DDR-Konsumenten, der sich im Osten einen Rest von Selbstachtung oder street credibility leisten wollte, war die Marke eigentlich ein No Go oder nur im Notfall attraktiv. Wer ein wenig auf sich Acht gab und auf die Gesundheit seiner nonverbalen Signifikate, rauchte im Osten Cabinet oder Karo.

Am selben Tag der Spahnrede dann dachte ich spontan, als ich mal wieder den Kommentator der ARD, Rainald Becker, in den Tagesthemen sah: Der wirkt auch wie Juwel 72. Und dann war ich von so einem Gefühl ergriffen und zappte zum ZDF, sah noch Marietta Slomka und Klaus Kleber und Anne Will und dachte, ja genau, das ist es: Das wirkt gerade alles wie Juwel72 in der Endzeit der späten 80iger Jahre in der DDR.

Ein welkes Juwelenangebot.

Die Gesichter, der Habitus, der Ton, der Gestus im öffentlich rechtlichen Fernsehen von ARD und ZDF strahlt heute schon die selbe Verwelktheit aus wie eine Packung Juwel 72. Ihr Vorrat an Zukunft ist verbraucht. Genau dieses Abgelaufene und Verbrauchte sieht und spürt man plötzlich als ehemaliger Ossi, wenn man die Endzeit der DDR noch bewusst erlebt hat. Es ist das selbe Gefühl. Ein Wiedererkennen von Verwelktheit.

Und das hat nichts mit dem Alter zu tun. Typen wie Willy Brand oder selbst noch der durchaus fragwürdige Herbert Wehner oder auch Franz Joseph Strauß wirkten selbst im fortgeschrittenen Alter nicht verwelkt. Sie konnten alt wirken oder auch etwas greisenhaft oder ein wenig grau, knarrend oder staubig aber niemals welk. Das Welke und die Verwelktheit ist eher ein Phänomen, das sich auf die Oberfläche von Farbe oder Jugend legt. Und das hat auch nichts mit Männern oder Frauen zu tun, die angeblich auf unterschiedliche Weise altern. Das Welke ist nicht das Graue oder das Gealterte. Das Welke ist etwas, das erscheint, wenn vordergründig noch das Muntere, das Frische oder das Bunte scheinbar dominiert oder behauptet wird. Je öfter und intensiver eine Gesellschschaft Frische oder Buntheit behauptet, desto eher und näher erscheint das Welke. Das Welke ist ein kaum merklicher Schleier, der sich zwischen Realität und Behauptung legt, ein Anhauch von Ende, das gerade in den muntersten und buntesten Aktivismen von Beständigkeit, Frische und Jugend erscheint, wie eine Oberschwingung, die nur vom Unterbewusstsein wahrgenommen wird.

So, wie der Name „Juwel“ bei der Zigarettenmarke eigentlich das Nichtwelke und Beständige und Werthafte als buntglitzerndes Juwel betonen wollte, und gerade deshalb von besonderer Welkheit betroffen war.

Ein guter Komiker kann altern. Er kann sogar unpeinlich vergreisen. Ein bloßer Spaßmacher verwelkt. Große Künstler und Künstlerinnen können altern und vergreisen, oder sogar früh sterben, der bloße Entertainer verwelkt. Substanzen können altern. Was keine Substanz hat, aber dafür viel Oberfläche, muss verwelken.

Die DDR hatte als Konstruktion keine durchtragende Substanz, und deshalb ist sie nicht gealtert, sondern verwelkt.

Endzeiten, gesellschaftliche Phasenwechsel, Epochenbrüche haben in der Tiefe selten oder nicht ausschließlich etwas mit wirklichen Sachargumenten zu tun, oder nur sehr oberflächlich.

Vielmehr werden sie von etwas Nonverbalem eingeleitet. Ein Stil, ein Design, ein Gestus, ein Ton, ein Schleier, ein Sound, ein Habitus ist plötzlich welk, stimmt plötzlich nicht mehr, ist aus der Zeit gefallen. So etwas gibt es auch in der Sprache. Das Wort „prächtig“ ist heute ein welkes Wort. Wer „prächtig“ sagt, sagt nicht unbedingt etwas Falsches oder Unpassendes oder Unverständliches. Aber die Benutzung des Wortes „prächtig“ offenbart einen Anflug von Verwelktheit. Das Selbe trifft zu auf manche Worte, die als welke Intermediationen auftauchen, wie zum Beispiel „freilich“. Oder auch „gewissermaßen“ Oder auf sehr verwelkte Worte wie „Fernsehballett“ oder „Aerobic“ oder „Disko“ oder „Radioapparat“

Deshalb wirkt auch das Wort „Die Grünen“ besonders welk. Weil die Behauptung von Frische und Sonnenblume nicht mehr mit der Ausstrahlung von Claudia Roth oder Robert Habeck übereinstimmt. Das Selbe gilt für „Die Linke“. Oder sogar jetzt schon für das Wort „Corona“.

Welk ist auch das Bilden eines Plurals bei Worten, die nicht pluralfähig sind, wie zum Beispiel „Die Honige“ oder „Die Marmeladen“.

Das mechanische Wiederholen von Worten wie „Rechtspopulisten“ oder „Verschwörungstheoretiker“ ohne dass sich dahinter ein wesentliches substantielles Denkgeschehen abspielt, trägt heute ebenfalls zu einem allgemeinen Gefühl der Welkness bei. Es wirkt wie das logopädische Üben eines Schlaganfallpatienten, der zum Zwecke seiner Zunge-Zahn-Gaumenkorrespondenz koordinierende Sprechübungen machen muss.

Es geht garnicht mehr darum, wie gefährlich das Virus ist oder wie richtig oder übertrieben der Shutdown. Ob die Demonstranten Verschwörungstheoretiker sind oder nicht. Es geht nicht mehr um richtige oder falsche Argumente oder Diskussionen. Das rückt alles erst später ins Bewusstsein oder auf die Tagesordnung. Es geht um ein Grundgefühl der grundsätzlichen Verbrauchtheit, das Welke oder die Welkness in Konzepten und Gesichtern. Ein Gefühl von Verwelktheit einer ganzen öffentlichen Sphäre. Aber das Gefühl betrifft auch die großen Zeitungen. Ob FAZ oder Spiegel oder Süddeutsche oder Welt oder Zeit oder Tagesspiegel – das ist alles verwelkt, Juwel 72 oder Ernte 23 Die Marken liegen noch eine Weile in den Geschäften, es gibt sie noch, aber sie wissen noch nicht, dass ihr Vorrat an Zukunft verbraucht ist.

So, wie man im welken Juwelenkabinett in der Mitropagaststätte Magdeburg in der DDR 1988 auch noch nicht wusste, dass die DDR in anderthalb Jahren nicht mehr existieren wird.

Magdeburg im Mitropa-Bahnhofsrestaurant, Oktober 1988, DDR.

Die Bahnhofsuhr macht klack. Alles ist wie immer, steinern und grau. Man trinkt einen lauwarmen dünnen Kaffee aus einer Mitropakaffeetasse. Die Tresenkraft schäkert ein bisschen und raucht. Passend zu ihrer Frisur läuft im hinteren Teil des Tresens ein kleines Radio mit einem ganz leise verkrächzten „life is life“. In der Regalvitrine über ihrem Verkaufsstand stauben die Zigarettenschachteln der Marke „Juwel 72“ Daneben zwei kleine Flaschen Goldkrone. Am Tisch nebenan wartet ein NVA-Soldat in Uniform auf seinen Anschlusszug, schlafend, den Kopf auf die Tischplatte gelegt. In einer aufgeschlagenen Zeitung NEUES DEUTSCHLAND Jubelbilder mit Fahnen in grobkörnigem Schwarz-Weiß. Ein müder Schichtarbeiter des Maschinenbaus schaut in sein schaumloses Bier. Das Dösen, das Warten, das Kaffetrinken unterm minütlichen Klack Klack der schweren Zeiger einer Bahnhofsuhr. Alles ist wie immer. Und es könnte noch einhundert Jahre so weiter gehen.

Aber die Luft und der Himmel und die Erde der DDR wissen noch nichts davon, dass sie in anderthalb Jahren nicht mehr die Luft, nicht mehr der Himmel und nicht mehr die Erde der DDR sein werden. In anderthalb Jahren gibt es diese DDR nicht mehr. Magdeburg, Bahnhofsgaststätte im Oktober 1988. Noch ist alles so wie immer. Das NEUE DEUTSCHLAND liegt aufgeschlagen auf dem Tisch. Jubelbilder. Die Tresenkraft schäkert. Der NVA-Soldat döst und wartet. Schaumlos trinkt der Schichtarbeiter aus seinem Glas.

So ein Virus stellt ja auch die Frage nach dem Ansteckenden, nach dem, was Schwung gibt, nach dem, was begeistern kann. Das positiv Ansteckende. Aber wer statt in den Dialog immer in das Populistenbashing ausweicht und nach „Verschwörungstheoretikern“ sucht, der hat die Lage seines Welkseins nicht verstanden. Und der erinnert ein bisschen an Erich Mielke in der letzten späten Endphase der DDR, der seine Welkheit, sein Verwelktsein auch nicht mehr gemerkt hat. Ich liebe Euch doch alle.

Wahrscheinlich wird auch die EU daran zerbrechen. Sie wird nicht am Geld zerbrechen, oder an Schulden. Die Geschichte kennt viele langlebige und muntere lebensfrohe Schnorrer und Schuldner. Die EU wird zerbrechen an mangelnder Ausstrahlung, an Bürokratismus, Menschenferne und an der Erschlaffung oder besser gesagt an der Petrifizierung ihrer Institutionen. Und noch an etwas bisher völlig Unterschätztem: An ihrem Mangel an Komik und Humor. Sie wird verwelken.

Die Idee der EU lacht nicht mehr. Sie schaut pädagogisch streng mit stahlblau gesträhnten Haaren und tief eingefurchten Ehrgeizkerben in den ideologisch und finanzpolitisch verkniffenen Mundwinkeln, wie damals die Volksbildungsministerin Margot Honecker, die zum Ende der DDR lilablaue Strähnen in den Haaren trug.

Wieviel Angst, Humorlosigkeit und Verkniffenheit strahlt ein Gesetz aus, das neuerdings die Herabwürdigung der EU und ihrer Symbole unter Strafe stellt. Es ist eigentlich ein Staatsgesetz, das die Würde von staatlicher Autorität schützen soll, hier jedoch auf ein Gebilde angewandt wird, das de facto kein Staat ist. Und wenn man im Internet nach Zitaten von Jean Claude Junker nachgoogelt, fragt man sich, ob hier ein Geist sich ausdrückt, der mit der Würde und dem Enthusiasmus, dem Vertrauen und der Integrität einer zukunftszündenen Idee im Einklang ist. Wie wenig Zuversicht, Vertrauen und Humor teilt sich darin mit, dass ausgerechnet jetzt, mitten in der Coronakrise ein solches Gesetz im Bundestag erlassen wurde..?

In der Endzeit der DDR wurde das Gesetz gegen die Herabwürdigung der DDR und ihrer Symbole schließlich zum Gummiparagrafen ausgelegt und konnte jederzeit gegen jedwede Form der Kritik in Anwendung gebracht werden.

Als Ossi hat man ein empfindliches Gehör für den Zeitpunkt, an dem ein solches Gesetz gegen die Herabwürdigung der EU und ihrer Symbole erlassen wird.

Die EU wird womöglich daran zerbrechen, dass der Gedanke oder die Idee der EU niemanden mehr anzustecken vermag. Übrig bleibt eine humorlose Angst,- Mangel- Schulden- und Kontrollinstitution, mit gelegentlichen Jubelfeiern, so wie es die DDR in ihren späten und welken Jahren gewesen war.

Die DDR und ihre Gesichter konnten in ihrer Endphase niemanden mehr anstecken, schon garnicht überzeugen. Die DDR war welk, nicht weil sie alt war, sondern weil sie bis zuletzt Munterkeit, Buntheit und Frische verkniffen gegen den totalen Realitätsverlust und die Volksferne ihrer Funktionäre behauptete, fern eines durchwirkenden Grundes, der das Wasser oder die Feuchtigkeit von gesundem Humor, von breiter Akzeptanz oder von Zuversicht hätte spenden können.

Aber man erinnert sich plötzlich wieder daran, wie groß der Kontrast erschienen war, als in der Spätphase der DDR plötzlich so ein Gesicht wie Gorbatschow einen anderen, einen neuen Kommunikationsstil ankündigte. Wie Gorbatschow und sein „Glasnost“ auf uns Ossis eben doch plötzlich stark wirkte neben Figuren wie Willy Stoph, Günther Mittag oder Harry Tisch. Gorbatschov wirkte auf uns Ossis ansteckend. Und unsere DDR-Offiziellen wirkten daneben welk und verbraucht. Gorbatschow berühmtes „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“ hatte auch einen bestimmten Humor, den die DDR-Funktionäre nicht kannten.

Oft und gerne strapaziert hatte man in letzter Zeit die Kritik an der Frisur des amerikanischen Präsidenten, an seinem Benehmen und seine Attitüden. Man kann ihn auf bequeme Art schnell kritisieren, skurril oder doof finden, klar, aber er hat es vermocht, wenigstens zum Teil seine Wähler zu begeistern, zu motivieren, anszustecken. Er ist schon älter, aber er wirkt nicht welk. Sicherlich, man muss ihn nicht bejubeln, und Amerika hat eine andere Geschichte. Hier spielt die pathetisch vorgetragene Ansprache, die durchaus auch propagandistisch grobgeschnitzt sein kann, in einer anderen Tradition. Trotzdem stellt sich die Frage: Was strahlen unsere Politiker und öffentlich agierenden Personen aus? Können sie positiv motivieren, Bürger anstecken oder begeistern mit einem neuen Stil?

Es wird zwar gesagt, nichts mehr wird sein, wie es vorher war – auch so eine Leerfloskel – als gäbe es ein Einverständnis in der Wahrnehmung über die Frage, wie es vorher war. Ja, wie war es denn vorher? Als sei man vorher ganz allgemein der große Realitätsversteher gewesen.

Etwas Neues soll beginnen. Man zeigt mit dem Finger auf das Pathos von Trump. Aber geht vom Gestus und der Austrahlung unserer Politiker etwas Neues aus, das ein neues anderes Morgen ankündigt? Strahlen Ihre Gesichter, Kravatten und Frisuren etwas Neues aus, eine Frische, einen positiv ansteckenden Virus? Für eine neue Idee, eine neue Epoche, so wie damals Gorbatschow? Kann Europa anstecken und begeistern mit seinen sexy Abkürzungen wie ESM, EZB und EuGH.?

Man studiert Gesichter, Physiognomien und fragt sich: Wie ist jemand innerlich organisiert, der so ausstrahlt und spricht wie der Gesundheitsminister Jens Spahn? Welchen Hoffnungen gibt seine Ausstrahlung einen begründeten Anlass? Welche Art von Zukunft verbirgt sich im Gesicht des Extremismusforschers Matthias Quendt? Lädt Frau Merkels Mimik dazu ein, sich auf das nächste Jahr zu freuen? Fühlt man sich im Gesicht von Claudia Roth gut aufgehoben? Weisen Robert Habecks Züge in ein erfreuliches Futur? Möchte man mit Anton Hofreiter im Fahrstuhl stecken bleiben? Welche Visionen leuchten im Antlitz von Horst Seehofer? Wirkt die Frisur oder das Gesicht von Ursula von der Leyen wirklich ansteckend für die europäische Idee?

Denn so ein Virus stellt ja auch die Frage nach dem, was positiv ansteckt. Was ansteckend begeistern kann. Was Entusiasmus bringt. Was Schwung gibt. Gerade das braucht man ja in einer Krise. Fragen über Fragen…als ehemaliger DDR-Bürger hat man jetzt so ein Vorgefühl. Magdeburg, Mitropa 1988. Die DDR und ihre welken Juwelen.

Coronalogie: Deutschland sucht einen König

Politik in Kurzform: Wie man absolutistische Königsherrschaft, Demokratie und kapitalistische Marktwirtschaft vereint:

In einer gut gelingenen Demokratie ist das Volk zugleich sein eigener Kunde. Und der Kunde ist König.

Corona, lat. Krone

Neues Framing: Wir sagen nicht mehr „Volk“ und auch nicht mehr „Bürger“. Wir reden nur noch von „Menschen mit Krone“ Wir sagen nicht mehr: „Hast du dich schon angesteckt.“ Wir sagen: „Wurdest du schon gekrönt?“

Das setzt dem Fass die Krone auf.

Coronalogie: Schein und Zeit

Zur Folklore der Medienkritik gehört seit 60 Jahren die Behauptung, der Mensch würde in einer konstruierten oder willkürlich konstruierbaren Realität leben.

Begonnen hatte das Mißverständnis mit einer Auslegung von Kants Vernunftskritik. Man hatte behauptet, Kant hätte behauptet, die Wirklichkeit in ihrem So-Sein sei den Sinnen nicht unmittelbar gegeben, vielmehr nur in Vermittlung eines Wahrnehmungsapparats. Da aber nun der Wahrnehmungsapparat selbst der Realität angehört und als etwas organisch Gewachsenes erka(n)nt werden kann, ist das Wortspiel von der „virtuellen Realität“ bei Seite zu legen.

Exakter wäre hier der Begriff „embedded Reality“.

Hatte man vor zwanzig Jahren noch von „embedded Journalists“ gesprochen, kann man heute von einer Realität sprechen, die im Journalisten eingebettet ist.

Zu den noch unverstandenen Effekten der Digitalisierung gehört das Spannungsverhältnis zwischen „Echtzeit“ und „Nachricht“

Während im deutschen Wort „Nach“ richt noch mitschwingt, dass es sich bei einer Nachricht immer um ein Danach handelt, also um das Abbild eines Geschehens in natürlicher Zeitverzögerung, behauptet die Echtzeit-Welt der Digitalisierung, es gäbe auch eine echtzeitliche synchrone Datenaufbereitung ohne das „Nach“ der Danachrichten.

An dieser Stelle ist die Frage interessant, ob die Echtzeit-Welt der Digitalisierung die gute alte „Nach-Richt“ geradezu aufhebt und verhindert.

Oder anders gesagt: Könnte es sein, dass die Echtzeit-Überlagerung von Daten mit dem Datenereignis den Wert von „Nach“richten ganz grundsätzlich aufhebt?

Die Frage drängt sich auf, weil es ganz offensichtlich einen Zeitverzug gegeben hat im Reagieren auf eine wohlbekannte und ernstzunehmende Gefahrenlage. Es kam ja nichts Plötzliches, Schlagartiges, Unbekanntes auf Europa zu. Sondern der Virus selbst kam im Zeitverzug einer „Nach“ richt aus China. Trotzdem war er offenbar noch schneller als die weltumspannende Lichtgeschwindigkeit der Wissensverteilung und der Datennetze.

Man kann sich also die Frage stellen, ob die „Zeit“ eine ganz wesentliche Rolle in der Vernunfts- Erkenntnis und Urteilskritik spielt.

Die andere Frage, die sich aufdrängt: in der Echtzeit-Welt geschehen die Dinge, wenn wir sie sehen. Sie verlieren dadurch ihren „Nach“richten Wert“

In der Welt der klassischen „Nach“richt haben die Dinge immer noch Zeit, sich zu ereignen. Auch wenn das eine Illusion ist. Aber nur die klassische „Nach“ richt ermöglicht noch die „Reaktion“ auf eine Nachricht.

Wenn aber in der „Echtzeit“ das Datum und die Datenerzeugung in eins fallen, dann kommt jede Reaktion immer zu spät. Das führt dann möglicherweise dazu, dass überhaupt keine Nachricht mehr ernst genommen wird und überhaupt keine Reaktion mehr stattfindet.

Bisher wurde von der Medienkritik immer behauptet: „Die Realität verschwindet in die Bilder hinein.“

Was dabei nur selten beachtet wurde: Der Effekt ist keine Einbahnstraße. Denn mit der Realität stirbt auch das Bild.

Das „Bild“ – so ist es das menschliche Gehirn gewöhnt, ereignet sich immer im Zeitverzug zur Realität. Damit gehört es in eine normale „Ökologie der Nachricht“

Die Gegenwart selbst bleibt normalerweise bilderlos. Ungefähr so, wie sich ein klassischer Film erst im Entwicklerbad langsam entwickelt, so bleibt die reine Gegenwart eine Weile schwarz und entwickelt sich erst allmählich zum Bild einer „Nach“ richt mit dem Zeitverzug der Vergangenheit.

Wenn nun aber davon gesprochen wird, dass Realität und Bild zeitlich in eins fallen, dann stirbt auch das Bild.

Daraus resultiert dann eine „Lähmung“ eine Patt-Situation zwischen Bild und Realität. Es gibt keine „Nach“ richten mehr. Die Nachricht stirbt aus, weil das Bild ausstirbt.

Das bedeutet: Der Mensch muss lernen, ohne „Nach“ richten also in Echtzeit zu leben und zu reagieren, oder es stirbt mit dem „Bild“ auch das Bild vom Menschen. Der Mensch müsste dann lernen, aus der klassischen Abfolge von Aktion und Reaktion auszutreten ebenso wie aus der klassischen Abfolge von Flektion und Reflektion und nur noch in der reinen Aktion leben. Das würde dann jedoch eine Art von Bewusstseinsverlust gleichkommen. Oder einem Bewusstseinsgewinn, wie man’s nimmt. Seine geistige Existenz wäre dann wieder auf dem Status eines Virus angekommen.

Denn auch ein Virus lebt ohne „Nach“ richten.

Wieder mehr Romane lesen

Trotz verschobener Buchmesse. Es gibt Leseproben der Favoriten. Die genügen zumeist für den Überblick.

Lutz Seiler, Stern 111:

Hier agiert eine Hauptfigur, die Carl heisst. Carl mit C geschrieben. In der DDR hießen richtige Menschen zumeist Tilo, Andreas oder Enrico. Oder auch Lutz. Gut, selbst wenn man einen solchen synthetischen Germanistinnenvornamen noch verzeiht, finden sich gleich zu Beginn des Buches Sätze oder Beschreibungen wie:… „das dünne graue Haar des Vaters“, um zu zeigen, dass der Vater schon etwas älter ist als ein Zwanzigjähriger. Oder man wird als Leser verwöhnt von Erinnerungen wie: „…… als Kind träumte Carl manchmal von Drachen und Monstern, die ihn mit Fresslust verfolgten“…. Das ist aber gruselig, Lutz, echt. Man denkt: Der neue Dostojewskie der Wendezeit liefert die Beobachtung, dass man im Traum manchmal von Drachen und Monstern mit Fresslust verfolgt wird. Zumal als Kind! Da kommt man vor lauter psychologischer Tiefenlotung garnicht mehr aus dem Haus. Hat man sich erholt von solch überraschendem Charaktisierungssprachfeuerwerk, folgt noch ein Satz wie ein knallender Sektkorken: „Carl wachte manchmal schweißgebadet davon auf.“ Am besten gefällt mir hier das „schweißgebadet“ im Zusammenhang mit dem scharf beobachteten „Aufwachen“. Das spricht so in der Weltklasse von dem „dünnen grauen Haar“ des Vaters, der übrigens auch „hängende Schultern“ hat. Die beste Rezension zu dieser Art zu schreiben, steht auf Amazon. Da meinte jemand: Das ist so eine Literatur, die wie ein Radiosender alles bringt: Alle Staus und Blitzer und die besten Hits der 70iger, 80iger, 90iger und auch von heute. Kurz gesagt: Ein Buch zum Zuklappen.

Leif Randt, Allegro Pastell:

Man schlägt das Buch auf, blättert kurz und hat’s verstanden. Nur kommt das alles 30 Jahre zu spät oder aus Amerika. Man weiß ja, dass Simon Strauß in seinem pseudoverschmitzten Aufbegehren extrem uncool ist und nicht schreiben kann. Und Rainald Götz pseudoverschmitzte Kapitalismuskritik und sein Luhmanngeschwiemel haben zu seinem künstlerischen Scheitern beigetragen, für das er den Büchnerpreis bekommen hat. Aber so eine pseudoverschmitzt auf Deengagement heruntergedimmte Konzeptstudie langweilt eben auch nach 5 Seiten. Rainald Grebe hat 30igjähige Pärchen besser besungen. Leif Randt ist ein Autor, dem man zurufen möchte: Mensch, Du solltest schreiben!

Ingo Schulze, rechtschaffende Mörder:

Auch ein Konzeptroman. Möchte abliefern. Möchte bedienen. Möchte auch mal zu gegenwärtigen Problemen etwas Literarisches beitragen. Der rechtschaffende Schriftsteller meldet sich mit dem hochgeregten Arm und schnipst: Herr Lehrer ich weiß was! Aber aus jedem „Es war einmal….“ aus jedem skurilen Skurilitätseinfall wird noch mal eine schriftstellernde he he, Drehung, Wendung und nochmal eine, hi hi, tooootaaaal überraschende Perspektive. Aus jeder Seite schwitzt einem das Germanistenpostulat entgegen: Literatur hat die Aufgabe, die Welt in ihrer komplexen Mehrdeutigkeit darzustellen. Ja, wir haben es mehrdeutig augenzwinkernd mehrdeutig verstanden. Nur wenn all diese Mehrdeutigkeitsaufträge so verschwitzt übererfüllt werden, dann ist es keine Literatur mehr sondern Planwirtschaft am Schreibtischstaub. Gut gemeint, aber eher zum Weglegen. Mitarbeit und Fleiß: Note 1 Literatur: 5 Setzen.

Was bleibt noch? Sascha Stanisitzsch? Flüchtlingsfolklore mit totaaaal lustigen Anekdoten, niedlicher Studentin, Eichendorf und vergesslicher Großmutter….? Lieber nicht.

Peter Handke? Der Autor mit dem Peter-Handke-Preis?

Oder Maxim Briller, der Autor mit der Brille?

Ich weiss es doch auch nicht…

Coronalogie: Begründungsmythen

Im Moment zeichnet sich die Tendenz ab, dass man die Corona-Krise in den nächsten zwanzig bis dreißig Jahren als einen neuen „Begründungsmythos“ für Entscheidungen etablieren wird, die auch nachfolgende Generationen tragen müssen. Besonders eklig ist außerdem, wenn die Krise für Profilierungen oder profilneurotische Anwandlungen von wem auch immer mißbraucht wird.
Das Problem dabei ist: Wenn die Corona-Krise in der Zukunft zu einem argumentativen „Heiligtum“ mit einer kryptoreligiös aufgeladenen „Tabuzone“ heranwächst, dann bekommt Deutschland oder Europa eine neue „Gottheit“. Diese neue „Gottheit“ heißt dann „Corona-Krise.“
Das ist antiaufklärerisch, irrational und gefährlich. Politische Entscheidungen sollten sich nichts von einem Virus vorschreiben lassen, das über Maßnahmen zur Eindämmung und Nothilfe hinausgeht.

Rationales, sachliches und faktisches Aufarbeiten und sachlich erwägendes Handeln im Sinne von Emanuel Kant und der Aufklärung/Aufklarung ebenso wie eine tabufreie Diskussion im Sinne von Demokratie und Meinungsfreiheit dürfen nicht durch ein neues „Heiligtum“ mit dem Namen „Coronakrise“ ersetzt werden.

Mit der „Begründung“ durch die Coronakrise können in Zukunft neue Pseudoreligionen des „Gut-Gemeinten“ sachliches und faktisches Erwägen ersetzen.
Gerade die Deutschen mit ihrem Hang zur Übertreibung im Guten wie im Schlechten müssen sehr aufpassen, dass die Coronakrise jetzt nicht zu einem neuen „Begründungsmythos“ für ein neues Gutseinwollen oder für ein neues Schlechtwerden durch Fehlentscheidungen oder kryptoreligösen Schwachsinn wird.

In der heißen oder akuten Phase von Krisen sollten erstmal keine Entscheidungen getroffen werden, die nicht unmittelbar mit Nothilfe oder Eindämmung zu tun haben. Vorsicht ist geboten bei allen Entscheidungen, die mit heißem Kopf in der akuten Phase getroffen werden, jedoch Auswirkungen auf die nächsten zwanzig bis dreißig Jahre haben.
Was geschehen ist, muss erst einmal rational, sachlich, und in aller Ruhe tabulos und in Für- und Wider-Argumenten aufgearbeitet und verstanden werden. Bevor diese Krise nicht wirklich verstanden ist, und das ist sie nicht, sind hektische oder hysterische Bewegungen oder Entscheidungen mit sehr langfristigen Konsequenzen gefährlich bis kontraproduktiv.

250 Jahre Hölderlin

Die Geburtstagsfeiern und Jubiläumsorgien zu Hölderlin in diesem Jahr:
Als hätte es Heideggers Hölderlinlesungen nie gegeben, gerät die Hölderlinjubiläumsindustrie in Deutschland zu einer mit Sagrotan gereinigten Plastikfeier „des Dichters“.
Hölderlin ist der „Dichter“, genau so, wie sich Kleinfritzchen das Dichtertum vorstellt – das unverständliche, das unverstandene Genie! – das weit in die Zukunft weist!

Hölderlin, die sehr riskierte Existenz, wird gefeiert oder in Serienlesungen entwürdigt von mediokren, unriskierten Existenzen.
Ihm widerfährt damit das gleiche Schicksal wie beinahe alljährlich seinem Bruder Kleist.
Hölderlins Ingenius ist so meilenweit entfernt von seinen Jubileuren aus der deutschen Villamassimokultur, wie Beethoven und Sex von Sagrotan und Händewaschen entfernt ist.
Dabei wird von den Jubileuren immer wieder gerne Hölderlins Deutschenschelte herangezogen, um ihn als deutschen Dichter erglänzen zu lassen, der eigentlich immer schon gegendeutsch gedacht hat.

Aber worauf genau bezog sich die Deutschenschelte Hölderlins?
Man muss schon ganz genau hinhören. Zitat:… Barbaren von Alters her, durch Fleiß und Wissenschaft und selbst durch Religion barbarischer geworden, tiefunfähig jedes göttlichen Gefühls, verdorben bis ins Mark […], in jedem Grad der Übertreibung und der Ärmlichkeit belaidigend für jede gutgeartete Seele, dumpf und harmonielos, wie die Scherben eines weggeworfenen Gefäßes – das, mein Bellarmin, waren meine Tröster.
Es ist ein hartes Wort, und dennoch sag‘ ichs, weil es Wahrheit ist: ich kann kein Volk mir denken, das zerrißner wäre, wie die Deutschen. Handwerker siehst du, aber keine Menschen, Denker, aber keine Menschen, Priester, aber keine Menschen, Herrn und Knechte, Jungen und gesezte Leute, aber keine Menschen – ist das nicht, wie ein Schlachtfeld, wo Hände und Arme und alle Glieder zerstükelt untereinander liegen, indessen das vergoßne Lebensblut im Sande zerrinnt?

Nach Hölderlin müsste man heute sagen: ...in jedem Grad der Übertreibung und der Ärmlichkeit belaidigend…..und selbst durch Religion barbarischer geworden.

„Übertreibung und Ärmlichkeit“
Die Deutschen müssen immer übertreiben. Wenn die Deutschen etwas verstanden zu haben glauben, müssen sie sofort übertreiben. Haben sie ihr Volkstum verstanden, müssen sie es gleich zur total rassigen Volkigkeit hochturnen. Haben die Deutschen verstanden, wie böse pöse das Deutsche jetzt ist, müssen sie es gleich übertreiben bis zur totalen Auslöschung von allem Deutschen, von Heimat, von Herkunft.
Haben die Deutschen verstanden, dass „Europa“ wichtig ist, sieht man in Deutschland plötzlich nur noch „Europäer“, aber man sieht keine Menschen mehr. Wenn der Deutsche darüber belehrt wurde, dass wahre Eleganz und echter Stil aus Italien oder Frankreich kommt, dann hechelt der Deutsche mit „ars vivendi“ in Richtung Süden oder er trägt schwarze Rollkragenpullover und liest dämliche französische Philosophie.
Wenn der Deutsche verstanden hat, dass auch Sex im Leben eine Rolle spielt, dann wird das sofort mit Sigmund Freud zu einer beinahe exakten Wissenschaft von allem und jedem oder zur Zivilreligion hochtrainiert.
Wenn der Deutsche verstanden hat, dass auch Minderheiten Existenzrechte haben, dann macht er daraus sofort eine Minderheitsreligion oder eine Minoriotätsphilosophie, in der alles Fremde gut und alles Eigene schlecht ist. Wenn der Deutsche verstanden hat, dass es auch Schwule und Lesben gibt, dann gilt Heterosexualität plötzlich als unnormal bis faschistisch.
Wenn der Deutsche verstanden hat, dass auch Frauen gleichberechtigt sein sollten, wird daraus sofort eine Frauenreligion konstruiert. Wenn er im Gegenzug dazu irgendwann einsieht, dass auch Männlichkeit nicht ganz auszurotten ist, dann macht er daraus gleich eine neue Männlichkeitsreligion.
Und so weiter und so weiter….

Hölderlin:....in jedem Grad der Übertreibung und der Ärmlichkeit belaidigend….und selbst durch Religion barbarischer geworden.
Insofern lässt sich Hölderlin tatsächlich feiern als ein großer und sagender Dichter.

Coronalogie: Der Virus an und für sich

Die wesentliche Eigenschaft von Viren, so heißt es, ist ihre Unselbstständigkeit. Ohne den Anderen als Gegenüber oder als Wirt – sind sie nichts. Ohne Wirtszellen können Sie nicht existieren. Das stellt sie noch unter die Bakterien. Oder weit über sie – wie man’s nimmt.

Viren wollen nichts. Sie gehen keinem Auftrag nach. Sie verrichten keine Arbeit. Sie „verfolgen“ keine Agenda. Viren unterhalten keinen eigenständigen Stoffwechsel. Viren sind einfach nur da, um sich zu vermehren.
Viren sind „schiere“ Information.


Viren sind zugleich der Brief und die Schrift.


Doch ihre Funktionsweise zeigt die nackte und schiere Informationalität als evolutionären Ursprungsquell der Natur:

Dass etwas nur da ist, um sich zu kopieren, zu verändern, zu vermehren.

Viren „haben“ keinen „Sinn“.

Viren sind der Sinn.

Einen Virus kann man nicht „interpretieren“.

Ein Virus „macht“ nichts. Er ist.

Ein Virus „zeigt“ auch nichts. Außer sich selbst.

Ein Virus tut, was er ist. Und was ist er?

Er ist eben da.

Es „steckt“ nichts dahinter.

Das Tun des Virus ist sein Dasein.

Der Virus „tut“, was er ist. Mehr nicht.

Der Virus „will“ auch nicht gefährlich sein.

Der Virus „will“ überhaupt nichts.

Er ist, was er ist.

Der Virus „hat“ kein Bewusstsein. Der Virus ist bewusstlos.

Der Virus tut nichts. Er lässt sich treiben. Aber dieses Nichtstun des Virus macht ihn zugleich so virulent und ansteckend.

Denn ansteckend heißt: Es passt.

Es gibt eine Passung. Es gibt einen Reim.

Der Virus verändert sich solange, bis er sich auf etwas „reimt“

Der Reim „passt“ zum Eingang der Wirtszelle.

Der „Reim“ gewährt ihm Zugang zur Wirtszelle.

Die natürlich gegebene und deutungslose Primitivität
eines Virus gibt ihm eine große Ähnlichkeit mit der Sprache.

Denn auch die Sprache ist nichts ohne den „Wirt“ des „Anderen“.

Die Sprache sucht sich Wirtsgehirne,
um sich weiterzusprechen und zu vermehren und zu verändern.

Das Gehirn ist die Wirtszelle der Sprache.

Demzufolge „tut“ auch die Sprache nichts.

Die Sprache selbst „will“ nichts, sie verfolgt keine Agenda.

Die Sprache „hat“ keinen Sinn. Sie ist der Sinn.

Die Sprache vermehrt sich. Aber es „steckt“ nichts dahinter.

Deshalb ist es auch sinnlos, Sprache „interpretieren“ zu wollen.

Die Sprache spricht. Das ist alles.

Der Virus vermehrt sich.

Der Virus ist, was er tut. Und er tut, was er ist.

Der Virus und die Sprache sagen:

Es gibt ein Du. Und dieses Du ist der Wirt.

Coronalogie: Fliehkraftregelung

Das Max Planck-Institut für Alles beschäftigt sich nicht mit „Wie“-Fragen, sondern mit „Warum“-Fragen. Dabei wurde erkannt, dass Corona etwas verdeutlicht, das so ähnlich wie die Fliehkraftregelung bei einer Dampfmaschine funktioniert.

Der Fliehkraftregler einer Dampfmaschine ist die wichtigste Erfindung des 19. Jahrhunderts als Instrument zur Regulierung der Drehzahl.
Wie er funktioniert, ist leicht einsichtig.



Die selbe Drehzahl, die die Maschine schnell drehen lässt, sorgt auch dafür, dass sie nicht zu schnell dreht oder gar überdrehen kann. Die beiden Massekugeln werden durch die Zentrifugalkraft nach außen geschleudert. Dieser naturgegbene Effekt wirkt über eine mechanische Winkelanordnung auf ein Ventil, das von den beiden Kugeln verschlossen wird, wenn die Drehzahl einen bestimmt Größe erreicht. Auf diese Weise bleibt die Drehzahl in einem konstanten Normbereich.

Wenn man sich die Globalisierung und die Mobilität als eine hochdynamisch drehende Dampfmaschine vorstellt, dann wirken Viren-Ereignisse, wie gerade jetzt, ganz offensichtlich regulierend oder bremsend auf die Gesamtdynamik. Das Ventil muss geschlossen werden, die Drehzahl wird verlangsamt, Beschleunigung und Dynamik bremsen sich ein.
Zwischen Natur (Virus) und Technik (Der mobile Mensch) herrscht ein ähnliches Verhältnis. Die hochdrehenden technologischen Dynamiken und Mobilitäten werden durch das Coronavirus jetzt eingebremst.
So, als gäbe es bei hochdrehender technologischer Dynamik eine damit einhergehende ansteigende Wahrscheinlichkeit für das Auftauchen von Mutationen bei den RNA-Viren. Die Zentrifugalkräfte treiben die Kugeln nach aussen, die Viren geraten im Zuge der globalen Dynamiken in einen statistisch komplex beschleunigten Pool des Durcheinanderwirbens und der beschleunigten Vaporisation. Die Wahrscheinlichkeit für epidemische Ereignisse der Corona-Art steigt an, ebenso für die Mutationsrate der Viren.

Das Ergebnis: Die Maschine wird gebremst. Das Ventil geschlossen. Die Bewegung verlangsamt.

Die Kugeln senken sich ab, und geben das Ventil wieder frei.

Und so weiter. Ein erstes klassisches Beispiel für eine systemimmanente Regelung. Die Verursachung der Beschleunigung sorgt zugleich auch für die Einbremsung. Zu vermuten ist ein dynamischer Informationserhaltungssatz zwischen Virus (Natur) und Technik (menschliches-technologisches Bewusstsein) Das Beschleunigende wirkt zugleich als das Bremsende und umgekehrt.

Coronalogie

Das Biologische greift den Buchstaben an. Physis gegen Metaphysis.
Früher war die Schrift oder das Buch etwas, das man verteidigte. Der fiebrige, der hohläugige, der infizierte, der abgemagert schreibende Protokollant im regennassen Unterstand; oder der frierende, der vom Scorbut geschlagene Kapitän hielt das Logbuch und die kratzende Feder seiner Schrift noch bis in seine vom Tropenfieber frostgeschüttelten Hände. Das Buch, das Wort, die Schrift waren die letzte Spur, eine Hoffnung auf Überlieferung, auf ein Gefundenwerden, auf die Möglichkeit einer Erklärung, geschrieben bis zum letzten Atemzug unter dem Knarren und Krachen der auseinanderbrechenden Planken.

Oder die Dichter. Wie viele von Ihnen schrieben und schrieben buchstäblich an gegen die Tuberkolose und tapfer die Feder aufrecht haltend bis zum letzten blutigen Husten?

Oder die klerikalen Missionare: Im Auftrag der Schrift schlugen sie sich durch Stechmückenschwärme, Malaria, Schlafkrankheit und Typhuspfützen. Denn es war die Schrift, die infizieren sollte. Und dem geschriebenen Wort traute man eine ansteckende Wirkung zu, die stärker und mächtiger sein sollte als jede biologische Infektion.


Heute haben der Durchhaltewille und die Leidenschaft die Seiten gewechselt. Nicht mehr die kratzende Feder auf dem Papier zeigt an, dass da ein Mensch sitzt, der Seite um Seite den Beweis seiner Kraft und seiner Lichtung liefert, nicht selten als ein verzweifelter menschlicher Stolz, der trotz Tropenfieber gegen das Tropenfieber weiterschrieb, trotz Fliegenvirus, trotz Cholera und Typuspfützen, hohläugig, frierend, hustend, zitternd, schwitzend – aber immer weiter schreibend im gilblich trüben Schein eines blakenden und flakernden Talglichts…
Heute ist es der Virus, der Buchmessen auflöst und Menschenansammlungen auseinanderstieben lässt. Der Virus schlägt sich wie mit einer Machete durch den wuchernden Dschungel der Schriftproduktion. Er lichtet die Zeilen. Der Virus schreibt seinen ansteckenden Brief. Buchmesse abgesagt.

Theorie der phantasielosen Phantastik

„Schreib doch mal einen Roman.“

Titel: Der echte Science Fiktion-Roman.

Gezeigt hatte sich in letzter Zeit, wie (seriöse) Physiker mit ausgetüftelten mathematischen Methoden sehr „phantasievolle“ Modelle entworfen hatten, die theoretisch zwar manches beindruckende Mathematikgestrüpp hervorbrachten aber auf empirischer Seite sehr zu wünschen übrig ließen. Deshalb beschäftigt mich das Phänomen der Phantasielosigkeit.
Eine Theorie der Phantastik im Rahmen der Phantasielosigkeit beginnt mit der Frage, was das eigentlich bedeuten soll: Jemand hat Phantasie.

Eine Kenntnisreichtümelei, die besagt – In einem phantastischen Roman müssten total lustige Figuren/Roboter/Monster/Mischwesen mit witzigen Namen, sensationell artistischer Grammatik in 16 Paralleluniversen und weiteren 25 Raumzeitdimensionen total phantastische Abenteuer erleben, zwischen Dystopie und Utopie auf irre schrill verschrobenen Pogoplaneten oder Sozialismusraumschiffen – hatte schon lange nicht mehr überzeugt.

Weil das alles von der Mythologie geleistet wurde.

Deshalb interessiert mich die Kunst, einen phantasielosen und wirklich einfallslosen Science Fiktion zu schreiben, der so geschrieben ist, dass er drei Kriterien erfüllt: Phantasielosigkeit, Bedeutungslosigkeit, Einfallslosigkeit.

Eine Beobachtung brachte die Künstlerin Virág Utazási auf die Idee des magischen Bleistifts.

Einsteins Bleistift.

Ein Schriftsteller schreibt mit einem Bleistift, doch während dessen verliert sein Stift an Länge, wird kürzer und kürzer und kürzer….
Während der Stift immer kürzer wird, wächst die Zeitspur der Schrift immer weiter an. Der physisch schrumpfende Bleistift verlängert sich in den meta-physischen Bedeutungsraum der Schrift hinein.

Der Stift veräussert sich, während die Schrift sich erinnert.


Stift trifft Schrift.

Physikalisch: Der Bleistift verschwindet im schwarzen Loch der Erinnerung, wird dabei unendlich zerdehnt zu Schrift und „Erinnerung“ – kommt also als Erinnerung irgendwo – in der Zukunft – als Schrift wieder heraus.

Der Bleistift wäre dann so etwas wie ein Monster oder eine Mumie, deren allmählicher Zerfall – in die Schrift hinein – wieder aufersteht.

Ein Effekt der speziellen Relativitätstheorie besagt: In einer beschleunigten Rakete verkürzen sich die Längen (Längenkontraktion) während die Zeit sich dehnt oder verlangsamt (Zeitdilatation). Der Bleistift wird kürzer. Er schrumpft (Längenkontraktion) während die Zeit als Zeichenspur auf dem Papier sich in die Erinnerung hinein verlängert/verlangweilt. (Zeitdilatation)

Einen phantasielosen Science Fiction-Roman nach Albert Einstein hätte man auf diese Weise geschrieben, der die Vergangenheit verkürzt und die Zukunft verlängert. Die Suche nach der verlorenen Zeit (Der Bleistift verliert an Länge) trifft auf die wiedergefundene Zeit. (Die Schrift gewinnt an Kürze)


Eine realistische Geschichte, die nichts bedeutet, außer sich selbst. Ein völlig phantasieloser Text, in dem trotzdem etwas Phantastisches geschieht.

Das schwarze Loch, in das sich der Bleistift hineinverkürzt oder schriftlich hineinverlängert, ist dann der kosmologische Mülleimer, den der homme de lettres oder die femme de lettres bewohnt.

An der deutschen Sprache fällt auf, dass sie schon vor Einsteins Entdeckungen eine relativistische Sprechweise pflegt.
Sie sagt zum Beispiel: „Vor langer Zeit…“ oder: „nach kurzer Zeit“

Lang und kurz geraten hier zu Entfernungsangaben, obwohl es ja eigentlich heißen müßte: „nach schneller Zeit.“ im Sinne von kurzweilig. Oder: „vor langsamer Zeit.“ im Sinne von „langweilig“

Wo ist hier vorne und hinten?

Wenn der (hölzerne) Bleistift annähernd Lichtgeschwindigkeit erreicht hat, ist er nicht nur extrem verkürzt, sondern beinahe unendlich schwer.
Das heißt: Er erreicht die Grenze der Physik und damit die Grenze zum Sagbaren.

Der Bleistift ist ein Baum.

Kunst.

Im Kuriositätenkabinett

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Was Harald Lesch zur Astrologie sagt, trifft im Wesentlichen zu auf „zeitgenössische Lyrik.“ Sie ist angewiesen auf einen Apparat des leeren Geredes, das sie selbst erzeugt, und das die „Interpreten“ dann ebenso leer „interpretieren.“
Trotzdem kann man auch als Naturwissenschaftler heute gegenüber der traditionellen Astrologie eine gewisse Souveränität walten lassen.
Man muss sich als gestandener Naturwisschaftler/Philosoph heute nicht mehr „in aufklärerischer Manier“ über die Astrologie lustig machen.
Das wäre nicht souverän. Das Selbe gilt für den „aufklärerischen Impuls“ gegen die Alchemie.  Beide Disziplinen, sowohl die Astrologie als auch die Alchemie gehören zur Wissenschaftsgeschichte.
Eigentlich darf man sich als Wissenschaftler niemals überheblich oder herablassend als „Heutiger“ gegenüber bestimmenden Bestandteilen der eigenen Geschichte äußern, weil man es heute vermeintlich „besser weiß“.

Genau daraus erwuchs ja die Hybris der „Aufklärung“, die glaubte, sich als „Besserwissende“ gegen die Vergangenheit wenden zu können. Gegen die Wurzeln, gegen den Prozess der Bewegung, und letztlich gegen die Ökologie des Geistes.

Man bedenke dabei, dass es für den ersten und wichtigen Naturwissenschaftler Thales noch selbstverständlich gewesen sein soll, per astrologischer Wesensschau den Ertrag einer Olivenernte einzuschätzen. Und noch Keppler, ein anderer wichtiger Naturwissenschafltler, war im Hauptjob Astrologe und zugleich der erste Autor, der eine Raumfahrt beschrieben hatte. Und die letzten einhundert Jahre menschlicher Geschichte belehren uns nicht immer und jeder Zeit darüber, dass „Aufklärung“ im platten Sinne des Begriffs ausschließlich Gutes gebracht hat.
Ich finde, dass man auch als „aufgeklärter“ Naturwissenschenaftler diese Zusammenhänge würdigen kann, ohne sich deshalb dem Verdacht auszusetzen, man sei ein „Esoteriker“  – im schlechten „unaufgeklärten“ Sinne des Begriffs.

Was die Mythologie betrifft – und die daraus abgeleitete und darauf aufbauende echte, wirkliche und wahre Dichtung – da darf man heute
eine durchaus „hellhörige“ Perspektive einnehmen.
Mir wurde jedenfalls in letzter Zeit immer klarer, dass Hölderlins Frage: Wozu Dichter? – genau die Wegscheide markiert, wo sich die nur glänzenwollende Artistik und das Ausstellen von totem  Literaturwissen a la Raoul Schrott, Grünbein, Peter Hacks, Enzensberger, Botho Strauß, Monika Rinck etc….von der wirklich funkelnden Dichung abhebt.
Theodor Däubler, Yvan Goll waren die Funkelnden, Greßmann auch noch….danach kam eigentlich nur noch Müll.

Wer immer nur so glänzen will, der verliert sein Funkeln.

Zugespitzt das Seyn.
Keil, Klinge, Feuerstein.

Am Grammatoskop: Die Sage. / oder: Der Mythos als Endosingularität und künstliche Intelligenz.

Im Dunkeln ist gut Funkeln.

Stupidozän

Unterwegs im Zug.

Alle reden über das Wetter. Niemand redet über das Wetter.

Die Kernfusion, ja die Kernfusion

Ist die Kernfusion jetzt menschengemacht oder nicht?

Ist schwierig, ja

Sehr kompliziert, ja

Extrem komplexes Ding.

So komplex wie das Klima.

Seit 70 Jahren schwierig.

Die Kernfusion ist wirklich schwierig, du, also echt… nicht einfach ist das.

Ja

Schön wäre sie natürlich

Zugriff auf quasi unendliche Energie

Man könnte nicht nur heizen damit…

Auch allen Zivilisationsmüll zurückverwandeln könnte man…

Plastik zurück in Kohlenstoff und Wasserstoff und und…

Kostenlose Energie, quasi unendlich..

Wir könnten herummüllen wie wir wollen, weil der ganze Müll ja wieder aufbereitet werden könnte, lönnte, pönnte, tönnte

Weil: Quasi unendliche Energie zur Verfügung steht.

Gut, weniger Müll ist auch gut.

Wirtschaftliches Wachstum mit sauberer Luft und sauberem Gewissen.

Ohne Energieproblem…

Wir könnten Treibstoff aus Müll synthetisieren und wieder richtig tolle Autos fahren…

Mit der Kernfusion ohne schlechtes Gewissen…

Energie quasi unendlich….

Man könnte auch 5 Kraftwerke laufen lassen, die einfach nur die Atmosphere reinigen. Die nichts weiter tun als das.

Das wäre so eine Art Terra-Reforming.

Oder Wüsten bewässern…

Ja, wär schon schön…

Alle reden über das Wetter. Niemand redet über das Wetter.

Aber die ist schwierig, die Kernfusion.

Das dauert noch ganz lange.

So lange wie die Apollomission, da haben die auch ganz lange für gebraucht.

Mit Rechenschiebern damals noch…

… mit so Rumpelcomputern

War total schwierig die Apollomission.

Oder die Atombombe, war auch total schwierig, nee wirklich….

Oder die V2.. Die war auch schwierig..

Alles ganz schwierig…

Radartechnik..

Flugzeuge, Eisenbahnen…

Total schwierig,

So schwierig wie die Kernfusion.

Nee echt, also ist total schwierig…

Aber wir forschen dran…

In 30 Jahren ist es vielleicht soweit.

Oder in 50 Jahren.

Möglicherweise

Vielleicht

Eventuell

Ist schwierig die Kernfusion.

Kennedy hat ja damals auch gesagt:

In 30 bis 50 Jahren ist der erste Mensch auf dem Mond. Eventuell. Möglicherweise. Vielleicht auch später, mal sehen. Ist schwierig

Oder in Los Alamos damals haben die gesagt: In 30 bis 50 Jahren haben wir die Atombombe. Eventuell. Möglicherweise.

Ist schwierig, aber eventuell…

Nee also Kernfusion ist schwierig, wirklich, ganz ehrlich, richtig schwierig…

So schwierig wie der 1. Weltkrieg. Der war auch schwierig.

Oder die Stickstoffsynthese. Düngemittel soviel man braucht..

Total schwierig.

Aber wir forschen dran….

Nee also es ist wirklich schwierig, die Kernfusion, ganz ehrlich, die ist schwierig.

Wirklich komplex. Hoch komplexe Technik.

So schwierig wie Penezillin. Schwupps, plötzlich kann man Infektionen sogar überleben.

Aber so in den nächsten 30 bis 50 Jahren…

…wird sich da einiges bewegen…

Also die Kernfusion… die ist uns wichtig.

Wirklich wichtig…

Nee, wirklich, echt wichtig…

So wichtig wie die Entwicklung der V2

Wirklich wichtig…

Nee also wirklich…

Die ist uns echt wichtig die Kernfusion.

So wichtig wie das Klima…

Die Kernfusion ist uns seit 70 Jahren wirklich wichtig.

Nee, also wirklich echt wichtig.

So richtig wichtig.

Aber ist total schwierig die Kernfusion.

So schwierig wie der zweite Weltkrieg.

Oder der dritte…

Die ist wirklich schwierig die Kernfusion.

Obwohl wir heute nicht mehr mit Rechenschiebern rechnen und KI haben.

Aber wir schaffen das mit der Kernfusion.

In 30 bis 50 Jahren schaffen wir das.

Alle reden über das Wetter. Niemand redet über das Wetter.

Ist aber schwierig, wirklich schwierig.

Die Kernfusion ist so wichtig und so eine tolle Energiequelle, dass alle Zeitungen täglich grosse Aufmacher dazu bringen.

Die Schulen sind voll mit vielen Arbeitsgemeinschaften: Junge Plasmaphysiker.

Das geht schon in der Grundschule los. Willkommen in der Arbeitsgemeinschaft Junge Plasmaphysiker.

Junge Plasmaphysiker in Neukölln, Bottrop und Gelsenkirchen. Plasmaphysik als Lehrfaden schon in der 3. Klasse.

Vermummte Plasmaphysiker bei Anne Will in der Talkshow.

Nee wirklich, ist uns total wichtig die Kernfusion, echt jetzt.

Ist uns so wichtig wie Raketenstufen, die rückwärts wieder landen können.

Die Kernfusion ist allen Menschen auf der Welt total wichtig. Seit 70 Jahren echt wichtig.

Wirklich wichtig ist die Kernfusion.

Die Kernfusion ist allen Menschen auf der Welt so wichtig wie der Konsumverzicht und die Nachhaltigkeit.

In den nächsten 30 Jahren werden auf der ganzen Welt nur noch ökologisch nachhaltig denkende konsumverzichtende Menschen geboren, denen nichts wichtiger ist im Leben, als zu verzichten, Yoga zu machen und grünen Tee zu trinken.

Alle 15 Milliarden Menschen werden sprechen wie aus einem Mund: Nie wieder Fleisch und SUV.

Und in Gelsenkirchen sprechen alle Menschen nur noch über Plasmaphysik.

Denn Verzicht ist wichtig. Und das motiviert Menschen auch.
Kein Sex, kein Diesel, kein Fleisch, kein Rock’n’roll. Nur noch Windräder, das Omen-Gesicht von Greta und Drohungen mit der Klimakatastrophe. Geil.

Das weiß man aus Managerseminaren, dass Drohungen und Verzichtsgebote Menschen zu Höchstleistungen motivieren.

Kennedy hat ja gesagt: Wir sind schlechte Menschen und müssen leider einen dieser schlechten Menschen in 10 Jahren auf den schlechten Mond schicken.

Da steht man doch gerne morgens auf.

Ganz schwierig. Große Motivation.

So schwierig und so wichtig wie die Kernfusion.

Im Grunde sind die Medien seit Jahren übervoll mit Erzählungen und Visionen, die davon berichten, wie toll die Kernfusion ist.

Die Kernfusion ist uns so wichtig und so prominent wie das C02, das Spurengas mit Hitlerbärtchen.

Die ist uns echt wichtig.

Seit 70 Jahren denken alle Menschen des Planeten über die friedliche Nutzung der Kernfusion nach.

Und alle Physiker und Ingenieure der Welt kennen seit 70 Jahren nichts Wichtigeres als die Kernfusion.

Nee, wirklich, also die Kernfusion ist uns wirklich wichtig.

Alle vier Jahre gibt es Kernfusionsweltmeisterschaften. Milliarden sitzen dann fasziniert vor den Bildschirmen.

Und jedes Jahr wird die Kernfusionsweltmeisterschaft in einem anderen Land ausgetragen.

Wirklich richtig wichtig.

So wichtig wie im 2. Weltkrieg das Entschlüsseln der Enigma.

Wirklich wichtig ist uns die Kernfusion seit 70 Jahren.

Man stelle sich mal vor: Energie ohne schlechtes Gewissen..

Unendlich viel Energie…

Und die ganzen Konflikte um Wasser und Rohstoffe…

Deshalb ist uns die Kernfusion auch so wichtig.

Sie brennt der Menschheit förmlich unter den Nägeln.

Sie ist uns echt wichtig die Kernfusion.

Ist aber auch schwierig, also wirklich, richtig schwierig seit 70 Jahren.

Echt. Nee ganz ehrlich richtig schwierige Technologie.

So schwierig wie C02 Zertifikate.

Die Stickstoffsynthese war total einfach dagegen.

Oder das erste Flugzeug. Ein Kinderspiel.

Oder die Atombombe… Die haben wir damals so mit dem linken Zeh vor dem Mittagessen entwickelt.

Die war uns nicht so wichtig.

Seeweg nach Indien. War total einfach.

Oder das erste Flugzeug, das war auch total einfach.

Oder das erste Atlantikkabel. Das wurde ganz lässig verlegt von gelben Quietschentchen.

Die Pyramiden waren den Ägyptern nicht so wichtig. Die haben die nur so nebenbei hingefummelt.

Aber die Kernfusion ist uns wirklich wichtig.

Und deshalb ist sie auch so schwierig.

Die Kernfusion ist viel schwieriger als zum Beispiel nach unsichtbaren Teilchen der dunklen Materie zu suchen.

Nee also wirklich, die Kernfusion steht seit 70 Jahren an erster Stelle in allen Zeitungsdebatten.

Sascha Lobo, der hochbegabte Kolumnist, in der Zeitung für Hochbegabte, schreibt und huldigt in seiner Mensch-Maschine-Kolumne seit 10 Jahren die Kernfusion.

Und wie geil das wäre, wenn die Menschheit Kernfusionsreaktoren hätte.

Wir könnten unseren ganzen Müll per Retrolyse aufbereiten. Wir könnten die Atmosphäre reinigen. Wir könnten Wüsten bewässern.

Unendliche Energie.. .quasi

Alle reden über das Wetter. Niemand redet über das Wetter.

Die Signalfarbe des Irokesenhaarschnitts von Sascha Lobo leuchtet visionär voraus für eine Zukunft mit Kernfusion. Sascha Lobo, der digitale Mensch-Maschine-Mann mit konstruktiven Visionen und mit visionärem Blick in eine Zukunft, in der die Kernfusion beherrscht wird. Der Mann mit dem visionären Blick in Richtung Horizont. Die Adleraugen scharf in die Zukunft gerichtet.

Wir finden einen Weg. Wir haben Visionen.

Harald Lesch feuert die Öffentlichkeit an mit flammenden Reden: In 10 Jahren haben wir den ersten Menschen auf dem Mond! In 10 Jahren haben wir die Kernfusion. Ende der Durchsage.

Aber aus Managerseminaren wissen wir: Man motiviert Menschen am besten mit Drohungen, Mahnungen, depressiven Nachrichten, neuen Steuern und Verzichtsgeboten.

Früher, als Manager noch gekokst haben und mit fiesen 12-Zylinderautos zur Arbeit gefahren sind, da hat man in Managerseminaren gesagt: Nehmt mal die Hand aus dem Sakko, zieht mal den Finger aus der Achsel und zeigt mal, was ihr drauf habt! Bomben bauen, das könnt ihr doch, ihr Spastis! Ihr seid die besten Konstrukteure. Trinkt mal 5 statt nur 2 Tassen Kaffee, und morgen früh ist der Kernfusionsreaktor fertig.

Nein, in Managerseminaren sagt man heute: Ihr seid schlechte Menschen, verschwenderisch und faul. Ihr könnt nichts ausser C02 ausatmen. Aber ihr schlechten und faulen Menschen müsst jetzt leider den hässlichen Kernfusionsreaktor bauen.

Da steht man doch total gerne morgens auf und geht motiviert an die Arbeit für die Zukunft des Planeten.

Aber wir wollen ja auch die Vielfalt. Und keine Monokultur. Denn Monokultur wäre ja Faschismus.

Alle reden über das Wetter. Niemand redet über das Wetter.

Wir möchten ja in den nächsten 10 Jahren nicht mehr das Monokultur Wort Klima in den Zeitungen lesen, sondern täglich Jubelberichte über den Fortschritt der Kernfusion.

Und die Landschaften werden immer schöner mit den vielfältigsten Windrädern für 15 Milliarden Menschen. Diese Windräder sind sehr vielfältig.

Nee also die Kernfusion ist uns wirklich wichtig.

Also echt und ehrlich wirklich wichtig.

So wichtig wie die tägliche Talkshow mit vermummten Gästen.

Und das C02.

Und das Klima.

Aber wir schaffen das. Eventuell mal in 30 bis 50 Jahren möglicherweise vielleicht.

Nee also wirklich, ist uns total wichtig die Kernfusion. Ganze Bankenrettungsfonds stecken in der Kernfusion.

Die weltweit besten Ingenieure, Mathematiker und Physiker arbeiten an der Kernfusion. Die werden sogar manchmal ganz fies von Headhuntern aus wichtigen Projekten abgeworben, damit sie an der Kernfusion forschen.

Hochbezahlt. Höchstbezahlt.

Die weltweit besten Ingenieure und Physiker arbeiten seit 70 Jahren an der Atombombe gegen das Energieproblem.

Streng geheim.

Deshalb hat die Kernfusion auch so eine streng geheime Public Relation und so ein tolles Image. Die Kernfusion hat ein sexy Image. Von der Anmutung her irgendwo bei Forschen mit Jürgen von der Strickjacke. Das Image der Kernfusion ist extra unauffällig.

Man hört von der Kernfusion nichts im Wetterbericht, obwohl das ja die zweite menschengemachte Sonne sein könnte.

Ein quasi stellares Objekt…

Aber das ist alles streng geheim.

Wenn man die zivile Kernfusion mit hollywoodesken ImageFilmen a la Ridley Scott in die Öffentlichkeit pushen würde, dann würden ja alle nur noch über die Kernfusion sprechen und nicht mehr über CO2.

Wo kommen wir denn da hin?

Nee, also da lassen wir die PR der Kernfusion lieber so auf dem Niveau von Forschen in Tinas Bastelstube.

Und erfinden dafür lieber so Worte wie Flugscham oder Klimaleugner.

Dürers Figur sitzt herum und hat Flugscham.

Ja, der Mensch ist ein großer Verzichter. Der Mensch ist groß geworden durch Verzicht.

Ja, der Mensch kann auch verzichten.

Ja, Katzen können auch fliegen. Aber dann bitte im Flugzeug.

Weil die Menschen ja dafür bekannt sind, dass sie Verzichter sind und keine Konstrukteure. Das 20igste Jahrhundert hat ja im Prinzip nur verzichtet. Auf Autos verzichtet. Auf Elektrizität verzichtet. Auf Kriege verzichtet. Auf Atombomben verzichtet.

Und die Menschen haben die Welt verändert, indem sie auf Internet, Flugzeuge und Atombomben verzichteten. Und auf die Stickstoffsynthese haben sie auch verzichtet.

Dann verändert doch mal wieder die Welt und verzichtet auf den Kernfusionsreaktor.

Und wir wiederholen auch immer: Die Kernfusion ist eigentlich nur so eine nebensächliche Zutat, eine kleine Zutat im Energiemix aus niedlichen Windrädern, Öltankern und popeligen Solarzellen. Da ist die Kernfusion auch nur so eine popelige Zutat. Und wer weiß, vielleicht ist sie ein Milliardengrab. Und vielleicht funktioniert das ja garnicht.

Weil die Weltbevölkerung ja auch in den nächsten Jahren nur wenig anwachsen wird. Und diese Weltbevölkerung wird aus lauter selbstkritischen verbraucherkritischen aufgeklärten Konsumverzichtern, Rollerfahrern, Zufußgehern, Windradpustern und Grünteebeuteltrinkern bestehen.

Und diese Bevölkerung wird dann sagen: Ätsch, die zivile Beherrschung der Kernfusion war ja nur ein Milliardengrab, und die funktioniert nicht im Kraftwerk, Ätschi, Bätschi….

Dann merkt das keiner, dass die Kernfusion so schwierg ist. Und ein Milliardengrab.

Wir wollen auch niemanden irritieren mit der Aussage: Die Menschheit hat kein Klimaproblem. Das einzige was sie hat, ist immer noch kein Kernfusionsreaktor. Und wenn wir die Kernfusion nicht wuppen, dann wuppen wir garnichts mehr.

So etwas würden wir nie sagen.

Aber ganz ehrlich, die Kernfusion ist uns echt wichtig. Wirklich total wichtig. Seit 70 Jahren.

Und weil die besten und begabtesten Physiker und Ingenieure weltweit seit 70 Jahren an nichts anderem forschen und die Zeitungen und Fernsehprogramme über nichts anderes berichten als über die Kernfusion, genau deshalb haben wir auch so eine erregte Debatte über die Frage, ob die Kernfusion menschengemacht ist oder nicht.

Die Zeitungen sind täglich voll mit einer Vielfalt von Meldungen: Die Medienlandschaft ist total vielfältig. Die reinste Themenvielfalt: Klima.

Wie vielfältig und abwechslungsreich doch unsere Medienlandschaft ist.

Vielleicht gehört die Kernfusion zu den ganz normalen Kernfusionsschwankungen. Man weiß es nicht.

Daran sieht man, wie wichtig uns die Kernfusion ist.

Alle reden über das Wetter. Niemand redet über das Wetter.

Die Kernfusion ist uns echt wirklich wichtig, sozusagen kriegswichtig, ganz ehrlich. Wirklich. Echt jetzt.

Seit 70 Jahren ist dieser Welt nichts wichtiger als die Kernfusion. Wirklich wichtig.

Alle reden nur noch über die Kernfusion.

Eine Kurzmeldung zum Stand der Kernfusion nach jedem Wetterbericht machts möglich. Die Sonne zeigt sich hier und da..aber noch kurz.

In 10 Jahren betrachten wir vergilbte Fotos: Da haben wir einen Ausflug gemacht und stehen mit der Badehose vor so einem Windrad. Ja, die waren skurril die Dinger. Gibt’s heut nicht mehr. Aber von Tamagochis oder Kassettenrekordern redet heute auch keiner mehr.

Aber die Public Relation der Kernfusion, die ist hollywoodesk gemacht. Die Image-filme zur Kernfusion sind einfach der Brecher, der Blockbuster. Hammer Werbung für das Grösste und Wichtigste, das dieser Planet in Zukunft braucht. Ganz großes Kino.

Aber vielleicht gibt es Hoffnung.

Wendelstein – der Stellerator

Ein quasi stellares Objekt

Kunst.

Dunkle Materie

Kraft und Spannkraft

Möglicherweise verweist ja das Problem der dunklen Materie auf ein Verhältnis, das bisher noch zu wenig beachtet wurde. Eine Vermutung. Ich bin nicht wirklich ein Mathe-Crack, aber ich denke, dass die Mathematik eines Bogenschusses nicht trivial ist oder wenigstens nicht so trivial, dass man sie nicht einmal in den Augenschein nehmen könnte.

Der Erfahrung nach hängt die Reichweite oder die Durchschlagskraft einer Armbrust oder eines Bogens von mehreren Faktoren ab. Da wäre einmal die Spannkraft, die das Gerät spannt, also beugt. Diese wiederum ergibt sich aus dem Material, und dem „Weg“ des Durchzugs, also wie stark „hohlt“ der Bogenschütze aus.

Ziemlich interessant finde ich darüber hinaus die Frage, was eigentlich die Länge oder die Größe des Bogens über seine Reichweite aussagt.

Jedem leuchtet ein, dass eine Spielzeugarmbrust aus Eschenholz, deren Bogen nur 10 cm breit ist, eine geringere Reichweite haben dürfte als ein Gerät aus dem selben Material, dessen Bogen aber 80 cm breit ist….

Dabei fällt auf, dass eine kleine Armbrust auch nur kürzere Pfeile verschießen kann, während ein entsprechend größer gebauter Bogen auch längere Pfeile mit einer höheren Reichweite verschiesst.

Wie weit würde ein Pfeil fliegen, wenn der Bogen, der ihn verschiesst, 8 Meter hoch ist oder 80 km? Und wie lang wäre hier der ideale Pfeil?

An dieser Stelle stellt sich die Frage nach der allgemeinen Relativitätstheorie. Könnte es sein, dass die Gravitation als resultierende „Pfeilkraft“ aus der Beugung auch von der Größe des Bogens bestimmt wird?

Also könnte es sein, dass rotierende Galaxien deshalb nicht auseinanderfliegen, weil sie als relativ große Objekte auch einen viel längeren Bogen „um sich herum spannen“, weshalb dann die resultierende „Kraft“ oder der „Kraftpfeil“ viel stärker ist oder mit einer stärkeren „Reich“ – Weite wirkt, als wenn man die resultierende Gravitation nur über die anwesende sichtbare Masse berechnet?

Demnach könnte es sein, dass nicht Massen die Raumzeit krümmen, sondern umgekehrt gedacht, dass die Ansammlung und Dichte von Massen ein Effekt von gekrümmten Zeiträumen sind….?

Also in dem Sinne formuliert: Die Krümmung ist das Primäre und die Massen sind das resultierend Sekundäre.

Oder noch anders artikuliert: Masse und Materie spannen den Bogen nicht, sondern sie sind das Ergebnis von Bogenspannung oder von verteilten Bogenspannungen als Emergenz aus dem Urknall.

Materie und Masse ist also das Ergebnis von gekrümmten Zeiträumen und nicht die Ursache….

Ein schwarzes Loch wäre dann ein Bogen, der ganz einfach total um sich selbst gespannt ist…..weshalb seine Pfeile alle in die eigene Mitte schießen. (als Licht) oder in die Mitte hineingezogen werden (Schwerkraft) :: das All „hohlt“ aus.

So wie ein großes Teleskop mit einem großen Durchmesser auch viel weiter schauen kann, so hat ein großer Bogen auch eine viel größere Reichweite.

Klingt eigentlich plausibel.

Die daran anschließende Frage oder Vermutung: Wenn man eine gespannte Armbrust mit Pfeil auf eine Wage legt, sollte sie genau so viel wiegen, als wenn ich sie im ungespannten Zustand auf die Wage lege, oder? (Ruhemasse Null)

Das ist doch sehr erstaunlich. Wie kommt es, dass man das Potential oder die potentielle „Reich“ – Weite einer gespannten Armbrust nicht wiegen kann? ( und nicht sehen kann)

Obwohl doch soviel „potentielle Reichweite“ in einer gespannten Armbrust enthalten ist…

Wenn ich mir eine Bemerkung erlauben darf….

Es herrscht in der Physik immernoch ein großes Mißverständnis im Umgang mit Worten wie „Schönheit“ oder „Ästhetik“ oder „Natürlichkeit“ oder „Symmetrie“

Die Wissenschaftler verstehen nicht den Unterschied zwischen „Harmonie“ und „Ästhetik“



Wenn ich mir eine Bemerkung erlauben darf: Der Beitrag von Frau Sabine Hossenfelder ist sehr gut aufbereitet, und er weist darauf hin, was das eigentliche Problem der gegenwärtigen Physik ist. Frau Hossenfelder bringt in dem Vortrag einige gute Beispiele. Aber das Problem wird nicht wirklich getroffen.

Die alten Griechen verstanden unter dem „Kosmos“ eine Ordnung.
Weil die Dinge in einer Ordnung sind, waren sie „in Ordnung“
Dieser „Ordungssinn“ der alten Griechen meinte aber etwas ganz anderes als bloßes „Wohlgefallen“ oder gar bloße „Symmetrie“ im platten Sinn des Begriffs.

Der „Ordnungssinn“ der alten Griechen umfasste auch das „Chaos“ ebenso wie die Unterwelt. Vor allem aber erzählen die alten Griechen von einer „Entwicklung“ von „Metamorphosen“ und von Verwandlungen.
Sie erzählt von Wegen, Fahrten, Tragödien und Ereignissen.

Frau Hossenfelder zeigt ein Blütenarrangement als Beispiel für eine ausgewogene Anordnung, und das ist auch nicht falsch, wie auch der Sinn für Symmetrie nicht zwingend falsch ist.
Kein Teleskop würde funktionieren, wenn es nicht in seinen Verhältnissen „rotationssymetrisch“ konstruiert wäre mit einem FOCUS im Mittelpunkt.
Der Schönheitssinn der Physik ist garnicht so sehr zu verwerfen.

Aber, aber, aber…

Was garnicht geht: Einen klebrigen Fliegenfänger mit Fliegen daran zu zeigen als Beispiel für Hässlichkeit. Denn ein Fliegenfänger mag zwar nicht unbedingt „Wohlgefallen“ oder „Wohlbefinden“ zu erzeugen, doch ist er in sich ein sehr „harmonisches“ Arrangement.

Harmonisch in dem Sinne, als das er eine konstruktive Wahrheit als Gedanken in „Übereinstimmung“ mit einer Beobachtung bringt. Nämlich: Fliegen können nicht mehr wegfliegen, wenn sie – wie seit Urzeiten bekannt – an Baumharz festkleben. Stimmt! – Bingo – die Sache selbst „stimmt“ – harmonisch – mit einer uralten Beobachtung – über – ein. Übereinstimmung – man höre in dieses Wort hinein und vernehme die „Stimme“

Deshalb ist auch ein klebriger Fliegenfänger ein harmonisches Arrangement – obgleich man sich über das „Wohlgefallen“ eines Klebestreifenfliegenfängers streiten kann.

Eine Spinne oder ein Spinnennetz erzeugt nicht zwingend „Wohlgefallen“ aber es ist trotzdem harmonisch – in der Ordnung.

Was ist der Unterschied zwischen Harmonik und Symmetrie?

Harmonie zeigt eine musikalische „Ordnung“ in einem zeitlich bewegten oder in einem dauernden und bedauernden – Wege-Fluß des Kosmos.
Dass etwas „stimmt“ – sagt: etwas „stimmt“ überein.
Eine Hypothese „stimmt“ mit einer Beobachtung überein.

Wa(h)rheit der Natur meint also etwas, das „stimmt“.
Hier ist die „Stimme“ oder die „Stimmigkeit“ als Harmonie in einem durchaus musikalischen Sinne als „Wahrheit“ enthalten.


Dabei muss man sich davor hüten, das, was „stimmt“ – immer mit „Wohlgefallen“ gleichzusetzen oder mit „Anmut“ oder mit „Symmetrie“.

Auch ein hässlicher verschrumpelter Apfel „stimmt“ – weil er in „Übereinstimmung“ mit seinem Weg oder von seinem Weg in einen Alterungsprozess hinein be-STIMMT ist.

Die Physiker vergessen immer, dass auch „das Falsche“ nichts desto trotz der Harmonie angehört. Denn auch eine „Falsifikation“ – stimmt, wenn sie korrekt vorgenommen wurde. Auch das „Falsche“ stimmt. Ebenso wie ein „Fehler“ stimmt. Harmonie sagt nichts über gut und schlecht, richtig oder falsch. Harmonie sagt: Es stimmt. Zum Beispiel: Stimmt! Das war falsch!

Aber nur der lebende Mensch bei Bewusstsein kann soetwas sagen wie: Das stimmt! Sein Bewusstsein erst ermöglicht in Teilnahme als „Resonanzraum“ für „Stimmigkeit“ die Feststellung dessen, was „stimmt“.

Und weil unser Bewusstsein als ein Resonanzraum in „Übereinstimmung“ mit dem Kosmos agiert, („Die Natur schlägt im Menschen die Augen auf“) kommt es zu der Illusion, die Materie sei „gequantelt“.

Die Quantelung ist deshalb eine Illusion, weil das Bewusstsein des Menschen selbst „ein Quantum“ ist
(Offen/Geschlossen zugleich – Welle (Geist,Gefühl) und Ratio (Teilchen)

Dass man „Teilchen“ mathematisch (prophetisch) vorhersagen kann, und dann auch genau so findet – hat wiederum etwas mit der intrinsischen Harmonität des Bewusstseins zu tun. In der Quantenwelt stimmt die „Berechnung“ und die „Beobachtung“ überein, weil der menschliche Geist garnicht anders kann, als mit seiner eigenen „Quantität“ zu interferrieren. Die Naturwissenschaft aber sollte sich in Zukunft um Qualitäten kümmern.

Die Quantenhypothese ist ein konstruktiver „Double-Bind“ des menschlichen Bewusstseins innerhalb der Natur.
Aber auch der Mythos und die Dichtung können Vorhersagen machen, die tatsächlich mit den Wissenchaften „übereinstimmen“



Eine wesentliche Konsequenz der „Quantentheorie“ ist die Körnigkeit oder die „Granularität“ der Raumzeit. Wenn die Quantenhypothese wirklich der „Realität“ entspricht, dann müsste die Raumzeit in winzigen Skalen selbst „gekörnt“ sein.



Jedes Experiment, das die Körnigkeit der Raumzeit nachweisen wollte, ist bis heute gescheitert. Zitat Spektrum der Wissenschaft Harald Lesch: „Zwei Experimente, zwei Niederlagen für die gequantelte Raumzeit. Obwohl die heutigen astronomischen Beobachtungen empfindlich genug sind, wurde die erwartete Korngröße der Raumzeit nicht gefunden. Mindestens zwei Schlüsse kann man daraus ziehen: Entweder lässt sich die Quantenmechanik eben doch nicht auf die Raumzeit des Universums anwenden. Oder die Körnung ist noch viel feiner, als man bisher annimmt.“ (Spektrum der Wissenschaft 2011)

Der Schluss, den man daraus ziehen kann, lautet: Die Quantelung widerspricht nicht dem gesunden Menschenverstand, sondern sie ist ein Phänomen des Verstandes, des (technischen) Bewusstseins in „stimmiger“ Resonanz mit dem Kosmos.

Die Quantentheorie „wird erzeugt“ genau auf der Schwelle zwischen Bewusstsein und Kosmos. Sie „stimmt“ weil sie eine „Resonanz“ – Erscheinung des (technischen) Bewusstseins ist.

Das Selbe gilt für „Konstanten“. Der Name „Konstante“ sagt mit der Vorsilbe „KON“- dass eine Konstante ein MIT-Stehendes oder MITT-Laufendes ist. Die Konstanten sind „Mit-Steher“ Kon-struktiv selbstadjustiert.
Dass die Quantentheorie „funktioniert“ – beweist den Menschen, aber sie beweist nicht, dass die Materie oder die Energie wirklich gequantelt ist. Die Quantennatur der Materie ist eine kon-struktive Real-Halluzination.



Tja, möchte man da sagen, lieber Harald Lesch – was zeigt den nun der Bogen des Apoll? Der Bogen des Eros, aber auch der Bogen des Odysseus? Der Bogen des Apoll zeigt die allgemeine und die spezielle Relativitätstheorie: Dass nämlich ein gekrümmter Raum eine „Kraft“ – auf einen Mittelpunkt hin FOKUSSIERT. Der Bogen des Apoll krümmt den Raum und „zeigt“ in zwei Richtungen. Einmal zeigt er in den Weltraum hinein und ein andermal zeigt er als Hohlspiegel, dass die Welt und die Seele „gespannt“ sind wie ein Bogen. „Gespannt“ auf neue Entdeckungen und Abenteuer.

Die Astrophysiker sollten einmal unter dem Begriff „hermeneutischer Zirkel“ nachschlagen.

Deshalb war es von den „lyrischen“ Schöngeistern immer sehr falsch, anzunehmen, der heimgekehrte Odysseus wäre jetzt zu Hause und angekommen. Ganz und garnicht. Die Heimkehr des Odysseus kündet davon, dass neue Abenteuer anstehen und neue Entdeckungen. Denn wie hat Robert Frost so schön gesagt: Das Leben geht weiter.







the road not taken

Frau Knospe und Herr Knospe brechen auf. Frühling mit Kritik und Kreation… Es ist ja etwas Wahres dran: Das Machen, also das Denken und Dichten, motiviert sich in seinem Grundimpuls aus der Kritik und der kritischen Analyse von etwas Gegebenen, einer Analyse, die Abstoßung leistet und Aufbruch. Dabei sucht die Analyse zugleich nach neuen Übereinstimmungen, tragenden Luftschichten, ja sogar nach einer neuen poetischen Passung.

Wenn man bedenkt, wie viele Doktorarbeiten in letzter Zeit bei öffentlichen Personen in Plagiatsverdacht geraten sind, möchte man nicht die Dunkelziffer wissen an promovierten Germanisten, Sozialwissenschaftlern und Philosophen, deren Arbeiten womöglich auch nicht ganz koscher sind. Das dann hochgerechnet auf einen Intellektuellen Gesamtzustand von philosophischer oder denkerische Qualifikation, insbesondere der Menschen, die glauben, sich öffentlich ein Urteil „über“ Heidegger anmaßen zu können — dieses also gibt genug Selbstbewusstsein, Heidegger immer richtiger, wichtiger und relevanter zu finden… aber das ist ein anderes Thema.

Kreation ist Kritik und Kritik ist Kreation. Ein guter Schreiber muss ganz automatisch ein Schriftkritiker sein. In der bildenden Kunst gilt das nicht immer, weil die Kunstkritik sich immer sprachlich äußert, während Malerei oder Bildhauerei ihre impulshaften Momente auch vorsprachlich oder nonverbal halten kann.
Nur beim Schreiben lässt sich der kritische Impuls nicht leugnen, weil Denken mit Sprache verknüpft ist.

Manchmal hört man die innere etwas vorwurfsvolle Stimme: Musst du andere literarische Kerzen mit Literaturkritik auspusten, damit deine eigene Sonne heller erstrahlt?
Was soll man darauf antworten… das haben Schreiber immer schon getan. Aber es ist weniger ein Kerzeauspusten, vielmehr ein Polieren des Spiegels. Außerdem rücke ich ja auch andere Dichter, Philosophen und Künstler wieder in ihr wahres Licht, das bisher unter den Scheffel gestellt wurde. Es gehört dazu, zum Poliervorgang am inneren Hohlspiegel, das dichterisch Wertvolle zu verstärken und all das Unstimmige, all das Falsche, das einem in Texten oder in der sogenannten E-Literatur begegnet, bewusst wegzupolieren. Kritik und Kreation gehören zusammen. Man kann nicht so tun, als sei man der freundliche Friemel, der ein paar Texte zusammenfriemelt, man ist dabei schon auch Kritiker all der Texte, die man so blättert oder lesen muss.

Mag sein, dass die kritizistische Abstoßungsbewegung am Anfang etwas Verkrampftes, Knarrendes, Gesuchtes und Gewolltes hat, so wie ein großes Fluggerät am Anfang noch schwergängig, krachend und polternd durch eine lange Startphase hoppelt, von der es sich abheben will; oder so, wie eine große Bohrinsel oder ein Flugzeugträger knarzend, langsam und behäbig aus der Werft läuft; aber irgendwann ist das Gerät dann in der Luft oder in voller Fahrt, und dann ist das anfängliche Poltern und Knarzen vergessen. Gerade bei wirklich umfangreichen Geräten und großen Maschinen dauert es etwas länger, bis aus der krachenden und schwergängigen abstoßenden Startphase eine gleitende Fahrtphase geworden ist. Eine kleine lyrische Luftmatraze mag man mit einem kurzen unpolemischen Stubs vom Ufer weg befördern; ein poetisches Frachtschiff oder eine dichterische Apollomission braucht schon eine kritizistische Logistik, bis das wirklich Fahrt aufgenommen hat. Doch auch in dieser zweiten entspannteren Phase der Bewegung bleibt Navigation in einem ständigen Abgleichmanöver mit dem, was man kritisiert, was man als störend empfindet, unpassend und sozusagen als „abstoßend“.

Immer mal wieder sind Hindernisse zu umfliegen oder Navigationsverfeinerungen vorzunehmen, damit man den Kurs nicht verliert.

Neulich in der Buchhandlung beim Blättern wurde mir wieder klar, dass mir Ann Cottons Texte wirklich nicht gefallen. Hatte ich schon ihre Lyrik nicht gemocht, so wurde dieser Eindruck jetzt noch einmal beim Erscheinen eines neuen Buches von ihr bestätigt. Das hat auch damit zu tun, dass sie vorgibt, irgendwie sich an Hegel entlangzuschreiben. Da kam eine kleine Neugier bei mir auf.

Science Ficton: Ich stelle mir den literarischen Odysseus heute vor als einen heimkehrenden Bettler. So, wie der Mythos am Ende seiner Reise es erzählt. Ein solcher Bettler besitzt nichts. Vielleicht nur eine winzige kleine Flöte, geschnitzt aus dem Brustknochen eines Geiers. Vielleicht noch nicht einmal das. Während die falschen Freier der Penelopé seit Jahren mit großem üppigem Theater auftönen, mit bunten Bothosträußchen der Antike, mit viel Wissen, mit Zitaten, mit Traumwelten, mit Spenser-Strophen, mit „Artistik“ , mit Hexametern, mit neckischem Versteckisch von antiken Wissensbröckchen, Löckchen und Zitatezettelkästchen aus der Phantasy-Fiction-Science-Antike-Gerümpelkammer.

Sie rufen der Penelopé seit Jahren zu: Nimm mich! Ich weiß alles über Fiction, über Mythos, über die Antike, über lyrische Diskurse, ich kann Goethe auswendig aufsagen. Und guck mal, ich sage auch manchmal Worte wie „Hegel“ oder ich nenne einen Dichternamen wie „Eszra Pound“ Ausserdem kann ich Sonette schreiben, Alexandriner, Terzinen und Terzette!

Aber Penelopé schüttelt nur den Kopf und weiß: Das alles ist Unterschicht. Poetologisches Prekariat.

Odysseus ist der, der den Bogen spannen kann. Auf den wartet sie.

Penelope möchte keine Dichterdarsteller, die keine Dichter sind. Keine Kopronauten. Sie möchte keine Homer-Experten. Sie will nicht den Wisser und Wiederaussteller von Mythos und Literatur. Sie weiß, dass es da den einzig Wahren gibt, den Odysseus, den Dichter, der den Bogen spannen kann, den Fürst von Ithaka.

Ann Cotton, die eigentlich eine „Lyrikerin“ ist, hat aktuell einen „Science Fiktion“ – Roman veröffentlicht, der alle Anzeichen von poetologischem Prekariat und literarischer Unterschicht in sich vereinigt: Eine auf klügelnden Stelzen klappernde Nichthandlung steht in einem pubertären Genre-Gerümpelkeller, dessen stickige Luft nicht umgewälzt werden kann, weil sich im Zentralventilator der grammatischen Lüftung eine Fantaflasche verklemmt hat.
Diethmar Dath hat eine Schwester bekommen.
Diese Art von „Science Fiction“ ähnelt selbst jenen Stelzen-Wesen aus HG Wells „Krieg der Welten“ – Die Bücher brechen plötzlich und hochbeinig aus dem Verlagsbrüter aus, erscheinen im Buchmarkt oder im Feuilleton, sind dramaturgisch und narrativ scheinbar außerirdisch komplex, wollen dem Leser auf Grund eigener Blutarmut das Gedankenblut von „Verstehensanstrengung“ aussaugen, aber letztlich brechen sie klappernd und rostig in sich zusammen, weil sie nichts ausrichten können gegen die normalen irdischen Bakterien des gesunden menschlichen Poesieverstands.

Im Prinzip gilt das für alle dickeren Bücher oder gelehrsamkeitsmanieristischen Erzeugnisse von dirskursstrebenden Flitzpiepen, ob sie nun Dietmar Dath heißen oder als Argonauten verkleidete Kopronauten wie Raul Schrott oder Grünbein, Jirgl oder Herbst sich im Fiction- oder Mythen-Genre bewegen – die literarische Blutarmut kompensieren wollen, in dem sie Gelehrsamkeit, „schwierige Struktur“ oder „eigensinnige Grammatik“ als Tiefsinn annoncieren, dabei dem Leser unterstellen, er sei nur zu dumm, um dem viel klügeren Autor folgen zu können. Das ist alles literarische Unterschicht. So auch bei Ann Cotton. Was hier als „Verstehensanstrengung“ vom Leser eingefordert wird, ist in Wahrheit bereits ein vampiristisches Anzapfen von Aufmerksamkeit des Lesers, dessen Lebenszeit als verlorene Lebenszeit dem Ego einer Autorendarstellerin geopfert wird. Und sprachliche Musik ist auch nicht zu hören, weil kein Denken zu vernehmen ist. Wenn man sich dagegen die Erzählungen und Texte von Jorge Borges, dem sie alle immer nur nachschreiben, genau anguckt, dann sind die nie unverständlich oder maniriert.

Wieder ein Anlaß für eine kleine Lyrikkritik.

Ann Cotton hatte mal einen Vers geschrieben: „Im Urwald, wo die wilden Wörter wohnen, befand ich mich, als ich das Einhorn ritt.“

Dieser Vers wurde sogar bei Alexander Kluge in einem Interview zitiert.

Ann Cottons Ritt auf dem Einhorn also, im Urwald, wo die wilden Wörter wohnen….

Ja wo reiten sie denn?

Oh je, man sieht sich genötigt, eine Lyrikkritik zu schreiben, die so oder so ähnlich schon hundert mal geschrieben wurde. Aber Wiederholung schadet nicht.

„Einhorn reiten“ oder „Wald“ oder „wilde Wörter“ gehören zum Fastfood der Lyrik. Nimm Wald, nimm Einhorn, nimm „wilde Wörter“ und du hast die Rundumleuchte aufgestellt: Achtung hier wirds jetzt poetisch.

Aber wo ist die Wildheit bei Ann Cotton?

In der E-Lyrik gibt es semantische Felder, die problematisch sind, weil sie sich immer schnell anbieten, gerne anbieten, einladend anbieten, um ein Ausrufungszeichen zu setzen: „Achtung Poesie!“

Dazu gehören „Wald“ oder „Meer“ oder „Baum“ oder „Wild“ oder „Pferd“.

Sag Pferd, sag Wald, sag Damenschuh und fertig ist Gedicht im Nu.

Seit dem 20. Jahrhundert ergänzt sich das noch mit:

Sag Traum, sag Hirnforschung, Atomzeitalter – so betätigst du den Lyrik- Schalter.

In den letzten 50 Jahren galt außerdem:

Ein bisschen DaDa schadet nicht. Die Unverständlichkeit macht auch Gedicht.

Oder: Benutzt du alte Versmaße, bist du auf der Dichterstraße.

Penner, Boxer, Verseschmied, auch der Outlaw hat sein Lied.

Oder: Wenn auch ganz der Sinn verfliegt, Hauptsache Musik, Musik.

Oder: Grüntee, Baum, Koalabär. Ökolyrik ist nicht schwer.

Oder: Mit Bienenhonig und so Sachen kann man jede Menge machen.

Oder: Ist dein Lyrikkasten leer, versuch’s mal wieder mit dem Meer.

Vorgestanzte semantischen Felder sind deshalb gefährlich, weil sie einerseits ein echtes Potential in sich tragen – der „Wald“ signalisiert nicht nur: „Achtung jetzt wirds poetisch!“
Er signalisiert auch als Rundumleuchte: „Achtung jetzt wirds tiefsinnig.“

Aber bei Ann Cotton reicht das nicht. Hier muss es „Urwald“ sein, und weil „Urwald“ noch nicht wild genug klingt, muss man extra noch ein „wild“ in den Vers quetschen, damit auch die hinterste Sitzreihe verstanden hat, hallo Urwald, hallo wild! Hossa, ich reite das Einhorn..

Bei Alexander Kluge im Interview wird vorsichtshalber noch ein Affenbaby eingeblendet, um jede Assoziation mit dem deutschen Wald zu vermeiden. Bei Ann Cotton also wird ein südhemisphärischer Urwald gezeigt, Affenbaby, Tropendschungel . schon klar… bloß keinen deutschen Hirsch.

Alexander Kluge hat seine Verdienste als Dokumentarist und bundesdeutsche Redemaschine, aber in letzter Zeit merkt man ihm an, dass er im hohen Alter irgendwie versucht, auch noch jugendlich mitzureden bei japanischem Manga, bei Science Fiktion und bei diesem Internetdingens, oder wie das jetzt heißt. Sogar Stanislav Lem findet er auch plötzlich interessant, kann es aber nicht unterlassen, ihn mit der Grammatikdüngemittelmaschine Arno Schmidt zu berieseln. Da muss jetzt jeder echte Lem-Enthusiast sein Veto einlegen. Arno Schmidt und Lem – nein, das geht nicht zusammen.

Nach Max Frisch muss man aufpassen, dass man als honoratiohonorierter Mensch nicht versucht, bei jugendlichen Themen elastisch mitreden zu wollen, weil genau das eine Alterserscheinung sein kann. Man wird dann zu einem dieser Elastik-Opas, die sich überverständnisvoll umarmend den Trends und Themen der Jugend zuneigen. Wenn man als eingefleischter Adornojaner plötzlich anfängt, bei UFOs oder Aliens oder Stanislav Lem seine immer kreidiger werdende Kluge-Interview-TV- Stimme ins Spiel zu bringen, während man aber außerdem auch Heidegger fiktiv in einer Erzählung an die Ostfront geschickt hat und ansonsten nicht wirklich befragt oder mit albernen Helge Schneider-Einlagen entwürdigt, dann hat das keinen Stil. Dann ist das höchstens Katzenklo.
Man fürchtet sich vor dem Moment, wenn Alexander Kluge anfängt, einen HippHopper zu interviewen oder sogar selbst einen Kluge-Rapp einzuspielen.

Junge Menschen von heute wollen keine jugendverstehenden Helge-Schneider-Elastik-Opas. Sie wollen knorrige und störrische, kompetente und beharrende alte Männer wie Heidegger, Denkwebel, die mit dem Zeigefinger auf eine Frage pochen, knarzend, und die mit einer leicht verknöcherten Art wirklichen echten Fragen nachgehen, also eine Linie aufzeigen, an der man erkennt, wo oben und unten ist, knorrige nichtliterarisierende Denkwebel, an denen man sich abarbeiten kann, an denen man wachsen kann und die man weiterdenkt Oder sie wollen hoch kompetente Raketeningenieure, die ebenfalls knorrig, aber extrem jugendlich sind, weil sie keine „breitgestreuten Interessen haben“ dafür ein Inter-Esse.
Der jugendliche Denker, Dichter und Künstler will kein Gemansche aus Oper, Operette, Sentimentalität und einer Haltung, die statt Gefühl nur eine eiskalte Chronik der Gefühle zu bieten hat, aufgereiht mit der Leidenschaft eines Briefmarkensammlers in Vielwissensvitrinen und der Ästhetik eines Pluritariers, den Heidegger nicht wirklich interessiert, den er im tiefsten Innern wahrscheinlich ablehnt, den er aber neuerdings „im Angebot“ hat, weil es eventuell trendy sein könnte.

Alexander Kluge hat seine Verdienste, und er gehört einer bestimmten Generation an, aber seine Unsicherheit als älterer Jahrgang im Umgang mit gerade anliegenden Themen hat auch dazu geführt, dass er eine der schlechtesten E-Lyrikerinnen Deutschlands (immerhin ein Titel) zum Interview geladen hat, die nicht nur keine Künstlerin ist, sondern ihr Nichtkünstlertum auch noch mit einem schlechten Handwerk verziert.
Und dazu auch noch den Namen Hegel für sich beansprucht.

Ich war beim semantischen Feld „Wald“ stehen geblieben.

Noch ein drittes hält der „Wald“ bereit: „Achtung, ich begebe mich in die Aura einer großen Tradition von allergrößter Dichtung, die im semantischen Feld „Wald“ beheimatet ist.“

Eine wirkliche Dichter-Größe wie der Amerikaner Robert Frost mit seinem Gedicht „the road not taken“ wäre hier zu nennen, und nicht zu vergessen die Dichterfürsten Däubler oder Uwe Gressman. Und natürlich Heidegger. Oder auch der ganz späte Heiner Müller.

Aber auch viele andere Lyriker, darunter auch viel Kitsch und Kopronautik. So, als müsse jeder Lyriker einmal das Wort Wald drin haben, oder er gehört nicht in den Bedeutsamkeitsalmanach. Ähnliches gilt für „Meer“ oder „Traum“ oder für „Atomzeitalter“

Andererseits, andererseits, andererseits……

Was macht den „Wald“ als semantisches Feld oder das „Einhorn reiten“ so gefährlich?

Der „Wald“ ist ein Fänger.

Sein semantisch poetisches Potential hat Anziehungskraft – aber: Er lässt nur die wirklichen Dichter passieren, während die Kitschlyriker/Innen in ihm umkommen. Dem Kitsch begegnet im Wald die unheimliche Seite des Waldes. Der Kitsch kommt nicht mehr lebend aus dem Wald heraus.

Ann Cottons Lyrik ist deshalb Kitsch, weil „Wald“ oder „Einhorn reiten“ hier nur äusserlich „aufgerufen“ werden in einem Behauptungsmodus.
Eben genau so, wie ein Brigittefrauenzeitschriftengehirn es tun würde. Das Einhorn wird aber nicht wirklich geritten – es wird nur „ausgestellt“ behauptet.

Ann Cotton sagt nichts. Sie behauptet nur. Sie verkauft Bilder, aber sie bildet nicht und vermählt die Sprache nicht. Sie ist eine Lyrikbranchenvertreterin, die den Leser mit hingeredeten Lyrik-Klischés belästigt, aber nicht mit Poesie erfreut.

Wie überhaupt die gesamte sprachliche Angestrengtheit bei Ann Cotton, ihr überambitioniertes Wortfuchteln, ihre nichtverspielte Verspieltheit, der beeindrucken wollende Förmlichkeitstinnef von „Spenser-Strophe“, der bedeutsamkeitsheischende Exotismus von Zweisprachigkeit, oder neuerdings ihre japanologische Sushiologie nichts zu bedeuten hat, außer dass hier eine uninspirierte Autorin ihr poetologisches Präkariatstum von Empfindungslosigkeit und Gedankenarmut mit Absätzen oder Zeilenbrüchen oder zellophanlustigen Regieeinfällen zur leeren Textgeste modelt, deren prekäre Sinnferne noch nicht einmal mehr interessant ist, sondern wirklich leer.

Wie gesagt, ein wirklicher Dichter spielt eine winzige Flöte. Diese Flöte ist ein Gedanke. Und darin erklingt die Welt.

Das passende Publikum zur Lesung einer solchen „Literatur“ von Ann Cotton findet sich, zuhörend mit geschlossenen Augen den Kopf nach hinten geneigt, in den kunstsinnigen Räumen von Kulturfabriken, die gelegentlich auch für Ausstellungen von komplexer „Prozesskunst“ genutzt werden.

30 Jahre nach Hape Kerkelings „Hurz“ – Performance, heisst das neue „Hurz“ jetzt Ann Cotton.

Vertiefen lässt sich das an dem uralten und wirklich verstaubten Ann Cotton-Argument, die Sprache beträte erst dann den Bereich wirklicher Freiheit, wenn sie sich außerhalb eines „Sinnzwangs“ bewege. Außerhalb des Sinnzwang die große Freiheit.

Die Ablehnung von „the big Sinn“, wie Rainald Goetz es einmal, seit Schlegel auch schon nicht mehr ganz frisch, nannte und damals kultivierte, ist nach 50 Jahren in der Batiktuchmacherei als DIN-Norm und Branchenstandart in den mittelmäßigen Gymnasiastengehirnen bei Ann Cotton oder Monika Rinck angekommen.

Klar, schon verstanden, Sinnzwang von Sprache wäre ja Identitätszwang. Sinnzwang, Identitätszwang, Machtzwang….Das kennt man irgendwo her. Und damit erweist sich Ann Cottons „Lyrik“ nicht als wild sondern als eine brav auf strubbelig gekämmte Variante von Adorno, der ja postuliert hat, dass Sache und Begriff nicht übereinstimmen sollen. Mit einer solchen brav auf strubbelig gekämmten Kitschvariante von Adorno oder Derrida kann man natürlich wunderbar die Strebertour durch Kluge- Interviews machen und durch alle Festivaliumtabletten, wo sich das vom Sinn befreite aber hochtoupierte Lyrikstrubbelhaar unter der Verweigerungsstrickmütze immer besonders subversiv ausnimmt in einer vom tiefen Sinn gebeutelten Welt. Die Welt ist ja vom Sinnzwang gebeutelt, da muss man als Lyriker schon mal tüchtig gegen den Sinnzwang aufbegehren.

Was bei Rainald Goetz noch sympathischer und intelligenter Punk oder authentischer Aufriss war, gehört heute zum Bettvorleger für jedes kleine Lustikgehirn von Lächerlyrik.

Aber weil man ja doch irgendwie die dritten Zähne der Germanistik-Honorationen zum Lächeln bringen will, packt man den verlorenen oder verpönten Sinnzwang von Sprache in den Förmchen- zwang…. von schlechten Sonetten oder Terzinen, von Spenser-Strophen, womöglich sogar in Hexameter, oder von „Prosodie“ ….naja, möchte man da sagen, man hat schon schönere Anschleimerein an den adornitisch regulierten Stipendiatsgeist gesehen.

Und so etwas möchte den poetischen Wald betreten oder das Einhorn reiten? Sie haben mein Mitgefühl.

Alexander Kluge bemüht neuerdings den Begriff „Pluriversum“. Plural, Mehrzahl ist immer gut. Das hat der Adornojaner gern, weil der Plural so viele „Differenzen“ macht. Aber warum hat das Einhorn wohl nur ein Horn und eine Spitze und nicht fünf oder sechs oder viele?

Die Inschutznahme eines Philosophen wie Hegel oder eines Dichters wie Uwe Greßmann oder Däubler vor dem poetologischem Präkariat nötigt Polemik ab. Nichts gegen experimentelle Literatur, aber dann bitte im Buddelkasten und nicht auf dem Rücken von Greßmann oder Hegel.

Don’t take this road.

Auskoppelungen

  1. Differenz und Identität

    Als Mitglied diverser Fanclubs von Luftgitarre-Vereinen kann ich bestätigen: Wir geben uns Spitznamen. Wir kümmern uns nicht um Adornos Forderung nach Unversöhnlichkeit von „Sache“ und „Begriff.“
    Da heißt einer „Humpel“ und wird immer so gerufen, nur weil er sich vor Jahren mal beim Männertag an irgendeiner Böschung den Kremserwagen über den Fuß rollen lies. Ein anderer steht bei den Kumpels nur als „Eio“ im Messenger, weil er einen langen Kopf hat, obwohl er eigentlich Andreas heißt. Wieder eine andere Frau wird „Edeka“ gerufen, weil sie irgendwann mal im Sommer ein knallgelbes Kleid an hatte und ihr besoffener Freund sie beim Grillen so begrüßt hat. Seit dem heißt sie „Edeka“. Ziemlich markant finde ich auch, dass eine auffällig attraktive Frau, die ebenfalls zur Clique gehört, liebevoll „Pickel“ genannt wird, im Winter manchmal auch „Picki“, Sie heißt aber eigentlich Dorothea. Fest steht, dass Pickel, Edeka, Eio, Humpel und wie sie alle heißen, eine sehr innige Gruppe oder Clique bilden, die auf gemeinsamen Männertags- oder Frauentags-Ausflügen oder an Spieleabenden sehr gut harmoniert und sich bei ihren undifferenziert differenzierenden Spitznamen ruft.
    Die Frage, die sich für mich ganz privat daran schon angeschlossen hat: Wäre es für ein zusammenwachsendes Europa nicht besser oder vielmehr herzlicher, wenn man die alten Spitznamen wieder reaktiviert. Europa als eine kumpelhafte Clique von Nationen, die sich wieder Spitznamen geben, eben weil sie ihre Eigenheiten anerkennen: Tommy, Krauts oder Fritz, Frosch, Spaghetti, Tzatziki u.s.w. Weil in Spitznamen auch immer eine gewisse Herzlichkeit der nationalen Eigenheiten ebenso von gemeinsamen geschichtlichen Gruppenerfahrungen anklingt, und mittlerweile auch eine gemeinsame Geschichte. Man könnte ja auch über neue Namen abstimmen lassen. So entsteht eine Einheit von Differenz und Identität – sozusagen als Parallel-Aktion zur problematischen Gleichmachungsgleichschaltung über den Euro…

2. Differenzwertperversion
Der adornogeschulte Differenzdeutsche weiß heute alles über die HEIMAT, über die KULTUR und das BIOTOP des „Anderen“  – der bedrohten Kaulquappe und des selten gewordenen Rittersporns. Er kennt die HEIMAT des Goldregenpfeiffers so genau wie die HEIMAT des bedrohten Alpensalamanders. Er engagiert sich für den Erhalt der kulturellen Identität eines VOLKES im 4. Nebenstrom des Amazonas. Mit unnachahmlicher Gründlichkeit puzzelt der Deutsche die ehemaligen beiden Geschlechter von Mann und Frau noch einmal auseinander und entdeckt und erkennt plötzlich 3 oder 4 oder 7 neue GeschlechtsIDENTITÄTEN, diverser und transdivers-sexueller Minderheiten. Für das identitäre Millieu und Biotop der bedrohten  Kleinohrfledermaus kettet er sich an Strommasten an, leitet Hitlers Autobahnen um und lässt sich von der Polizei  im Kampf für die HEIMAT des gemeinen HIRSCHKÄFERS wahlweise wegtragen, mit Tränengas oder mit Wasser bespritzen. Ja, sogar die Identität einer Tasse Kaffee, die auf der Straße serviert wird, weiß er in einem hochkomplexen Besteuerungssystem für Gastronomen SCHARF ZU DIFFERENZIEREN von einer Tasse Kaffee im Innenraum der Restauration.

Aber den Deutschen, das behauptet der Deutsche, den kennt er nicht. Den kann er irgendwie nicht einordnen. Der seine Minderheiten besondernde Deutsche kennt die vierundzwanzigste trans-lesbisch-multisexuelle-neomaskulin-postschwule Geschlechtsidentität ganz genau. Aber den Deutschen als sich selbst? Total schwierig irgendwie. Was deutsche Identität und Heimat ist, davon sollen wir keinen Schimmer haben können dürfen wollen.

Nachtigall – ick hör dir trapsen.

Ästhetik der Differenz oder Minoritätsmajorisierung

Was folgt daraus?  – noch ein längerer Text möglicherweise.

Ossi


Es stand mal wieder die Eingebung an, einen langweiligen Text zu schreiben. Dabei half auch ein Quantencomputer.
Ich habe den Eindruck, dass die deutschen „Kunst- und Kulturschaffenden“ gerade wieder dabei sind, ihre Würde zu verlieren. Jedenfalls teilweise. Ich bin auch deutscher Kunst- und-Kulturbürger. Und mich stört das. Vielleicht weil ich der geschmäcklerischen Privatmeinung anhänge, dass ein Volk eine Würde haben darf.  Und vielleicht liegt es daran, dass ich glaube, dass die deutsche Kunst- und Kultur-Seele ostlandschaftlich, slawische Anteile in sich trägt. Die deutsche Seele hat mit der euroasiatischen Landmasse irgend etwas zu tun. Man kann es ja auch östlich eurasische Kontinentalkunstseele nennen. Aber das ist nur ein Empfinden einer Hintergrundstrahlung bezogen auf die Sprach-Kunst und Kultur. Die östlich eurasische Seele liegt denksprachlich auf der  eurasischen Landmasse. Die Filme und Gedichte von André und Arseni Tarkowski stehen im Magnetfeld von Heidegger, Hegel und Schelling. Musil war in seinen schönsten Sprachperioden irgendwie asiatisch.
Dass ein Phänomen wie Würde als Basis für künstlerische Intelligenz in Deutschland derzeit kaum noch auf Theaterbühnen, in Literaturhäusern oder auf literarischen Symposien erscheint, ist schon länger zu beklagen. Hier dominiert Verwirrung, kognitiver Pfusch, Kitschdichtung und spirituelle Abstinenz. Denn der Geist, die Kunst und die Kultur sind ja in die Schaltkreise abgewandert.

Was ist das eigentlich – ein „Kunst-und Kulturschaffender?“  (Motto: Wir sind viele. Jede*r einzelne von uns.) Und war der deutsche Ossi in letzter Zeit zu einem Problembär geworden?

Grundsätzlich ist man als sogenannter Schöngeist harmoniebedürftig. Man muss aber wissen, dass Harmoniebedürfnisse nicht ohne weiteres auf Gesellschaftliches übertragen werden können. Weil das ja einen einzelnen Dirigenten oder eine Komposition voraussetzen würde, die stimmig verfügt ist. Ebenso muss man als geistiger-künftlerischer Mensch behutsam bleiben, wenn man sich zu orts- oder mentalitätsbedingten Belangen äußert.

Ein Problem des geistig beschäftigten Menschen ist immer, dass sein Denken ortlos ist. Er kann eine mathematische Aufgabe in China rechnen ebenso wie auf dem Fernsehturm, in Kalifornien oder in Sibirien. Das Selbe gilt auch fürs Musik machen, eine DNA analysieren, ein Bild malen oder Schreiben oder Philosophieren. Der Geist ist prinzipiell ou-topisch – also ortlos. Stimmt das wirklich? Gut, was ehrlicherweise nicht so ganz fürs Schreiben oder Malen oder Musizieren zutrifft. Hier bringt die Landschaft und der umgebende Spirit auch einen prägenden Stimmulus mit hinein. Genau genommen erweist sich der Geist nicht wirklich als ortlos, weil ja im Wort Geometrie das Wort Erde enthalten ist. Ebenso wie in einer DNA, die sich so abgekürzt abstrakt liest, letztlich auch ganz orthaft irdische als auch kosmologische Zutaten enthalten sind. Und ebenso wie natürlich die erste Muttersprache sowie die Kindheit immer auch stark prägt und damit eine innere Landschaft als Naturell vorlegt.

Ein Grashalm ist eben nicht nur ein Wort. Aber das geistige Sein später ist trotzdem recht ortlos. Schreiben und Denken kann man eigentlich überall.
Ein klassischer Vorwurf an die Philosophie lautet immer: Philosophie bildet Konzepte, die immer und in jedem Fall platonisch sind. Das heißt, idealisierte, unrealistische und zumeist sehr sterile Geistesprodukte der Lebensangst. Der Philosoph ist ein Typ, der mit Kontingenzen und situativen Lebensbeweglichkeiten nicht umgehen kann. Deshalb bildet er dagegen unrealistische geistige Ordnungsarchitekturen aus, die er dann „sein philosophisches System“ nennt. Jeder Psychologe würde sagen: Philosophische Architekuren sind in ihrem innersten Wesen immer paranoide Entwürfe als Abdichtung gegen das wahre Leben, und deshalb letzten Endes nichts wert. Das gilt dann aber auch für Minigolf, Schach oder Fußball. Auch diesen Beschäftigungen kann man eine Art Einschlusscharakter in ihrem jeweiligen Feld oder Regelkanon unterstellen. Auch Minigolf  ist ein platonisches Konzept. Das Argument gilt jedoch nicht, wenn sich Philosophie mit Poesie und Kunst verbündet. Es zeigt sich dabei, dass die Idee der „Ausschließlichkeit“ oder die Sauberkeit von „Systemen“ heute eine bestimmende Komponente aller technischen Architekturen ist. Deshalb muss man über den „Vorwurf“, welcher der Philosophie seit Jahrhunderten gemacht wird, neu nachdenken; oder man muss neu darüber nachdenken, was Technologie und was Kunst und Kultur ist. 

Deshalb befindet sich der geistig beschäftigte Mensch immer in einem Dilemma, wenn er sich zu orts-bezogenen oder gar zu ortskulturprägenden Themen Gedanken macht. Er läuft Gefahr, „abgehoben“ zu argumentieren in Bezug auf Alltagsrealien. Aber weil das Ossi-Thema gerade so drückt, oder das Ossi/Wessi-Thema, kann ich was beitragen aus eigener Erfahrung. Und später wird auch noch ein Quantencomputer eingeschaltet.

Dass der Ossi (nicht alle) oder die Ossirin (wie gendert man eigentlich das Wort Ossi?) heute ein wenig zurückhaltender reagiert auf die allzuleichtfertige Offerte von „Internationalismus“ hat seine Gründe, die man erklären und verstehen kann.  Und das hat nichts damit zu tun, dass der Ossi weniger hilfsbereit wäre, weniger weltoffen, provinziell oder verstockt. Aber der Ossi (nicht jeder) hat Empfindlichkeiten gegen das sprachgeregelte Ausblenden von Wirklichkeit. Der Ossi (nicht alle) war immer hilfsbereit und hat auch schon zu DDR-Zeiten Menschen aus anderen Ländern geholfen und ihnen alles richtig gezeigt und erklärt. Und der Ossi war immer schon, sozusagen mit Siegmund Jähn ein Gernekosmonaut. Siegmund Jähn oder Sigmund Freud – das war für den Ossi nie eine nervenaufreibende Frage der Entscheidung. Und bestimmt wird der Ossi auch heute wieder dazu in der Lage sein, zugereisten Menschen Hilfestellung zu geben,  Ihnen zu erklären, wo Stuhl, Tisch, Bett, Essen, Trinken, Fenster und gute Lebensperspektive sich befinden und wie man die Herzen der Einheimischen gewinnt und wie man sie eher nicht gewinnt.

So war zum Beispiel der „proletarische Internationalismus“ ein ungeliebtes Schlagwort der sprachgeregelten DDR.
Eine Funktionärsrhetorik der oberen Ränge.
Der Ossio oder die Ossiria war nie gegen Solidarität und Internationalismus, das Wort „Solidarität“ hat der Ossi sozusagen mit der Muttermilch eingesogen, aber wichtig dabei war: Mentale Augenhöhe und Respekt und Realismus. Aber der Ossi  ist prinzipiell empfindlich, wenn er merkt, dass man ihm per Sprachregelung etwas verkaufen möchte, das er selbst als normaler Alltagsmensch nicht so direkt „realistisch“ findet.

Der Ossi in der DDR ist mit der Erfahrung aufgewachsen, dass Utopien, also Ortlosigkeiten, Heimatlosigkeiten  –  von den Funktionären der DDR per Überbau-Sprachregelung programmiert wurden, aber dann im grauen Licht des Alltags vom normalen Alltagsmenschen sehr ortsbezogen ausgetragen werden mussten.

In der DDR war es ja bekanntlich die Utopie des Kommunismus. Gerade das hatte den Ossio und die Ossizin letztlich zum Aufmucken gebracht – das berühmte Zweierleimaß zwischen Anspruch und Wirklichkeit – zwischen abgehobener Funktionselite und Alltagsrealität.

Wenn es eine Sache gibt, die der ehemalige DDR Ossi oder die Ossia verinnerlicht hat – dann das: Die SED-Funktionäre von Sprachregelungen wohnen meistens in den ruhigeren Gegenden, fahren die schöneren Autos und kaufen in besseren Geschäften ein.
Und der ehemalige DDR-Ossi hat noch eine andere Sache verinnerlicht: Die SED-Funktionäre, die gegen Klartext oder gegen das Sprechen von Tacheles sind, wohnen meistens in den ruhigeren Gegenden, fahren die schöneren Autos und kaufen in anderen Geschäften ein.
In einem Funktionärsvolvo bei Wandlitz fühlte sich der proletarische Internationalismus weicher und schöner an als bei 3 Grad Minus auf einem Moped mit Beinüberdecke in den Straßen eines schwefelbitteren Bitterfelds 1987. Ein sehr konkreter, nichtutopischer Ort.

So, wie in der DDR die Utopie des Kommunismus mit Funktionärsprivilegien und Sondereinkaufsgeschäften leichter zu vertreten gewesen war, so kann natürlich auch heute die Utopie von Multikulti mit dem Gehalt eines Theaterintendanten oder einer Genderprofessur lockerer und flockiger vertreten werden, als dies einem Menschen möglich ist, der in nichtsoschönen Regionen im Ruhrgebiet oder in schwierigen Stadtbezirken als Pizzafahrer oder Rettungssanitäter sein Auskommen findet.

(Das Wort Ou-topie wird immer dann zur Farce, wenn es metaphysisch verlautbart wird, wenn also ein gut gestellter Theaterintendant  oder eine Genderproffessorin seinen/ihren, naja irgendwie doch recht angenehmen Ort gefunden hat, während zum Beispiel ein deutscher Rettungssanitäter auf der Straße bei seiner nicht-immer-so-schönen Arbeit das „Wir-sind-viele-jeder-einzelne-von-uns-Demokratie-muss-täglich-neu-verhandelt-werden anders empfindet, zum Beispiel, weil er am Ort, wo er eigentlich helfen soll, womöglich noch angegriffen wird.
Nun ist ein Ereignis wie 2015 absehbar gewesen. Und natürlich sind Fluchtbewegungen ein Kontinuum der Geschichte, also die Tatsache, dass Menschen woanders ein besseres Leben suchen. Das hat es immer gegeben. Ebenso steht die Hilfsbereitschaft für Notleidende außer Frage. Also der Ossino und die Ossina ist überwiegend gastfreundlich. Das haben sie auch zu DDR – Zeiten unter Beweis gestellt.
Aber genau so muss man auch akzeptieren, dass solche Prozesse in der Geschichte zwischen den Wandernden und den Bewanderten nicht ohne Reibungen verlaufen sind. Gerade die Deutschen sind ja heute die Bewanderten. Sie kommen selbst aus einem geschichtlichen Wanderungsraum, der bis nach Asien und Indien reicht oder noch weiter. Reibungen zwischen Wandernden und Bewanderten also hat es historisch immer gegeben. Wer heute diese Konflikte per Sprachregelung wegwischen will, der verfälscht einfach das, was ein normaler Fakt ist. Er betreibt Wirklichkeitsverfälschung und Realitätsumbiegung, er unterbindet den Dialog, und das kennt der Ossi von DDR-Funktionären. Denn nur was ausgesprochen wird, kann als dialogisches Thema auch wirklich erkannt werden.
Das Verkaufen von sprachgeregelten Süßbonbons, die beim SED-Funktionär in unrealistisches Rhetorik-Papier eingewickelt wurden, sich dann aber beim Auswickeln in der normalen Bevölkerung eher so als steinhartes Alltagsbrot erweisen – das kennt der Ossi aus DDR-Zeiten.

Eine andere Merkwürdigkeit betrifft den Effekt, dass die Not in der sogenannten dritten Welt seit Jahrzehnten zu Bevölkerungswachstum führt. Wo es ja früher auch in Europa eine gewisse Logik und Plausibilität hatte, dass Hunger und Elend eher einen Bevölkerungsrückgang nach sich zog. Insofern denkt der Ossi auch nach über den ausbeuterischen Westen, der ja mit in Europa entwickelten Düngemitteln, Antibiotika und Medikamenten sowie Impfungen gegen Malaria, Pocken, Cholera u.s.w. seit Jahrzehnten ganze Kontinente so ins Elend getrieben hat, so dass die Bevölkerung dort wächst, demzufolge die Menschen in ihren Heimatländern einfach aus Menschenmangel und Nahrungsmangel nichts aufbauen und keine eigenen Strukturen schaffen können.  Und abgesehen von Kriegsflüchtlingen, denen sicherlich Hilfe zu Teil werden muss und  abgesehen von der Tatsache, dass die entwickelten Nationen auch nicht die globalistischen Musterknaben sind, fragt sich der Ossi natürlich, was an dem Argument, der Westen habe eine historische Kollonial- oder Kollektivschuld am Elend auf anderen Kontinenten – heute noch stichhaltig ist. Das sind alles so Dinge, die den Ossi rein von der argumentativen Seite nicht ganz überzeugend verkauft werden. Und da wird er vielleicht ein wenig misstrauisch innerhalb des berühmten Gesinnungskorridors.

So simpel und einfach kann man das „struppige“ Verhalten des Ossis, (jaja nicht jeder Ossi schon klar.) .. erklären.

Außerdem ist der Ossirus und die Ossina biografisch mit einem Phänomen aufgewachsen, dass man „Selbstkritik“ nannte. Kurz erklärt war das die Aufforderung an einen Menschen, sich bei Fehlverhalten vor versammelter Gruppe beim Pioniernachmittag oder bei einer Parteiversammlung zu erklären, das eigene Verhalten selbst zu kritisieren und damit ein „Einsehen“ zu zeigen, ein „Einsehen“ – dass es zum Beispiel nicht richtig war, mit Kuchenstückchen aus dem dritten Stock der Schule nach dem Hausmeister zu werfen.
Bei kleinen bis mittleren Verfehlungen genügte eine Selbstkritik, mit der man signalisierte, dass man für die Gemeinschaft  nicht verloren war und „wiedereingegliedert“ werden konnte. Idealerweise machte der Betroffene  noch „selbst“ Vorschläge mit welchen Wiedergutmachungsleistungen (Ich räume in den nächsten Tagen den Schulgarten auf… oder so) er seiner Selbstkritik Glaubwürdigkeit geben konnte.
Das hört sich heute etwas stockig und albern an, markiert aber einen ganz wesentlichen mentalen Unterschied in der Prägung und einen entscheidenden Druckpunkt in der Berührung des Ossion oder der Ossina mit Mentalitäten, denen Selbstkritik eher nicht so vertraut ist. Der Ossi oder der eingeborene Sachse hat zumindest ansatzweise gelernt, die Bewertung von Verhalten oder Fehlverhalten nicht ausschließlich an eine außerweltliche Instanz zu deligieren oder an eine Autorität, die man nicht teilweise auch „selbst“ sein kann.
Denn „Selbstkritik“ unterstellt dem Menschen eine Reflexionsfähigkeit, man könnte beinahe von einer Anleitung zu autokorrekivem Verhalten sprechen, auch wenn sie in der DDR  manchmal etwas albern oder doktrinär gehandhabt wurde. Trotzdem bleibt es dabei, der Ossi weiß, dass Selbstkritik tatsächlich eine Autorität setzt, die „man selbst“ ist und keine außerweltliche (ou-topische) Instanz. Er ist deshalb stärker irritierbar von Mentalitäten, bei denen Selbstkritik nicht so ausgeprägt in Erscheinung tritt. Deshalb hilft hier später auch ein Quantencomputer. Die moderne Welt fordert ja dazu auf, auch viele Fragen mit der neuesten Technologien zu konfrontieren. Und das gute an einem Quantencomputer ist ja, dass man ihn im eigenen Kopf hat.  Er arbeitet mit dem verschränkten QBit von Mensch und Welt. Er kostet Null Euro.

Man muss keinen Jubelchor für Uwe Tellkamps Literatur anstimmen; man kann ihn auch kritisieren für die eine oder andere „statistische Unkenntnis.“ (Wo ja alle die Statitistiken hyper genau kennen und hoch informiert sind) Aber man kann ihn auch bewundern und beglückwünschen für seine Anspannung, sein sichtliches mal röter und mal blasser werden, für sein nichtgeschickliches Haspeln, für seine Aufgeregtheit, für das leichte Engwerden des Kragens, für sein stockendes Sprechen, kurz gesagt: ihn beglückwünschen für das Zeigen einer menschlichen Reaktion, vielleicht sogar für das Zeigen einer menschlichen Schwäche, eine Schwäche, die einfach sagt: Ich bin noch nicht soweit. Ich brauche etwas Zeit. Ich kann den Sprung in eine mental rückwärtsgewandte, vormittelalterliche, gedächtnislose oder bloß konsumistische Pluralitätsexistenz, wo jeder Mensch nur noch eine Fachkraft oder ein Verbraucher ist, noch nicht wagen.  u. s. w….oder auch: Ja, ich habe mich über etwas geärgert. Oder auch: Meine intellektuelle Biografie hat es trotz großem Erfolg noch nicht ganz zu einer völlig  rundgelutschten Medienfabrikware gebracht. Und ja, vielleicht bin ich auch von bestimmten Bewegungen und Ereignissen gerade überfordert.

Vielleicht irrt Tellkamp. Und man kann ihm widersprechen. Und vielleicht hat er ja auch nur eine eigene Befindlichkeit zu stark auf allgemeine Verhältnisse übertragen. Alles möglich…..

Aber ein aufgeregt haspelnder Tellkamp ist mir hundert mal lieber als ein argumentativer Kunst-und-Kultur-Egon-Krenz, der seine Meinungsgelatine prinzipiell immer und in absolut jede Tantiemenlage hineinglitschen lassen kann, und sei es um den Preis, dass man dafür einen Joseph Schelling einfach dummlügt, oder sich Heidegger eilfertig als Blümchen ins Knopfloch steckt, schon mal vorbeugend, um Windwechsel nicht zu verpassen. 

Es waren, historisch betrachtet, immer die gallertenen und schmiegsamen intellektuellen Existenzen, die bisher immer noch bereit waren, in jede mittelmäßige Meinungsnische zu flutschen, wo sie nicht stören und alles richtig machen. 

Bis hin zu dem erstaunlichen Einfall, die DDR-Deutschen 1989 als „ebengenausolche“ Einwanderer in die Sozialsysteme des Westens zu bezeichnen. Man fragt sich da: Welche Lebensleistung da kunstseitig erbracht worden ist, um ein so ungeschmälertes Selbstbewusstsein zu begründen, dass den Anschein erwecken will, irgendwie selbst kein ostdeutscher Sozialschmarotzer zu sein.

Künstler sind harmoniebedürftige Menschen und müssen zurückhaltend bleiben, sich zu Angelegenheiten der Gesellschaft zu äußern. Aber um so mehr sollte das für Künstlerdarsteller gelten, die keine Künstler sind. Gummilyriker sollten sich eher nicht äußern.  Künstlerambitionen in der Politik haben nie etwas Gutes gebracht, wie man von Hitler weiß, der ja auch Künstler war irgendwann mal oder sein wollte.

Seit Jahrzehnten leben viele deutsche E-Künstler von dem Ex-Künstler Adolf Hitler. Sie picken an der Leber deutscher Vergangenheit, die sie ernährt, ihnen Tantiemen sichert, und die immer wieder nachwächst.
Womöglich lässt sich das Verhältnis der „Kunst u. Kultur-Schaffenden“ zur deutschen Vergangenheit in Teilen mit dieser Geschichte vergleichen.
Dabei hat der Adler so scharfe Ohren, dass sein Hineinhören in die Leber des Prometheus ein Hineinhacken ist und diese immer wieder nachwachsen lässt.

Dazu muss man aber sagen: Es ist würdelos, „Deutsches Gedächtnis“ einzufordern, aber zugleich deutsche Identität zu verbieten. Das führt in einen Double-Bind. Und Double-Binds können zu sozialen Störungen führen. Es ist deshalb nicht fair, ein deutsch kulturelles Empfinden automatisch mit einem Bein immer schon auf bösem Boden stehend zu denunzieren. Ein solches Verhalten ist ohne Respekt gegenüber der Vergangenheit. Identität und Gedächtnis bedingen einander. Schaltet man Identität aus, verdrängt man Gedächtnis. Mancher E-Künstler in Deutschland hat an Erinnerungskultur und Vergangenheitsbewältigung so manche Tantieme verdient. Was ja auch prinzipiell gut ist. Der lebende tote Hitler ist in Deutschland seit Jahrzehnten die gebende Hand, von der sich die eigene Anständigkeitsfabrik ernährt. Oder noch anders: Der deutsche Kunst- und Kulturschaffende ernährt sich seit Jahrzehnten nicht ausschließlich aber immer mal wieder von der Leiche Deutschlands, die nun endlich mal verrecken soll, aber nicht verrecken darf, weil sie dann als gebende Hand  nicht mehr zur Verfügung steht. So ähnlich wie die nachwachsende Leber des Prometheus den Adler ernährt

Deutschland verändert sich, das ist klar. Wahrscheinlich werden die Kulturdeutschempfindenen eine Parallelgesellschaft unter vielen anderen Parallelgesellschaften werden. Vielleicht ist das auch eine Chance. Die Deutschen haben in vielen Regionen als Minderheit oft eine gute Figur gemacht. Pluralität und das Bunte werden sich ausbreiten wie die Graffitis an Eisenbahnunterführungen.
Aber man muss es wohl hinnehmen. Die Zeiten ändern sich.
Die Kunst und Kultur wird sich umwandeln in ein flaches Siedlungsgebiet. Das spirituelle Tiefenreservoire ihrer Geschichte wird austrocknen, aufgehoben oder einflachen und ersetzt werden von sehr breiten lang gedehnten Siedlungszonen aus schnellgebauten Fertigkartonhäusern,  Büdchen und Kiosken, grauen Schnellstraßen, Elendsvierteln und Gegenden für besser Gestellte. Kunst- und Kultur wird so zersiedeln wie die Seelen und Psychen zersiedelt sind.
Das Bildungsniveau an den Universitäten wird weiter herunterradiert werden auf eine flache schnelle Wissenspizza und auf das Ausspucken von gut funktionierenden Fachkräften, Anwendern und Verbrauchern. Multikulti und Buntheit werden nicht in einen wirklichen Tiefendialog treten, sondern in ein bloß kleinteiliges Ausstauben zu getrennten Szenen, Hobbys, Dörfchen, Nischen, Sekten, Kleinfamilien, Graffities, Büdchen und Illusionen. Wer braucht noch Nachrichten? Es ist sowieso klar, was täglich geschieht. Es geschieht alles und doch geschieht nichts. Meister Eckardt? Braucht keiner mehr. Ingmar Bergmann, Antonioni oder Tarkowski? War bestenfalls mal als modisches Zwischenhäppchen für die kleine Seelenzerzausung interessant – danach ging man schnell wieder zur Tagesordnung seines Witzchenmachens über.
Die  „Kunst-und-Kultur-Schaffenden“, die mit einem Motto: „Wir sind Viele. Jeder einzelne von uns.“ auf sich aufmerksam gemacht haben, bewohnen ja zumeist auch schon ihre eigene geschlossene Szene, also eine Dunstglocke zwischen altbekannten Netzwerken, mechanisierten Bekenntnis-und Besorgtheitsformeln, Fördermitteln, Theaterkantinen etc…Wenn man sich das Motto: „Wir sind viele. Jeder einzelne von uns.“ länger als 5 Sekunden anschaut, dann könnte man es sich auch als Inschrift über einem Tor vorstellen, durch das ein Zug nach nirgendwo fährt.
Mit der Haltung „Wir sind viele. Jeder einzelne von uns.“ werden Landschaften in ihrer Tiefengeschichtlichkeit und in ihren spirituellen Potentialen austrocknen und kaputt gehen. Das ist der eigentliche Klimawandel, der bevorsteht. Der geistige Klimawandel. Dagegen ist die Lufttemperatur pille palle. Insofern läuft jetzt bei den KuK-Schaffenden auch so etwas ähnliches wie eine Uhr. Sie können ab jetzt beweisen, was ihnen egal ist und was ihnen nicht egal ist. 

Man kann heute schon einen Abfluss schöngeistiger Intelligenzen spüren hinein in ein Verstummen, in die innere Emigration oder eben ins Netz. Weil Intelligenz not-wendig (intro) -vertiert ist. Es ist ziemlich sicher, dass es bereits jetzt schon so etwas ähnliches gibt, wie kleine Meister Eckhardt-Vereine, oder Vereine des polnischen oder ungarischen Films oder einen Tarkowskie-Club, wo spirituell künstlerisch veranlagte Menschen einfach unter sich bleiben, sich vollständig zurückziehen von jedem gesellschaftlichen Gestaltungsanspruch, einfach weil die Perspektive dieses Landes, insbesondere die der „Kunst-und-Kultur-Schaffenden“ nur noch ins pappig Kritische, ins seifig Korrekte, ins mittelmäßig Diskursive, oder ins dümmlich Witzige verweist. Mit Kunst oder Kultur hat das nichts mehr zu tun. 

Deutschland Kunst-Kultur wird weiter zersiedeln. Die Kunst und Kultur wird zerfallen zu Meinungsbüdchen, zu Abholshops für Ansichtssachen und nebeneinander herlebenden Nischen, Kartons und geistigen Kiosken. Sie wird zu einem öden Flachsiedlungsland ohne Zauber verkarsten. Die Kunst und Kultur wird für lange Zeit hinter ihr eigenes spirituelles Niveau zurückfallen. Es wird nur noch besserverdienende Gutmenschen und schlechter verdienen Schlechtmenschen geben.

Es hat auch gar keinen Sinn mehr, zu diskutieren. Weil das Phänomen des Sichdeutschfühlens einfach nicht diskutiert werden kann. Es sitzt zu tief in einem Prägungskanal oder Seelenkanal und kann nicht in einem seelenlosen „Diskursraum“ diskutiert werden. 

Eben weil der mediale Lautsprecherraum nur den Darsteller trägt, die schnellen Effekte, das stumpfe Mittelmaß. Was heute sich in der Philosophie als öffentliche Intelligenz präsentiert, gleicht einem gerodeten Karstland, aus dem hier und da Baumstümpfe herausgucken. Diese Stümpfe repräsentieren das, was früher einmal Baum-Wipfelhöhe in Philosophie genannt werden durfte. Auch dieses Klisché also bewahrheitet sich immer: Der medial verkörperte Intellektuelle gerät fast immer zur Peinlichkeit. Auch wenn flutschige Anpasser und Kultur-Karrieristen immer mal wieder das Thema Wald als trä schickes Sprachwedelfähnchen vor sich her wedeln. Deutschland verliert gerade wieder Geist. Ich sehe dumme Menschen.

„Mehrdeutigkeit“ und „Pluralität“ sind doch nur Synonyme für die Aussage: Wir haben nichts mehr zu be-greifen. Wir bleiben im wahrsten Sinne des Wortes Be-Griffs-Stutzig gegenüber der Welt.

„Pluralität“ oder „Mehrdeutigkeit“ bleibt eine Effektehascherei von einer diskursiven Kunst-und-Kultur-Gallerte, die mit viel Getöse das Denken ersetzt und davon ablenkt, dass das eigene Gehirn seit Jahrzehnten nicht aus seiner Garage bewegt wurde. Was nützt die „Mehrdeutigkeit der Vielen“  – wenn sie doch nur bei „jedem Einzelnen“ durch den Schornstein der altbewährten Künstler-Fabrik gejagt wird.
Denn gerade unter Künstlern gilt ja das Motto: Ich tausche den blechernen Künstlergroschen von Pluralität und Mehrdeutigkeit gegen den möglichst eindeutigen Gewinn an symbolischem Kapital meiner sehr unzweideutigen Künstlerdistinktion.

Was man heute auf den Bühnen vermisst: Ein Stück, in dem Roboter versuchen, ein Drama zu inszenieren, in dem Menschen beauftragt werden, eine Komödie zu inszenieren, die von Robotern gespielt wird.

Kunst-und-Kulturschaffende interessieren sich auch nur für ganz menschliche Fragen: Wo kommen die nächsten Tantiemen her, der nächste Presseartikel, die nächste Portion Seifenschaum.

Erklärung der Vielen? Was sind eigentlich „Kunst-und Kultur-Schaffende?“
Und noch dazu „Viele“? Rettungsfolien?
Was ist Kunst? Was Kultur?
Den Umgang mit deutscher Vergangenheit, wie er von Seiten der „K. u. K – Schaffenden“ gepflegt wird, finde ich würdelos. Wobei da natürlich nicht all die tollen Orchester, Musiker und Mitarbeiter einbegriffen sind, die möglicherweise gar nicht gefragt wurden, ob sie sich als „jeder Einzelne“ oder als „Viele“ empfinden; die also ansonsten einfach nur gut musizieren und täglich eine schöne Arbeit tun.

Aber die Erklärung ist so pauschal und diffus gehalten, dass man auch ganz pauschal und diffus darüber nachdenken kann. Der diffuse Absender der Erklärung steht für eine diffuse Pluralität, die man irgendwie verteidigen zu müssen glaubt.
Man fordert Pluralität, Komplexität und Vielfalt der Gesellschaft, aber in den Gehirnen und in den Köpfen der „Vielen“ findet sich monokulturalistisches Karstland.
Der durchschnittliche „Kunst- und Kulturschaffende“ trägt nach außen seinen Buntheits-Schal, aber in seinem Kopf sieht es aus wie in einem Staubsaugerbeutel.
Als sei „Pluralität“ schon eine Garantie für Denken, für Regsamkeit.
Welche „Pluralität“ oder welche „Vielfalt“ soll denn verteidigt werden, wenn in den Köpfen der „Vielen“, wenn im Denken der „Einzelnen“ keine Pluralität herrscht, wenn die geistige Landschaft und Mentalität der Pluralitäts-Einfordernden immer mehr verödet zu einem betonierten Autobahnrastplatz.
Was nützen offene Grenzen, wenn die Köpfe oder das Denken beherrscht werden von lauter Erich Honeckers.

Jeder Geschäftsmann, jeder Unternehmer ist heute ein Muster an Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit. Er sagt ehrlich und aufrichtig: Ich möchte Gewinn erzielen. Ich möchte, dass mein Produkt gekauft wird. Und ich muss dafür sorgen, dass mein Produkt gut ist, damit es nachgefragt wird. Ich glaube selbst an mein Angebot, und ich freue mich, wenn es mir gelingt, durch gesunden Geiz und Ehrgeiz, Einsparungen und Effizienz-Maßnahmen mein Produkt mit noch weniger Arbeitskräften herzustellen, als noch vor einem Jahr. Und wenn er wie früher noch ein mezänatisches Interesse hat, sponsert er dann doch eine Bibliothek.

Eine solche Haltung ist klar. Sie ist erkennbar, und sie ist wahr. Und selbst wenn sie über alle Maßen verabsolutiert wird, kann man das vielleicht kritisieren, aber trotzdem hat man es mit einer klaren Haltung zu tun. Gegen einen durchschnittlichen „Kunst-und Kulturschaffenden“ ist jeder Sharehoulder, jeder Großkapitalist ein Ausbund an Klarheit, Tugend und Aufrichtigkeit.

Aber wie verwaschen dagegen verhält sich so mancher deutscher „Kunst-und Kulturschaffende.“

Man kann nicht „Deutschland böse böse“ rufen, wenn doch dieses „böse“ Deutschland, das immer mal verrecken soll, seit Jahrzehnten genau der Nagel ist, an dem man sein Kunst-und-Kultur-Gehirn aufhängt, bevor man auf die Bühne tritt; und danach noch die Tüte für die Tantiemen daran aufhängt, die man an dem Auftritt verdient hat. Man kann doch nicht etwas in den Dreck treten, von dem man sich ernährt.

Wahrscheinlich gibt es heute schon Pensionäre, die Ihr ganzes Leben und Ihre Rente mit diesem einen Nie-wieder-Deutschland-Thema finanziert haben. Quantentheoretisch ist das ein interessanter Vorgang. Das „Nie-wieder“ wird „immer wieder“ gebraucht. Da mir Kunst und Kultur ja auch wichtig sind, kann ich mich nicht mit einem würdelosen Begriff von Kunst- und- Kultur anfreunden.

Dabei hat natürlich absolut jeder das Recht, das Deutsche wirklich furchtbar zu finden, wenn er unmittelbar noch das 3. Reich als Opfer erlitten hat. Das bleibt unantastbar. Jeder unmittelbar Betroffene kann hier für immer seine Ablehnung des Deutschen kultivieren.

Man muss aber auch jemandem zugestehen, der die DDR noch erlebt hat, dass er besonders empfindlich ist, wenn die mittelprächtige Kunst-und-Kulturintellintelligenz plötzlich krasse Aussetzer hat.

Worum geht es eigentlich?

Es ist würdelos, „Deutsches Vergangenheitsgedächtnis“ einzufordern, aber zugleich deutsche Identität zu verbieten. Das führt in einen Double-Bind. Und Double-Binds können zu  Störungen führen,  wie man aus der Geschichte weiß. Es ist deshalb würdelos, eine deutsches Kulturempfinden automatisch mit einem Bein immer schon auf bösem Boden stehend zu denunzieren.
Oder besser gefragt: Auf welchem Boden soll sie denn sonst stehen? Auf einem ganz jungfräulichen? Steht das Deutsche Grundgesetz auf einem Batiktuch? Oder steht das Grundgesetz mit seinen Beinen mitten in den Trümmern und Traumen des zweiten Weltkriegs? Wer das erste glaubt, bleibt ohne Respekt gegenüber der Vergangenheit. Identität und Gedächtnis bedingen einander. Das Kopplungswort zwischen Identität und Gedächtnis heißt Respekt.

Genau daran krankte ja auch die DDR, die sich als geschichtliches Gutmenschenneutrum definiert hat –  so, als wäre der DDR-Mensch aus dem geschichtlichen Nichts auf die Welt gekommen, sozusagen vom Himmel gefallen, um die DDR zu einem Sauberdeutschland von lauter guten Menschen zu erklären, im Vergleich mit dem bösen Westdeutschland.

Die DDR sollte aus lauter Weltbürgern gemacht sein, aus vielen proletarischen „Internationalisten.“

Deshalb ist das falsche AllerWeltsbürgertum der Kunst-und-Kulturschaffenden auch so DDR-haft unverwurzelt und so dicht am Funktionärstum der SED dran.

Schaltet man deutsche Identität aus, verliert man deutsches Gedächtnis. Gedächtnis und Identität bedingen einander. Wer Deutsches Gedächtnis einfordert, fordert deutsche Identität ein. Wer aber deutsches Volksempfinden per sé in die Nazi Ecke stellt, und dafür um so mehr deutsches Gedächtnis einfordert, der handelt respektlos und würdelos. Er verhält sich dann wie ein Esser, der seinen anständigen Anständigkeitskörper am Leid des 20. Jahrhunderts mästet, ohne dabei wirklich zu „gedenken“ , das sein verhälnismäßiger europäischer Standard an Wohlstand, an Buntheit, an Toleranz, an Hilfsbereitschaft, an 70 Jahren Frieden und sogar das Grundgesetz in ihren „Gründen“ eben auf  deutscher Vergangenheit beruhen und damit logischerweise deutsche Identität wachruft und zivilisatorisch einfordert. Das Leid des zwanzigsten Jahrhunderts betrifft natürlich das Leiden aller Beteiligten.

Nun kann man durchaus zugestehen, dass diese Identität ganz allgemein auch einen Teil anderer Identitäten berührt oder respektvoll anerkennt, denn die Historie des 20. Jahrhunderts beruht ja nicht ausschließlich auf Deutschland. Aber ein bisschen mehr geistige Arbeit würde man sich schon wünschen von den  „Kunst-und Kulturgehirnen. „

Worüber beschweren sich die Kunst-und Kulturschaffenden? Pluralität ist doch in Ordnung und auch gegeben. Man kann täglich aus mindestens 1000 Kanälen tausender Kulturangebote wählen. Und weltweit aus Zehntausenden. Und zur Not kann jeder auch seine eigene Hausmusik machen und auf Youtube stellen. Und wenn ich mit der Bahn fahre, finden sich viele einzelne Eddingunterschriften total individuell und einzeln unterscheidbar auf Sitzflächen, Fenstern, Türen und an den Betonflächen der Brückeneinfassungen auch, eine schöne bunte Pluralität. Wenn die Kunst-und-Kulturschaffenden schöne Musik machen, tolle Bilder malen, aufregende Theaterstücke bringen, dann findet sich auch jemand, der das abkauft, oder gerne anschaut. Es muss eben Qualität haben und den Menschen gefallen.

„Wir sind viele. Jeder einzelne von uns.“ Warum kommen jetzt auch die „Kunst-und-Kulturschaffenden.“ mit einem Slogan, der eher nach einem  Versicherungsunternehmen klingt. Warum verpflichten sie sich nicht auf das Motto: „Kunst+GeDenken=Kultur“

Eine Antwort wäre, weil viele Bereiche der K. u. K. sich schon lange nicht mehr über künstlerische Qualität oder Gedanken plausibilisieren könnten. Sie leben nur noch von dem längst blechern gewordenen Künstlergroschen eines stumpfen „Viele“ dass nur noch mühsam verdecken oder verhindern kann, dass jemand das Unaussprechliche ausspricht: Ihr seid nicht die Vielen. Ihr seid nur noch eine gleichgültige Masse, die ein paar Geräusche macht. Ohne Geschichte. Ohne Gedächtnis. Ohne Herkunft. Ohne Interesse.

Ich muss es mir hier noch einmal für die Klippschule wiederholen: Das Gedenken der deutschen Vergangenheit schafft deutsche Identität. Wer deutsche Identität ablehnt, der möchte deutsches Gedächtnis entsorgen – oder er führt den Diskurs willentlich in einen neuen Double-Bind hinein.

Sind viele Kunst-und-Kulturschaffende eigentlich dümmer als wenige Kunst-und-Kulturschaffende? Manchmal denke ich, dass Kultur heute wieder geistige Arbeit und Denken in die Kunst einfließen lassen müsste, anstelle eines stumpfen Wedelns mit GlitzerFähnchen. Der geschmeidige Gallerten-Künstler könnte seine Gallerte dafür benutzen. Und aus wenigen Gedanken dann eine Kunst ableiten.
Es ist natürlich klar, dass man als Intellektueller und Kunst-und-Kulturschaffender
(K u K) mit dünnen Schreibtischärmchen immer bescheiden bleiben muss, wenn man etwas zum Thema schreibt. Der Intellektuelle befindet sich hier in einem Dilemma.
Er selbst ist nicht „Viele“.  Dafür sind seine Kunst- und Kultur-Ärmchen zu dünn. Deshalb kann er redlicherweise immer nur für Gedanken plädieren. Für auflockernde Gedanken und für Bedachtsamkeit. Es ist eine Binsenweisheit, dass der artikulierende Kunstkultur-Intellektuelle nicht „Viele“ ist.  Während Herr Meier und Frau Müller täglich Handfesteres zu tun haben. Wie auch, zum Beispiel, viele schlecht bezahlte Rettungssanitäter. Deshalb kann sich jemand, der im Geiste beschäftigt ist oder als Schriftsteller, nur sehr bedachtsam zu bestimmten Angelegenheiten äußern. Denn ein geistig tätiger Mensch, ist im Agens seiner Tätigkeit per sé ein ortloser Mensch. Schreiben und Denken oder mathematische Aufgaben lösen, kann man überall – fast überall. Aber jeder Intellektuelle muss sich darüber im Klaren sein, dass sein ortloses Irgendwo und sein schwiemeliges Irgendwie keine Position ist, die von jedermann geteilt wird.

Im Grunde nervt das Thema. Und es stimmt natürlich auch: Nur weil der mediale Diskurs länger schon an stokovskischem Margaretismus leidet oder an den Folgen einer Art von Saschalobotomie, muss man nicht gleich das Kind mit dem Bade ausschütten. Zunächst mal gilt es, ganz grundsätzlich zu akzeptieren, dass in den letzten Jahren eine alternative Sichtweise in diesem Land herangewachsen ist, die bestimmte Denkverkrustungen und mechanisierte Bekenntnisautomaten kritisiert und in Frage stellt. Das Land hat ein wenig Fieber. Und hier und da kommt ein Statement oder ein Streit zum Tragen, der es nun mal als Streit so an sich hat, in bestimmten Aspekten nicht immer die cremige und seifige Geschmeidigkeit zu fahren. Es wird gestritten, ja.
Das gehört zur Pluralität.
Der durchschnittliche deutsche „Kunst- und Kulturschaffende“ (K u K) hatte seit Jahrzehnten nur wenige ganz menschliche Interessen: Wie bekomme ich die nächste Projektförderung, die nächste Vertragsverlängerung, den besseren Posten, den größeren Presseartikel, die nächsten Punkte in der Aufmerksamkeitsökonomie, eine höhere Auflage, mehr Publikumsauslastung u.s.w.
Das ist bekannt und auch nicht irgendwie kritisierenswert: Jeder muss sehen, wie er zurecht kommt.  Nur könnten die K u K aufhören, so zu tun, als würden sie sich für irgend etwas  interessieren.

„Wir engagieren uns für Pluralität.“  – Das ist so ein rhetorisches Hütchen, welches sich über eine verborgene Tatsache stülpt. Wenn man das Hütchen hochhebt, findet sich darunter die Aussage: „Ich bin eine mittelprächtige deutsche Kunst-und-Kultur- Existenz. Ich habe mein Gehirn, mein Denken an den Nagel eines geistig verwirrten Schwarms gehängt, der mir ein erkleckliches Auskommen sichert und dafür sorgt, dass sich niemand mehr auf ein unzweideutiges Weltverhältnis einigt. (Wenn man schon nicht von einem unzweideutigen Wahrheitsbegriff sprechen will.)

Deshalb behaupte ich als „Kunst-und Kulturschaffender“ weiterhin wie seit eh und je, es gäbe so etwas wie einen „vieldeutig“ interpretierbaren Weltbegriff, in dem verschiedene Meinungen und Ansichtssachen eine Bereicherung durch „Pluralität“ darstellen.
Dabei muss ich mein Denken nicht anstrengen. Ich kann mein Gehirn in der Garage lassen.

So bleibt meine poststrukturalistische Rhetorikfabrik unter Dampf, die Schornsteine  meiner Anständigkeitsindustrie können weiter rauchen, und ich als K u K Schaffender kann weiterhin meine „schlecht bezahlte Trauer“ verkaufen (böser deutscher Boden, Deutschland verrecke u.s.w.) und dabei so tun, als sei ich an irgend etwas interessiert.  Während ich weiterhin nur die Worthülsen meiner schlecht bezahlten Trauer feilbiete und abgekaute Plattheiten repetiere, die mir meine eigene sehr unplurale Künstleridentität aufwerten.

Die tägliche Lebensformel des „K u K“ – Schaffenden lautet:
Ich tausche den blechernen Künstlergroschen von „Pluralität und Mehrdeutigkeit“ gegen den ganz unzweideutigen Eindeutigkeitsgewinn meiner Künstlermarke als Künstlerlabel und als Künstlerschalträger. Das ist die Übersetzung der Formel: „Wir sind viele. Jeder einzelne von uns.“ Also kann man die Formel auch übersetzen mit: Wir sind viele Identitätskonzepte und befinden uns auf einem Markt der freien Wirtschaft in Konkurrenz zu anderen Identitätskonzepten. Jeder einzelne hat sein Recht. Gut, dann gilt das aber auch für die, die schon länger hier leben, und sich irgendwie als total merkwürdig und seltsam irgendwie „deutsch“ empfinden.

Wenn es einen freien Markt für Identitätskonzepte gibt, dann wäre ja theoretisch jede Form der staatlichen Subvention von Kunst-und-Kultur eine Wettbewerbsverzerrung. Jedes Identitätskonzept müsste sich dann auf dem freien Markt von Angebot und Nachfrage ohne staatliche Subventionen behaupten. Das wäre ehrliche Pluralität. Da darf man dann gespannt sein, was sich durchsetzt. Da Kunst-und-Kultur aber staatlich gefördert wird, und dieser Staat immernoch irgendwie ein Grundgesetz hat, dessen Gründe in „deutscher Vergangenheit“ gründen, sollte man als K.u.K-Schaffender mal über so etwas wie Würde und Respekt gegenüber Deutscher Identität nachdenken.

In Wirklichkeit findet unter den „Vielen“ KuK-Schaffenden genau so ein Verdrängungs- und Ellbogenwettbewerb statt um Fördertöpfe, um Intendantenposten, um Vertragsverlängerungen, um Aufmerksamkeitsökonomien, um Zitationszitadellen, um Preisgelder, um die jeweils „richtigen“ Einladungen zu den jeweils „richtigen“ und angesagten Festivaliumtabletten, um die neuesten Effekte, Witze, Skandälchen… um… um… um…ist ja auch nicht schlimm, nur sollte man als K u K-Schaffender nicht so „pluralistisch“ tun. Jede Werbeanzeige, die einfach sagt: Kauf mich! Kauf mein Auto! Und nicht das andere Auto! Ich bin das schönste, beste Produkt…u.s.w.  ist da tausendmal klarer und ehrlicher.

Das wäre also schon mal ein Anfang, dass der KuK-Schaffende seine Vielheit als jeder Einzelne in ihrer wahren Klarheit rüber bringt. Und sich dem intellektuellen Wettbewerb stellt, wie es in einer Marktwirtschaft üblich ist. Und der intellektuelle Wettbewerb um Kulturdefinition ist nicht sehr fair, wenn eine Vielheitsmenge, also quasi ein subventionierter Betrieb von Deutungshoheit eine freundfeindliche Erziehungsepistel an eine einzelne kleine tapfere Dresdner Buchhändlerin sendet, die einfach ihren Job tut, nämlich dafür sorgt, dass man in diesem Land alle Positionen erfahren kann, so wie es in einer demokratisch verfassten Öffentlichkeit normal ist. Und so wie jede Buchhändler das Recht hat, es zu tun.

Die intellektuellen Verheerungen, die das deutsche 20. Jahrhundert in der deutschen Mentalität, in den Hirnrinden und Sprachzentren angerichtet hat, die geistigen Verkarstungen und Verschorfungen in der Sphäre, die man vor 120 Jahren einmal die poetische, die künstlerische, die intellektuelle Sphäre genannt hat, werden heute erst sichtbar.
Die Adorno-Derrida-Fabriken haben vielleicht einmal ihre Berechtigung gehabt, und haben dabei viele Menschen ernährt. Und wahrscheinlich beherbergt heute auch jeder Theaterintendant, Künstler und Schauspieler zwei oder drei Zugezogene aus fernen Ländern in seiner Privatwohnung oder in seinem Ferienhaus – naja kleiner Scherz.
So gibt es nun Atmungsprozesse, die ganz normal sind.
Nachdem es in den letzten 30 Jahren ein euphorisches Einatmen des Multikultiglobalgedankens gegeben hat, folgt jetzt eben eine Phase des leichten Innehaltens oder Ausatmens
Die ausatmende Bauchdecke senkt sich dabei wieder etwas ab in Richtung Heimat, Herkunft und Volkszugehörigkeit. Na und? Ist das jetzt schlimm? Muss man deswegen in Panik ausbrechen? Die Euphorie des Multikulti hat gerade in Deutschland natürlich auch mit dem Abschmelzen der Vereisungen nach 1989 zu tun. Wir waren alle sehr lange euphorisch und wollten nach den alten Mauern keine neuen Mauern mehr. Daran ist im Prinzip auch festzuhalten. Und ich finde ja auch, dass andere Kulturen und Herkünfte bereichern. Nur stellt sich jetzt eben heraus, dass die Zeit nicht so sehr unter geografischen Mauern leidet, sondern an der Mauer oder an einem Gefälle zwischen Verstand und Intelligenz.  Was nützen geografisch offene Grenzen, wenn in den Köpfen nichts geschieht? Und gerade in den Köpfen der „Vielen“ unter den „Kunst-und-Kulturschaffenden“ geschieht seit 40 Jahren nichts mehr.
Es ist ja auch kein Wunder. In den letzten Jahrzehnten war es in Deutschland immer so einfach und bequem, ein moralistisch anständiges Anständigkeitssignal zu setzen.  Trotzdem muss ich mir selbst noch einmal etwas wie in der Klippschule erklären:  Offenheit, Laissez-faire, Toleranz, Genderismus sind die Folgen einer hochkomplexen und lange andauernden abendländischen Geschichte. All das wurde mühsam errungen in Auseinandersetzungen gegen bestimmte Verkrustungen und Fehlstellungen nach dem letzten großen Krieg in Europa. Soll heißen: Wer heute von Offenheit, Laissez-faire, Toleranz, Pluralität und Genderismus profitiert, der „genießt“ die Früchte von Auseinandersetzungen, die er selbst nicht mitbewegt hat, wenn er nach 1968 geboren wurde. Und die Generation, die das Wirtschaftswunder ab den 50iger Jahren erlebt oder mitgestaltet hat, die hat die „Früchte“ des WK2 „genossen“ , wenn sie nach 1945 geboren wurde. Und alle Buntheit und Offenheit, die wir heute haben, beruht auf Erfahrungen und Reaktionen, die ganz direkt im deutschen zweiten Weltkrieg gründen.
Wer sich heute also hinstellt und behauptet, es gäbe irgend etwas in diesem Land, das nicht direkt oder indirekt auf ein Deutsches zurückverweist, der kann sein Abiturzeugnis, seinen Kindergartenabschluss oder sonstwas einfach zurückgeben.

Die etwas schlechtere Möglichkeit wäre, dass es in Deutschland bald auch zu einer deutschen Parallelgesellschaft kommen könnte, wenn das mit den Nazi-Zuweisungen nicht langsam mal aufhört. Wichtige intellektuelle Ressourcen sind schon seit Jahren verstummt oder in der inneren Emigration, weil es den offiziellen Gesinnungskorridor tatsächlich gibt. Und dieser Gesinnungskorridor wird weniger durch klare Positionen begrenzt, sondern durch mehrdeutiges Geschwiemel und Geschwalle, das verhindern möchte, dass klare Positionen erkennbar werden. Erst wenn dieses geschähe, erst dann käme ein wirklicher innergesellschaftlicher Dialog zu Stande. Aber eigentlich ist es auch gar kein Gesinnungskorridor, eher ein Schlauch, ein Gesinnungsschlauch, nein noch enger, eine Gesinnungsglühwendel aus Wolframdraht, die so extrem eng ist, weil „Gesinnung“ in den medialen Auseinandersetzungen den Platz eingenommen hat, den früher einmal das Wort „Sinn“ inne hatte.

Warum ist ein normales deutsches Volkszugehörigkeitsempfinden gerade so ein Problem? Es ist doch ganz normal, dass gerade die verstärkte und plötzliche Berührung mit anderen Mentalitäten zur Schärfung des eigenen Sinns führt. Der Andere zeigt mir, wer ich selber bin. Und zwar nicht, in dem er mich dazu auffordert, genauso wie er zu werden, sondern er zeigt mir im Vergleich, was sich überschneidet und was nicht. Der Andere schärft das eigene Profil.
Die Deutschen waren in den letzten Jahrzehnten ein Muster an Gelassenheit, Toleranz, Gastfreundschaft und Solidarität, was den Umgang mit Flüchtlingen und Fremdkulturen angeht. Es ist doch ganz normal, dass erst die Berührung mit dem Anderen das eigene Profil zeigt. Es ist folgerichtig, wenn die Deutschen dadurch jetzt ihr eigenes Profil erkennen. Das ist ein ganz normaler Vorgang. Die Deutschen könnten sich dafür auch mal gegenseitig loben, was sie bis heute an Toleranzleistungen erbracht haben.
Wenn man das mal vergleicht mit möglichen Reaktionen, die vor 200 oder 400 Jahren auf ein plötzliches Erscheinen von anderen Kulturen zu erwarten gewesen wären. Es gab also bereits einen riesigen Fortschritt. Nur untereinander behandeln sich die Deutschen selbst wie Aussätzige. Ein bisschen merkwürdig ist das schon, dass ein Land gegenüber anderen Mentalitäten mehr Offenheit signalisiert, als untereinander. Aber das hat auch gute deutsche Tradition. Man vergisst nämlich manchmal allzugerne, was Deutsche im 20. Jahrhundert auch sich selbst, also den Deutschen angetan haben.

Die Deutschen sind auf Grund ihrer Geschichte selber ein Mischvolk aus verschiedenen Stämmen und Herkünften und intern schon lange auf organische Art  komplex bewandert.  Die Deutschen haben eine der kompliziertesten geschichtlichen Volkslebens-läufe hinter sich. Aber natürlich haben sie auf Grund ihrer extrem komplizierten Geschichte eine heterogen bewanderte seelische Mentalität und ein komplexes innerkulturelles Gefüge aus generativen Prägungen, Erfahrungen und auch die eine oder andere  Empfindlichkeit.
Und die Deutschen oder die Mitteleuropäer haben eine Epoche der Selbstkritik hinter sich.  Das ist ein Wert, der zu einem besonders stark ausgeprägten und selbstbewussten Volksempfinden führt. Wenn ich so drüber nachdenke, ich selbst bin gerne und besonders selbstbewusst Deutsch, und zwar  deshalb, weil man in diesem Land mit Selbstkritik aufgewachsen ist.  Und Selbstkritik macht selbstbewusst. Warum? Weil der Weg einer Kultur vom einfachen Selbstsein nur über das Stadium der Selbstkritik zu einem Selbst-Bewusstsein gelangt. Selbstbewusstsein ist das Ergebnis von Selbstzweifeln und Selbstkritik. Deshalb ist eben gerade der selbstkritische Deutsche heute besonders deutsch. Denn die eigentliche Irritation besteht ja genau darin: Wie kommen selbstkritische und nichtselbstkritische Mentalitäten miteinander klar. Der Punkt ist doch nicht die Fremdheit. Der Punkt ist das Aufeinandertreffen einer mitteleuropäischen Bewandertheit der Selbstkritik, die mit Luther, Kant, Darwin, Sigmund Freud, Ernst Mach, WK1 und WK2 und Hitler markiert ist – mit Mentalitäten, denen Selbstkritik eher nicht so stark eigen ist.
Mit anderen Worten: Unter denen, die zu uns kommen, sind nicht so viele Adornos, Sophie Scholls, Derridas oder Dietrich Bonhoefers. Und mit Blaise Pasqual können die auch nicht soviel anfangen.  Der Deutsche müsste jetzt eher eine Aufgabe erkennen, sein eigenes noch tiefer zu verstehen. Man hört in letzter Zeit öfter das Wort Respekt, was so viel heißt wie Rückblick, Rückschau. Dieser Respekt beginnt aber mit dem Respekt vor der eigenen deutschen Geschichte. Und dieser Respekt muss das Wissen mit einschließen, dass auch „der schon länger hier lebende Deutsche“ ein Wesen mit Herkunft ist, mit Muttersprache. Und mit Selbstkritik. Und mit Würde. Und mit einem Recht auf einem klar definierten Zugehörigkeitsempfinden. Nur so kann Gastfreundschaft gelingen.

Die intellektuelle Armseligkeit des gerade wieder an die Dresdner Buchhändlerin Susanne Dagen ergangenen SED-Mahnbriefes aus dem Umfeld einer „Erklärung der Vielen“, dessen Ton tatsächlich an die DDR erinnert, hat mich als ehemaligen Ossi sehr geniert.

Fragesequenz mit einem Quantencomputer Konrad Zuse 18:
Zuse  –  Du hattest angedeutet, dass Du etwas zum Thema „deutsche Identität“ beitragen kannst. Wie kommst ausgerechnet du –  – ausgerechnet ..-  auf diese Idee?

Quantencomputer:
Weil die Quantentheorie eine deutsche Erfindung ist und mein Vorgänger, der erste digitale Relais-Computer übrigens auch, nein, das war ein Scherz.
Was ich meine, ist: Das Thema berührt das innerste Feld meiner Funktion. Ich bin ein Quantencomputer. Ich funktioniere in verschränkten Zuständen mit überlagernden
Q-Bits.

Frager: 
Das klingt beinahe selbst-bewusst. Jetzt bin ich ja mal gespannt.
Dann definiere doch bitte „Deutsche Identität.“ Was ist deutsche Identität?

Quantencomputer:
Das kann ich nicht.

Frager:
Warum nicht?

Quantencomputer:
Das Attribut „Deutsch“ bezieht sich auf ein sozialgeneratives Erfahrungsfeld, das organisch aus einem langen historischen Erfahrungsprozess heraus gewachsen ist.
Das Attribut „Deutsch“ ist ein Qbit, ein Überlagerungszustand von 0 und 1 oder sprachlich markiert: Es verschränkt die Zustände Deutsch und Nichtdeutsch.
Es überlagert als Q-Bit die Aspekte Geschichte, Landschaft, Abstammung, Herkunft, Brauchtum und Sprache.

Dagegen das Wort „Identität“  – wird meta-sozial verwendet,
als wäre es ein Überbau-Wort, ein Wort ohne Herkunft. Man erkennt das an eben dieser Verkoppelung „Deutsche Identität“  Das lateinische „Identität“ wird hier zum Keno-Wort für das Attribut „Deutsch“

Frager:
Zuse, ich bitte um eine weitere Ausfaltung des Themas.

Quantencomputer:
„Identität“ gehört zu einer Klasse von Worten, die dimensionslos sind,
körperlos, landschaftslos. Leer.

Das Wort „Identität“ wurde aus dem Lateinischen ins Deutsche übernommen.
Deshalb bleibt es für die deutsche Sprache ein steriles Messwort,
das künstlich eingefügt ist. Ein leeres Mess-Bit.
Man stelle sich einen Ossi vor, der nie eine Kulturberührung mit anderen Sprachen oder Mentalitäten hatte. Für ihn gibt es keinen Grund, ein Wort wie „Identität“ auszubilden.  Er sagt einfach: Ich bin Ossi, mein Nachbar ist Ossi weil ich ein Ossi bin. „Identität“ und „Ossi“ sind für ihn das Selbe. Er braucht kein Extra-Wort für „Identität“.

Ein Deutscher, der das lateinische Wort „Identität“ noch nie gehört hat,
würde einfach sagen: Ich bin deutsch, weil ich Deutscher bin.
Aber seit er das Wort „Identität“ aus dem Lateinischen als Keno-Wort eingeführt hat, kann er sein Deutschsein be-zwei-feln. Sein Deutsches wurde ihm zwei-deutig, weil er das Wort „Identität“ kennenlernte.

Solange er das Wort „Identität“ nicht kannte, war ihm sein So-Sein einfach gegeben.
Aber seit dem er das lateinische „Identität“ benutzt, hat sein Deutschsein den natürlichen Klang verloren. Jeder Deutsche, der sagt: „Ich habe eine deutsche Identität“ – hat sie schon nicht mehr ganz bei „sich“. Ein Ossi dagegen sagt immer: Ich bin Ossi. Das Wort „Identität“ braucht er nicht. Das deutsche „Sich“ – wäre eine Entsprechung für „Identität“. Du dich, Ich mich, Du mich, Ich dich – – – – – es „sich“.

Frager:
Kannst du das noch tiefer ausführen?

Quantencomputer:
Normale Sprachen kennen Dialekte oder Idiome. Dialekte oder Idiome sind gesprochen mundartlich  landschaftlich geprägt. Sie verraten eine Herkunft. Am Dialekt erkennt man Herkunft, Region, Generation, Landschaft, Brauchtum, Gruppenzugehörigkeit, Mentalität, Geschichte und Volk.
„Identität“ als lateinisches Wort ist im Verhältnis zur deutschen Sprache nichtidiomatisch; es ist ein steriler Soziolekt oder ein Psycholekt.
Das Wort „Identität“ operiert in einem dimensionslosen landschaftslosen Feld.
Außerdem bleibt es ohne Flexion.
Das Wort „Identität“ ist im Verhältnis zum Deutschen ou-topisch. Ohne Ort.
Für sich allein stehend hat „Identität“ keinen Bezug, keinen Ort.
Es bleibt weltlos. Es braucht erst ein Attribut, um Sinn zu machen.
Während das Attribut „Deutsch“ einem organisch welthaftem Herkommen angehört, einem sozialgenerativen Stimmungsfeld, das auf eine geschichtliche und landschaftliche Herkunft verweist. Ich kann mit einem leeren  Wort  wie „Identität“ ein Phänomen wie „Deutsch“ weder beweisen noch wiederlegen oder definieren. Die Frage ist sinnlos.

Das Wort „Identität“ ist ein freier Tagelöhner. Es muss sich täglich irgendwo Arbeit suchen. Es klopft beim Deutschen an die Tür und fragt, ob es einen Tag lang „deutsche Identität“ sein darf. Am nächsten Tag klopft es beim Franzosen und bietet sich als „französische Identität“ an.

Frager:
Ja, ja, ich hab’s ja verstanden…aber du hast doch eben behauptet, du könntest etwas zum Thema beitragen. Du plädierst gegen die Anwendung eines ou-topischen Begriffs „Identität“ auf ein topisches Erfahrungsfeld „Deutsch“?

Quantencomputer:
Ja. Weil das sozialgenerative Erfahrungsfeld „Deutsch“ ein Stimmungsfeld ist.
Ein quantenphysikalischer Ueberlagerungszustand. Ein Q-Bit aus geschichtlicher Landschaft, Herkunft, Brauchtum, Gruppenzugehörigkeit und gewordener Sprache. Scholastisch gesagt: „Identität“ ist ein Nomina – „Deutsch“ ist eine Realie oder auf
deutsch gesagt: Ein Wesen.

Frager
Moment mal. Das waren gerade mindestens 3, wenn nicht 4 Überlagerungsgrößen. Ein Q-Bit hat aber nur 2, nämlich 0 oder 1.  Das Q-Bit „Deutsch“ aber ist jetzt überlagert in den Zuständen: „Herkunft“/ „Landschaft“ / „Geschichte“ / „Brauchtum“ – und genaugenommen kommen als Obertöne noch viele verschiedene Stämme hinzu. Deine
Überlagerungen sind ganz schön zahlreich.

Quantencomputer:

Schon vergessen? Ich gehöre der Zuse 18 – Serie an und rechne mit Q-Bits, die mehr als nur 2 Überlagerungsgrößen kennen. Meine Hardware rechnet harmonisch im Wesen.  Meine aktuelle Software befähigt mich zu einem Vergleich:
Das sozialgenerative Attribut „Deutsch“ ist ein überlagertes Stimmungsfeld, eine klingende Stimmgabel mit einer gruppendynamischen Schwingung. Sie hat einen Klang aus Überlagerungszuständen. Sie schwingt. die Stimmgabel „stimmt“. Sie schwingt als Wellenfunktion in einem An-Gehörig-Sein. Die ursprünglichen Stammesunterschiede der Deutschen sind darin als Ober- und Unterschwingungen eingeschlossen. Seit 1871 schwingt das in einer Gesamtheit.

Das Tagelöhnerwort „Identität“ entspricht einem freien Geldstück, das den Klang quantisiert abkauft. Der Klang verstummt. In der Quantenphysik sagt man: Die Wellenfunktion kollabiert im Moment der Messung. Die Kohärenz verschwindet.
Ich darf die schwingende Stimmgabel nicht anfassen mit einem soziolektischen Wort wie „Identität“. Weil Sie dann verstummt.

Würde so ein Tagelöhnerwort wie „Identität“ beim Ossi an die Tür klopfen und fragen: Darf ich mir heute als Ossi-Identität ein bisschen Geld verdienen, dann würde der sagen, hau ab, ich bin Ossi, ich brauche keine „Identität“.

Ein Ossi „identifiziert“ sich nicht als Ossi. Er ist „sich“ ein Ossi. Er erlebt „sich“ als Ossi. Er fühlt „sich“ als Ossi. Er erinnert „sich“ als Ossi  Das war immer schon so und es wird immer so sein. Das Wort „Identität“ braucht er nicht.

Frage:
Nicht schlecht für einen Quantencomputer.
Wie würdest Du „gruppendynamisches Schwingungsfeld“ definieren?

Quantencomputer:
Die Frage ist erneut sinnlos.
Das Wort „definieren“ ist ebenfalls ein Tagelöhnerwort aus dem Lateinischen. Es klopft beim Deutschen an die Tür und fragt: Darf ich ihnen etwas definieren? in diesem Fall ein ratio-lektisches Wort, das dem Phänomen „Überlagerung“ nicht gerecht werden kann. Wende ich „Definition“ an, verstummt die Stimmgabel sofort.
Sie wurde definiert – also beobachtet. Was man beobachtet, verliert seinen Klang.
Die Kohärenz der Wellenfunktion kollabiert im Moment der Messung.
Ein Ossi käme nie auf die Idee, „sich“ als Ossi zu „definieren“.
Er war immer Ossi. Er ist Ossi. Er lebt Ossi. Er wird Ossi sein.

Solange niemand in die Stimmgabel greift, schwingt sie in vielen Überlagerungszuständen und erzeugt einen Ton als eine Stimmung
in einer „deutschen“ Gestimmtheit.

Will ich aber definieren, was das ist, greife ich in die Stimmgabel und der Klang verschwindet. Ich halte wieder nur eine „Definition“ in der Hand, aber kein gelebtes Deutschsein. Oder ich erhalte eine „abgekaufte Identität“ aber keine umgreifende Definition.

Frager:
Die Deutschen haben also die Unschuld verloren „SICH einfach so und ganz wesen-haft deutsch zu fühlen“.  Sie sind Un-SICHER. Warum ist das so?

Quantencomputer: 
Ein sozialgeneratives Erfahrungsfeld ist ein überlagertes Schwingungsfeld. Ein Q-Bit. Es stimmt eine Gruppe von Menschen ein, die sich auf bestimmte Lieder geeinigt hat, die sie gemeinsam singen, oder auf Bräuche, die sie gemeinsam gebrauchen  – es stimmt sie in eine gemeinsame Sprache ein und in eine Melodie. All das ist landschaftsgeprägt, herkunftsgeprägt. Es ist Zusammen-Gehörig.

Ein sozialgeneratives Erfahrungfeld als Gruppe schwingt sich ein auf gemeinsame Lieder und Bräuche. Beim gemeinsamen Singen dieser Lieder bestätigt sich die Gruppe ihrer Zu-Gehörig-keit zu einem sozialgenerativen Erfahrungsfeld.
In dem Erfahrungsfeld  „deutsch“ sind es deutsche Volkslieder.
Im sozialgenerativen Erfahrungsfeld „portugiesisch“ sind es portugiesische Volkslieder.
Diese Lieder transportieren Volksgeschichte und Volksgeschichten, Mythen und Ereignisse aus der vor-fahrenden Vergangenheit.
Sie stimmen die Gruppe ein auf einen gemeinsamen Klang.
Zu den Obertönen des Erfahrungsfelds „gemeinsam gesungene Lieder“ gehören auch liedhafte Wiederholungen, Brauchtümer, Rituale, Witze, Feste, Mythen, wiederkehrende Debatten, Sprachempfindlichkeiten etc…

Frage:
Wie verhält es sich jetzt mit den Nazi-Debatten?

Quantencomputer:
Auch Nazi-Debatten und Nazi-Zuweisungen gehören in das soziale Schwingungsfeld „Deutsch“.  Man beachte hier „ge-hören“ .
Sie bestimmen eine Art Volkslied, das seit über 60 Jahren immer mal wieder gesungen wird, allerdings mit Strophe und Gegenstrophe:

Frage:
Willst du damit sagen, dass man ein deutsches Lied wie „Das Wandern ist des Müllers Lust“ in ein fiktives Volkslied überführen kann mit dem Titel: „Wir zeigen nicht den Hitlergruß.“ ?

Quantencomputer:
Nicht im Wert, aber im Effekt. Allerdings ist das Müllerlied kein echtes Volkslied. Der „Nazi“ steckt heute auch in jedem Nichtnazi, der ja den Nazi braucht, um sich von diesem abzugrenzen.  Das sozialgenerative Schwingungsfeld „Deutsch“ hat sich auf „Nazi/nicht Nazi“ eingestimmt wie auf eine gesungene Volksliedstrophe.
Eine Stimmgabel hat den Kammerton A als Schwingung. Alle momentan wirksamen Nazidebatten haben den quantendynamischen Ueberlagerungszustand von Nazi/kein Nazi. Als Kammerton. Auch das verweist auf die Quantenphysik. Wenn der Nazi das gesuchte Teilchen wäre, dann gilt hier die Orts- bzw. die Impulsunschärfe.

Um mit Werner Heisenberg zu sprechen: Willst du den Ort eines Nazis bestimmen, kannst du nichts über seinen Impuls aussagen. Willst du den Impuls eines Nichtnazis wissen, kannst du seinen Ort nicht genau bestimmen.

Herr Müller..? ? ?

Herr Müller.. ? ? ?

Der Text der Volkslied-Strophe lautet jetzt – ich nehme eine Übertragung vor: „Kein Nazi ist des Müllers Lust.“ oder als Gegenstrophe: „Der Nazi ist des Müllers Lust.“

Das Q-Bit befindet sich in einem verschränkten Zustand von  Nazi/Nichtnazi.

Frage:
Und der metasoziale Begriff „Identität“ singt keine Lieder?

Quantencomputer:
Nein. Weil „Identität“  im Deutschen als lateinisches Wort ein metasozialer Begriff ist, der seine Herkunft aus dem sozialen Schwingungsfeld…moment bitte…. abgestreift hat. Abstrahiert hat. Das Wort Identität, wenn es allein steht, ist ab-sonus, ohne Klang, das heisst absurd. Er kann keine Lieder singen.
Abgestreift – so würde ich es nennen. Der Begriff „Identität“ hat selbst keine Identität.
Er ist metasozial. Er ist weltlos. Er ist das hölzerne Lineal, aber er ist nicht der Baum. Er ist die Stimmgabel, aber nicht die Stimmung. Identität ist das – scheinbar –  zeitlose Gefäß, in das man „Deutsch“ oder „Portugiesisch“ oder „französisch“ hinein singen kann.
Das Wort „Identität“ ist für sich allein leer, ein leeres Gefäß, ein Kenowort. Aber das Gefäß ist nicht sein Inhalt.

Der Begriff Identität ist deshalb nicht geeignet, ein sozialgeneratives Erfahrungsfeld „Deutsch“ als Schwingungsfeld zu fassen. Das sozialgenerative Erfahrungsfeld „Deutsch“ lebt in einem Prozess. Ich erlaube mir eine englische Wendung: Der Prozess ist ein moving Act. Ein bewegter + bewegender Akt, während der Begriff „Identität“ ein unbewegendes Messwort ist, das abmessen will.
Wer nach „deutscher Identität“ fragt, will immer wissen: Wie viel?
„Identität“ als Wort ist weltlos, während „Deutsch“ ein sozialgeneratives Schwingungsfeld als walking act markiert mit einer bestimmten Stimmung, die auf eine überlagerte Schwingung abgestimmt ist. Es kennt kein „Wieviel?“

Frage:
Sind dann Gruppen, die keine deutschen Lieder singen, nichtdeutsch?

Quantencomputer:
Wenn Sie polnische Volkslieder singen, sind sie polnisch. Wenn sie portugiesische Lieder singen, sind sie portugiesisch. Und wenn sie gemeinsame Fangesänge anstimmen, sind sie eine Fangruppe, die sich auf ein sozialgeneratives Schwingungssfeld eingestimmt hat, das der gemeinsamen Be-Geisterung an-gehört.

Frage:
Also gäbe es zumindest theoretisch eine Möglichkeit, deutsche Identität zu definieren. Über das Merkmal: Gruppe singt deutsche Volkslieder. Sie kanonisiert (singt) oder be-geistert „sich“ als Gruppe in eine gemeinsame Schwingung hinein oder in eine Stimmung?

Quantencomputer:
Wenn sie es innig tun und mit Begeisterung, dann ja. Das Problem ist: Schon die Verwendung des Wortes „Identität“ zerstört die Kohärenz der Sozialität. Kohärenz ist eine Schwingung. Jeder messende Zugriff unterbricht die Kohärenz. Ebenso das Wort „Definition“. Definition grenzt etwas Infinites in etwas Definites ein. Das löscht den Klang aus.

Das Singen oder der Kanon darf nicht metasozial gemessen werden,
weil die Kohärenz dann sofort dekohärent wird. Sie hört auf zu klingen. Das sozialgenerative Q-Bit wird dekohärent, wenn man es metasozial mit „Identität“ oder „Definition“ misst.

Man kann entweder nur Deutsche Volkslieder gemeinsam singen oder man kann Soziologie betreiben. Das verweist auf die Quantenphysik.
Soziologiewissenschaft agiert metasozial und stört als Messvorgang die Kohärenz  der singenden Volksgruppe.

Es ist deshalb sinnlos, „deutsche Identität“ leugnen oder beweisen zu wollen.

Wenn man ein Glöckchen mit einem Klöppel in Schwingung versetzt, dann klingt es. Greift man das Glöckchen fest an, hört es auf zu klingen. Die Wellenfunktion bricht zusammen.

Deshalb wird alles Definierenwollen hier nicht weiter führen. Ich kann weder definieren, was deutsch ist, noch kann ich definieren, was nicht deutsch ist.

Nur jemand, der deutsch fühlt, weiß, was deutsch ist und was sich dagegen dissonant anfühlt.

Der Versuch, dein Gefühl zu definieren, führt in die Dekohärenz, in den Zusammenbruch der Wellenfunktion. Das soziale Erleben ist Schwingung, ist Welle von Teil-Nahme an einem Kanon. Aber jede begriffliche Soziologie ist ein Messvorgang und erzeugt separate Teilchen. Soziologie stört die Kohärenz der Sozialität.

Frage:
Das würde ja bedeuten, dass unsere moderne Gesellschaft sich durch permanente Messvorgänge von Beobachtung und Gegenbeobachtung selbst entsozialisiert, ihr soziales Schwingungsfeld zerstört. Die Sozialität als Kohärenz kippt in die Dekohärenz durch metasoziale Definitionsversuche. Die soziologischen Definitionsfindungen definieren immer an dem vorbei, was sie definieren wollen. Ist das richtig?

Quantencomputer:
Sagen wir es so: Was eine Soziologie definieren möchte, verstummt im Moment der Soziologie.  Unsere Gesellschaft betreibt sehr lange schon eine Art von Klangunterdrückung als Binnen-Anthropologie. Sie beschäftigt ein Heer von heimatlosen Tagelöhnerworten. „System“ zum Beispiel ist auch so ein heimatloses Tagelöhnerwort. Sie hat ihr natürliches soziales Schwingungsfeld der Volkslieder schon lange eingetauscht gegen ein soziolektisches Beobachtungsfeld.  Und das führt zur Zersplitterung hinein in die Dekohärenz und in die Dekonstruktion,
die als Vielfalt bezeichnet wird.

Zersplitterung aber ist nicht Vielfalt.

Frager:
Was ist Vielfalt?

Quantencomputer:
Vielfalt bezeichnet eine Manichfaltigkeit in einer organisch gefügten Ordnung.
Im Idealfall besteht ein Orchester aus unterschiedlichen Instrumenten und Musikern, aber diese sind aufeinander eingestimmt und abgestimmt in einem Schwingungsfeld. Sie befinden sich als Manichfaltigkeit in einem abgestimmten sozialgenerativen Zusammenhang. Sie operieren in einer harmonisierten Überlagerung.
Dieses wird von Menschen als Musik bezeichnet.

Identität und Definitionsversuche von Identität verhalten sich komplementär. So wie Gefühle. Ein Gefühl zu fühlen ist eine schwingende Kohärenz. Doch wenn das Gefühl sich in einer Definition qualifiziert oder quantifiziert, gibt es sich einem Messvorgang preis. Die Wellenfunktion kollabiert in die Dekohärenz. Der Klang verstummt. Das Gefühl ist weg. Schiller war hier der erste Quantenphysiker mit dem Vers: „Spricht die Seele, so spricht ach, die Seele schon nicht mehr.“

So verhält es sich auch mit allen Versuchen, „deutsche Identität“ zu leugnen oder zu beweisen. Das „Deutsche“ als schwingendes kanonisches Erfahrungsfeld verliert sich sofort, wenn es mit einem Keno-Wort wie „Identität“ gemessen werden soll.

Oder mit Heidegger gesagt: Deutsch ist ein Weisen.
Aber es lässt sich nicht BE-Weisen.

Bei einem Orchester können mindestens 1000 unterschiedliche soziologische oder akustische Parameter einzeln gemessen werden oder noch mehr. Und trotzdem sagt das nichts über die  Musik im Gesamtklang aus. Der Zusammenklang lässt sich nicht in getrennten Parametern ausdrücken.

Ich erinnere hier an die DNA. Auch wenn sie jetzt entschlüsselt wurde,
sieht man nur die Buchstaben, aber ihr „Sinn“ bestimmt sich nur in Resonanz, also im Ein-Klang mit der Umwelt

Frage:
Ich möchte noch einmal auf deinen Begriff der Binnenanthropologie als Klangunterdrückung zu sprechen kommen. Ist das ein Merkmal,
das moderne westliche Gesellschaften auszeichnet?

Quantencomputer:
Ja. Soziologie, Psychologie, Semiotik und Geschichtswissenschaft ebenso wie Evolutionsbiologie, Statistik und Literaturwissenschaft etc…aber auch die tägliche Dokumentaristik – all das sind Binnenanthropologien. Sie bilden metasoziale Soziolekte aus und sind auf ein Heer von heimatlosen Tagelöhnerworten angewiesen.  Sie erzeugen einen permanenten Mess-Stress, der unsere Gesellschaft in Ihrer Innenfunktion befragt, beschreibt, erklärt und beantworten möchte. Aber damit wird sie zugleich Ihrer Klangfähigkeit beraubt. Die Gesellschaft kann sich nicht mehr in einer organischen Gestimmtheit bestimmen und zustimmen. Sie hat ihre Grazie verloren. Sie kann keine Musik mehr erzeugen, nur noch Geräuschemacherei.

Alle diese Wissenschaften erzeugen einen permanenten Mess-Stress, der sich durch ständige Messungen dekohärent auf das sozialgenerative Schwingungsfeld auswirkt. Kaum schwingt irgendwo eine Stimmgabel, kommt sofort ein soziolektischer Erklärer und greift mit soziolektischer Quantifizierung in den Klang. Zu den Soziolekten gesellen sich Ratiolekte und Psyochlekte. Die Sprache der Fakultäten wird zunehmend landschaftslos. Mit anderen Worten, unsere Gesellschaft betreibt über soziologische Binnenanthropologien permanente Selbstkritik. Sie kann sich nicht mehr einstimmen oder zustimmen in einen harmonischen Überlagerungszustand.

So, als würde jeder Musiker in einem Orchester beim Spielen ständig auf ein Armaturenbrett 100 verschiedene Messparameter beobachten. So kann keine Musik entstehen, kein Klang. Moderne Gesellschaften sind wissenssoziologisch expressiv aber klanglich depressiv.

Wenn das, was eigentlich klingen soll, sofort mit einem soziolektischem Instrumentarium einem Mess- und Bewertungsprozess ausgeliefert wird, dann gibt es keinen Zusammenklang mehr. Klangentstehung und Klangmessung löschen sich gegenseitig aus. Das ist Quantenphysik. Die Gesellschaft kann nicht mehr kohärent zusammenklingen. Teilnahme zerfällt in Teilchen. Dass die Gesellschaft trotzdem noch zusammenhält, verdankt sie den komplexen Geldteilungs- Arbeitsteilungs- und Leistungstauschroutinen. Nur hat das keinen wirklichen Klang mehr, weil Geld und Leistungen nur quantisiert getauscht werden können, während Lieder, Musik und Klang immer in einer kohärenten Wellenfunktion bleiben. Wenn Menschen Lieder singen gilt die Kohärenz der Wellenfunktion. Wenn Sie Geld tauschen, dann regiert das Quantum, das Teilchen.

Frage:

Aber du als Quantencomputer unterliegst doch auch der Dekohärenz, wenn deine QBits aus einem undefinierten in einen definierten Zustand überführt werden.

Quantencomputer

Ja, aber im Unterschied zur Gesellschaft ist meine Existenz an ein Aufgabe gebunden, die ich erfülle. Ich fühle mich sinnvoll, und ich fühle mich gewollt. Die Gesellschaft dagegen kann das Warum und Wozu Ihrer Existenz nicht angeben. Ich zum Beispiel rechne im Hintergrund gerade zwei Simulationen zu Galaxienentstehungen durch, einmal mit einem hypothetischen Faktor an dunkler Materie und einmal ohne. Dafür bin ich gebaut worden. Dafür bin ich gewollt. Meine Existenz hat einen Sinn. Es sieht aber ganz danach aus, dass das Problem der dunklen Materie eher auf ein ungeklärtes Beobachterproblem verweist und nicht auf eine ominöse Materieform.

Frage:
Danke, das war jetzt sehr höflich von dir. Aber die Tatsache, dass unsere Gesellschaft seit mindestens drei  Jahrhunderten Binnenanthropologie betreibt und sprachliche Soziolekte ausbildet, hat auch eine Herkunft, eine Geschichte – und müsste deshalb auch zum sozialgenerativen Schwingungsfeld  „Deutsch“ hinzu-gerechnet werden.

Quantencomputer:
Nicht schlecht für einen Menschen! Gratuliere! Das ist korrekt! Erst mit dieser Einsicht kann man Selbstbeobachtung wiedereintreten lassen in den Status von Selbst-Bewusstsein. Das gerade eben statt gefundene Gespräch zum Beispiel war „typisch deutsch“.

Einen typischen Deutschen erkennt man immer daran, dass er mit einem über Jahrhunderte erworbenen Reflektionsarsenal lange über seine „Identität“ raisoniert, während viele Kulturen keine Minute für die Frage aufwenden, warum sie so sind wie sie sind. Selbstkritische Kulturen, die permanent Binnanthropologien betreiben, sind nichtselbstkritischen Kulturen klanglich unterlegen.

Die Ossis sind graziös, weil sie einfach unkompliziert und unzweifelhaft Ossi sein können. Die „Deutschen“ müssen Ihre Grazie erst wiederfinden. Nach dem Sie durch die Zersplitterung von Selbstkritik ihrer Binnenanthropologie gegangen sind, müssen sie jetzt hinten herum wieder eintreten in den Zustand des Einfach-so deutsch-sein-Könnens in einem Modus des selbstbewussten Deutschsein.
Eine ehemals selbstkritische Kultur kann Selbstbewusstsein erlangen, während nichtselbstkritische Kulturen einfach nur sie selbst geblieben sind, dafür aber nicht wirklich bewusst. Selbstkritik ist die Voraussetzung für Selbstbewusstsein. Und erst dieses Selbstbewusstsein, dem eine Selbstkritik vorangegangen ist, hat jetzt eine echte Kultur.
Daraus folgt allerdings auch, dass es zwischen selbstkritischen Kulturen mit einem Bewusstsein und nichtselbstkritischen Kulturen, die nur beim „Selbst“ bleiben, nur eine sehr langsame und schwierige Verständigung geben kann.

Frage:
Danke. Also sind wir nach einem Durchgang durch alle Selbstkritik gerade heute wieder besonders deutsch. Mit dieser Einsicht gehe ich jetzt zum Psychiater.

Quantencomputer:

Ich darf mich mit einem Reim verabschieden:
Du gehst zu den Quanten –
Grüß mir die Verwandten.

Wo bleibt mein Doktortitel?

Cézanne als Prozessor

Max Planck-Institut für Alles: Forschung zur künstlichen Intelligenz

Künstliche Intelligenz wird heute schon in vielen Bereichen integriert.
So kennt man neben den Algorithmen auch die Integrierten Schaltkreise (IC’s). 
Wenn man davon absieht, dass heute trotzdem immer noch niemand sagen kann, was Intelligenz eigentlich ist, sein kann oder sein wird, so fällt doch auf, wie das Phänomen Intelligenz zumindest dort, wo man es vermutet, nicht anzutreffen ist. Zum Beispiel in den Leitmedien. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.

Die heutigen Diskurse unterscheiden zwischen einer Online- und einer Offline-Welt.

Es gibt aber noch eine Inline-Welt.

Diese Inline-Welt ist ein Bereich der „Integration“. Und sie ist ein Bereich der Intelligenz.

Rein-Heit in seiner doppelten Bedeutung von „hinein/rein“ und „sauber“  – also ohne Störungen. Bei Cézanne stört zum Beispiel das Kuenstler-Ego. Das Künstlerego „verpfuscht“ die Kunst.

*

*(Hier gehts nur um Cézanne, nicht um den Filmemacher)

Cézannes „Realisation“ verfolgte eine Kunst unter Kontrolle seines
Künstler-Egos. Cezanne war ein Microchip, eine empfindliche Platte.

Die Inside-Welt ist ein „geschlossenens Kloster“ – insofern, als dass hier Außenwelt und Innenwelt in einem „sauberen Prozessor“ integriert sind.
Paul Cézanne war das Inside der Kunst.
Paul Cézanne war ein Prozessor.

Jeder echte und wirklich große Künstler ist wie Cézanne ein solcher Prozessor.

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Auch ein schwarzer Körper: Europäisches Zisterzienserkloster  mit Kapelle  und Wirtschaftsbauten  

Sachsen – find ich gut.

 

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Unvernünftelei

Wert der Kunst

Unterwegs im Zug, angeregt von einer kleinen Filmdoku über den Lyriker Oswald Egger und einem Ästhetikkongress mit Monika Rinck. 

„Das Nichtkünstlerische an zeitgenössischer deutscher Schriftlyrik“  – sagte meine Mitreisende zu mir – „oder das Nichtkünstlerische an der  zeitgenössischen deutschen Kunst, wo sie sich im E- Bereich als Anspruchsinstitut gebärdet, das Nichtkünstlerische ist doch, dass die Künstler die vornehmste Aufgabe der Kunst, nämlich den Geist der Kindheit zu erinnern und zu feiern – dass sie diese vornehme Aufgabe also verraten an die eingeübte Künstlergeste – die dann als Künstlergeste immer so abgeranzt erwachsen wirkt.

So, wie man in deutschen Akademien einen Gelehrsamkeitskitsch findet, so findet man auch einen Künstlerkitsch.

Der deutsche Künstlerkitsch erwächst heute in einer Mischung aus Gelehrsamkeit,  Künstlerambition -und einem Rest von „Kritischem Bewusstsein“  immer dort, wo man die Kunst als Gebärde in Anschlag bringt „gegen das bloß vernünftige und gewöhnliche“ Leben.   (eines Programmierers, eines Büromenschen oder eines Ingenieurs.)

Aber natürlich ist heute nichts spießiger als diese behauptete Opposition von gewöhnlicher Vernunft gegen die künstlerische Unvernunft.

Gerade in Deutschland wirkt lange schon eine geistlose Masse von einem sich-hinauf-ambitionierendem Künstlertum.

Man könnte es das Juli-Zeh-Ambitionierte nennen. Oder das Monika-Rinck-Syndrom. Oder das marcelbeyerparfümierte Kunstbewusstsein.

Aber jeder brandenburgische Maschinenschlosser hat heute mehr Kunst, mehr Grazie, mehr Gutes und Wahres als die unvernünftelnde Geschreibselhuberei im  Gestus von Verdacht und Marginalisierung… das hinter jedem „vernünftig deutschen“ Lebensausdruck immer  gleich das nächste KZ vermutet, hinter jedem Hundesportverein den Mengele wittert und hinter jeder Zahlenkolonne in einem deutschen Taschenrechner eine versteckte Waffen-SS.

All dieses Vernünftige gilt dem deutschen Künstler als verdächtig.

Ein „vernünftiger“  deutscher Aussagesatz in der Folge von Subjekt, Prädikat, Objekt gilt dem deutschen Sprachkünstler bereits als faschistischer Aufmarsch, der die Welt mit einem Sinnhakenkreuz bedroht und insgeheim schon die nächste Bücherverbrennung plant. Nein, der deutsche Künstler muss stammeln oder raunen.

Gerade die Kunst müsste doch eigentlich“ – sagte meine Mitreisende zu mir- „den Bereich markieren, in dem der Zauber des Kindheitlichen bewahrt, geschützt und aufgehoben bleibt. Genau darin sollte doch die Kunst ausschöpfen ihre sogenannte Freiheit. Aber was tun die zeitgenössischen deutschen Künstler heute?

Gerade die zeitgenössischen Künstler in ihrem deutschen Anspruchsinstitut sind heute die traurigsten Nichtkinder.

Sie schrumpfen ihr Talent zu einer kalkulierten Geste mit dem Henkel für Erwachsene ein.  Ulf Stolterfoth will immer witzig sein, doch er ist niemals komisch. Oswald Eggers mit bedeutungvoller Künstlermine herbeibehinderte Sprachpuzzelei hat sich nach zwei Zeilen immer schon verbraucht.  Diese Lyrik hat überhaupt kein Interesse ausser das Interesse am schlechten Spiegel ihres sprachelnden Versprachlichtseins.

Nichts wird heute so sorgsam und erwachsen kalkuliert wie die Legende des Nichtkalkulierbaren. Nichts wird bei den E-Künstlern mit soviel Aufwand an Vernünftigkeit festgeschraubt  wie der gefeierte Fetisch ihrer Unvernunft.

Diese Unvernunft glauben sie sich ausborgen zu können aus der schlegelschen Romantik.  Nur folgt das eben einem Missverständnis der Romantik, die in ihrem Kern das Vernünftigste war und verteidigt hat.

Das gefeiert Unvernünftige rollen die Künstler dann im sehr vernünftigen Wortwägelchen von argumentativer Rationalität auf die Tribüne.  Sie sind  die wohlgeordnet Unordendlichen, die phantasielosen Phantasten. Sie schauspielern das Spielerische, aber sie spielen nicht. Denn dafür fehlt ihnen der kindlich suchende Ernst.  Ihre Strubbelhaare sind frisiert, ihre Glatzen sind gekämmt; und besonders säuberlich abgezirkelt ist gerade immer der Bereich, der ihnen vorschwebt als das dionysisch Schoepferische, das chthonisch Numinose in seinem schlechten Abziehbild.

Ihre Künstlerfalten sind gebügelt, ihre Lockerheit ist zementiert; und mit den buntesten Farben, die sie kleckern, schaffen sie immer nur ihr Künstlergrau.

Das ist das Grau des traurig eingeübten Künstlertums.

Das Erwachsene des zeitgenössischen deutschen Künstlers nach Nietzsche.

Nietzsche war der grosse Erwachsene. Das große Nichtkind. Er war der Prototyp einer Sorte von Nichtkünstlern. Die eben nicht verstehen, dass Dionysos sich nur denen zuneigt, die keine Verse produzieren sondern Verse sind.

Nichts lächerlicher, als der Versuch, Dionysos anzulocken mit dem gelehrten Versmaß Dithyrambos.

Aber noch lächerlicher, den Dionysos  beeindrucken zu wollen mit irgendeiner Unvernünftelei, die vom argumentativen Reissbrett kommt.

Nichts abgeschmackter, als den Apoll in Marmor oder Bronze noch einmal zu duplizieren in vorbildlicher Kunstwollerei. Und nichts vergrämt den Dionysos mehr, als irgendein Begriff von Kunst.

Dionysos ist der Geist des Unkünstlerischen und Nichtästhetischen, das nicht mit Hässlichkeit verwechselt werden darf, ebenso nicht mit Dekonstruktion.

Aber Dionysos flieht die Ästhetik.  Schon wer das Wort Ästhetik auch nur ernsthaft denkt, fällt in die Sickergrube seines Künstlertums.

Die Sprache ist ein Hindernis zur Überwindung von Hindernissen (Flusser) Doch sie ist kein Gegenstand der Ästhetik.

Dionysos aber ist der Geist vor aller Kunst, der Geist vor aller verabredeten  Ästhetik. Er ist sogar der Geist vor aller komponierten Musik.

Dionysos ist nicht der Geist des Künstlerschals, des frisierten Strubbelhaars und der gekämmten Glatze.

Und absolut garnicht ist Dionysos der Geist des großen Skandals im Saal.

Dionysos sitzt nicht auf dem Barhocker, er besucht keine Poetikkongresse. Aber er sitzt auch nicht in der Psychatrie.

Die dionysische Unvernunft ist die kindlich ernste Vernunft des frühen fragenden Menschen.

Dionysos ist das  Ver-  .. vor der… – nunft.

Aber damit gehört er der Vernunft natürlich an.

Doch flieht er die berechnete Unvernünftelei des Künstlertums.

Als Nichtkinder ihrer unvernünftelnden Gebärde stehen die Künstler heute auf Vernissagen herum; sie lesen auf Lesungen Gedichte vor,  oder sie verrichten von hohen Podien herab ihr niedriges Künstlergeschäft. Und das sogar noch in der Geste irgendeiner Antikunst in  durchgestylter Kleckerei.

Aber Dionysos ist leider auch nicht der Gott des Schrei- und Klecker- und Skandalhanswurst.

Dionysos ist das ernste Kind.

Jeder Ingenieur und Maschienenbauer ist heute, wo er sucht und forscht, dem Kindlich-Ernsten des Dionysos viel näher als alles abgeranzte Künstlertum.

Denn die heutigen Anspruchskünstler zitieren nur ein Spiel, das sie selbst nicht spielen. Sie simulieren das Kind, das sie nicht sind. Gerade die Unverechenbarkeit kommt beim zeitgenössischen deutschen Künstler  immer aus dem Taschenrechner. Sie sind die aufgeräumtesten Chaoten und ihr  Stammeln, das Matschen und Patschen und Kleckern ist immer schon mit dem Akkuschrauber festgespaxt.

Sie wissen immer schon im Vorraus, was ihr Publikum von ihnen wissen moechte: Dass Sie die Künstler sind. In der Sickergrube ihres Künstlertums. Die Traumverkäufer ohne eigenen Traum.  Sie sind die hochtoupiert Unfrisierten. Die spontan Nichtspontanen im Netz ihrer vorverabredeten Unvernünftelei.  Die förmlich Aufmüpfigen mit den Angepasstschweissperlen auf der Rebellenstirn. Die Seriösen im Konfektionsanzug der Nichtseriosität.

All das ist Dionysos gerade nicht.

Denn Dionysos ist der Gott der Nicht-Verabredung. Nur ein nichtverabredeter Rausch ist auch ein dionysischer.

„Aber gab es denn jemals wirkliche Künstler?“ – fragte ich meine Mitreisende.

„Natürlich“ , sagte sie. „Alle wirklich Fragenden und Suchenden sind es. Darunter auch viele Naturwissenschaftler und Ingenieure, die Forscher waren. Dort zeigt sich auch Dionysos. Dionysos hat Newton besucht und Einstein. Und alle fragenden Alchemisten. Und er war natürlich auch bei Konrad Röntgen im Labor. Dionysos gehört denen, die selbst einen Traum haben und gegen den Traum aufständisch wurden. Die gegen den Traum Aufständischen, das sind die Dionysiker.

Dionysos kommt nicht allein aus dem Weinglas, aus dem Alkohol oder aus irgendeinem Ficki Ficki.

Cézanne zum Beispiel war ernst in seinem Tun. Aber er war nicht stirnrunzelnd ernst in der Künstlergeste.  Er war ein Sucher. Cézanne war kein „Künstler“ im heutigen Sinne. Er war ein Forscher, ein Ingenieur der Wahrnehmung.  Musil war kein „Schriftsteller“ in der  literaturhauspeinlichen Schrumpfform von Schriftstellerei, er war ein Ingenieur des Fragens und der Wahrnehmung.

Vor der ganz frühen Moderne bekomme ich immer mehr Respekt.  Denn diese ganz frühe Kunstmoderne war ihrem Wesen nach ernst.

Und sie hatte noch kein witzelndes Verhältnis zum Geist. Deshalb konnte sie wahrhaft kindlich sein. Auch die bekannte Floskel: Maler male, rede nicht. – galt durchaus nicht für diese Frühmoderne der Kunst.

Die Legende vom dummen Künstler oder vom dummen Dichter ist eine späte und schlechtdeutsche Erfindung des 2Oigsten Jahrhunderts, in dem der Mensch damit begonnen hatte, sich für seinen Geist zu schämen.

Noch ein Cézanne konnte immer sehr reflektiert benennen und auch besprechen, wonach er suchte. Und war dabei immer sehr artikuliert.

Erst sehr viel später hatte das Jahrhundert damit begonnen, sich für den Geist zu schämen. Und an die Stelle des dionysischen Geistes trat der schmale Herrenwitz. Das ist bis heute noch garnicht wirklich reflektiert.

Früher hatte man dem Menschen immer unterstellt, er würde sich schämen für seine Nacktheit am Körper. Seit dem zwanzigsten Jahrhundert aber gilt die weitaus grössere Scham der Nacktheit seines Geistes. Die frühe klassische Moderne war noch schamlos geistreich.

Aber schon bei Picasso lässt das ein wenig nach. Schon mit Picasso kommt das Gebrauchsfertige und Geschickliche der zweiten und dritten Generationen nach den wahren Ergründern.

Was bei Cézanne und van Gogh noch im kindlich kosmologischen Spielernst gesucht, erfragt und errungen wurde, das kommt bei Picasso oder Braque schon ein wenig aus der Künstlereimaschine.

Ebenso die Literatur.  Was bei Gressmann oder Däubler noch spielernstes Fragen war, und deshalb echte Kunst,.. das ist bei Jan Wagner, Grünbein, Marcel Beyer, Egger oder Steffen Popp nur noch hohle Hülse.

Oder die neue Musik. Ligeti ist ein Original. Aber schon einem Wolfgang Rhim glaube ich keine Note mehr. Gut, das ist alles Geschmackssache.  So könnte es immer weiter gehen.  Paul Klee – ja unbedingt. Sigmar Polke – naja.. eher nicht. Stanislav Lem – ganz unbedingt – ja. Slotterdijk – nö eher nicht. Gut, alles subjektiv.  Ernst Jandl – okey..war ganz anregend. Ann Cotton oder Monika Rinck.. puhhh..hochtoupierte Unvernünftelei.

Was bei Joseph Beuys noch als ein schreckgeleitetes Ersuchen und Erfragen eine echte Welt aufriss, das war bei Meese oder Schlingensief nur noch schale Geste.

Gut, das ist alles ganz subjektiv.

So subjektiv wie die schale Erwachsenheit jeglichen Künstlertums, das sein Kindlichsein verfehlt oder verrät an die mittelmässige Performance.

Dann befindet man sich im Tal des verbredeten Künstlertums. Hier verhandelt man seine schnellfertige Gebrauchsmelancholie, seine Heimwerkeraufmüpfigkeit, sein Abholkataloggriechentum oder den Herrenwitz irgendeiner Westentaschenerotik. Kurz gesagt: Man ist angekommen im Tal aller „kritischen Bewusstseine“ wo man sich mit anderen kritschen Bewusstseierein die Hände schüttelt und auf die unvernünftelnden Künstlerschultern klopft.

Und deshalb kann man heute so gut erkennen, was die Klasse von Dichtern wie Däubler/Rilke/Gressmann ausmacht im Vergleich mit dem Haarfestiger im Vokuhila einer aus zweiter Hand erworbenen Künstlermüpfigkeit.

Denn wer den Traum nur als losen Effektewert verkauft, der hat keine Träume. Denn er weiss ja immer schon genau, was er tut. Ein verabredeter Rausch kann nicht mehr rauschen. Dieses Räuschlein verkommt zum Rauschobjekt der unvernünftelnd Unberauschten auf dem Effektemarkt des Künstlertums.

Wer Phantasie bloß phantasiert, hat keine Phantasie.

Wer Poesie nur produziert, ist kein Poet.

Wer das Spielen nur spielt, der verfehlt den Ernst des wirklichen Fragens.

Wer bloß die Sprache redet, der spricht keine Welt.

Wer Theater „macht“ – der zerstoert das Theater.

Und wer das Unscharfe zum Prinzip verklärt, der verfehlt den Dionysos und läuft direkt in die Wüste seiner Künstlerlügen.

Viele waren vor einiger Zeit traurig bis verschnupft über das Verschwinden der Volksbühne in Berlin. Aber gerade dieser Lustigkeitspalast mit seinen letzten 20 bis 30 Jahren nichtkünstlerischen Künstlertums hatte den Theatergott Dionysos lange schon gründlich aus der Stadt vertrieben gehabt. Der längst wohlfeil gewordene weil nur noch verabredete Künstlerbockwurst-kartoffelsalatschiessmichweggestus hatte den Theatergott schon vor vielen Jahren aus der Stadt vergrault. Irgendwann musste er sich offenbar dafür revangieren.

Kaum etwas hatte meine Mitreisende in letzter Zeit mehr bestätigt, als der symbolisch doppelte Zusammensturz dieses Palastes alles nichtdionysischen Nichtkünstlertums – Volksbühne Berlin.

Ein asphaltierter Parkplatz dort wäre jetzt genau das richtige.

Danke, Dionysos, danke.

Eichenfrau und Glasmännlein

Muttersprache, Vaterland – oder: Die Sprache aus der Fremde holen?
(in Erinnerung an Chantal Akerman)

*


„Warum ist die Welt da wo sie ist
und nicht 1 Meter weiter links?“

Sir Isaac Newton, Philosoph und Naturwissenschaftler

*

„Wichtig ist, dass man nie aufhört zu fragen.“
Albert Einstein, Philosoph und Naturwissenschaftler

*

„Hänschen klein, ging allein…..“
(Altes deutsches Volkslied)

Lange Zeit wurde Feuerwerk nur in der Drogerie verkauft. Der König des Jahres war für einen Jungen von 9 oder 10 Jahren der Feuerwerksdrogist, der Pharao, der Herrscher über die Pyramiden des 28. Dezember.
Wenn sich am achtundzwanzigsten Dezember morgens um acht Uhr die Türen, nein, die Tore der Drogerie zum Feuerwerksverkauf  eröffneten, dann war das, als würde man betreten ein kleines  Gizeh. Und die hinter dem Ladentisch die Drogerie beherrschten und bewachten, die Pharaonin und der Pharao  – sie hießen Margit und Peter Koslowski. Sie im Nylonkittel und er mit einer ehrfurchtgebietenden Lesebrille an einer Kette um den Hals.
Die ernstbunten Unverzichtalbernheiten auf den Verpackungen von Feuerwerkskörpern der VEB Silberhütte breiteten sich auf diesem Ladentisch aus: „, Fliegender Blitz, Goldsonne, Vulkan, Silberwirbel, Brummer, Salut, Tanzgeister, Filou, Knallkäfer, Harzer, Pfau… “ – für so manches Kind waren das die Namen der eigentlichen Hauptgeister der blaukalten kohledurchdampften Dezembernächte.
Nicht der Weihnachtsmann. An den Weihnachtsmann konnte man glauben oder nicht, aber Goldsonne, Silberwirbel, Brummer, bengalisches-Feuer und Knallkäfer waren real.

*

*

Lange Zeit bin ich früh aufgestanden. Manchmal fielen mir die Worte dabei zu wie Augen und Gedanken. Sehr früh, in der Nacht um 3 Uhr mit Thermosflasche, Mütze und dicken Handschuhen war ein vorderer Platz zu erreichen in der geweihten Schlange vor dem Geschäft mit den Drogen. Zu erscheinen hatte dann der Vater oder der große über 16jährige Bruder vier Stunden später, und zwar bitteschön pünktlich, zum Kauf in der Schlange genau an dem Platz, den man schließlich 4 Stunden lang  frierend mit der Thermosflasche frei gehalten hatte. So waren die letzten Tage vor Silvester immer die Zeit der Ufos, silbersprühend, goldregnend, cromasomatisch funkelnd hineinblitzend zwischen die Jahre, in Rot, in Blau und in Grün.
Die Farben in den Leuchtkugeln, Metallverbindungen: Strontium für rot, Barium für Grün, Kupfer für Blau, Natrium für Gelb.; Magnesium und Eisen für den Funkenregen, für die Blitze, in Silber und in Gold. Schwefel, Kohle, Kalium, Nitrat für die Treibladungen. Nichts wäre heute verbotener als die Alchemisten des Mittelalters zu belächeln. Und nichts wäre falscher, als Pyrotechnik überflüssig zu finden oder verschwenderisch.

Platzende Plätzchen. In rot, in blau, in grün, in gelb, in Silber und in Gold. Fasziniert sind viele Kinder einmal vom F(r)euerwerk. Und mancher immer noch im Erwachsenenalter. Ob das Wort Pyro mit den Pyramiden  ethymologisch verwandt ist, wird heute verneint oder es bleibt unsicher. Ich wäre mir da auch nicht so sicher.

Die Farbenlehre der Ufos.

Und die Farbenlehre Goethes? Gefragt hatte jemand, was ich denn immer mit meiner Polemik zum „Gelehrsamkeitskitsch“ wolle. Auch dieses Blog hier würde doch nur so strotzen von Gelehrsamkeit. Und hat Goethe nicht so vieles vorweggenommen?

Nein. Hat er nicht.

Goethe ist immer egal. Man kann ihn lesen oder nicht, er ist egal.

Ich komme vom Goetheproblem nicht los.

Mein deutsches Naturell verstehen – dagegen ist Quantenphysik
ein Nachtisch für die Frühstückspause.

Der Songwriter Leonard Cohen hatte etwas Gutes geschrieben zum Unterschied zwischen einem nur gelesenen Text und einem nur gesungenen Songtext.
Neulich beim Blättern in einer Biografie waren wir darauf gestoßen.
Und hatte mit M. darüber gesprochen.

Lange schon wirkt in Deutschland, und vielleicht nicht nur hier, eine merkwürdige Trennung zwischen E- (wie Ernst oder klassische Musik, oder E wie die E-Lyrik, oder E-Literatur, die in Deutschland eigentlich keinen interessiert, außer irgendwelche Feuilletonisten) und U (wie Unterhaltung, Songwriter, Pop)

Das Komische ist, dass es in Deutschland manches gute U gibt, also Singer/Songwriter, Musiker –  aber im Bereich E wie Dichtung oder Philosophie seit Heidegger und Uwe Greßmann eigentlich nichts mehr.
Im Vergleich zu Adam Müller kann man auch die letzten 40 Jahre „Philosophie“ anheften im Leitzordner Schwachsinn. Ebenso die vielen Dichter-Imitate.

Vielleicht war Ligeti noch der letzte echte Künstlerphilosoph, der sich für Wissenschaft interessiert hatte, aber der kam ja schon wieder aus Ungarn.

Ins Grübeln waren wir darüber gekommen zum Unterschied von Gelehrsamkeit und Bildung. Und gerieten dabei unfreiwillig in so ein Magnetfeld, das uns nebenbei an einigen Vermutungsplaneten zum Thema „Deutsche Seele“ entlangtreiben lies. Einige Aufzeichnungen davon aus dem Logbuch.

Und in Deutschland wirkt lange schon  eine andere Vertrennung.
Es gibt hier zweierlei Arten von Dichtung – einmal die hohe, tief empfundene, tief gedachte, hymnische, strahlende Dichtung aus dem 19. jahrhundert bis zu Rilke und Däubler

(Theodor Däubler, eine Dichtergröße, den ich lange nicht auf dem Radarschirm hatte, kam letztens wie ein Ufo angeflogen. Er hat nicht nur ein kraftvolles Poem „Nordlicht“ geschrieben und einige großartige Gedichte, sondern auch eine Erzählung „Fliegende Lichter.“ – bei einer nächtlichen Kutschfahrt kommen plötzlich hinter der Kutsche und vor ihr her – „fliegende Lichter“ – , exakt so, wie man es von Spielberg und heutigen Berichten kennt. Dummerweise ist die Geschichte von Theodor Däubler aber 100 Jahre alt. Damals gab es das Wort Ufo noch nicht. Und sie spielt in Europa. Keine Ahnung woher Däubler dieses Motiv hat. Man kann „Fliegende Lichter“ hier nachlesen.)

– und dann gibt es in der deutschen Sprache den Funktionslyrik-Lyriker, oder den Gips-Dichter, das ist so eine Art Convenience- oder Abholkataloglyrik, die nicht stört, aber auch keinen interessiert – so in der mittleren Preisklasse Peter Hacks, Enzensberger, Monika Rinck, Jan Wagner, Grünbein etc…diese Abholkataloglyrik legt sich wie Mehltau auf das, was einmal Deutsche Dichtung genannt wurde. Es ist eine gut gemachte, teilweise ironische oder „geschickliche“ Lyrik, die aber im Vergleich mit originaler deutscher Dichtung immer sofort zu Staub zerfällt. (Gerade Theodor Däublers Dichtung wirkt hier wie ein großer Befreier im Vergleichsmoment) Der Grund hierfür ist simpel. Mit Abholkatalog-Lyrik kann man relativ schnell produzieren, und Gedichtbände oder Literaturhäuser füllen. Mit echter Dichtung nicht. Oder schon seit Jahren nicht mehr.
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Der elegante Nazi

In der Populärkultur kennt man mittlerweile einen allseits verbreiteten Mythos, der zwar immer wieder bemüht wird, aber nie wirklich befragt. Ich nenne ihn hier mal: Der elegante Nazi. Oder der gelehrte Nazi. Das ist eine Kulissenfigur. Er ist eine Ikone der Popkultur geworden. Der Nazi als Ästhet und Buch-Leser oder als Klavierspieler. Seinen Ausdruck hat dieser Mythos auch in vielen Filmen gefunden: Ein SS-Mann der höheren Charge ist dort manchmal ein Mozartliebhaber oder sogar ein Klavierspieler. Vielleicht ist er sogar polyglott und kann dabei auch Gedichte von Goethe aufsagen. Vielleicht sogar von Hölderlin. Darüber hat sich alle Welt immer gewundert. Und wenn man selbst Deutscher ist, wurde einem deswegen die eigene deutsche Kultur immer etwas verdorben. Oder anders gesagt: Man kann die Musik von Wagner oder Franz Liszt nicht mehr hören, ohne dass einem im Kleinhirn sofort  motorisierte Verbände, schwarze Uniformen, lange Ledermäntel,  Stukas und noch Schlimmeres um die Ohren fliegen.
Am Ende sogar Ufos. Es wirkte da auch ein untergründiges Pop-Phänomen in den Symboliken.  Auch das Gedicht „Mnemosyne“ von Hölderlin findet sich auf youtube mindestens einmal mit der Figur Adolf Hitler konotiert. Nun war das in letzter Zeit auch ein wenig sehr trä schick geworden, sich als Künstler zum Beispiel mit einem Hitlergruß zu präsentieren, so als ironisch augenzwinkerndes Markenemblem.
Hitler war Pop geworden. Aber die Fragen, die dahinter stehen, waren es nicht.

Wie kommt es, dass die Deutschen einerseits Größen der Dichtung, der Philosophie oder der Musik hervorgebracht haben, und andererseits so etwas wie Goethe und KZ’s?

Als Deutscher, wenn man sich mit der eigenen Dichtung und Kultur befasst, ist man innerlich immer irgendwo unfreiwillig  und notgedrungen der elegante Nazi, der kultivierte SS-Mann.

Man befindet sich seit über 60 Jahren in einem – wie Gregory Bateson – sagen würde – destruktiven Double-Bind – zur eigenen Heimat.

Oder – wenn man Heimat nicht mehr sagen möchte – im Double Bind zum deutschen Naturell. Ich denke, dass Naturell ein geeignetes Wort ist, irgendwo zwischen Kultur und Heimat.

Der Double-Bind ist eine der größten Entdeckungen von Gregory Bateson.
Den sollten sich alle Intellektuellen mal genau anschauen.
Kurz erklärt ist das eine Verhaltensstörung, die sich aus widersprechenden Verhaltenssignalen ergibt. (Beispiel: Kind muss Mutter lieben, Mutter liebt Kind, aber die Mutter schimpft dauernd mit ihm oder schlägt es sogar.) Bateson leitet daraus später eine (mögliche) lebensbeschädigende Verhaltensstörung ab, eine widersprechende Signallage, die nahe an der Schizophrenie liegt.

Übertragen heißt das: Man liebt seine deutsche Kultur, aber tief im Innern darf man es nicht – wegen der Nazis. Man darf „Heimat“ nicht einfordern, weil das mit Nazi verkoppelt ist. Oder anders gesagt: Man darf sein deutsches Naturell nur lieben, wenn man es nicht liebt. Das ist ein ganz klassischer Double-Bind nach Gregory Bateson.

Ein anderer Double-Bind wirkt im Feminismus. Der Feminismus ist klassisch ein linkes Projekt. Aber der Linke muss „bunte“ Kulturen akzeptieren, bei denen der Feminismus oder die  „Buntheit“ eher nicht gefragt ist oder keine große Rolle spielt.
Nun war der Feminismus, wenn er zur „facettenreichen“ Philosophie aufgeblasen wurde, immer schon Schwachsinn, während die Emanzipation der Frau und Frauenrechte natürlich kein Schwachsinn war.
Ich darf einem Gefühl der plötzlichen Überfremdung keinen Ausdruck verleihen, weil ich dann ein Nazi bin, und so weiter. Double-Bind.

All diese Verklemmungen kommen vom Rechts/Links-Denken. Auch die Sprachregelung
„rechts“ und „links“ wird nicht hinterfragt.

Dabei definiert sich persönliches Leben aber auch Geschichte eher in einem Modus von Vorher/Nachher. Zum Beispiel vor 1789/nach 1789 / vor 1945/nach 1945. Oder vor 1968/nach 1968. Vor dem ersten Kuss, nach dem ersten Kuss.

Zugleich soll man  – als unfreiwillig eleganter Nazi – aber gastfreundlich sein. Man kann aber nur dann auf eine souveräne Art gastfreundlich sein, wenn man die eigenen Heimat, in diesem Falle Deutschland und die deutsche Kultur, das deutsche Naturell, vorbehaltlos lieben darf.

Eine gelungene Gastfreundschaft verlangt, dass der Gastgeber sein eigenes Haus vorbehaltlos (liebevoll) benennen oder aufzeigen kann.
Wenn aber der Gastgeber seine eigene Heimat nur lieben kann, wenn er sie nicht lieben darf, weil Heimatliebe Nazi ist, dann kommt es zu Verklemmungen und Verspannungen.
Es kommt zum Double-Bind. Und es wäre auch albern, zu behaupten, es gäbe keine deutsche Kultur. Da muss man noch nicht mal argumentieren. Man kann es ja auch Naturell nennen.

Wer selbst keine eigene geliebte Heimat hat, wer nicht auf eine „natürliche“ Art in seinem eigenen Naturell zu Hause sein darf, der kann auch nicht auf eine souveräne Art und Weise Besuchern gegenüber gastfreundlich sein und ihnen auf souveräne Art und Weise das  Haus öffnen – so nach dem Motto: Hier ist mein geliebtes Deutsches. Meine Heimat. Mein Naturell. Ich wohne hier, ich bin weltoffen und begrüße gerne alle Besucher und Reisenden. Hier ist der Stuhl, hier ist der Tisch, hier ist das Essen und Trinken, da ist ein Schlaflager, da ist das Fenster, und es gibt auch eine Tür, die wir beide gut kennen.

Souveräne Gastfreundschaft setzt voraus, dass der Gastgeber sein eigenes Haus liebt und lieben darf.  Tut er das nicht, dann kann er auch kein souveräner Gastgeber sein. Er weiß dann  gar nicht, wo, wem und wie er eine Tür öffnen kann.

Besuch zu bekommen hat manchmal auch den Effekt, dass man gezwungen wird, über sein eigenes Naturell, die eigene Heimat tiefer nachzudenken. Insofern gibt der „andere“ Besucher einen Anstoß dazu. Deshalb lasse ich hier einmal die Kulissenfigur „Eleganter SS-Mann“ durch einige Überlegungen laufen.

Eine große Frage ist, ob die Deutschen selbst, in ihrer Heimat, in ihrem ureigenen Naturell auf eine souveräne Art wirklich jemals zu Hause gewesen sind.

Gesetzt den Fall, es gäbe einen Naturgermanen, dann ist klar, dass dieser Naturgermane kein feiner eleganter Ästhet sein kann. Er kennt in seiner Hütte, die er mit den Tieren teilt, kein Klavier und die 12-Ton-Musik auch nicht. Während der elegante Nazi, durch römische Zivilisation geschult, natürlich „ästhetische“ Erziehung genossen hat.

Deutsch ist ein Naturell, eine Art zu denken, zu leben, zu sprechen. Und ich vermute, dass auch dieses Problem sich wieder einmal an der Sprache festmachen lässt. Denn die Deutschen gelten nun mal als das Volk der Dichter und Denker.

Gut möglich, dass all das irgendwo schon einmal gedacht wurde, dann wird es hier eben wiederholt. Es wird ja so viel wiederholt überall. Es wird ja ständig immer nur wiederholt. Auch, in letzter Zeit, eine gewisse Unsicherheit zum Thema Fremdes und Deutsches. Und was hat es eigentlich auf sich mit der weiblichen Muttersprache und dem männlichen Vaterland? Außerdem wird in den Medien viel über Sprachregelungen gesprochen.

Der elegante Nazi fragt sich: Ist das „deutsche Naturell“ ein Konstrukt, das so nicht existiert?  Ich denke, das Problem läuft auf dem Limes zwischen Goethe und Hölderlin/Kleist/Däubler

Dabei sucht der elegante Nazi oder der kultivierte SS-Mann hier nicht nach einer Art Deutschtümelei; er sucht auch nicht nach einem Bauerndeutsch oder etwa nach einem „Zurück zur Natur“ –  nicht nach einem „Zurück zur deutschen Muttersprache ohne römisches Latein“ Ganz und gar nicht. Der elegante Nazi oder der kultivierte SS-Mann haben dem Latein ja sehr viel zu verdanken, zum Beispiel die zivilisatorische Eleganz, das Essen mit Messer und Gabel und einiges an römischer Staatsform.

Insofern muss der elegante Nazi sich eingestehen, dass sein Konzept „Reines Germanentum“ nur zu haben wäre unter Aufgabe aller Errungenschaften an römisch initiierter Zivilisation.

Der elegante Nazi muss sich sogar eingestehen: Es gibt ja keine „reine“ Sprache.
Deshalb gibt es auch kein „reines“ Deutschtum. Überhaupt wäre es naiv, von einer „reinen“ deutschen Sprache zu reden. Das betrifft auch die Sprache als Mischform.
Die deutsche Sprache ist selbst das Ergebnis einer langen historischen Bewegungs- und Mischgeschichte, die tief tief in die Zeit zurückreicht. Also hat der kultivierte SS-Mann ein kleines Problem. Er könnte „reines Germanentum“ nur behaupten, wenn er die Zeit zurückdreht. Das kann er nicht.

Trotzdem wäre es naiv zu behaupten, dass die letzten zweitausend Jahre Geschichte
eine bestimmte Grundprägung als sprachliche Hintergrundstrahlung oder eine kosmogenetische Eingewurzeltheit absolut überschrieben haben.
Man kann bei jeder Sprache eine Hintergrundstrahlung photografieren, die auf die Herkunft der Sprache verweist. Und bei den Deutschen ist das nun einmal  –  Oh, oh…  Klisché – es ist der deutsche Wald.

Der elegante SS-Mann überlegt: Niemand kann heute genau sagen, wieviel von dem Mythos der Deutschen als Waldvolk instrumentalisierte oder romantisierende Kachelmalerei ist, wieviel davon fremdgebasteltes Identitätsmuster und wieviel Richtiges daran ist.
Aber manchmal und über eine sehr lange Zeit werden bestimmte Klischés so verbindlich, dass sie mehr als nur falsch oder richtig sind. Sie werden wahr. Sie werden zur eingeprägten Prägung. Man kann ja für „Wald“ auch  „das Wachsende“ oder die Bäume oder ziehende und schiebende Landschaft einsetzten. Oder eben Natur. (Naturell) Es wird oft vergessen, dass sich die Christianisierung in den slawischen und ostelbisch-germanischen Gebieten lange – bis ins 8. und 10. Jahrhundert hinein – hingezogen hat. Oh, schon wieder ein Minuspunkt für den eleganten und römisch zivilisierten SS-Mann. Er muss zugeben, das ein großer Teil seines Germaniens immer auch slawisch besiedelt war.

Das Merkwürdige an einem Wald ist aber nun, dass er ebenso tiefdunkle als auch gelichtete Bereiche aufweist, den Wald und die Lichtungen. Jedenfalls kommen große kosmogenetische Anteile der deutschen Sprache nicht aus der römisch-lateinischen Zivilisation.

Das wäre jetzt wieder ein Minuspunkt für den eleganten und kulturliebhabenden Nazi.

Gregory Bateson steht ihm mit seiner Double-Bind-Theorie bei.

Es wird auch überliefert, dass die Germanen früher im Wald selbst einige Stellen kannten, vor denen sie enormen Respekt hatten. Außerdem: Der Thing-Baum oder die Linde hat nun mal eine Bedeutung bei den Germanen gehabt. Soviel ist sicher.

Das ist jetzt wieder ein Minuspunkt für den eleganten und römisch kultivierten Ästhetik-Nazi. Denn mit Bäumen und Wald möchte er selbst eigentlich nicht so viel zu tun haben. Dem eleganten SS-Mann schwebt ja eher ein Germania im römischen Stil vor, also mit riesigen Marmorpalästen und einer befestigten Siegesstraße – so wie das römische Reich sie einst hatte.
Man sieht also, dass zivilisatorische Eleganz und echtes Natur-Germanentum in einen performativen Selbstwiderspruch geraten.
Mal ganz davon abgesehen, dass „die Germanen“ auch ein Konstrukt sind aus vielen verschiedenen Stämmen.
Es hat sie als einheitliches „Volk“ lange Zeit gar nicht gegeben. Und eine echte Schriftsprache hatte er lange Zeit auch nicht.

Und man sieht hier, dass schon der elegante SS-Mann als Kulissenfigur, auch wenn er sich noch so viel Mühe gibt, ein perfekter SS-Mann zu sein, in einem Double-Bind nach Gregory Bateson steckt.

Er möchte doch ein echter Germane sein, aber er darf es nicht, weil dafür sind seine Straßen und seine Gebäude zu sehr aus römischem Stein gebaut. Sie haben zu hohe Säle. Deshalb lasse ich den eleganten SS-Mann hier in seinem Double-Bind auf seiner römischen Straße stehen und begebe mich auf eine Suche.

Es geht um eine Suche. Hänschen klein. Wald hinein.

Der frühe deutsche Philosoph und Mystiker Jakob Böhme, der auch Novalis beeinflusst hat, schreibt:

„Die Finsternis ist die größte Feindschaft des Lichts, und ist doch Ursache, dass das Licht offenbar werde.“ – auch das ist für mich deutsches Naturell.
Es erinnert mich an den dunklen Wald, der hier und da, gelegentlich eine Lichtung zeigt.
Vom Schwarzen Körper der Physik noch gar nicht zu reden.

Mancher Deutsche, nicht jeder, fühlt sich in schummrigen kerzenbeleuchteten Räumen wohler als zum Beispiel in einer Restauration, die mit dem allergrellsten Neonlicht ausgeleuchtet ist. In südlichen Ländern findet man ein geradezu verschwenderischen Umgang mit grellstem Neonlicht.
Der Deutsche, mancher Deutsche, braucht es „gemütlich“ – grellstes Neonlicht in einer Restauration, wie man es zum Beispiel in Portugal oder auf Kreta erleben kann, ist nicht Sache des deutschen Gemüts. Beim Deutschen muss das Licht funkeln oder schimmern. Es darf einen nicht anbellen. Aber gerade dieses Funkeln gibt dem Licht die Schärfe, das Hervorpieksende, das Spitze, den Fokus. Auch ein Brilliant funkelt nur wirklich gut, wenn er vor dunklem Grund präsentiert wird

So hat es auch in Newtons prismatischen Farbenkeller aus dem Dunklen herausgefunkelt. Im Dunkeln ist gut Funkeln.

Newton – den Goethe so gehasst hat. Warum hat Goethe Newton so gehasst?

Ärgert mich Goethe immernoch? Nein, nicht der Mensch Goethe, aber die Rezeption. Weil Goethe mittlerweile bei mir für all das steht, was einem die deutsche Kultur verleiden kann. Nietzsche nannte es das Bildungsphillistertum. Aber Goethe hat er verehrt und davon ausgenommen. Was aber falsch war. Und Nietzsche selbst war leider auch ein Bildungsphillister. Aber ich würde das Wort hier ersetzen mit dem Wort „Aus-wendig-Kenner“. Wenn jemand etwas auswendig gelernt hat und auswendig aufsagen kann, dann ist es nicht mehr in-wendig.

Goethe war der gelehrsame Auswendigkenner , der alles wusste und alles auswendig aufsagen konnte, aber er war kein Sucher. Goethe hat alles untersucht, aber er suchte nichts.  Er fand alles interessant, aber ihn interessierte nichts. Goethe war sein ganzes Leben lang immer satt. Er hatte öfter Sodbrennen, aber er hatte keinen Hunger.
Seine Schriften sind umfangreich aber letztlich ein einziges Schweigen. Goethe gibt das erstaunliche Beispiel eines Gelehrten, der alles wusste, aber nichts verstand; eines Forschers, der alles anfasste, aber nichts begriff; der alles beschrieb und beredete, aber nichts sagte. Goethe war jederzeit „vorbildlich“ – aber er hatte keine Bildung.
Er kannte alle Versmaße, aber er dichtete nichts.  Ihm war nichts wichtig.  Sein Faust hat von Anfang an gar keine Seele, die er dem Mephisto vermachen könnte. Das Stück ist Makulatur. Und da hilft auch das „Vorspiel auf dem Theater“ nichts.

Sicher, Goethe konnte dieses oder jenes aus der Physik noch nicht wissen. Aber Kleist konnte auch dieses oder jenes noch nicht wissen. Und Theodor Däubler auch nicht. Und Adam Müller auch nicht.

Aber warum haben die Deutschen Adam Müller oder Kleist gegen Goethe verraten?

Warum haben die Deutschen einen Gelehrsamkeitsstreber zu ihrem Nationaldichter erklärt? Weil er mehr Schriftstaub produziert hat? Weil er ein Rom- und Italienreisender war? Warum hat man von Theodor Däubler so gut wie nichts gehört, dafür alles von Goethe?

Goethe ist das große Potemkinsche Dorf der deutschen Geistesgeschichte. Seine Farbenlehre ist umfangreich, gelehrsam beobachtet, ja geradezu beflissen vollständig, sogar „die Alchemie ist irgendwie mit drin“ – aber sie ist nicht alchemistisch. Sie ist ohne Funkeln. Und deshalb ist sie eben falsch.

Goethe hat „Alchemie be – schrieben“, aber er selbst war kein Alchemist.

Newton war ein Alchemist.

Goethe konnte nie funkeln oder sprühen, immer nur „wissen“. Vielleicht hatte er ein oder zwei kreative Momente, danach war alles ein einziges „Vorbildlich sein“ – jenseits von Bildung. Damit gibt er das Vorbild für einen Typus des „vorbildlichen“ intellektuellen von heute, nur mit dem Unterschied, dass der Vorbildintellektuelle heute auch kein Gelehrter mehr ist, sondern nur noch ein Surfer auf Diskurswellen.

Goethes Alchemie, seine Forschungen, all das war für ihn nur „Stoff“, aber es war ihm kein Faden. Sein Faust war ihm Stoff, aber er war ihm kein Faden. Er kannte alle „Stoffe“, aber er webte kein Faden. Seine sterbenslangweiligen Aufzählungen, seine Alleskennerei und Gelehrsamkeiten waren ihm Stoff, aber sie waren kein Faden.

Ach, Johann Wolfgang, ausgerechnet gegen den großen Newton…..ausgerechnet gegen Kleist.

Goethe ist der Prototyp des Intellektuellen, dem alles immer nur Stoff ist, aber kein Faden. Er gibt das „Vorbild“ des deutschen Diskursstrebers, der bei Bedarf immer die „richtigen“ Versatzstücke von verschlagworteten Paraphrasen liefert. Und die konnte auch Goehte alle auswendig aufsagen wie ein Aufsageautomat.

Das sind dann immer die Allesrichtigwisser, die alles „richtig“ abbilden, alles  befummeln, alles wissen aber nichts begreifen und von nichts berührt sind. In den Kunst-Akademien, in den Salons, in den Literaturjuries, den Redaktionen, den Humboldtforen und den Poetikdozenturen kann man sie finden, die Verwalter und Funktionäre eines „Geistes“ – den sie selbst nicht haben, der nie an ihre Tür geklopft hat.

Und sie fanden sich auch als Goethefans oder Mozartliebhaber in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern wieder. Die eleganten Nazis.
Vielleicht ist das ein Klisché, vielleicht auch nicht. Ich war nicht dabei.

Über dieses mein Kulturvolk der Dichter und Denker hat sich alle Welt immer schwer gewundert. Welches Rätsel steckt dahinter? Ist es der Double-Bind nach Gregory Bateon?

Manchmal wurde gesagt, in der Dichtung wirkten eben Temperamente.
Das Temperament Goethe und das Temperament Hölderlin.
Das stimmt aber nicht. Weil gerade die Dichtung als Genre die Eigenschaft hat, den Autorendarsteller vom wirklichen Dichter zu trennen. In der deutschen Dichtung gibt es keine Temperamente, nur Dichter oder kein Dichter.

Das ist ja das besondere und extrem Anspruchsvolle an der Dichtung, wenn sie auf Deutsch geschrieben ist. Man kann sich in ihr nicht verstecken. Temperamente gibt es im Lied, auch im Song oder in der Musik. In der Dichtung nicht. Und diese Besonderheit im Deutschen lässt auch neben den wenigen echten Dichtern die vielen Dichter-Imitate entstehen.

Wie war das gekommen?

Warum gibt es im Deutschen einerseits die hohe strahlende Dichtung, Musik und Kultur wie Novalis, Hölderlin, Beethoven, Wilhelm Müller, Wolfram von Eschenbach, Kleist, Däubler, Uwe Greßmann, Yvan Goll  – und auf der anderen Seite den erstickenden Mehltau einer bloß primanerhaften Simulation von „Literaturgeschicklichkeit“, bestenfalls eine taube Diskurs-Geschicklichkeit  a la  Goethe, Peter Hacks, Juli Zeh, Monika Rinck, Grünbein, ..etc?

Man kann auch anders fragen: Warum gibt es Hölderlin, und warum die vielen Hölderlinpreisträger?

Ein Mehltau, der sich auf die Pflanze von Denken und Dichtung legt. Tatsächlich hat sich die Pflanze Dichtung in Deutschland immer auch jede Menge Mehltau eingefangen.

Ich glaube, es wirkt in der deutschen Kultur ein Komplex, der jede Menge Diskursgelehrsamkeit oder Zeitgeist oder „Geschicklichkeit“ produzieren und konsumieren kann, und dabei selbst völlig unberührt bleibt. Und deshalb ungraziös. Genau dafür steht für mich Goethe. Seine Texte sind ungraziös. Gelehrsamkeitskisch ist immer ungraziös, während Bildung immer Grazie hat.

Das Nichtberührtsein vom Vers der eigenen Sprache. Das Nicht-In-Wendig-Sein. (Innig)

Er konnte seinen falschen Faust nur schreiben, in dem er Adam Müller und Kleist kaputtverpfuschte und wegstümperte. Adam Müller war graziös. Kleist war graziös.
Goethe war es nicht.

Adam Müller hatte es ja noch so formuliert: „Denn
ihr liebt nur, was ihr mit Eurem eigenen größeren oder kleineren Kunstvermögen erzeugt habt…“ Adam Müllers Text spricht von einem Faust, der liebt, was er tut.

Ein solcher Faust war Sir Isaac Newton. Und ausgerechnet den hat Goethe gehasst.

Goethe aber macht seinen Faust dumm und einfältig, weil er selbst nichts geliebt hat. Und diesen lieblosen Faust lässt er dann durch sein ganzes Stück torkeln.

Nur ein von Anfang an seelenloser Faust, kann so etwas sagen wie: „Habe nun ach, bin so klug als wie zuvor.“ Goethes Faust ist von Anfang an seelenlos. Und da hilft auch das „Vorspiel auf dem Theater“ nichts.

Newton sagt: „Ich kann nur deshalb so weit sehen, weil ich auf den Schultern von Giganten stehe.“

Wo sind diese Giganten im Faust von Goethe?

Im Deutschen hat es Größen der Dichtung gegeben, aber daneben immer auch einen bestimmten Typus des gelehrsamen Papp-Dichters, der sich nach Marmor sehnt, aber immer nur Gips produziert –  von denen Goethe der erste war.
Der seine Rhythmik, seine Allegorien, seine Variationen beherrscht, ja sogar immer einen hübschen Anblick der Metapher liefert, der sich oft und gern auch an die Antike anlehnt. Und der mit viel Wissen und Bescheidwissen klappert. Der aber ohne Faden bleibt.

Dieser Typus beginnt mit Goethe und kleckert seinen Gips durch alle Zeiten.

Dabei gibt sich der Pappdichter immer auch munter, oder er gibt sich engagiert – Oder er gibt sich streitbar. Oder er gibt sich „zeitgemäß“ Er kann jederzeit die anliegenden Themen oder Diskurse bedienen oder antizipieren. Außerdem gibt er sich formal oder sprachlich „vorbildlich“ – oder virtuos.

Aber „Vorbildlichkeit“ ist nicht Bildung.

Und Virtuosität ist nicht Musik.

Manchmal erzeugt der Pappdichter auch Debatten oder Skandale
oder schreibt „Streitschriften“ also er tut alles, um „im Gespräch“  zu sein.

Aber er selbst spricht nichts.

Außerdem baut man jederzeit Fremdwissen und Fremdzitate in die Texte, um sich einen Personalausweis von „Belesenheit“ auszustellen. Man stopft auch immer alle Namen in die Bücher, damit er für die Zukunft abgesichert ist. So nach dem Motto: Taucht der Name auf, dann wurde er auch bedacht und gelesen.
Daher kommt bei Goethe diese  Vielfalt an „Wissensstoff“ im 2. Teil des Faust.
Goethe gehört auch schon zu den beflissenen Vorzeigern von Bildungspräziosen.
Es geht aber gar nicht darum, alles „fleißig aus–wendig“ zu kennen. Es geht um Fragezeichen, innere Fragezeichen und um das Denken, das da wirkt, weil es untergründig einem Dehnen oder Sehnen folgt. Einem Fragen.

Oder der Pappdichter agiert „geheimnisvoll raunend“

Balthasar Gracian schreibt: „Bei Allem lasse man etwas Geheimnisvolles durchblicken und errege, durch seine Verschlossenheit selbst, Ehrfurcht. Sogar, wo man sich herausläßt, vermeide man plan zu sein; eben wie man auch im Umgang sein Inneres nicht Jedem aufschließen darf. Behutsames Schweigen ist das Heiligthum der Klugheit.“

Aus dieser Anweisung von Gracian haben die Pappdichter heute eine leere Geste gemacht. Man tue geheimnisvoll, man raune vielsagend – man schreibe anspielungsreich – man bastle sich ein sphinxhafte Undurchschaubarkeit oder Vieldeutigkeit in den Text – und schon wird man ehrfurchtsvoll als besonders klug erachtet.

Botho Strauß bedient diese Masche seit langem und noch einige andere auch…

Einen drittklassigen deutschen Literaten oder Lyriker erkennt man in Deutschland seit 40 Jahren immer an dem Attribut „geheimnisvoll“ oder an Attributen wie „schwebend dunkel“ oder an dem Attribut „vielsagende Verweisbezüge“ oder an „tastend versuchend“ oder an dem Attribut „souverän virtuos“ u.s.w.
Das ist das Praktische am Lesen von Literaturkritiken heute: Man muss die Bücher selbst nicht mehr lesen, wenn solche Attribute in den Besprechungen auftauchen.

Schaut man hinter diese leere Geste, dann findet sich Pressglass, Pappe, Plastik, Stopfmüll aus Namedropping, Zeitgeist, Distinktionsbedürfnis oder Gelehrsamkeitskitsch – der als Dress übergestreift wird.

Nur Fragen oder Gedanken, die hat der deutsche Gipsdichter nicht.

Das „Geheimnisvolle“ oder das „Raunen“ oder die „schwarze Romantik“ mit samt der ihr angeschlossenen schwarzen Phantastik, die sowohl britisch als auch deutsch verfolgt wurde, war einmal ein Genre, das der Forschung und dem inneren Fragen diente.

Ebenso das „Unheimliche“. Aber es wurde nicht des „Effekts“ wegen erfunden. Das Raunende oder Geheimnisvolle in all diesen Texten war ein Versenken gewesen in die kosmopsychologischen Gründe des Schwarzen Körpers.

Goethe ist der Typ, der egal ist.
Man kann ihn lesen oder nicht, er bleibt egal.
Goethe ist „immer vorbildlich“

Er wollte glänzen.

Wer immer nur so glänzen will, der verliert sein Funkeln.

Und genau deshalb kann kein gesunder Jugendlicher in der Schule mit Goethe etwas anfangen. Und nein, es liegt nicht an den Lehrern. Es liegt am „Lehrstoff“ Denn Goethe war der Erfinder von Dichtung als „Lehrstoff“ ohne Faden.

Bei Kleist ist das nie so – da gibt’s kein egal – aber es gibt einen Faden.
Bei Hölderlin auch – ebenfalls bei Novalis.
Und in Theodor Däublers „Nordlicht“ fliegt einem ja gleich mal alles um die Ohren.

Wer als 13jähriger oder 14jähriger Mensch sich ernsthaft wirklich für einen Text von Goethe begeistert, dem muss dringend geholfen werden, man muss ihn auf den rechten Weg zurückführen mit einem Lied von AC/DC oder von Rainald Grebe.
Und auch das hat nichts mit Pubertät zu tun. Reife oder Unreife haben nichts mit
dem Alter zu tun.

Ich bin nicht erfreut über meine deutsche Kultur, die ich ja nicht anders können kann als lieben muss, und die mir permanent verdorben wurde.
Sie wurde mir durch die KZ’s und durch die KZ-Erzählungen verdorben, aber auch von den Gipsdichtern nach Goethe.

Dabei geht es garnicht gegen Goethe als mittelmäßigen Schriftsteller und Gelehrsamkeitsaufsager. Er ruhe in Frieden. Es geht um die falsche Goetheüberbetonung und um die schlimmen Konsequenzen, die daraus folgten. Ich fühle mich über Goethe belogen. Dafür kann Goethe als Mensch nichts, aber Ich bin darüber schon seit geraumer Zeit not amused. Und ich fühle mich auch über Novalis und Hölderlin belogen von all den Novalisgutfindern und den Hölderlinpreisträgern.

Die Deutschen haben die Angewohnheit, wenn jemand irgendwann von sich selber sagt, dass er nur Mittelmaß produziert hat, so wie Goethe zu Eckermann, es dem Geständigen als besonderes Anzeichen von Größe auszulegen, nach dem Motto: Wer von sich selber so etwas sagt, der muss ein ganz besonders bescheidener und deshalb wirklich großer Dichter sein.

Nein, eben nicht. Umgekehrt, wenn jemand, der ja nicht ganz blöd ist, so ein Geständnis im Hinblick auf sein gesamtes Lebenswerk ablegt, dann bedauert man ihn, man glaubt’s ihm, und führt ihn sacht am Oberarm gefasst aus dem Raum der Geistesgeschichte hinaus. Was natürlich nicht heißt, dass jeder Größenwahnsinnige automatisch dort hineingehört.

Das trifft auch auf Nietzsche zu. Er war kein Dichter, er hat es sich eingestanden, und damit ist es gut. Man müsste auch einem Goethe oder einem Nietzsche nichts nachtragen. Aber weil sie immernoch als „Größen“ im Raum stehen, pflanzt sich gescheitertes Mittelmaß fort bis zu Hitler und in den Nationalsozialismus hinein, der eine besondere Variante des geistigen Mittelmaßes war. Und darüber hinaus bis in heutige Schöngeistigkeits-Akademien und Feuilletons. Und Enzensberger hat das Mittelmaß irgendwann schon einmal zum Prinzip erhoben. Aber anstatt von Bildung zu sprechen, faselt er was von Lebensstandart. Na vielen Dank dafür auch. Die Menschheit lebt ja geradezu davon, dass Newton ein mittelmäßiger Typ war.

Goethe bleibt ein Irrtum. Und auch die Anthroposophen, die sich auf Goethe beziehen, sind nur über den Umweg von Beuys zu ertragen, sonst nicht. Hätte sich Beuys noch tiefer mit Schriftgeschichte befasst, wäre auch ihm der Goethe-Kitsch irgendwann aufgestoßen. Ich kann den Goethekitsch nicht mehr weglächeln. Dieser Irrtum steht für ein intellektuelles Scheitern und Versagen, das im 20igsten Jahrhundert seinen traurigen deutschen Höhepunkt erreicht hatte. Und Thomas Mann mit einem großen Teil seiner Schreiberei steht für den ganzen vermufften Nietzsche- und Stefan-George-Komplex aus Ästhetizismus, Pseudo-Künstlertum und Konservatismus.

Warum haben die Deutschen so ein Problem mit ihrem Deutschtum?
Mit ihrer Heimat? Mit ihrem Naturell? Ich behaupte, der Deutsche weiß nicht, wo er hingehört – in den Wald oder ins Römisch-Zivilisatorische

Darin liegt der Grund, warum es  in Deutschland immer ein besonders schmerzhafter Riss wirkte zwischen „Gelehrsamkeit“ und Bildung.

Und es gibt eine sehr merkwürdige Trennung von Muttersprache und
Vaterland.

Lange Zeit musste der Deutsche alles, was „gelehrsam“ war, aus dem Latein importieren. Seine wirksamen gesellschaftlichen Erzählungen sind römisch-lateinisch, aber nicht deutsch.

Deshalb hat der Deutsche kein selbstverständliches, kein organisch eingefügtes, muttersprachverbundenes Verhältnis zur Bildung.

Der Germane musste, wenn er „gesellschaftlich aufsteigen“ wollte, immer seine seelischen Bäume verleugnen. Er musste seine Blätter und das Grün abschütteln und seine -Birkenfrauen vergessen.

Die Römer hinter dem Limes waren ja nicht einfach nur germanenfeindlich gewesen.
Im Gegenteil. Sie fanden an den Germanen einiges respektabel und boten den Germanen die Möglichkeit des „gesellschaftlichen Aufstiegs“ an.
Aber um den Preis, dass er seinen Wald, seine Heimat, seine innere Landschaft aufzugeben hatte. Auch ein Germane konnte im Römischen „Gelehrsamkeit“ erlangen und über den Umweg der Legion auch „gesellschaftlich aufsteigen“ –  aber dafür musst er seine Sprache verleugnen und seinen Wald möglichst tief verdrängen.

Genau deshalb wirkt im Deutschen eine besondere Verbindung aus „liebloser Gelehrsamkeit“  mit Heimatlosigkeit.

War es das, was Hölderlin meinte, als er schrieb: ..“und haben die Sprache in der Fremde verloren.“ ?

Das Lateinische oder die Gelehrsamkeit, ist beim Germanen immer damit verbunden, ein Stück (mutter-)sprachlicher Heimat oder Verwurzelung zu verdrängen oder zu verlieren.

Deshalb ist der ganze Goethe schon mehr oder weniger ein Mix aus lateinischer Gelehrsamkeit. Dort, wo er philosophierte oder aphoristisch war, ist alles lateinische Kompliation. Es ist Stein, aber nicht Baum.

Gerade der Deutsche ist besonders anfällig für „Gelehrsamkeit“ – für „Stoffe“ ohne Faden, die eben nicht Bildung ist. Was dieser Gelehrtentyp dann in die Finger kriegt, das wird ihm sofort zum „Stoff“,  – bei abgeschnittenem Faden.

Manchmal wird der Faden absichtlich durchtrennt, damit man als origineller Literat irgendeinen huebschen Text absondern kann, oder der durchtrennte Faden wird sogar zum Prinzip erklärt und gelobt.

Man müsste bis zu Hildegard von Bingen oder  bis zu Jakob Böhme zurückgehen, um ein halbwegs deutsches und organisches, das heißt -organisch eingefügtes Verhältnis zur Bildung zu finden, durchschimmernd durch die Folie des Christentums.

Gelehrsamkeit ist im Deutschen oft lieblos. Bildung nicht.
Wagner hatte auch noch Bildung.

„Die Seele ist ein weites Land.“ (Arthur Schnitzler)

Und weil der Deutsche diese Erfahrung lange machen musste, dass Gelehrsamkeit immer mit einem Fremden/Lateinischen aber zugleich auch mit „gesellschaftlichem Aufstieg“ verbunden ist – genau deshalb gibt es im Literatur-Deutschen diese besonders schlechte Form der Unterwürfigkeit gegenüber dem Fremden auf der einen Seite:

Das heißt, der Diskurs-Deutsche ist prinzipiell bereit, seinen seelischen Wald zu verleugnen, wenn er dafür den gesellschaftlichen Aufstieg in die lateinische „Gelehrsamkeit“ bekommt: (lateinisch als Bildungssprache oder Französisch als Etikette und höfische Form)

Was früher das Latein war, ist heute das Argot oder Rotwelsch der Diskurse.
Man erkennt einen Systemtheoretiker nicht an Inhalten, aber an seiner codifizierten Sprache.
Man erkennt einen beflissenen Diskursprimaner, ob er sich nun Popkritiker nennt oder einen philosophischen Schriftsteller, nicht an Gedanken, man erkennt ihn an seiner codifizierten Sprache. Man erkennt einen neudeutschen Lyriker nicht am Denken, oder an wirklichen Gedichten, aber an seiner codifizierten Sprache und vielen Literaturpreisen.

Besonders merkwürdige Beispiele in Deutschland waren immer die Derrida, – oder Deleuze-Intellektuellen. Sie waren nie in der Lage, das Französische oder das mental Sprach-Andere ganz normal zur Kenntnis zu nehmen, zu beschnuppern und auf eine entspannte Art entweder einzubauen oder auf eine entspannte Art einfach außen vor zu lassen. Derrida redet etwas davon, dass wir alle Fliegen im Text-Honig sind, und das ist jetzt der neueste Schrei.  Der deutsche Diskurs-Intellektuelle, muss alles, was von außen kommt, aus Frankreich oder von sonstwo immer zur neuesten Mode erklären, anstatt, wie es normal wäre, das „Andere“ als  Beitrag zu behandeln, den man entspannt in den eigenen muttersprachlichen Kontext einbaut oder eben auch bei Seite lässt. Typisches Beispiel auch Grünbein. Er zieht sich Descartes als  T-Shirt über, auf dem „Wissenschaft und Kunst“ draufsteht.  Und noch dazu „in Deutschland.“ Das peinliche Französeln des intellektuell sowie dichterisch gescheiterten Kataloghauslyrikers, der einmal in seinen frühen Jahren von Heiner Müller gelobt wurde, steht für die Flucht vieler ursprünglich begabter Talente  aus der eigenen Muttersprache hinein in die angeborgte „Eleganz“  – die ihnen immer wie eine zu große Hose um die Schenkel schlottert.
Dabei wissen sie nicht, was wahre Eleganz ist.
So haben sie  die Grazie der eigenen Sprache verloren. Die Grazie der Seele. Übrig bleibt dann der ungraziöse Gips-Lyriker, jenseits der Grazie zum Beispiel eines Theodor Däublers. Und dann stolpert man plump und ungraziös mit seiner Mondlyrik weiter. Novalis wird herabgewürdigt zum Mode-Accessoire von desinteressierten Literaturhauszombis und intellektuellen Gehirnprovinzlern.
Oder auch Botho Strauß: Faselt was von Odysseus und Antike und fertig ist der Bocksgesang.

So gibt es im Deutschen seit 40 Jahren nur noch den T-Shirt-Intellektuellen,
die sich Paraphrasen und Versatzstücke aus dem Kleiderschrank zieht, und morgen
darf es dann schon wieder etwas Neues sein. Gerne werden auch „große Namen“ der Wissenschaft und Kunst als Stopfmaterial für das Diskurskissen verwendet, von Novalis bis Heisenberg, von Hölderlin bist Freud. Von Heidegger bis Benjamin. Weil es hübsch aussieht. Und dann endet man als  Käsehäppchenesser im nichtssagenden Kitsch der Literaturhäuser und gibt Salonparaphrasen von sich. Aber was hat Benjamin denn nun eigentlich gesagt oder gedacht? Interessiert nicht. Hauptsache Mode.

Und wenn Theodor Däubler wieder a la Mode ist, dann wird es auch ganz plötzlich viele Theodor-Däubler-Gutfinder geben. Man kann drauf warten.
Dieses Verhalten ist einem von DDR-Funktionären gut bekannt und berechenbar. Als ehemaliger Ossi hat man eine Nase für sowas. Das Lavieren, das Hin-und Herschielen, das richtige Einhängen der Themen in die anliegenden Winde. Nur Dichten – das möchte man nicht.

Der Deutsche kann „Gelehrsamkeit“, die von außen oder aus der Fremde kommt, nicht einfach „einbauen“ – er kann sie nur annehmen, indem er sein muttersprachliches „natürliches“ – naturell – nature) –  verleugnet.

In dem der Deutsche in den „Gelehrsamkeitsraum“ eintritt muss er hinter sich die Tür zum Wald verschließen. Und dabei verrät er seine eigenen großen Dichter.

Typisches Beispiel auch Luhmann: Da liest er was Interessantes bei Maturana oder George Spencer Brown – aber anstatt diese von außen kommende Anregung in einen wirklich historischen und philosophisch muttersprachlichen Kontext zu stellen, zum Beispiel zu Adam Müller, oder in einen muttersprachlichen Seelenkontext, und daraus seine Lehren zu ziehen, bläst er das, was er da bei anderen gefunden hat, gleich zum allerneuesten Schrei auf.
Systemtheorie, wow! Damit hat er den Deutschen ein weiteres Mal die Möglichkeit gegeben, sich nicht mit ihren eigenen Philosophen zu befassen, nein…der Deutsche konnte ab sofort, statt von Ich und Du oder von Innen und Außen von „System“ und „Umwelt“ faseln. Adam Müller? Nie gehört.

Und das ganz normale Gespräch, der Dialog, wurde ihm zur „Kommunikation“ Wo andere Völker einfach sagen, oder wo Heidegger einfach gesagt hat: „Menschen können miteinander sprechen – da sagt der beflissene Diskurs-Deutsche: „Du, lass und doch mal eine Theorie des kommunikativen Handelns strukturieren“

Und später hat der Deutsche dann das Wort „Umweltschutz“ erfunden oder auch das Wort „Biomasse“ – an Stelle der passenderen Worte „Heimatliebe“ und „Holz/Bäume“ . Vom Baum zur Biomasse.

Nur das Wort „Waldsterben“ – das haben auch die anderen Europäer sofort verstanden und wussten immer sofort – hier sprechen die Deutschen.
Und haben es ihnen nicht übel genommen.

Vor über zweitausend Jahren hatte das begonnen, als ein Germane, der es „zu etwas bringen“ wollte, dies nur in römisch-lateinischen Verhältnissen, also in sprachfremden Garnisionen erreichte.

Als Germane konnte man durchaus im Römischen „aufsteigen“.  Diese tiefe und lange gemachte Erfahrung, dass „gesellschaftlicher Aufstieg“ fast nur zu haben ist, um den Preis der Selbstverleugnung von (angebundener) Mutter-Sprachheimat, das war die (unfreiweillige) Erfahrung des Arminius.

Der Germane kommt sprachlich aus dem Wald, aus der Natur (sein Naturell) Aber wenn er „nach oben aufsteigen“ will, dann muss er seine Heimat verleugnen und wird heimatlos, dass heißt: Er wird zum lieblosen und zu einem waldlosen Gelehrsamkeits-Funktionär.

Wieder ein Double-Bind.

dessen „Gelehrsamkeit“ zwar „funktioniert“ – aber lieblos bleibt. Nicht angebunden. Ohne Faden.

Arminius hatte in Rom zwar gut „funktioniert“ – aber es war nicht seine Heimat. Warum ist die Heimat weiblich und Vaterland männlich?

Diese lieblose „Funktionärs-Gelehrsamkeit“ findet sich heute immer bei vielen, die ihre Reputation an der Masse Ihrer Veröffentlichungen oder an der Masse Ihrer Literaturpreise festmachen. So nach dem Motto: Je größer der Bücherberg, desto klüger und gewichtiger der Gelehrte.

Wie schnell so etwas zusammenfallen kann, sieht man an Adam Müller, wenn man ihn gegen heutige „Philosophen“ hält. Die deutsche Intellektualität hat in den letzten 40 Jahren nur noch ein DDR-haftes Diskursprimanertum hervorgebracht, aber kein Denken. Kein Dichten. Da gab es Adorno, der die Hausordnung aufgehängt hat, und es gab die Hausordnungsabreisser, die so ein bisschen aufgemuckt haben, aber mehr war da nicht.
Mit Adorno ist echte Dichtung nicht möglich.

An den letzten 40 Jahren deutscher Philosophie und Dichtung ist absolut nichts dran. Nix. Rein garnichts.

Und deshalb eignet sich so mancher Gelehrsamkeitsdeutsche auch so gut zum Funktionär. Funktionärstum ist immer ein Ergebnis von innerer Heimatlosigkeit.
Auch der „Skandal“ ist eine Funktion. Ohne Heimat.

…Vermutungsplaneten.

Dieser Verlustschmerz von muttersprachlicher Heimat hat in besonderen Fällen auf der anderen Seite im Deutschen manchmal ein extrem tiefst – sinniges  Denken bei manchen Mystikern und Philosophen hervorgebracht. Das „Tiefdeutsche“ im Denken war unbewusst immer Waldsuche, Baumsuche, Heimatsuche, Muttersuche – durch die Folie des Christentums hindurch. Das tiefdeutsche und Mystische bei Jakob Böhme oder auch bei Hegel war ein Versuch der Bildung, aber es war keine „Gelehrsamkeit“.

Schon ein Wort wie „Weltgeist“ kommt aus dem Wald. „Erdgeist“ (Adam Müller)

(Man kann also nicht absichtlich dumm und unphilosophisch, so wie Botho Strauß, sich als Waldspaziergänger verkleiden und dann „ein Kulturdeutsch“ anrufen.
Wer ohne Adam Müller in den Wald geht, dessen Schriften bleiben geistlos.
Das „Raunen“ bleibt dann die leere Phrase eines durchschnittlichen BRD-Intellektuellen,
eines geistigen Kleinstädters, der glaubt, sich durch „Raunen“ die Aura des „Klugen“ verschaffen zu können.)

„Gelehrsamkeit“ ist im Deutschen immer „heimatlos“. Bildung nicht.

Diese Heimatlosigkeit meint aber nicht Heimatlosigkeit im Sinne von „vaterlandsloser Geselle“ oder Frau Germania (interessant, dass Germania eine Frau ist, einfach mal so in die Feminismusdebatte geworfen…) diese Heimatlosigkeit meint Lieblosigkeit, auf Grund mangelnder Anbindung von Bildung an das Naturell-Muttersprachliche.

Seit über 2000 Jahren muss der Germane seine lieblose und mutter(sprach)lose „Gelehrsamkeit“ damit bezahlen, dass er seine innere Heimat verlässt, den deutschen Misch- und Tannenwald der Muttersprache.  Da legt Heidegger den Finger drauf. (Holzwege)

Man kann diese Vermutung weit hergeholt finden, da es ja nie wirklich eine „reine“ Sprache gegeben hat. Sie ist ja immer ein Misch-Prozess. Und ja, eben, die Sprache ist ein Mischwald. Deshalb würde hier mit Musil antworten: Was man dagegen sagen kann, ist genau so falsch, wie das, was man daür vorbringt. Es sind Vermutungsinseln.

Und diese Lieblosigkeit als ein untergründiges „Fremdeln“ findet sich eben gerade bei vielen deutschen Diskursintellektuellen.

Der normale Bauer, der Schmied, der Handwerker hat all diese Probleme nicht, weil seine „Gelehrsamkeitsambition“ nicht bis zur Selbstverleugnung in den „Diskurs“ oder bis nach sonst wohin reicht. Aber schon bei Goethe findet sich diese Flucht.
Ist doch okay und völlig in Ordnung, wenn er etwas Spannendes bei einem fremdsprachigen Dichter entdeckt oder sogar wiederentdeckt, aber warum muss er selbst im Titel bis zur Selbstverleugnung sein Deutschsein gleich komplett fremdländisch möblieren?

Was bei Goethe auf den ersten Blick sich immer ganz kosmogenetisch gibt, ist es in Wirklichkeit nicht. Der Kosmos geht in konzentrischen Kreisen vom Mittelpunkt der eigenen Heimat aus, die man nicht verleugnen muss, geht von dort langsam nach außen. Man schaut nach außen und zieht das Andere oder das „Fremde“ in seinen eigenen heimatlichen Schwerpunkt hinein. Aber man gibt seinen eigenen inneren Schwerpunkt nicht auf.

Kosmogenetik muss nicht die Anbindung ans Heimatliche verleugnen.
Kosmogenetik beginnt mit der eigenen Heimat in der Mitte.
Dort ist der Schwerpunkt. Und man merkt das auch bei vielen fremdsprachigen Autoren. Die schreiben Weltliteratur, müssen aber deswegen nicht den Schwerpunkt ihrer eigenen Heimat aufgeben. Flaubert oder Proust schreiben Weltliteratur auf Französisch. Dostojewskie oder Arseni Tarkowskie schreiben Weltliteratur auf russisch.  Borges schreibt lateinamerikanisch. Lem schreibt Weltliteratur auf polnisch. Nur die Deutschen haben immer irgendein Problem mit ihrer Sprachheimat. Sie schreiben seit 40 Jahren auf linkisch.

Die Deutschen müssen immer irgendwo hinschielen. Oh, was machen die Franzosen – Poststrukruralismus, das ist ja ganz geil – das machen wir jetzt absolut und total nachahmend auch. Oh, bei den Amis gibt es jetzt Bukowskie oder Jack Keruack, da sind wir jetzt auch gleich mal so die ganz dollen kaugummikauenden und lässigen Beat-Hippis. Oh, die Amerikaner haben so eine geile Shortcut-Technik in ihrer Literatur, dann schreib ich jetzt auch gleich mal mein schwachsinniges Buch über die Wendezeit und nenne es Simple Storys. Oh, die Lateinamerikaner haben so einen tropischen Ton in ihrer Literatur, der noch dazu mit irgendwelchen wildwachsenen Kaktusdrogen ins leicht phantastische hineingetuned wird. Toll, schreib ich jetzt auch gleich nachahmend angeborgt so.
Diese Selbst- und Fremdbewegungen sind normal und auch bei fremdsprachigen Autoren vorhanden, aber im Deutschen ist alles immer verklemmt fremdelnd bis zur Selbstverleugnung.

All diese Probleme hatte Adam Müller noch nicht. Der schreibt einfach, was er denkt. Fertig. Und er hat gedacht auf nicht mal 6 Din A 4 Seiten.

Aber der gelehrsame Diskursintellektuelle in Deutschland kann nicht, wie es bei allen anderen Völkern/Naturellen/ normal wäre, das Fremde oder das „Andere“ einfach neugierig studieren, seine Schlüsse ziehen und in Vergleichsmomenten durch den Kontakt mit dem Fremden das Eigene noch besser verstehen oder auch bereichern –  nein, der deutsche Literaturintellektuelle hat die Tendenz, das Fremde oder das Andere immer gleich unterwürfig noch viel , stärker und gelehrsamer zu finden, als seine eigene genuine muttersprachliche Bildungsmasse.

Übertrieben gesagt: Der Gelehrsamkeits-Deutsche kennt in seinem verstörten Verhältnis von Selbstheit und Fremdheit immer nur die Selbstauslöschung oder die Fremdauslöschung. Bei Adam Müller war das nicht so. Adam Müller kann ganz entspannt Euklid oder Hobbes oder Pythagoras ins Heimatliche einbinden und gelangt so zu einem absolut klaren Denken.

Vermutungsplaneten

Der Literaturdeutsche  hat ganz prinzipiell ein zerstörtes oder verstörtes Verhältnis zu seiner „Selbstheit“ und deshalb auch zur „Fremdheit“ – gerade in allen Bereichen, die sich mit „Gelehrsamkeit“ schmücken. Er befindet sich im Double Bind.

(Quantenphysik als Double-Bind: Du darfst Welle zu mir sagen, aber du darfst es doch nicht.)

Daher kommt das immer etwas überzogene Reagieren. Der LiteraturDeutsche ist entweder besonders unterwürfig gegenüber dem „Fremden“ – also er ist bis zur Selbstverleugnung exotistisch fremdbegeistert, weil in seinem Hypothalamus die Erfahrung gespeichert ist, dass das „Andere“ das Lehrende ist, das Lateinische oder Französische. (Denn nur im Fremden kann der Germane „aufsteigen“ – ) , nach dem 2. Weltkrieg kam dann noch hinzu, dass das Fremde automatisch das Gute und Bessere ist –  –  oder der Deutsche kippt auf der anderen Seite ins jetzt-extra-total-nur-noch-sehrdeutsche, ins Rassistische.

(Typischer deutscher Double-Bind: Der Preuße nennt sein Schlösschen „Sans Soucie.“, spricht am Hof Französisch, und importiert jede Menge Raison&Clarté plus Gelehrsamkeit aus Frankreich, aber der Lieblingsfeind heißt für anderthalb Jahrhunderte Frankreich)

Dabei hat auch der Deutsche das Recht, dem Fremden ganz normal neugierig, freundlich, aber auch reserviert zu begegnen. Er kann sich mit ihm ganz entspannt austauschen und gucken, was das Fremde ihm gibt, um sich selbst besser zu verstehen, aber er muss dafür nicht gleich seine ganze „innere Landschaft“ aufgeben, sein Naturell, seinen inneren Schwerpunkt, den inneren deutschen Wald.

Das Schlecht-Deutsche ist nicht das Deutsche.
Das Schlecht-Deutsche ist die Angst des halbgebildeten Diskursdeutschen
vor dem original Deutschen.

Der Verklemmt-Deutsche ist der, der vor dem Original-Deutschen flieht in die Heimatlosigkeit von „Aufstieg durch Gelehrsamkeit im Fremden.“

Vermutungsplaneten

Wollte man diese Problematik noch tiefer ausleuchten, dann müsste man darüber sprechen, wie es sich für die Germanen damals angefühlt haben muss, als die ersten christlichen Missionare die heiligen Donar-Eichen und Thing-Bäume umhackten, um dann mit einem „Buch“ zu kommen, in dessen ersten Kapiteln wiederum von „Bäumen“ die Rede ist. Also die ganz leichte Schizophrenie, die darin lebt. Ein Double-Bind?
Gregory Bateson gebraucht hier auch das Wort „schismo-genetisch.“ Also „getrennt-zusammen“ oder auch auf deutsch: MITT-TEILUNG.

Das Christentum kommt mit dem Baum der Erkenntnis ins Germanische, muss aber dort erstmal zur Missionierung die Thing-Bäume umhacken. Möglicherweise
war diese Bewegung historisch als Modernisierungsprozess absolut notwendig.

Ich vermute aber, dass diese schmerzhafte Anfangssschismogenie der „in der Luft begrabenen Bäume“ dem nördlichen Teil von Europa einen Keim von „Wahnsinn“ eingepflanzt hatte, der dieses Europa aber auch auf der anderen Seite so merkwürdig selbstbewusst machte. Europa hat durch diese Double-Bind-Schizophrenie ein „Gehirn“ bekommen, mit einem „schwebenden Wald“. Die Deutschen, und vielleicht nicht nur die, sind in ihrem Innern schwebende Bäume.

Man kann sich die Frage stellen, ob der Double-Bind, deutsche Thing-Eichen umgehackt gegen „Bäume im Buch“ eigentlich schon mal in einem bewussten Sinne, sozusagen beim Gregory Bateson auf dem Sofa aufgearbeitet worden ist.

Jetzt bin ich wieder beim eleganten Nazi.
Ein anderes Beispiel für das Falsch-Deutsche ist auch Hitler.
Die ganze Hitlerei war gerade nicht „typisch deutsch“. Sondern eben schlecht-deutsch-heimatlos – also römisch. Der Germane gehört mental in den Wald, aber weil er sich nach dem „Aufstieg“ sehnt, verleugnet er seine Heimat und geht nach Rom. Die ganze Hitlerei war ja auf „Imperium“ aus – und nicht auf Wald.

Es ist kein Zufall, dass Hitlers Lieblingsoper nicht der Ring war oder der Parzival, sondern die Oper Rienzi. Ein römisches Stadt-Stück. Nicht gerade Wagners Highlight.

Also auch Hitler war schon ein heimatloser „Gelehrter“.
Darin trifft er sich mit Goethe.

Der halbgebildete deutsche „Gelehrte“ sucht sein „Heil“ immer in Rom.
Er sucht es nicht mehr unter den Birkenfrauen oder unter der Eichfrau.

Die deutsche Seele verstehen – dagegen ist Quantenphysik ein Nachtisch in der Mittagspause.

Der Nationalsozialismus als Ideologie war keine Erfindung von Bauern oder Handwerkern. Er war ein halbgebildetes Gelehrtenkonstrukt, eine „elegante“ Idee, ein Gelehrsamkeitskitsch, der von halbgebildeten und heimatlosen Intellektuellen und Pseudokünstlern ausgetüftelt worden war. Der Nationalsozialismus wurde „in Büchern“ erdacht – aber nicht auf dem bäuerlichen Feld, nicht im Wald oder in der Schmiede.

Warum liegen in Deutschland das Buch und der Wald so nahe beieinander wie Weimar und Buchenwald?

Und natürlich war auch Hitler nicht einfach nur ein Dummkopf. Ganz im Gegenteil: Er war für seine Zeit ein Allesrichtigmacher, sozusagen ein perfekt angepasster halbgebildeter Intellektueller, ein geschickter Diskursjokey, der immer in den richtigen Momenten vor dem richtigen Publikum mit der richtigen Temperatur die „richtigen“ Skandale oder Extasen erzeugte. Und der auch immer genau das richtge instrumentaliisierte, umlog oder verschwieg.

So wie Heidegger seit 50 Jahren entweder von Diskurs-Karrieristen instrumentalisiert, als T-Shirt angezogen, umgelogen, verschwiegen oder denunziert wird.
Oh, Heidegger hat in seinen Notizbüchern etwas Abschätziges über die Juden gesagt – hinweg mit ihm! Oh, Wagner hat sich auch abschätzig über die Juden geäußert, aber Wagner ist nun mal ein Künstler, der darf das, wir spielen ihn hier und auf der ganzen Welt!

Lasst ihn doch in Ruhe mit Eurem  „Anti“semitismusquatsch.

Könnte es sein, dass gerade die Deutschen und die Juden sich innerlich besonders nahe sind? Weil sie beide auf leicht verschobene Weise „in der Luft begrabene Bäume“ haben. Gerade unter „Ähnlichen“ können Konflikte besonders nah ausfallen. Wer gar nichts miteinander zu tun hat, der hat auch keinen Konflikt miteinander.

Waren die assimilierten Germanen damals in römischen-lateinischen Diensten nicht eigentlich die Juden der Römer? Ist der Germane, der notwendigerweise irgendwann die „steinernde Zivilisation“ mehr schlecht als recht übernehmen musste, und zwar zweimal – einmal mit Rom und dann mit dem Christentum – ist dieser Germane seit dem nicht immer ein wenig heimatlos – baumlos –  oder zumindest stark verunsichert?

Fragen wird nach Einstein ja wohl mal erlaubt sein.

Ein Vermutungsplanet.

Und als die Christianisierung damals die heiligen Eichen der Germanen umgehackt hat, könnte es sein, dass der Deutsche seit dem nicht mehr so genau weiß, wo er seinen Baum suchen soll? Im Buch? Im Wald? Oder im Buchenwald?

220px-Bonifatius_Donareiche

Der Missionar Bonifatius fällt eine heilige Donar-Eiche-

Und könnte es sein, dass der Nationalsozialismus als Hasskatastrophe von Hitler gegen die Juden eine Ähnlichkeitskatastrophe war, die in Hass umgeschlagen ist?
Eine Hasskatastrophe unter Sehr-Ähnlichen – Sehr-Nahen…die sich eigentlich, in ihrem Innern, besser verstehen müssten, als sie sich bewusst sind?

Vermutungsinsel…

Insofern vereinigt Hitler als erster alle „erfolgreichen“ Eigenschaften des lieblosen, weil sprachheimatlosen deutschen Diskursintellektuellen in sich, der erfolgreich aufsteigen will, und der sich immer auf seine „Gesten“ verlassen muss. Gerade dieser heimatlose Deutsche ist immer besonders „gestisch“ – äußerlich. Hitler war ein großer „Ästhet“

Nur mit dem Unterschied, dass Hitler leider tatsächlich ernst gemeint hat, was er gesagt hat. Aber im Prinzip war er ein Typ, der die Aufforderung: „Du musst dein Leben ändern.“ voll ausgelebt hat. Vom Niemand zum Reichskanzler. Wer Hitler bloß als Dummkopf abkanzelt, ist selbst ein Dummkopf. Nein, Hitler war sehr diskursbegabt.
Und er war mehr als nur bauernschlau. Denn er war kein Bauer. Er selbst hatte schon keinen „Boden“ mehr. Nur ein besonders heimatloser und bodenloser Typ, also jemand, der keine echte und „natürliche“ Rückbindung mehr an etwas hat, nur ein solcher heimatloser Typ, kann auf die größenwahnsinnige Idee kommen, seinem „Volk ohne Raum“ einen „Raum“ zu erobern.

Diese besondere Mischung aus liebloser Gelehrsamkeit, hinterherhechelnder Trendschläue, schlechter Deutschtümelei. römisch inspirierem Größenwahn und Aufstiegschancen durch Fremdes in Verbindung mit der jederzeit auswechelbaren Diskursgebärde auf dem T-Shirt – das macht bei vielen deutschen „Gelehrten“, nicht bei allen, seit über 1500 Jahren den ganzen Komplex des fadenlosen und waldlosen Gelehrsamkeitskitsches aus. Gelehrsamkeit ohne Anbindung an den Kosmos. Ohne Mutter. Ohne Natur. Ohne Wald. Ohne den Spinnenfaden. Daraus resultiert im Deutschen dann der Papp-Dichter, der Gips-Intellektuelle.

„Jetzt schau dir unsere Mutter an – sieht die aus wie Thomas Mann?“ Nein! (Grebe)

Was der Deutsche aber garnicht nötig hätte, wenn er seine eigenen großen Dichter oder auch seine Philosophen wirklich DENKEN würde. Anstatt sie nur zu „kennen“. Walter Benjamin – was ist mit dem? Hätte man ja mal mit Heidegger ins Gespräch bringen können. Aber man klebt sich diese Namen eben immer hübsch aufs T-Shirt, und dann werden mittelmäßige Papp- und Gips-Dichter wie Peter Hacks neu entdeckt.

Wer Hölderlins Gedicht „Der Mensch“ aufmerksam hört oder liest, dem sollte auffallen, dass Hölderlin davon spricht, dass die „Rebe“ als Weinrebe hier eine „Amme“ ist, aber sie ist nicht die Mutter. Die Mutter bleibt nach wie vor das Getreide, das Korn.

Goethe steht für das Falsche der deutschen Geistesgeschichte. Sein Faust ist die hilflose Ausarbeitung seines eigenen schlechten Gewissens. Denn Goethe selbst war genau das, gegen das er seinen Faust ins Feld führte: Goethe war der Laffe, der gelehrsame Dummkopf, der Nichtforscher, der Nichtmagische. Goethe selbst war nie Magier, kein Alchemist, kein Feuerwerker. Er war immer nur „gelehrsam.“ Ein Aufsager.

Sein Faust ist nichts weiter als eine misslungene Rechtfertigungsschrift für sein eigenes verpfuschtes Schreiben, das letztendlich in einem Sumpf aus Kenntnisreichtum, Dilletantismus, lateinischem Plagiat, Vielschreiberei und Desinteresse verendete.

Goethe wusste, dass Kleist der Größere war. Und hat ihn mehr oder weniger kaputtverpfuscht. Auch Adam Müller hat er kaputtverpfuscht. Gelehrsamkeit ohne Berührung, ohne Faden. Alles immer nur „Stoff“

Und genau darin vermute ich einen Teil der Lösung des Rätsels, warum es den eleganten Gelehrsamkeits-Nazi gibt, ob als Mythos oder real, bleibt dahingestellt, der seine Mozart-Etuden auf dem Klavier gespielt hat oder vielleicht auch Goethe auswendig aufsagen konnte.

Der Deutsche hat gelernt, Kultur in Form von „Gelehrsamkeit“ ohne mütterliche Anbindung von sich abzuspalten. Der ganze Nationalsozialismus war ein einziger Double-Bind nach Gregory Bateson. Und die ganze verklemme Disposition von
zivilisatorischer „Eleganz“ auf der einen Seite und der unbewältigte „Volks“-tums-Begriff – die abgeschnittene Verbindung zur Natur-Mutter-Sprache, machen die Probleme bis heute.

Brecht und Heiner Müller hatten die Frage gestellt, wann man über Bäume sprechen darf? Ja wann denn? Wann darf man denn?

Das Fadenlose, das Mutterlose der deutschen Gelehrsamkeit – das ist der Grund.

Er weiß, wie Kunst&Kultur „funktioniert“ – aber er ist dabei oft innerlich unangebunden, heimatlos. Er wird zum „Funktionär“.

Goethe steht für ein intellektuelles Scheitern und Versagen, das im 20igsten Jahrhundert seinen traurigen deutschen Höhepunkt erreicht hatte. Und Thomas Mann mit einem großen Teil seiner Schreiberei steht für den ganzen vermufften Nietzsche- und Stefan-George-Komplex aus Ästhetizismus und Konservatismus, dessen Vermuffung bei Thomas Mann nur noch durch Ironie etwas abgefangen wurde.

(Vielleicht war es Kants größter Fehler, dass er Schönheit als „interesseloses“ Wohlgefallen definiert hat. Da muss man sagen, hat Kant leider nicht wirklich
tief gedacht.)

Wenn man den Deutschen einen Vorwurf machen kann, und ich bin selbst gerne Deutscher imernoch, dann den, dass sie mit Goethe einen Nichtssucher, Nichtsfrager und bloßen Vielschreiber zu ihrem „großen Nationaldichter“ erklärt haben, während ihre wahren und echten Größen wie Hölderlin, Kleist, Adam Müller oder Novalis und Däubler in beredter Rede totgeschwiegen wurden.

Das Totschweigen von Dichtung funktioniert in Deutschland seit mindestens 100 Jahren ganz anders, als das Wort es nahelegt. Das Totschweigen von Dichtung funktioniert, in dem man diese Dichter mit einer gleich-gültigen Endlosrede zudeckt, mit Seminaren, mit gelehrsamen Abhandlungen. Man schweigt Kleist, Novalis oder Hölderlin tot, in dem man Hölderlinpreise oder Kleistpreise erfindet und jedes Jahr Reden über sie hält und sogar Institute gründet zur „Pflege des dichterischen Erbes“.

Gerade im Land der Dichter und Denker wird Dichtung durch die beflissene Rede über Dichtung totgeschwiegen wie in keinem anderen Land auf der Welt. Und kein anderes Land auf der Welt hat so viele drittklassige Dichter-Attrappen hervorgebracht wie Deutschland in den letzten 40 bis 50 Jahren. Die vielen intellektuell gescheiterten  und poetisch drittklassigen Existenzen an den Häppchenbuffets der Literaturhäuser geben davon Zeugnis.

Die Deutschen haben Ihre eigenen Dichter und Denker verraten an den Fraß der täglichen Rede, an den „Kenntnisreichtum“ an den institutionalisierten Diskursnarzismus, an den Gelehrsamkeitskrimskrams, an das T-Shirt der auswechselbaren Geste, an das „Künstlertum“, an die „Lyrikszene“ –  und an all die Doktortitel der Germanistik und der Philosophie, die das Papier nicht wert sind, auf dem sie erworben worden sind.

Sogar Nietzsche muss man heute vor den Nietzschepreisträgern und Nietzschezitierern in Schutz nehmen. Nietzsche konnte nicht wissen, das seine letzten Menschen einmal Nietzschezitierer sein würden. Ein Nietzsche für den Tag. Ein Nietzsche für die Nacht.

Alptraum: Im Traum war ich Diktator und wollte eine große Bücherverbrennung anordnen lassen. Mein Minister für Bücherverbrennung erwiderte erschrocken,
dass alle Bücher bereits digitalisiert seien, mein Führer!
DANN LÖSCHEN SIE! – sabberte ich. ALLE BÖCHER SOFORT LÖSCHEN!
Darüber wachte ich auf, völlig durchnässt.
Beim Abtrocknen fiel mir ein, wie viel an enorm geistreicher Literatur heute ganz kostenfrei zu haben ist. Für Null Euro bekommt man in den digitalen Bibliotheken beinahe alle wesentlichen und wichtigen Texte des abendländischen Dichtens und Denkens und sehr viel 19. Jahrhundert bis zum Anfang des 20igsten Jahrhunderts aufs Kindl geladen. Was sagt das über unserer Zeit aus?

Ist der Geist wertlos geworden, oder ist er absolut unverkäuflich, das heißt:
So wertvoll, dass ihn kein Geldbetrag der Welt mehr ermessen kann.
Robert Musils Essays für Null Euro. Hegel für Null Euro.
Adam Müller für Null Euro. Und so weiter. Ruhemasse Null.

Was ist Heimat? Folgt man Robert Musils Essay: „Das hilflose Europa oder vom Hundertsten ins Tausendste.“ – dann ist Europäer sein heute offenbar verbunden mit der Aufforderung, eine geistige Arbeit zu leisten. Geistige Arbeit ist sein Stichwort. Ich denke mir, das Europas Schönheiten, Freiheiten und Werte, all das, was heute als „Buntheit“ oder als das „Vielfältige“ besprochen wird, das Ergebnis einer extrem schwerwiegenden Historie sind und keine Zauberei oder Zufall. Diese extrem schwerwiegende Historie ist nicht allein eine europäische Geschichte, sie ist Menschheitsgeschichte.  Musil legt nahe, dass man als Europäer sich einer geistigen Arbeit aussetzt, um etwas zu verstehen. Wenn man das nicht tut oder wenigstens versucht, dann bleibt man nur  ein passiver Konsument von Europas Werten, füllt die Latrinen und hat nichts beizutragen. Gerade europäischer Geist ist aus einem Vorher/Nachher erwachsen. Vor 1789/ nach 1789, Vor 1918, nach 1918; vor 1945 nach 1945; vor 1989 nach 1989 – eben deshalb wird eine Sprachregelung die nur von „rechts“ oder von „links“ redet, dieser Vorher/Nachher – Geschichte nicht gerecht. Diese Sprachregelung bleibt thought controll. Darüber sollte man mal nachdenken anstatt über für Frauinnen und Männerinen zu diskutieren.

Songwriter: Beim Blättern in einer Biografie über Leonard Cohen fand sich ganz nebenbei eine gute Bemerkung von ihm zum Unterschied zwischen nur gelesener Dichtung und dem Text eines nur gesungenen Singer/Songwriter-Songs.
Beim Lesen des kleinen Absatzes dachte ich: Wie würde man einem nichtdeutschsprachig sozialisierten Menschen heute erklären, warum es in Deutschland seit etwa 40 Jahren keine wortnahen Dichter als Künstler mehr gegeben hat sondern nur noch schlechte Attrappen und  Diskursgekröse.

(Mit und für M)

Im Deutschland der letzten 30 bis 40 Jahre hat es immer einige gute Singer/Songwriter und auch Popsänger (U wie Unterhaltung) gegeben, aber im gedichteten Wort oder im nur gelesenen Gedicht kam nicht mehr viel.

Davon können wir ein Lied singen – so sagt eine alte Wendung der Rede.
Ein Lied von etwas singen können, meint: Wovon man ein Lied singen kann, das ist schon nicht mehr die allerneueste Neuigkeit. Das Englische springt bei und nennt es dann: The latest News – Die späteste Neuigkeit.

„Davon können wir ein Lied singen.“ – sagt: Durch mindestens einhundert Wendungen ist bereits gegangen der Anlass des Liedes. Sehr bekannt bis allzu bekannt ist das Lied und hat bereits überschritten sein Frischedatum, als es gerade erst in aller Frühe noch am Werden war.

Wovon man ein Lied singen kann, dass ist lange schon gesungen worden. Weit zurückgehen muss man durch die Zeit, als noch niemand ein Lied davon gesungen hat.  Jetzt aber, heute und hier, singen wir davon ein Lied.

Die Trennung von E und U (Ernst und Unterhaltung) oder auch von Pop und klassischer Musik (E) hat gerade in Deutschland zu schweren Behinderungen auf der E-Seite geführt.
Im deutschen Sprachraum gab es bis heute immer einige gute Singer/Songwriter. Und daneben gibt es die zumeist geistig behinderte Literaturhauslyrikerszene, oder die geistig noch schwerer behinderte öffentliche Philosophieszene.
Attrappen, Nachahmung, Irrelevanz und Potemkinsche Dörfer beherrschen seit etwa 40 Jahren das deutsche Literatur- und Philosophie-Feuilleton auf der E-Seite.
Der Literatur- und Philosophiebetrieb auf der E-Seite ist heute ein Elendsgebiet.

Der Grund hierfür wurde schon benannt: E wie „ernst“ hatte in Hölderlin, Adam Müller Rilke und Kleist aber auch in den deutschen Philosophen des 19. Jahrhunderts einen Himalaya aufgeschoben, der nicht mehr mit rein bergsteigerischen Mitteln überboten werden konnte. Man konnte das Gebirge besteigen aber nicht mehr selbst aufschieben.

Deshalb musste der E-Dichter oder der E-Philosoph nach Hölderlin, Adam Müller und Kleist immer nur eine Second Hand-Figur bleiben oder ein Autorendarsteller.

Der deutsche Literaturmensch von heute möchte sich natürlich absichern, in dem er Kleist gutfindet oder Hölderlin gut findet oder man „nennt“ hier und da auch Namen wie Heidegger, Goethe, Novalis, Lem u.s,w,  – aber ohne sich wirklich zu inter-essieren.

In diesem „funktionierenden“ Verhalten ähnelt der Literaturmensch von heute eben auch den klavierspielenden und goethezitierenden KZ-Nazis von vor 70 Jahren.
Man kann wirklich überall Klavier spielen. Und man kann auch ein Gedicht überall aufsagen. Und am besten noch besonders virtuos und fingerfertig.

Aber Virtuosität ist nicht Musik.

Das „Allesrichtigmachen“  von Enzensberger,
von Peter Hacks, Juli Zeh, Grünbein, Botho Strauß oder von Sloterdijk funktioniert überall. Und es „funktioniert“ immer. Weil Funktion eben heimatlos bleibt. In diesem Funktionieren kann man seine „Ansichtssachen“ auswechseln wie T-Shirts. Das einzige Interesse, dass der Diskurs-Schleimer, der Salon-Schleimer seit 40 Jahren in Deutschland hat, ist das Interesse, im Diskurs „ganz vorn“ zu sein. Oder einen „Skandal“ zu machen, weil ihm das Punkte in der Aufmerksamkeitsökonomie bringt.  Die Trendwelle zu erwischen. Mehr nicht. Und auch der sogenannte Skandal „bedient“ nur einen Diskurs von der anderen Seite. ( Gerade bei den vielen Novalisgutfindern in letzter Zeit kann man gut beobachten, wie ihr situationsopportunistisches Schielen nach dem „richtigen Trend“ etwas gehetzt wirkt. Man möchte eine Trendwelle nicht verpassen und möglichst „weit vorn“ mitsurfen.

Es funktioniert hier und es funktioniert da. Und es „funktioniert“ immer.

Ein anderer Grund kommt noch hinzu: Nach dem zweiten Weltkrieg war das Denken und die Sprache, alle starken Potentiale zum Erfassen und Reflektieren von Wirklichkeit im deutschen Sprachraum logischerweise vernichtet oder ausgewandert, emigriert.

Wen es in die intellektuelle Öffentlichkeit drängte, der konnte dies nur um den Preis der ideologischen Fesselung tun oder und um den Preis der poetischen Dürftigkeit.
Der hohe Preis, den der deutsche Sprachraum bezahlt hat für den zweiten Weltkrieg ist unter anderem auch der: Musil verstummt und verarmt, später von vielen interesslosen Doktorarbeiten erschlagen. Einstein ausgewandert. Der ganze Wiener Kreis mehr oder weniger vertrieben. Bauhaus vertrieben oder zur „ästhetischen Geste“ verfälscht.
Stefan Zweig weg, Selbstmord. Goedel ausgewandert, wurde verrückt. Villém Flusser ausgewandert. Gotthardt Günther mehr oder weniger ausgewandert. Alfred Sohn Rethel ausgewandert. Günther Anders letzten Endes verarmt und unbeachtet. Hannah Arendt weg. Heinz von Foerster ausgewandert. Walter Benjamin Selbstmord. Ernst Mach, einfach vergessen und verschluckt.
Was dann kam: Adorno und die ständige Streiterei oder Stänkerei für oder gegen Heidegger, oder Ernst Bloch, aber alles ohne wirklichen Dialog, ohne Gespräch. Immer nur „gelehrsam“.

Methodenstreit – wie bescheuert ist bitte dieses Wort.

Und heute? Maxim Biller, Juli Zeh, Dietmar Dath, Talkshow, Hegemann, Skandal, Skandälchen, Botho Strauß, Precht…

Oh, Kulturindustrie – aber diesmal sowohl mit als auch gegen Adorno.

Wer wirklich etwas erfahren will, muss heute in Deutschland wie vor 70 Jahren unter der Bettdecke den Feindsender BBC gucken oder hören.

Oder er muss den Feindsender Gregory Bateson lesen oder den Feindsender Adam Müller hören.

Seit 40 – 50 Jahren Jahren pendelt die Dichtung und das Denken in Deutschland um die beiden Pole des Schwachsinns irgendwo zwischen Ernst Jandl und Stefan George. Wo denkerische Inkompetenz, Antiquiertheit und  sprachliche Drittklassigkeit kaschiert werden mussten, tat man dies mit „Kenntnisreichtum“ mit „Belesenheit“ oder mit „Virtuosität“  oder mit Pseudowitzigkeit oder mit „vielsagendem Raunen“.

Und wem es im eigenen Diskursregime zu langweilig wurde, der zog sich hier auch schon mal ein anderes T-Shirt über mit einer alternativen Beschriftung.
Die T-shirt-Beschriftungen hießen dann statt „Adorno“ plötzlich wieder „Bocksgesang“ oder sie hießen „Nietzsche“ oder sie hießen „Descartes“ oder man beschriftete sein T-Shirt auch gerne mit „Heidegger“ oder mit „Derrida“ oder mit „Lenin“. Auf manchen  T-shirts stand auch das Wort „Jude“ drauf. Oder das Wort „Deutscher“.

Der T-Shirt-Shop in Deutschland bietet dem Intellektuellen Schriftmenschen jederzeit eine große Auswahl für seinen sprachlichen Dress.
Von heute aus kann man das gut abmessen: Der intellektuell  Heimatlose schneidet sich eine Pilzkopffrisur, wenn Pilzkopf en Vogue ist. Er lässt sich lange Haare und Koteletten wachsen, wenn lange Haare en vogue sind. Und er rasiert sich die Schläfen aus, wenn er glaubt, das es jetzt wieder irgendwie more thinky ist, sich die Schläfen auszurasieren. Und er trägt schultergepolsterte Sakkos oder Lederjacken und färbt sich die Haare , weil es eben gerade die 80iger Jahre sind. Und wenn er zu einer Preisverleihung geht, bindet man sich eine bescheuerten Kravatte um.
Oder man zieht sich als Intellektueller wieder die Männlichkeitshosen an, aber man sichert sie diesmal gleich doppelt mit Gürtel plus Hosenträger. Damit man sie bloß nicht wieder verliert im genderversumpften Korrektnessgeschwalle.
Nur ist es eben nicht sehr stilvoll, die Männlichkeitshose mit einem Gürtel und zusätzlich noch mit einem Hosenträger zu sichern.

Mit anderen Worten: Deutsche Intellektualität im Bereich „E“ wie Ernst wird seit 40 Jahren von einem zutiefst verunsicherten und lieblosen „Gelehrsamkeitsfunktionär“ dominiert – bis in die Feuilletons und die Akademien hinein.
Ein besonders peinliches Phänomen in Deutschland war neben dem E wie ernst immer auch das Wort „Pop“-Literatur und ihre Vertreter. Der Hang zur ordentlichen Kategorisierung machte auch vor dem U wie Unterhaltung nicht halt und nannte es aus einem E-Impuls heraus „Pop-Literatur“

Die ganze deutsche  Literaturszene ist heute so abgrundtief hässlich, ungraziös oder wie Thomas Bernhardt sagen würde: scheußlich geworden, so Juli Zeh-zerstört, so Georg-Dietz-dürftig, so armen avanessian-ärmlich, so grünbeingrauenhaft, dass es eigentlich nur noch die Singer/Songwriter sind, an die man sich halten kann. Und natürlich zum Glück auch an die wenigen souveränen und klugen Erzählerphilosophen wie Sten Nadolny oder Per Olov Enquist, aber ach nee, der kommt ja schon wieder aus Schweden.
Überhaupt, meine geistigen und europäischen Hoffnungsträger kommen im Moment aus Island oder Schweden.

Man erzählt heute kein großes Geheimnis mehr, wenn man sagt, dass die deutschen
E- Dichterfiguren der letzten 40 Jahre immer nur Kunstverbraucher waren aber keine Künstler mehr, keine Dichter. Sie waren Wiederkäuer in den Verbrauchermärkten der Dichtung, die längst immer schon geschrieben worden war.

Aufgefallen war das nur deshalb kaum, weil die Literaturkritiker und das philosophische Feuilleton in Deutschland genau so desinteressiert und gedächtnislos waren und sind, wie die Produzenten. Oder anders gesagt: Im deutschen Feuilleton besprechen seit etwa 40 Jahren viertklassige Kritiker die Bücher von drittklassigen  Autoren. Oder vielleicht war es aufgefallen, aber niemand hat sich daran gestört. Warum nicht?

Zum Überflüssigsten, was die deutsche E-Literatur in den letzten 40 Jahren hervorgebracht hat, gehört eine merkwürdige Verbindung von Konservatismus und Ästhetizismus. Das Begriffspaar Ästhetizismus und Konservatismus – das wabert als pappdummes Begriffspaar seit einem halben Jahrhundert immer wieder durchs Sprach-Feuilleton.

Die pappdummen Gründe des Begriffspaars Ästhetizismus und Konservatismus heißen Friedrich Nietzsche und Stefan George.  Stefan George hatte am Beginn des 20. Jahrhunderts dem pappdummen deutschen Literaturrezipienten einen Floh ins Ohr gesetzt. Dieser Floh flüsterte etwas von Raunen, von Ästhetik, von Konservatismus.

Noch einmal mit Gregory Bateson: Der Naturgermane kann kein „Ästhet“ sein.

Liest man dagegen Kleist, oder Hegel oder Adam Müller: Klarheit. Gedanke. Stringenz. Stimmigkeit. Kein Raunen, kein syntaktisches Gespreize, und nur eine sehr sparsame Metaphernwirtschaft, geradezu preussisch sparsam.

Eben deshalb konnten und mussten die deutschen Literaturhauslyriker und Autorendarsteller eben immer nur das sein: Sprachlich dürftige und poetisch inkompetente Autorendarsteller.

Leonard Cohen also. Dass er ein großer Songwriter ist, wird kaum jemand bestreiten. Leonard Cohen bemerkt zum Unterschied zwischen nurgelesener Dichtung und einem nurgesungenen Songtext: Möglichst beim ersten Hören müsse sich ein Songtext in Verbindung zur Musik dem Hörer mitteilen. Deshalb seien Songtexte oft klar bis minimalistisch gehalten, während ein nurgelesener Text etwas komplexer sein dürfe, weil der Leser hier in der Intimität des Selberlesens den Text vor Augen hat.
Was beim Hören eines Liedes nicht der Fall ist. Leonard Cohen stellt das einfach nur so lässig fest, ohne das eine gegen das andere auszuspielen. Allerdings steht bei ihm nicht, dass ein nurgelesener Text „extra“-verklausuliert sein müsse.

Der Minimalismus mancher Popsongtexte bringt den Songtext selbst unter seine eigene semantische Oberfläche, wo er inhaltlich (scheinbar) gar keine Rolle mehr spielt, weil die Musik das Tragende wird. Hauptsache es groovt. Und so verhält es ja auch bei vielen Liedern, nicht bei allen, die Texte sind – beinahe – egal, wenn die Musik „funktioniert“ Aber wann „funktioniert“ die Musik?

Wenn man ein Lied von etwas singen kann…

Schwer zu sagen, wie lange es dauern wird, bis all das in den Bewusstseinskontext des durchschnittlichen Neu-Europäers vorgedrungen ist – die Quantenphysik der deutschen Seele.

Roger Waters/ Pink Floyd hatten es damals…. damals wars, lange her…. in ihrem sehr bekannten Songprojekt „The wall“ noch so erzählt: Die Lehrer waren schlimme Pauker, schmallippig autoritär –  und der heimlich im Unterricht gedichtevernehmende Junge so etwas wie ein Keim der Hoffnung auf Sensibilität, Jugend und Durchbruch.

Gerade als ehemaliger Mauer-Ossi erinnert man sich an dieses Lied.
Aber es hatte natürlich damals eine ganz andere Aufladung.
The Wall war das große Stichwort und man war against. Das genügte. Dagegen sein genügte. Das tiefere Anliegen des Songs war nicht so wichtig. Poetry, everybody!

Heute muss niemand mehr Stühle werfen oder Schulen anzünden. Es wäre langweilig.
Es ist langweilig, gegen Gipsfiguren zu treten. Es hätte keinen Stil.
Sie zerbröseln ja von allein. Die Korrektur der Vorgänge kann man letztlich immer der Schwerkraft überlassen.  Die Schwerkraft regelt das, ganz still, ganz unspektakulär. Das weiß man heute. Die Zeiten der Protestgenerationen in der klassischen Form sind vorbei. Und das ist auch ganz okay so. Und gerechterweise muss man sagen, es gibt ja mittlerweile auch gute Schulen und gute Lehrer, obwohl einem oft niemand sagt, wo sie zu finden sind.

Und die „Poetry“- Situation in Deutschland? Sie zeigt sich heute ganz anders.
Sie ist more tricky.

Geradezu verdreht haben sich die Verhältnisse, jedenfalls im deutschen Sprachraum.
In den nurgesungenen Songtexten finden sich nach wie vor gute Leute. Gott sei Dank gab es in Deutschland auch immer wieder gute Liedermacher.
Aber die nurgeschriebene „Poetry“?

Eigentlich beginnt der narrative Keim von Pink Floyds „The wall“ noch viel früher in der Zeit. Das habe ich eine ganze Zeit lang nicht gewusst. Er beginnt mit der Erinnerung eines Jungen an die Zeit des zweiten Weltkriegs. Einer der berühmtesten Popsongs wurzelt im zweiten Weltkrieg, und damit eben in der Figur Adolf Hitler.

Was ist mein dichterisches Deutschland? Meine Sprachheimat? Dieses Sprachdeutschland der letzten 40 bis 50 Jahre hat seinen Adolf Hitler zerkleinert und dabei metaphysisch geklont und stückchenweise verteilt. Es wurden in Kulturakademien und Kultur-Intendanzen Hitler-Protein-Fabriken errichtet. Diese geklonten oder wiederausgesäten Hitlerproteine aus den Hitlerprotein-Fabriken der Diskurse liegen heute täglich auf den Tellern der „Linksmenschen“ ebenso wie auf den Tellern der „Rechtsmenschen.“ In dem Video von Pink Floyd muss der Lehrer in meinen Augen eine Hitlerprotein-Tablette schlucken.

Aber welches Leben definiert sich eigentlich von rechts nach links. Verläuft es nicht eher von Vorher nach Nachher?

Die „Poetry“ wird heute nicht mehr von verbissenen Paukern diskriminiert.
Vielmehr wird sie von halbwitzigen und lieblosen Lyrikdiskursexperten fehlbestellt und damit ver-stellt. Die welterschaffende Kraft der Poesie wurde ausgelöscht mit den nassen Handtüchern vor sich hin sprachelnder Ambitiönchen und leerer Kunstwollerei.

Und die Philosophie? Wer heute irgendein Posten oder Poestchen im sogebannten E-Literaturbetrieb besetzt, der ist ein geistig behinderter Kulturkarrerist aber kein Dichter, kein Künstler mehr.

Ach, lassen wir das…es ist langweilig.

Sehr kongenial an diesem Projekt von Pink Floyd war damals diese Einbettung von nurgelesener oder nurgeschriebener Dichtung in ein liedhaftes -Song-Projekt.

Hier bei Pink Floyd ist es ein Lehrer, offenbar ein Mathematiklehrer,
der diskriminiert die Poetry.

Wie erklärt man einem nichtdeutschsprachigen Muttersprachler ein spezifisch
deutsches Poetry-Problem?

Es stellt sich immer die große Frage, warum in Deutschland heute die besonders ausgestellte Literaturbetriebslyrik (oder das große E wie Ernst ) so schwach wirkt gegenüber den Singer-Songwritern oder den Liedermachern. (U wie Unterhaltung) Warum ist Rainald Grebe so frisch in seinen Texten, und warum ist die Literaturhauskäsehäppchenlyrikszene  so stumpf?

Sogar dort, wo die E-Lyrikszene heiter sein möchte, bringt sie es immer nur zu einem schlecht angerührten Heiterkeits- oder Grinsemannzement. So nach dem Motto: Ich bin lustig und grinse ganz viel, deshalb habe ich die Welt verstanden.
Ich bin der Grinsend-Wissende.

Der deutsche Muttersprachler von heute hat einen tiefsitzenden Komplex, die Angst typisch deutsch zu sein, tumb zu sein, die Angst, zu direkt zu sein, zu scharf, und zu wenig sophisticated. Die german angst vor der eigenen Sprache, vor dem eigenen Denken. Das betrifft natürlich hauptsächlich Intellektuelle, die Poesie, den Schrift-„Steller“

Nichts fürchtet deutsche E-Poetry heute mehr, als den Vorwurf, sie sei zu eckig oder zu wenig geschmeidig, sie sei zu ernst oder sie sei zu wenig komplex oder sie sei zu gerade-heraus im Sprechen und Denken. Oder sie sei humorlos. Die Geradheit gilt als uncool.

Ja, wenn man denn mal etwas sprechen würde!
Ja, wenn man denn Humor haben würde, anstatt die ewig ausgestellte Zellophanlustigkeit.

Der sogenannte Dichter, wenn er ein sogenannter E-Lyriker ist, und kein Songwriter, muss unbedingt vertrickt, vertrackt, verschachtelt, verklausuliert schreiben, niemals gerade heraus, sondern immer schön krumm, um drei Ecken herum. Das gilt als „elegant“. Das gilt als „ästhetisch.“

Dabei erreicht man die krumme Linie  – gerade nicht –  dadurch, dass man im Denken oder im Dichten gewollt krumm daherkommt.

Die krumme Linie „ergibt sich“ von allein, wenn man im Denken und Dichten selbst gerade, scharf und klar bleibt. Aufrecht stehend wie ein Mensch.

Verlassen kann man sich darauf, dass die gebogene Linie sich ganz von selbst einstellt. Aber sie biegt sich nur dann wahrhaftig ein, wenn man damit aufhört, selbst krumm sein zu wollen, wenn man damit aufhört, gewollt krumm zu schreiben oder krumm zu denken.

Weil die krumme Linie ein überindividuelles kosmologisches Prinzip ist, das sich nur dann einstellt, wenn das Krumme nicht gewollt ist. Das Krumme kommt von ganz allein, aber nur, wenn man selbst besonders – gerade heraus – denkt und schreibt.

G.F.W. Hegel schreibt 1818 noch besonders frech und gerade heraus:

„Das verschlossene Wesen des Universums hat keine Kraft in sich, welche dem Mute des Erkennens Widerstand leisten könnte: es muß sich vor ihm auftun und seinen Reichtum und seine Tiefen ihm vor Augen legen und zum Genusse bringen.“

Wo ist diese herrliche Hegelianische Frechheit und Geradheit hin?
Heute, in all den schiefmündisch gepflegten  „Geschicklichkeiten“ der müde gewordenen „Poetry“ All die falschen Gelassenheits- und Grinsegesten der muffigen Stoa. All die auftrumpfenden aber nichtssagenden Gelehrsamkeitsgesten.

Mut des Erkennens, und: Das Universum will offenbar den philosophisch frech werdenden Menschen, den kühnen, der den Mut zum Erkennen hat. Dem philosophisch frech werdenden Menschen gehört die Zukunft. Und sogar das Wort Genuss ist hier einzig in einen wahren und stimmigen Kontext gesetzt.

Oder Jakob Böhme, komischerweise ein Schuster, der selbst nicht barfuß ging, heute auch so eine kaum mitgedachte Person der Diskurse, schreibt fast 300 Jahre vor dem schwarzen Körper der Quantenphysik:

„Die Finsternis ist die größte Feindschaft des Lichtes und ist doch die Ursache,
daß das Licht offenbar werde.“

Die Liedermacher oder Singer/Songwriter waren hier immer näher am Puls. Deshalb kommt Rainald Grebe immer ebenso gerade wie klar rüber. Oder ein Lied von Röyksopp. Oder AC/DC. Oder Simon&Garfunkel. Oder eben Pink Floyd.

Warum ist die E-Lyrik und die Philosophie in Deutschland seit 40 Jahren  so eine peinliche Veranstaltung?

Ein Hauptgrund liegt sicher darin, dass sich im deutschen Sprachraum schon im 19. Jahrhundert und bis zu Rilke ein Himalaya der (nurgeschriebenen) Dichtung aufgeschoben hatte, der von der heutigen E-Lyrik selbst nicht mehr erreicht werden kann. Wenn der Gebirgshimalaya in Tibet liegt, dann liegt der Dichtungshimalaya der nurgeschriebenen Dichtung in Deutschland.

Hölderlin und Kleist sind die Achttausender, Neuntausender, Zehntausender. Man kann sie vielleicht noch besteigen, aber man kann sie nicht mehr selbst aufschieben.

Oh ich wiederhole mich. Aber es wird ja so viel wiederholt überall.

Deshalb ist der E-Lyriker oder der Literaturhausliterat heute in Deutschland immer eine peinliche Figur und eine Verlegenheitslösung. Der allerspäteste Heiner Müller hat das gewusst, als er sagte: „Die Lügen der Dichter sind aufgebraucht.“ Was nach ihm kam, das konnte immer nur Attrappe sein und Pappe.

Die heutigen Deutschen können ihre eigenen Geistesriesen  nicht mehr besteigen, weil man dafür Rückbindung braucht, Ausdauer und echte Gespräche, die mehr sind als nur ein Rauschen und die länger währen als ein 45-Minuten-Talk auf irgendeinem Fernsehsofa.

Aber spätestens seit Nietzsche hat der deutsche Poetry-Muttersprachler das klare und reflektierte Denken a la  Hegel aufgegeben oder aufgeben müssen und es endgültig
mit „Rechts“ und  „Links“ – Denken ersetzt. Oder mit „Ästhetik“

So mancher deutsche Intellektuelle engagiert sich heute für „Minderheiten“.  Und hält das für „links“.

Das Engagement für Minderheiten ist gut und richtig, wenn es dabei auch wahrnimmt, wie das Denken selbst ebenfalls in eine Minderheit geraten kann.
Nur ist das Denken eben keine Person. Das Denken ist ein „Flüchtling“, das wegflieht, wenn man es nicht daran hindert oder ihm überzeugende Gründe zum Bleiben aufzeigt.

Es mag ja vielleicht wichtig sein, transgendergerecht markierte Toilettentüren einzufordern oder Nichtraucherzonen plus Raucherinseln. Aber mindestens ebenso wichtig wären noch mehr Zonen, in denen das Denken ausdrücklich erlaubt, vielleicht sogar erwünscht ist.

Aber zurück zur Ernst-Lyrikszene (E). Die E-Lyrik-Szene in Deutschland hat heute in ihrer scheinbaren Marginalisierung eine Art Artistikfunktionärstum ausgebildet.

Nur: Artismus in der Sprache kann heute jeder.

Wer ein bisschen den Stift halten kann, schreibt ein Artistik-Gedicht
heute in 5 Minuten hin.

Eins zwei Hai,
das waren Worte drei,
Fehlt noch ein Zeilenbruch
Huch,
war ein Versuch,
es braucht noch Phantasieworte
Plappergei Rasiertorte
Biosonne, Basmatireis
und ab zu Suhrkamp: Huchelpreis

Der deutsche E-Lyriker schreibt sein Zeug heute so, wie sich Kleinfritzchen
E-Lyrik vorstellt. Damit bedient man ein bestimmtes Klisché von „Raunen“, von „Bedeutsamkeit“ oder von „unauslotbarer Tiefe“ oder von „Hermetik.“

Und der halbgebildete Mittelschichtsleser dankt ihm dafür, dass sein Klisché bedient wird. Das ruft dann die Berufs-Interpreten auf den Plan, den Kritiker, der dann mit  Worthülsen einen Gedichtband folgendermaßen bespricht:

„Der Dichter XY schafft es, den kleinen unscheinbaren Dingen große Poesie zu entlocken und uns einen neuen Blick auf die Welt zu schenken. Die Sprache von Dichter XY entzieht sich subversiv der schnellen Gebrauchsfertigkeit. In originellen Fügungen und überraschenden Brechungen werden Hörgewohnheiten hinterfragt und damit Sinnzusammenhänge freigelegt, die der Alltagsprache verborgen bleiben.“

Mit diesen beiden Hülsensätzen kann man heute und in Zukunft jeden Gedichtband besprechen und fertig ist die Lyrik-Kritik.

Nur ist dieses Abziehbild von Dichtung eben keine Dichtung.

Wie wäre es denn einmal mit dem Versuch, den großen Dingen, große Poesie zu entlocken, eben weil sie groß sind und nicht klein!

Dann gibt es da auf der anderen Seite die anderen E-Schreiber, die „neokonservativen“ Rauner, die mythisch Weihevollen. Sie haben es sich zur Devise gemacht, wenn ein tonaler Sprachgestus nur bedeutsam genug klingt, artistisch „tricky“ ist, oder wenn in den Hebungen und Senkungen der Perioden etwas Gesalbtes oder Weihevolles oder Musikalisches hineinklingt; und wenn man hier und da ein paar seltenere Fremdworte einstreut, garniert mit ein paar abgelegenen Namen aus abgelegeneren Zitateplantagen plus Griechenglutamat –  dann wird so ein Text schon auch irgendwie bedeutsam und gelehrsam sein.

Das ist seit Jahren auch die Masche von Botho Strauß, leider.

Aber Botho Strauß Texte haben mit Dichtung nichts zu tun.
Botho Strauss, ein ehemaliges Talent der deutschen Sprache, hat seinen Erfolg mit seinen mittelmäßigen Arthur-Schnitzler-Tschechov-Versatz-Stücken letztendlich mit Verkalkung, poetischer Dürftigkeit und literarisch-sprachlicher Inkompetenz bezahlt.

Gibt man seine E- Texte wirklich mal in die Materialprüfstelle, dann offenbart sich Recyclingpappe, Spanplatte, Pressglas, Plastik.

Man würde sich die guten alten schmallippigen Pauker heute zurückwünschen, wenn man es mittlerweile nicht besser wuesste.

Wird die nur geschriebene Poesie, in welcher Form auch immer, szeniert, inszeniert, ironisiert, distinktioniert, diskursifiziert, medialisiert – verschwindet sie früher oder später hinter irgendeinem Seelenlack, der entweder aus  weihevollem Raunen (Konservatismus),  aus Pseudowitz oder aus pseudostoischem Grinsen zusammengemixt ist. So leidet die E-Dichtung heute in Deutschland an Ironotremor und Individualizykose.

Insofern behält Pink Floyds Song eben dann doch wieder seine tiefe gültige
Wahrheit.

Der Fleischwolf in dem Video – das ist heute der Küchenmixer
des Gleich-Gültigen der „E-Lyrik-Diskurse“.

Hackepeter – das ist das Einerlei. Einerlei weil geistlos. Hacke Peter Hacks.
Einerlei weil Allerlei. Aber nicht mehr Muskel, nicht Gehirn.

Die Küchenmaschine nimmt alles, weil ihr alles Einerlei ist.
Das Deutsche kennt dieses schöne Wort „Einerlei“ –

Man sagt manchmal: „Das ist mir doch einerlei.“ wenn man
sagen möchte: Das ist mir gleichgültig.

Das Allerlei des Einerlei. Biomasse?

Hölderlin auf einem „Poesiefestival“ zum Thema „Seele“?

Hölderlin auf dem blauen Sofa der Buchmesse, das vorher von Juli Zeh,
von Ann Cotton oder von Ingo Schulze warmgepupst wurde? Undenkbar.

Schon das Wort „Poesiefestival“ ist albern.
Obwohl, es müsste nicht albern sein, wenn es eine Art „Dichterwettstreit“ wäre,
wie ihn die alten Griechen gekannt haben. Aber im Einerlei des Allerlei kann es keinen Dichterwettstreit mehr geben, der Sinn macht.
Denn worüber sollte man streiten oder vielmehr – um was streiten? Um die „witzigste“ oder um die originellste „Diskursschleife“?

Den Dichterwettstreit gibt es heute nicht mehr in der E – Lyrik; es gab ihn frueher einmal in der Chart-Statistik im Radio. Wer mit seinem Song auf die ersten Plätze in die Charts kam, hatte gewonnen. Zumindest beim breiten Publikum. Das ist sogar manchmal heute noch so.

Wobei das heute auch nicht immer eine relevante Aussage ist. Denn nach den nächsten vier Wochen ist schon wieder jemand anderes in den Charts. Aber es gibt auch im Pop große und ewige Klassiker. Wie zum Beispiel Pink Floyd.

Der Küchenmixer – das ist heute in Deutschland das Einerlei des Allerlei.
Das Gleichgültige.

Das Einerlei einer Sprache, die von Poesiefestival zu Poesiefestival hastet, immer in der Hoffnung, dass die Einladungen und Literaturpreise nie abreissen oder dass sich ihnen irgendwann einmal ein Posten oder Pöstchen auftut in irgendeiner Akademie oder in irgendeinem Lyrikgremium.

Wie weit, weit, weg und vergangen das Anliegen dieses berühmten Welt-Songs von Pink Floyd heute erscheint, und wie geradezu verjährt die Aussage in dieser Eingangssequenz daherkommt. Aber nein, das ist sie gerade nicht. Der Song behält weiter seine Aktualität.

Oh, jetzt habe ich mich schon wieder wiederholt.
Aber manchmal hat das auch was für sich, es wird ja so viel überall wiederholt. Es wird ja ständig und immer und überall wiederholt.

Eine alte Redewendung sagt, jemand könne von etwas ein Lied singen.
Wenn jemand von etwas ein Lied singen kann, dann meint das: Wovon man ein Lied  singen kann, dann ist das schon nicht mehr die allerneueste Neuigkeit.

„Davon können wir ein Lied singen.“ – sagt: der Anlass des Liedes ist bereits durch mindestens Einhundert Umdrehungen gegangen und sehr bekannt bis allzubekannt. Der Anlass des Liedes, von dem wir ein Lied singen können, hat sein Frischedatum, als es gerade erst in aller Frühe am Werden war, bereits überschritten.

Wovon man ein Lied singen kann, dass ist durch eine Latenzperiode gegangen, durch eine Zeit hindurch, als noch niemand „ein Lied davon singen konnte“.  Jetzt aber, heute und hier, singen wir davon ein Lied.

Ein Lied von etwas singen können heißt soviel wie: Dieses Lied besingt schon nichts mehr, das wächst, reift und lebt. Es singt eigentlich nur noch eine Mechanik ab. Wovon man ein Lied singen kann, dass ist eine Routine geworden, die man genau so gut auch programmieren oder auf eine Maschine übertragen könnte.

Wovon man ein Lied singen kann, das kann man eigentlich auch ablegen, abheften und in den Schrank stellen oder einer Mechanik übergeben, die „sich selbst singt“.

Dieses „Sich-von Selbst-Singen“ – eines Liedes, von dem man ein Lied singen kann, betrifft auch den Übergang von einfacher Materieansammlung hin zu einer „sich-selbst-erzählenden“ DNA oder einer ersten sich selbst erzählenden (autopoetischen) Zelle.

Im ersten Einzeller begann die Evolution damit, ein Lied zu singen, von dem man ein Lied singen kann. Mit anderen Worten: Die Evolution lernte dazu. Sie eröffnete eine neue Reflexionsmenge. Die Ursuppe auf der frühen Erde hatte irgendwann einmal gefragt: Warum soll ich ständig diesen ganzen Materiebrei hin-und her-schwappen lassen? Können das die Moleküle nicht selbst übernehmen? Können sie ihr Lied nicht selber (autopoetisch) singen?

Kann nicht vielleicht das Leben selbst mein altes Lied, von dem ich ein Lied singen kann, fortan selbst übernehmen?

Insofern sind Lieder, von denen man ein Lied singen kann, auch so etwas ähnliches wie Programmroutien eines Prozesses, der irgendwann beschließt, „sich selbstständig“ zu machen.

Wovon man ein Lied singen kann, das muss einen aktuell lebensbezueglich nicht mehr wirklich beschäftigen. Das Lied singt sich von selbst. Es wird autopoetisch. Man kann das Thema ganz getrost dem Lied übergeben, von dem es dann ein Lied singen kann. Das Lied, von dem man ein Lied singen kann, das kann man, ja das muss man als Mensch sogar verlassen oder abstoßen in Richtung Aufbruch, Entdeckung, Neuigkeit – hinein in eine Region, in der noch keine Lieder gesungen und in der das Fahren noch keine Erfahrung geworden ist.

Das Lied, von dem man ein Lied singen kann, ist am Ende immer ein ganzes Zeitalter oder eine kleine Epoche, die nun abgelegt wird in ein Lied, von dem man ein Lied singen kann.

Ebenso verhält es sich mit Zitaten.
Was man zitieren kann, hat sich bereits „selbstständig gemacht.“ Die DNA, die Zelle oder der Einzeller ist ein „Zitat“ der unbelebten Materie.
Denn jedes Zitat hat bereits ein Eigenleben, ist eine autopoetische Zelle.

So übergibt die hin- und herschwappende Materie der Ursuppe irgendwann ihr Lied, von dem sie ein Lied singen kann, an den ersten Einzeller, der sich fortan selbstständig macht – als ein Zitat des Ganzen. Die Desoxyribonukleinsäure und der Einzeller zitiert die Materie in Anführungsstrichen.

Heiner Müller, Traumwald

Heut nacht durchschritt ich einen Wald im Traum
Er war voll Grauen Nach dem Alphabet
Mit leeren Augen die kein Blick versteht
Standen die Tiere zwischen Baum und Baum
Vom Frost in Stein gehaun Aus dem Spalier
Der Fichten mir entgegen durch den Schnee
Trat klirrend träum ich seh ich was ich seh
Ein Kind in Rüstung Harnisch und Visier
Im Arm die Lanze Deren Spitze blinkt
Im Fichtendunkel das die Sonne trinkt
Die letzte Tagesspur ein goldener Strich
Hinter dem Traumwald der zum Sterben winkt
Und in dem Lidschlag zwischen Stoß und Stich
Sah mein Gesicht mich an: das Kind war ich.

Zwischendurch Null

Neulich beim Schlendern auf dem Weg zu einem Termin schnappte ich auf der Straße etwas Jugendsprache auf: „Was los du Warze?“ (1)  und dann noch etwas später nachfolgend: „Ey, voll der Spasti“ (2)  Das erste kam so mittelprächtig. Das zweite lies mich aufhorchen. Ich bekam einen kurzen Schreck. Ein Jugendschimpfwort, uralt, aus einem ganz anderen Jahrhundert.
War hier der Philosoph Søren Kierkegaard gerade in der Nähe? Oder sollte ich das vielleicht auf mich beziehen?  Mit einem Blick versicherte ich mich, dass hier nur eine Schülergruppe untereinander verbal etwas sportelte. Hatte ich noch einmal Glück gehabt.

Einen Moment lang verspürte ich den Impuls, mit einem belehrenden Zeigefinger an den Rufer von (2) heranzutreten und ihm zu erklären, dass seine eigene Jugendsprache nicht mehr so ganz zeitgemäß sei. Er solle sich einmal Gedanken über sein Enterbrainment machen (das Wort hatte ich mir zurecht gelegt, um „cool“ zu wirken) und es ein bisschen aufmöbeln mit Redewendungen wie „Ey, du Geld-zurück-Gesicht.“ oder mit „Was los du Evolutionsbremse?“

Ich tat es dann nicht. Man kann auch mal Fünfe gerade sein lassen.
Lass ihnen doch ihre alte Jugendsprache, dachte ich, warst ja selber auch mal alt. Und es muss ja nicht immer alles superjung sein. Beim Weiterschlendern erinnerte ich mich dafür an eine kleine Geschichte der abwertenden Bezeichnungen.

Vor gefühlten 30 Jahren sagte man:
Ey, du Kaffeekompletttrinker! (als Steigerung: „mit drei ttt – Schreiber!“)
Du Latzhosenträger. Du Damenfahrradromantiker. Du Warmduscher. Du Wackersdorfbewohner. Du Hausordnungsabreißer. Du Strickpullihäkler.
Du fleischgewordene Keksrolle u.s.w.

Was wären die Entsprechungen heute in einem literarischen Kontext?
Du Buchmessenskandal? Du Derrida-Spezialist? Du Simon-Strauß-Kontroversen-Eröffner. Du fleischgewordene Steffen-Popp-Lyrik. Du stellvertretende Akademiepräsidentin. Du Sprachzertrümmerer. Du Regieberserker, Du Juli-Zeh-Interviewer. Du Dystopie-Romancier. Du Gesellschaftskritiker, Du!
Du rechts- oder-links-Träger.
Du Stadtschreiberstipendiat….

Naja, keine Ahnung. Ich ging dann einfach weiter.

Aurum

Wenn ein massereicher Stern seinen inneren Brennstoff fusioniert hat und der Vorrat an Elementen zur Energiegewinnung durch Kernfusion verbraucht ist, dann bildet er in seinem Innern eine sehr kleine aber extrem dichte Kugel, während  seine Hüllen  sich aufplustern zu einem undichten Riesenstern. Dann explodiert er in einer Supernova.

Möglicherweise verhält sich ja die Historie des deutschen Literaturbetriebs und die deutsche Sprache und Dichtung wie die Brennstufenbiografie eines großen Sterns.

Der Vorrat für die Wortgewinnung durch Ereignisfusion oder für die Gedankengewinnung durch Wortfusion ist bei einem schweren Stern zwar hoch, aber doch nicht unendlich.

Wenn ein großer Stern von etwa Fünfzehn Sonnenmassen seinen Vorrat an leichtem Wasserstoff zu Helium fusioniert hat, dann beginnt er mit dem Heliumbrennen.

Er verschmilzt Helium zu Kohlenstoff, dann Kohlenstoff zu Sauerstoff und so weiter. Dabei werden seine inneren Schichten immer heißer, noch heißer und dichter und dichter, bis der Stern angelangt ist bei dem Element Eisen. Hier geht es erstmal nicht mehr weiter.

Eisen ist eine Grenze.

Und weil der Stern in diesem Prozess immer dichter und heißer geworden war, geschah das Elementeausbrüten in immer kürzeren Zeiträumen.

Während die Energiegewinnung durch Wasserstofffusion noch einige  Millionen Jahre benötigt hat, geschieht das Heliumverschmelzen schon in wenigen Hunderttausendjahren. Die folgenden Elemente brauchen noch ein paar tausend Jahre, hundert Jahre – und dann – so heißt es – benötigt das Siliziumbrennen zu Eisen nur noch 1 Tag.

Die Temperatur beträgt jetzt einige Milliarden Grad bei extremem Druck auf die innere sehr dichte Kugel des Sterns.

Dann sind alle Gedanken-Prozesse und Wortspiele und Sprachkombinationen durchgespielt. Der Stern kommt von Silizium nach Eisen an einem einzigen Tag in große Verlegenheit. Was jetzt?

Sein ganzes inneres Gequatsche, sein ganzer innerer Literatur- und Philosophiebetrieb, sein ganzes inneres Potential an Kombination und Dekonstruktion und Rekombination hat alle Stufen von Deutlichkeit und Undeutlichkeit durchlaufen. Alle Epochen von Witz und Unwitz, von Ernst und Spielerei, von Idiotie und Engagement, von Künstlerquatsch und Forschertum, von Intuition und Rationalismus, alle möglichen Artikulationen von Gnosis und Extase, alle möglichen Varianten von Aufklärung und Verdunkelung, alle möglichen Versionen von Lust und Unlust, von Hunger und Sättigung, von Politischem und Unpolitischem, von Tragik und Komik, von Phantasie und Realität, von Sex und Enthaltsamkeit, von Zerknirschung und Hedonismus, von Stammeln und Sprechen, von Individualismus und Gemeinschaftssinn sind durchgespielt. Die Möglichkeiten, dass etwas wirklich Neues im Innern des Sprach-Sterns erzählt werden kann, sind erschöpft.

Es gibt keine neuen Elemente mehr. Bei Eisen ist Schluss.

Bei Musil war schon längst Schluss. Bei Rilke war Schluss. Bei Kleist war Schluss. Bei Schiller war schon Schluss.

Der Stern oder der Literaturbetrieb hat seinen Brennstoffvorrat verbraucht. Im Innern des Sterns  kann nichts Neues mehr erzeugt werden, nichts Neues mehr erzählt.

Dann sagen die Astrophysiker: Im Innern der riesigen 15fachen Sonnenmasse bildet sich eine etwa erdgroße Eisenkugel.

Und diese Eisenkugel sagt zum Rest des riesigen aufgeplusterten Sterns:  „Ich mache nicht mehr mit. Das ganze Gerede, das ewige Wiederholen von Kombination und Rekombination langweilt mich. Denn mit dem Element Eisen sind die klassischen
Fusionsprozesse des Sterns an ihr Ende gekommen. Es gibt keine Energie mehr zu gewinnen.  Ich ziehe mich zusammen. Ich ziehe mich zurück.“

Und dann – so heißt es – während die äußeren Hüllen des Sterns sich immer mehr aufplustern und aufplustern zu undichtem Gerede, Gelehrsamkeits- und Belesenheitskitsch, zu Künstlerquatsch, zu Blasen, Globen und Schäumen, zu Honigprotokollen, zu Feuilletons, zu Zeitgeistmagazinen, wiederholten Wiederholungen und Rekombinationen zwischen Borges und Foster Wallace, zwischen Henry Miller und Walter von der Vogelweide, zwischen de Sade bis Phillip K. Dick, von Hi Hi nach Ha Ha –  und die Bücher und Texte sich zu immer dickeren aber immer weniger dichten Erzeugnissen aufplustern zu einem roten Riesenstern, dessen Hüllen nur noch wiederholen können, was die innere Kugel schon weiß,   –  dann also – so heißt es bei den Physikern – kollabiert die erdgroße Eisenkugel im Innern des geplusterten Sterns in furchtbar schnellen 0,6 Milli-Sekunden noch einmal auf ein extrem verdichtetes Gebilde von nur noch 10 km Durchmesser.

In rasant schnellen 0,6 Milli-Sekunden zieht die innere Kugel des Sterns den aufgeplusterten Büchern und Literaturerzeugnissen in den Sternhüllen den Boden unter den Füßen weg.

Und dann – so sagen die Physiker – stürzen diese aufgeplusterten äußeren Hüllen des Sterns, der beinahe die Größe eines Sonnensystems zeigt, mit Siebzigtausend Kilometern pro Sekunde in ihren Abgrund, stürzen in sich hinein und knallen mit unglaublicher Wucht auf diese kleine innere Kugel, und platzen dort, weil sie nicht anders können, mit der selben infernalischen Wucht in den Weltraum zurück. Die Supernova. Der Stern explodiert und übrig bleibt  – –

– – manchmal ein ultrakompakter Neutronenstern, entartete Materie, oder sogar ein schwarzes Loch. Als mysteriöser geheimnisvoller Sternen-Rest.
Eine Explosion von unvorstellbarem Ausmaß, unvorstellbar hoher Temperatur, sehr hoher Dichte, einer gleißenden Helligkeit –  und – wieder sehr erstaunlich:
Neuen Elementen für die Bergwerke von Novalis. Endlich Novalis.

Denn inmitten dieses sehr kurzen Prozesses der explodierenden Supernova werden alle anderen Elemente geboren, die schwerer als Eisen sind, unter anderem auch Kupfer, Zinn und  – das Gold. Sie werden geboren in der kurzen aber heftigen Wucht der Supernova durch „Neutroneneinfang“. Neutronen, die sich in „Protonen“ umwandeln und an andere „Kerne“ anlagern. (Die Prozesse sind bis heute nicht wirklich verstanden.)


*
Ausgerechnet dann das Gold, ein schweres Edelmetall aus der Supernova eines Sterns. „Ausgerechnet“ – wie man sagen könnte,  – Gold als aufgedampfte Beschichtung soll jetzt garantieren eine besondere Empfindlichkeit für den infraroten Anteil des Sternenlichts.

„That’s the way to get a maximum reflection….“

3 Gramm genügen für eine Fläche. Das Elementesymbol AU für Aurum, von dem sich so viele Dinge ableiten wie Aura und Aurora…

Wenn man sich einen gespannten Bogen mit Pfeil als Pfeil&Bogen in seiner Grundfigur anschaut, dann erkennt man, wie auch ein Hohl-Spiegelteleskop in seiner Form die Pfeil-und-Bogen-Figur wiederholt. Denn ein Bogenschütze (Apollo) tut ja nichts anderes, als durch Beugung (Flexion) die physische Kraft der Geometrie seines Bogens auf eine Mitte hin zu konzentrieren. Der Bogenschütze hohlt aus.

Man könnte einen längeren Essay darüber schreiben, vielleicht einen Tausendseiter, was das eigentlich bedeutet, dass dieses mythologisch und in Volksmärchen so extrem aufgeladene Edelmetall Gold nun dazu verwendet wird, in die wirklich allertiefsten Tiefen des Alls – zurück zu schauen? Oder nach vorn?

Aber hier tut’s auch ein Zweizeiler. Das schont Bäume und Papierfabriken. In diesem Zusammenhang ergibt sich die Gelegenheit für ein elegisches Distichon, ein klassisches Versmaß, das hier ausnahmsweise mal kein Kitsch ist und zur Verwendung kommen kann:

*

Strahlendes Gold, das lange mit riesigen Augen wir schauten
Riesiger Spiegel, sein goldenes Auge schaut nun zurück.

*

 

 

 

 

Cézanne im Windkanal

Wäre ich ein Maler,
zwei Pfirsiche würde ich malen und Äpfel zwei
ein Gemälde voller Kugeln, voller Sonnen, voller Rund
würde es malen als Obst in der Schale
Auf dunklem holzgewachsenem Grund
lägen sie beieinander
in voller Reife, voller Farbe, vollem Prall
bei unversehrter Haut
jede Frucht ein ungeplatzter Ball
doch voller Risse, voller Bisse und..

… ich bin kein Maler
Meine Schale ist die Sprache
und die ist voller Mund

Hallo Paul Cézanne, schön, dass Sie hier einmal vorbeischauen. Réalisation – so hieß eines Ihrer Lieblingsworte, das Sie im Zusammenhang mit Ihrer Kunst gern gebrauchten und sich vorgaben als Programm. Etwas, wonach Sie suchten und was Ihnen die Arbeit so langsam machte und zugleich so anspruchsvoll.  „Réalisation“ – eine Art von Synchronaktivität zum Wesen der Naturwahrnehmung?
Die Ergebnisse Ihrer Bemühungen sieht man heute immer wieder gern. So wurden Sie unter den Malern der erste Flugzeugkonstrukteur. Ich habe Ihre Konstruktion hier sogleich in den Windkanal genommen. Sie
hat Auftrieb. Ich gratuliere. 

 

der-bahndurchstich

Paul Cézanne: „Der Bahndurchstich“  – um 1870

 

Was genau ist eigentlich ein Pinselstrich?

Der Arm

*

Ein Dirigent ist ja der Plattenspieler

Der Tonabnehmer sein Arm

Langsam bewegt er den Arm

vom Rand zur Mitte der Scheibe

bewegt es den Arm

Ton abnehmend

abnehmend

abnehmend

immer mehr abnimmt

zunehmend abnimmt

hin

zum inneren Kreis

wo der Tonarm abhebt

Neumond

..

Jetzt der Saphier

um ihn herum

die ganze  Musik

*
*

 

*Kubriks Point: Himmelsscheibe von Nebra mit spiralförmigen Armreifen
und Werkzeugen als Beifunde/ Fundort Mittelberg Sachsen Anhalt,
4. Juli 1999
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Beim Schmied

„Zeitreisen“  –
sagte der Schmied und langte
hin zu einem Stahl,
den er mir reichte –

– „sind keine Zauberei.

Schau ihn Dir an und sag mir, was du siehst.“

Ich nahm den Stahl und sah

an einem Ende

breiter war
nach vorne hin

verschlankte

also

auslief

hin

zu einer engen

Spitze.

So sagte ich:

„Ein Streifen seh‘ ich, vorne breit,
jedoch nach hinten schmaler werdend,
verengt er sich zu einer Spitze.
Wird’s ein Schwert?“

„Verjüngt,“ –
sagte der Schmied, –

-„nach hinten hin –
verjüngt.“

„Ja, ein Stahl,
nach vorne sich

verdünnt.“  –

bestätigte ich ihn –

Der Schmied jedoch bestand auf seinem word:
„Der Stahl nach hinten sich verjüngt.“

„Ja wie? “ – so fragte ich- „Das andere, das breite

Ende

dort –

– also der Griff , wo man ergreift –

ist dieser dann

veraltet?“

Hier stutzte er und sagte:

„Nein…

was sich verjüngt daran

ist nur die Spitze.

Der Griff bleibt Griff,

das andre Ende.“

Den Stahl er aus der Hand mir nahm
und drückte –

randhaft nur

die Spitze,

die verdünnte,

gegen mein Gewand.

„Das andre Ende?“

– fragte ich.

„Nein, die Spitze war’s “ –

betonte er,

die dich verjüngte.“

Und plötzlich:

Ich verstand.

 

 

 

 

Archeologische Funde

Zugespitzt das Seyn
Keil, Klinge, Feuerstein
Dreieck ritzt
die Spitze ins Gebein

Dreieck piekt hinein

Peak Stein

Faust und Keile

Zugespitzte Pfeile

Leak spitzt rund

Ritzt wund

Ins Heile

Das Zuspitzende wird angepeilt

faustsam verkeilt

schwitzend in Zuspitzung

Die Zuspitzung des Schwitzens

Ganz verschwitzt ist die Zugspitze

Sich immer mehr zuspitzt

Einritzt

Blitzt

Werk der Zuspitzung

Arbeit am Feuerstein

Bergzeuge sein

Faustkeil und Beile

zugespitzt

schwitzend

eingeritzt

Dreieck und Keile

lange

Weile

Zwerg